Übersicht des nephrotischen Syndroms

VonFrank O'Brien, MD, Washington University in St. Louis
Überprüft/überarbeitet Juni 2023
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Als nephrotisches Syndrom wird die Ausscheidung von 3 g Protein/Tag im Urin infolge einer glomerulären Krankheit zzgl. Ödemen und Hypoalbuminämie bezeichnet. Es kommt unter Kindern häufiger vor und hat sowohl primäre als auch sekundäre Ursachen. Die Diagnose wird durch Bestimmung des Protein/Kreatinin-Verhältnisses in einer Urinprobe oder Messung des Proteins im 24-h-Urin gestellt. Zugrunde liegende Ursachen werden mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung, serologischen Tests und Nierenbiopsie diagnostiziert. Prognose und Therapie variieren je nach Ursache.

(Siehe auch Übersicht Glomuläre Störungen.)

Ätiologie des nephrotischen Syndroms

Das nephrotische Syndrom kommt in jedem Alter vor, tritt aber häufiger bei Kindern (Minimal-Change-Glomerulonephritis) auf, meist zwischen 1½ und 4 Jahren. Congenitale nephrotische Syndrome treten während des ersten Lebensjahres auf. Im jüngeren Alter (< 8 Jahre) sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. In höherem Kindesalter sind beide gleichermaßen betroffen. Die Ursachen sind je nach Alter unterschiedlich (siehe Tabelle Glomeruläre Erkrankungen nach Alter und Erscheinungsbild) und können primär oder sekundär sein (siehe Tabelle Ursachen des nephrotischen Syndroms).

Die häufigsten primären Ursachen sind folgende:

Sekundäre Ursachen machen < 10% der pädiatrischen Fälle, aber > 50% der Erwachsenenfälle aus. Die häufigsten sind folgende:

Die Amyloidose, eine unterschätzte Ursache, ist für 4% der Fälle verantwortlich.

Eine HIV-assoziierte Nephropathie ist eine Art von fokal-segmentaler Glomerulosklerose, die bei AIDS-Patienten auftritt.

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Pathophysiologie des nephrotischen Syndroms

Eine Proteinurie entsteht aufgrund von Veränderungen an den kapillären Endothelzellen, der glomerulären Basalmembran (GBM) oder des Podozyten, die das Serumeiweiß nach Größe und Ladung normalerweise selektiv filtern.

Der Pathomechanismus der Schädigung dieser Strukturen ist bei der primär und sekundär glomerulären Krankheit unbekannt, es hat aber den Anschein, als könnten T-Zellen als Reaktion auf nicht identifizierte Immunogene und Zytokine einen zirkulierenden Permeabilitätsfaktor hochregulieren oder einen Inhibitor des Permeabilitätsfaktors herunterregulieren. Andere mögliche Faktoren sind erbliche Defekte in Proteinen, die wesentlich für die "slit diaphragms" der Glomeruli sind; eine Aktivierung des Komplements, die zu einer Schädigung der glomerulären Epithelzellen führt; und der Verlust der negativ geladenen Gruppen, die an die Proteine der GBM und der glomerulären Epithelzellen gebunden sind.

Komplikationen des nephrotischen Syndroms

Die Störung resultiert in dem Verlust von makromolekularen Proteinen im Urin, hauptsächlich Albumin, aber auch Opsonin, Immunglobuline, Erythropoietin, Transferrin, hormonbindende Proteine (dazu gehören das Thyroxin-bindende Globulin und das Vitamin-D-bindende Protein) und Antithrombin III. Ein Mangel an diesen und anderen Proteinen trägt zu einer Reihe von Komplikationen bei (siehe Tabelle Komplikationen des nephrotischen Syndroms); andere physiologische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle.

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Symptome und Anzeichen des nephrotischen Syndroms

Die primären Befunde sind Anorexie, Unwohlsein und schäumender Urin (wegen der hohen Eiweißkonzentration).

Flüssigkeitsretention kann verursachen

  • Dyspnoe (Pleuraerguss oder Larynxödem)

  • Arthralgie (hydrarthrosis)

  • Bauchschmerzen (Bauchwassersucht oder, bei Kindern, mögliche mesenteriales Ödem)

Entsprechende Anzeichen können sich entwickeln, einschließlich peripherer Ödeme und Aszites. Ödeme können die Anzeichen von Muskelschwund überlagern und weiße Querstreifen im Nagelbett verursachen (Muehrcke-Linien).

Andere Symptome und Anzeichen sind auf die zahlreichen Komplikationen des nephrotischen Syndroms zurückzuführen (siehe Tabelle Komplikationen des nephrotischen Syndroms).

Diagnose des nephrotischen Syndroms

  • Urinprobe ("Spot") Protein/Kreatinin-Verhältnis 3 oder Proteinurie 3 g/24 h

  • Serologische Tests und Nierenbiopsie, es sei denn die Ursache ist offensichtlich klinisch

Die Verdachtsdiagnose liegt bei Patienten mit Ödemen und Protein im Urin nahe und wird durch eine Stichprobe des Urineiweißes und der Kreatininspiegel oder durch die 24-h-Messung des Urineiweißes gesichert. Klinische Befunde (z. B. systemischer Lupus erythematodes, Präeklampsie, Krebs) können auf die Ursache hindeuten. Bei unklarer Ursache sind zusätzliche (z. B. serologische) Untersuchungen und eine Nierenbiopsie angezeigt.

