Beurteilung des Zahnpatienten

VonRosalyn Sulyanto, DMD, MS, Boston Children's Hospital
Überprüft/überarbeitet Aug. 2021
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Die erste zahnärztliche Routineuntersuchung sollte im Alter von einem Jahr stattfinden oder wenn der erste Zahn durchbricht. Nachfolgende Untersuchungen sollten in Abständen von sechs Monaten oder bei jedem Auftreten von Symptomen erfolgen. Zu jeder allgemeinen körperlichen Untersuchung gehört auch eine Untersuchung des Mundes. Bei der Munduntersuchung können sich eindeutige, manchmal sogar pathognomonische Befunde für viele systemische Erkrankungen oder erste Krankheitsanzeichen ergeben (siehe Tabelle Orale Befunde bei systemischen Erkrankungen). Mundkrebs kann in einem frühen Stadium erkannt werden.

(Siehe auch Einführung: Der zahnärztliche Patient.)

Anamnese

Wichtige zahnärztliche Symptome sind Blutungen, Schmerzen, Malokklusion, Neoplasien, Taubheit oder Parästhesien und Kauprobleme (siehe Tabelle Einige orale Symptome und mögliche Ursachen); andauernde Zahnbeschwerden können die Nahrungszufuhr verringern, was zu Gewichtsverlust führt. Als allgemeine Information sind Angaben zum Alkohol - und Tabakkonsum (beides wichtige Risikofaktoren für Kopf- und Halstumoren) oder zu unspezifischen Allgemeinsymptomen wie Fieber und Gewichtsverlust zu erfragen.

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Körperliche Untersuchung

Für eine gründliche Mundinspektion werden neben einer guten Ausleuchtung Zungenspatel, Handschuhe und Gaze benötigt. Teil- oder Vollprothesen sollten herausgenommen werden, um auch das Gewebe darunter betrachten zu können.

Viele Ärzte benutzen eine Lichtquelle mit Kopfhalterung. Da sich der Lichtstrahl so allerdings nicht genau in der Blickachse ausrichten lässt, sind Schatten an Engstellen kaum zu vermeiden. Für eine bessere Ausleuchtung sorgt ein am Kopf befestigter konvexer Spiegel mit einem Loch in der Mitte; blickt der Arzt durch das Loch hindurch, hat er immer eine achsenparallele Beleuchtung. Der Kopfspiegel reflektiert das Licht aus einer Quelle (z. B. Glühbirne), die sich leicht seitlich versetzt hinter dem Patienten befindet; ein effektiver Einsatz setzt einige Übung voraus.

Das Gesicht

Bei der Gesichtsuntersuchung wird auf Asymmetrie, Schwellungen und Hautverletzungen geachtet. Eine leichte Gesichtsasymmetrie ist zwar immer vorhanden, doch bei stärkerer Ausprägung könnte eine angeborene oder erworbene Störung vorliegen (siehe Tabelle Einige Beschwerden im oralen Bereich nach dem Ort des Auftretens).

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Die Zähne

Die Zähne werden auf ihre Form, Anordnung bzw. Stellung, Defekte, Beweglichkeit, Farbe und Vorhandensein von anhaftender Plaque, Materia alba (tote Bakterien, Speisereste, abgeschilferte Epithelzellen) und Zahnstein untersucht.

Die Zähne werden behutsam mit einem Zungenspatel oder Mundspiegelgriff abgeklopft, um die Reaktion zu beurteilen (Perkussionsempfindlichkeit). Perkussionsempfindlichkeit deutet auf eine tiefe Karies (Zahnkaries) hin, die zu einer nekrotischen Pulpa mit periapikalem Abszess geführt hat, oder auf eine ausgeprägte parodontale Erkrankung. Perkussionsempfindlichkeit oder Schmerzen beim Aufbeißen können auch eine unvollständige Fraktur (Grünholzfraktur) eines Zahnes anzeigen. Eine Perkussionsempfindlichkeit mehrerer benachbarter Zähne im Oberkiefer kann durch eine Sinusitis maxillaris verursacht werden. Eine Empfindlichkeit auf Palpation um die Wurzelspitzenregion der Zähne kann auch auf einen Abszess hinweisen.

Lockere Zähne zeigen normalerweise eine schwere parodontale Erkrankung an, können aber auch durch Bruxismus (Pressen oder Knirschen der Zähne) oder Trauma verursacht werden, wobei die parodontalen Gewebe geschädigt werden. In seltenen Fällen werden Zähne locker, wenn der Alveolarknochen durch einen darunterliegenden Prozess (z. B. ein Ameloblastom, eosinophiles Granulom) erodiert wird. Ein Tumor oder eine systemische Ursache für einen Verlust von Alveolarknochen (z. B. Diabetes mellitus, Hyperparathyreoidismus, Osteoporose, Cushing-Syndrom) wird vermutet, wenn Zähne locker sind und starker Plaque- und Zahnsteinbefall fehlen.

Zahnstein ist mineralisierte bakterielle Plaque – eine verhärtete Ansammlung von Bakterien, Speiseresten, Speichel und Schleim mit Kalzium- und Phosphatsalzen. Nachdem ein Zahn gereinigt wurde, wird fast sofort eine Mucopolysaccharid-Schicht (Zahnhäutchen) an der Oberfläche abgelagert. Nach etwa 24 h verwandelt bakterielle Besiedelung das Zahnhäutchen zu Plaque. Nach etwa 72 h beginnt die Plaque zu verkalken und wird zu Zahnstein. Zahnstein wird, wenn er vorhanden ist, am stärksten an den lingualen (inneren oder zur Zunge gewandten) Flächen der unteren Frontzähne nahe den Ausführungsgängen der Glandula submandibularis und sublingualis (Wharton-Gänge) sowie an den bukkalen (wangenseitigen) Flächen der oberen Molaren nahe den Ausführungsgängen der Glandula parotis (Stensen-Gänge) abgelagert.

Karies (Zahnverfall) erscheint zuerst als weiße Flecken/Defekte im Zahnschmelz aufgrund von Demineralisation. Die Kariesprogression führt zu einer kavitierten braunen Läsion. Die Remineralisation eines weißen Flecks führt zu einer Reparatur des Schmelzdefekts.

Verschleiß der Zähne kann aufgrund von schwerer Magensäure-Exposition aufgrund von gastroösophagealer Reflux (Erosion) auftreten, mechanische Wirkung (Abrieb) durch Bruxismus oder eine Porzellankrone, die gegen entgegengesetztes Email reibt (Porzellan ist härter als Email) oder Altern. Verschleiß verringert die Effektivität des Kauvorgangs und führt dazu, dass nichtkariöse Zähne schmerzempfindlich werden, wenn durch den erodierten Schmelz das darunterliegende Dentin freigelegt wird. Dentin ist empfindlich gegenüber Berührung und Temperaturänderungen. Ein Zahnarzt kann solche Zähne desensibilisieren oder die Zahnanatomie wiederherstellen, indem Kronen oder Onlays auf stark abgenutzte Zähne gesetzt werden. In leichteren Fällen von Wurzelsensibilität kann die freiliegende Wurzel durch Fluorid- oder Kaliumnitratanwendungen oder Dentinbindemittel desensibilisiert werden.

Deformierte Zähne können eine entwicklungsbedingte oder endokrine Störung anzeigen. Beim Down-Syndrom sind die Zähne klein und weisen manchmal eine Agenesie der seitlichen Schneidezähne oder vorderen Backenzähne und eine konische Förmung der unteren Schneidezähne auf. Bei kongenitaler Syphilis können die Schneidezähne im inzisalen Drittel klein sein, was ein zapfen- oder schraubenzieherförmiges Aussehen mit einer Kerbe in der Mitte der Schneidekante verursacht (Hutchinson-Zähne), und der erste Molar ist ebenfalls klein, mit einer kleinen okklusalen Fläche und aufgerautem, gelapptem, oft hypoplastischem Schmelz (Maulbeer-Molar). Bei ektodermaler Dysplasie fehlen die Zähne ganz oder sind konisch geformt, so dass von Kindheit an Zahnersatz notwendig sein kann.

Dentinogenesis imperfecta, eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, verursacht abnormes, matt bräunlich-blaues und opalisierend aussehendes Dentin, das keine adäquate Unterlage für den darüberliegenden Schmelz darstellt. Solche Zähne können okklusalen Belastungen nicht widerstehen und werden schnell abgenutzt.