Urinuntersuchung

Die Feststellung von signifikanter Proteinurie (3 g Protein in einer 24-h-Urin-Sammlung) ist diagnostisch (normale Ausscheidung < 150 mg/Tag). Alternativ lässt das Protein/Kreatinin-Verhältnis in einer Einzelurinprobe im 24-h-Sammelurin die Proteinmenge in Gramm pro 1,73 m2 Körperoberfläche (z. B. entsprechen 40 mg/dl Protein und 10 mg/dl [884 mikromol/l] Kreatinin in einer Einzelprobe 4 g/1,73 m2 Körperoberfläche in einer 24-Stunde-Probe) zuverlässig schätzen.

Berechnungen auf der Basis von zufälligen Proben können weniger zuverlässig sein, wenn die Kreatininausscheidung hoch (z. B. während des sportlichen Trainings) oder niedrig (z. B. in Kachexie) ist. Allerdings werden die Berechnungen auf der Grundlage einer Einzelprobe gegenüber der 24-h-Sammlung bevorzugt, weil eine Einzelprobe bequemer und weniger fehleranfällig (z. B. aufgrund mangelnder Einhaltung) ist. Eine bequemere Untersuchung erleichtert die Überwachung von Veränderungen, die während der Behandlung auftreten.

Neben der Proteinurie kann der Urinbefund Zylinder zeigen (Hyalin-, Granulozyten-, Fett-, Wachs- oder Epithelzellzylinder). Lipidurien, d. h. das Vorkommen von freien Lipiden oder Lipiden in Tubuluszellen (ovale Fettkörper), in Zylindern (Fettzylinder) oder als freie Fetttröpfchen, lassen eine glomeruläre Störung vermuten, die ein nephrotisches Syndrom verursacht. Urincholesterin kann bei der einfachen Mikroskopie entdeckt werden und zeigt unter gekreuztem polarisiertem Licht eine Malteserkreuzform. Der Nachweis von Triglyceriden erfolgt mittels Sudanfärbung.

Andere diagnostische Untersuchungen bei nephrotischem Syndrom

Zusätzliche Untersuchungen können helfen, Schweregrad und Komplikationen zu beurteilen.

  • Harnstoff- und Kreatininkonzentrationen variieren entsprechend der Nierenschädigung.

  • Serumalbumin beträgt oft < 2,5 g/dl (25 g/l).

  • Gesamtcholesterin und Triglyceridspiegel sind üblicherweise erhöht.

Die routinemäßige Bestimmung der Spiegel von Alpha- und Gamma-Globulinen, Immunglobulinen, Hormonbindungshormonen, Coeruloplasmin, Transferrin und Komplementfaktoren ist nicht erforderlich, aber diese Spiegel können auch erniedrigt sein.

Untersuchung auf sekundäre Ursachen des nephrotischen Syndroms

Die Rolle der Untersuchung auf sekundäre Ursachen des nephrotischen Syndroms (siehe Tabelle Ursachen des nephrotischen Syndroms) ist umstritten, da die Ausbeute gering sein kann. Tests werden am besten durchgeführt, wie durch den klinische Kontext angezeigt. Zu den Tests können folgende gehören:

Durch die Testergebnisse kann es zu einer Veränderung der Behandlung kommen und eine Biopsie notwendig werden. Beispielsweise kann der Nachweis von Kryoglobulinen eine gemischte Kryoglobulinämie nahelegen (z. B. bei chronischen entzündlichen Erkrankungen wie systemischem Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom oder Hepatitis-C-Virusinfektion), und der Nachweis eines monoklonalen Proteins mittels Serum- oder Urinprotein-Elektrophorese lässt vor allem bei Patienten, die > 50 Jahre sind und unter Anämie leiden, auf eine monoklonale Gammopathie schließen (z. B. multiples Myelom).

Eine Nierenbiopsie ist bei Erwachsenen indiziert, um die Störung zu diagnostizieren, die das idiopathische nephrotische Syndrom verursacht. Das idiopathische nephrotische Syndrom imponiert bei Kindern meist als Minimal-Change-Glomerulonephritis und kann gewöhnlich ohne Biopsie vermutet werden, es sei denn, der Zustand bessert sich nach einer Behandlung mit Kortikosteroiden nicht. Spezielle Biopsiebefunde werden anhand der jeweiligen Störungen besprochen.

Behandlung des nephrotischen Syndroms

  • Die Behandlung der ursächlichen Erkrankung

  • Angiotensinhemmung

  • Natriumrestriktion

  • Statine

  • Diuretika bei übermäßiger Flüssigkeitsüberladung

  • Selten Nephrektomie

Behandlung der Ursachen, die das nephrotische Syndrom verursachen

Die Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankungen kann die sofortige Behandlung von Infektionen (z. B. Staphylokokken-Endokarditis, Malaria, Syphilis, Schistosomiasis) und das Absetzen von Medikamenten (z. B. Gold, Penicillamin, nichtsteroidale Antirheumatika [NSAIDs]) umfassen; diese Maßnahmen können das nephrotische Syndrom in bestimmten Fällen beheben.