Menschen mit hypophysärem Zwergwuchs oder mit angeborenem Hypoparathyreoidismus haben kleine Zahnwurzeln; Menschen mit Riesenwuchs besitzen große Wurzeln. Akromegalie führt zu exzessiver Zementbildung im Wurzelbereich wie auch zu einer Vergrößerung der Kiefer, so dass die Zähne weit auseinanderstehen können. Akromegalie kann auch zu einem offenen Biss führen, ein Phänomen, das auftritt, wenn die oberen und unteren Schneidezähne nicht in Kontakt kommen, wenn die Backen geschlossen sind.

Kongenital schmale seitliche Schneidezähne treten ohne Vorliegen einer systemischen Erkrankung auf. Die am häufigsten von Geburt an fehlenden Zähne sind die dritten Molaren, häufig gefolgt von den oberen seitlichen Schneidezähnen und den unteren zweiten Prämolaren.

Fehler in der Zahnfarbe müssen von der Dunkel- oder Gelbverfärbung unterschieden werden ob verursacht durch Nahrungsmittelpigmente, zunehmendes Alter und, am häufigsten, Rauchen. Ein Zahn kann aufgrund einer Pulpanekrose, die normalerweise durch eine ausgedehnte, bis zur Pulpa reichende Karies verursacht wird, grau erscheinen oder durch Ablagerung von Hämosiderin im Dentin nach einem Trauma mit oder ohne Pulpanekrose.

Eine deutliche dunkle und bleibende Verfärbung der Zähne von Kindern tritt schon nach kurzzeitiger Anwendung von Tetracyclinen durch die Mutter während der zweiten Schwangerschaftshälfte oder durch das Kind während der Odontogenese (Zahnentwicklung) auf, insbesondere während der Mineralisierung der Zahnkronen, die bis zum Alter von neun Jahren dauert. Tetracycline verursachen selten eine bleibende Verfärbung vollständig ausgebildeter Zähne bei Erwachsenen. Minocyclin verfärbt jedoch den Knochen dunkel, was im Mund zu sehen ist, wenn die darüberliegende Gingiva und Mukosa dünn sind. Betroffene Zähne fluoreszieren unter ultraviolettem Licht je nach eingenommenem Tetracyclintyp in unterschiedlichen Farben.

Bei angeborener Porphyrie können sowohl Milch- als auch bleibende Zähne eine rötliche oder bräunliche Verfärbung aufweisen, doch sie fluoreszieren durch das im Dentin abgelagerte Pigment immer rot. Eine kongenitale Hyperbilirubinämie verursacht eine gelbliche Zahnverfärbung.

Zähne können aufgehellt werden (siehe Tabelle Zahnaufhellende Verfahren).

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Defekte im Zahnschmelz können durch Rachitis verursacht werden, die zu einem rauen, unregelmäßigen Band im Schmelz führt. Jede längere fiebrige Erkrankung während der Odontogenese kann eine bleibende schmale Zone von kreidigem, porösem Schmelz oder einfacher weißlicher Verfärbung hervorrufen, die nach dem Zahndurchbruch sichtbar wird. So kann das Alter, in dem die Erkrankung aufgetreten ist, sowie ihre Dauer anhand der Lokalisation und Höhe des Schmelzdefekts abgeschätzt werden.

Schmalzlochfraß tritt auch bei tuberöser Sklerose und Angelman-Syndrom auf. Die Amelogenesis imperfecta, eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, verursacht eine schwere Schmelzhypoplasie. Chronisches Erbrechen und ösophageale Refluxkrankheit können die Zahnkronen dekalzifizieren, vor allem die palatinalen Flächen der Oberkieferfrontzähne.

Chronisches Schnupfen von Kokain kann zu einer ausgedehnten Entkalkung von Zähnen führen, da die Droge im Speichel zu einer Base und Salzsäure dissoziiert wird. Der chronische Konsum von Methamphetaminen induziert Xerostomie was den schweren Zahnverfall und Parodontitis ("Meth-Mund") deutlich erhöht.