Proteinurie-Behandlung

Angiotensinhemmung (mit Angiotensin-konvertierendes Enzym-Hemmern oder Angiotensin-II-Rezeptorblocker) ist indiziert, um systemischen und intraglomerulären Druck und Proteinurie zu reduzieren. Diese Medikamente können bei Patienten mit mäßiger bis schwerer renaler Insuffizienz eine Hyperkaliämie verursachen oder verschlimmern.

Eine Eiweißrestriktion wird nicht empfohlen, da ihr Effekt auf die Progression nicht nachgewiesen werden konnte.

Ödembehandlung

Natriumrestriktion (< 2 g Natrium oder etwa 100 mmol/Tag) wird bei Patienten mit symptomatischen Ödemen empfohlen.

Schleifendiuretika sind in der Regel erforderlich, um Ödeme zu kontrollieren, können aber vorbestehende Niereninsuffizienz und Hypovolämie, Hyperviskosität und Hyperkoagulabilität verschlechtern und sollten daher nur verwendet werden, wenn eine Natriumrestriktion unwirksam ist, oder wenn es Hinweise auf eine intravaskuläre Flüssigkeitsüberladung gibt. Bei schweren Fällen von nephrotischem Syndrom können auch IV Infusionen mit Albumin, gefolgt durch ein Schleifendiuretikum zur Kontrolle von Ödemen gegeben werden.

Dyslipidämie-Behandlung

Statine sind bei Dyslipidämie indiziert.

Eine Begrenzung der gesättigten Fettsäuren und der Cholesterinaufnahme wird empfohlen, um die Kontrolle der Dyslipidämie günstig zu beeinflussen.

Behandlung von Hyperkoagulabilität

Antikoagulanzien sind bei der Behandlung von Thromboembolien indiziert, allerdings gibt es nur wenige Daten, die ihren Einsatz im Rahmen der Primärprävention stützen.

Die Behandlung eines Infektionsrisikos

Alle Patienten sollten Pneumokokkenvakzine erhalten, wenn dies nicht anderweitig kontraindiziert ist.

Nephrektomie beim nephrotischen Syndrom

Selten ist die bilaterale Nephrektomie beim schweren nephrotischen Syndrom aufgrund der anhaltenden Hypoalbuminämie notwendig. Das gleiche Ergebnis kann manchmal durch Embolisation der Nierenarterien mit Spulen erreicht werden, wodurch eine Operation bei Patienten mit hohem Risiko vermieden werden kann. Eine Dialyse wird je nach Notwendigkeit durchgeführt.

Prognose beim nephrotischen Syndrom

Die Prognose ist unterschiedlich, abhängig von der Ursache. Komplette Remissionen können spontan oder therapiebedingt vorkommen. Die Prognose ist bei kortikosteroidempfindlichen Störungen im Allgemeinen günstig.

In allen Fällen kann sich die Prognose verschlechtern, wenn Folgendes vorliegt:

  • Infektion

  • Hypertonie

  • Signifikante Azotämie

  • Hämaturie

  • Thrombosen in zerebralen, pulmonalen, peripheren oder renalen Venen

Nierentransplantationspatienten mit fokal-segmentaler Glomerulosklerose, Immunglobulin-Nephropathie oder membranoproliferativer Glomerulonephritis (besonders Typ 2) weisen eine hohe Rezidivrate auf.

Wichtige Punkte

  • Das Nephrotische Syndrom tritt am häufigsten bei jungen Kindern auf, in der Regel bei idiopathischen, und meistens als Minimal-Change-Glomerulonephritis.

  • Bei Erwachsenen tritt das nephrotische Syndrom meist sekundär auf, häufig bei Diabetes oder Präeklampsie.

  • Das nephrotische Syndrom sollte bei Patienten, insbesondere Kindern, mit ungeklärten Ödemen oder Aszites in Betracht gezogen werden.

  • Die Diagnose des nephrotischen Syndroms wird durch ein Protein/Kreatinin-Verhältnis ≥ 3 oder durch Urinprotein ≥ 3 g/24 h bestätigt.

  • Tests für sekundäre Ursachen und eine Nierenbiopsie sollen, basierend auf klinischen Befunden, selektiv durchgeführt werden.

  • Eine Minimal-Change-Glomerulonephritis muss angenommen werden, wenn sich der Zustand eines Kindes mit idiopathischem nephrotischem Syndrom nach der Behandlung mit Kortikosteroiden verbessert.

  • Behandeln Sie die ursächliche Störung mit einer krankheitsspezifischen Therapie.

  • Verabreichen Sie Angiotensinhemmer, Natriumrestriktion und häufig Diuretika und/oder Statine, um Proteinurie, Ödeme und Hyperlipidämie zu behandeln.