Schwimmer, die viel Zeit in stark gechlorten Schwimmbecken verbringen, können Schmelz an der äußeren (bukkalen) Fläche der Zähne verlieren, insbesondere der oberen Schneide- und Eckzähne sowie der ersten Prämolaren. Wenn dem Schwimmbadwasser zur Korrektur des pH-Werts Natriumcarbonat zugegeben wurde, bildet sich brauner Zahnstein, der jedoch durch eine professionelle Zahnreinigung entfernt werden können.

Als Fluorose bezeichnet man gefleckten Schmelz, der bei Kindern auftreten kann, die während der Zahnentwicklung Wasser mit > 1 ppm Fluorid trinken. Das Ausmaß der Fluorose hängt von der aufgenommenen Fluoridmenge und vom Alter der Kinder während des Ausgesetztseins ab. Die Schmelzveränderungen reichen von unregelmäßigen, weißlich-opaken Zonen bis hin zu einer ausgeprägten Braunverfärbung der gesamten Zahnkrone mit aufgerauter Oberfläche. Solche Zähne sind hochgradig resistent gegen Zahnkaries.

Mund und Mundhöhle

Nach dem Palpieren der Lippen werden bei geöffnetem Mund Wangenschleimhaut und Mundeingangsbereich (Vestibulum oris) mit einem Zungenspatel untersucht und nacheinander harter und weicher Gaumen, Uvula und Oropharynx in Augenschein genommen. Um den Zungenrücken und auch die hinteren Seitenränder betrachten zu können, sollte der Patient die Zunge möglichst weit herausstrecken und seitlich bis zum Anschlag hin und her bewegen. Kann die Zunge nicht weit genug vorgestreckt werden, umfasst sie der Untersucher an der Spitze mit einem Gazeläppchen und zieht sie lang, bis die Wallpapillen freiliegen. Dann wird die Zunge angehoben, um die Unterseite und den Mundbodens betrachten zu können. Auch Zähne und Zahnfleisch sind genau anzuschauen.

Besondere Aufmerksamkeit ist einem auffälligen Verteilungsmuster verhornter oder unverhornter Schleimhautbezirke zu widmen. Keratiniertes Gewebe, das an normalerweise nicht keratinisierten Stellen auftritt, erscheint weiß. Dieser abnorme Zustand, genannt Leukoplakie, erfordert eine Biopsie, da es sich um kanzeröse oder präkanzeröse Veränderungen handeln kann. Noch beunruhigender allerdings sind verdünnte Schleimhautbezirke. Bleiben solche roten Stellen, sog. Erythroplakieherde, besonders auf der Zungenunterseite und am Mundboden, länger als 2 Wochen bestehen, liegt der Verdacht auf Dysplasie, Carcinoma in situ oder Krebs nahe.

Mit den Fingern in Schutzhandschuhen werden Mundeingangsbereich (Vestibulum oris), Mundboden und Speicheldrüsen (Glandulae sublinguales und submandibulares) abgetastet. Um den Zugang zu erleichtern, kann der Untersucher den Patienten bitten, seinen Mund zu entspannen und weit genug zu öffnen. Die Palpation lässt sich dann bequemer durchführen.

Das Kiefergelenk

Am Kiefergelenk (TMJ) wird auf eine Bewegungsabweichung des Unterkiefers bei der Mundöffnung geachtet und der Kopf des Kondylus vor dem äußeren Gehörgang palpiert. Die Ärzte legen dann ihre kleinen Finger in die äußeren Gehörgänge, wobei die Polster der Fingerspitzen leicht nach vorne drücken, während die Patienten sich wiederholt weit öffnen und dann schließen. Patienten sollten in der Lage sein, ihren Mund problemlos so weit öffnen zu können, dass 3 ihrer Finger quer übereinander zwischen die Schneidezähne passen (durchschnittlich 4 bis 5 cm).

Ein Trismus (Kieferklemme, d. h. Unfähigkeit, den Mund zu öffnen) kann auf eine Kiefergelenkserkrankung (häufigste Ursache), eine Perikoronitis, eine systemische Sklerose, eine Ankylose des Kiefergelenks, eine Dislokation der Kiefergelenksscheibe (Discus articularis), auf Tetanus oder einen Peritonsillarabszess hindeuten. Für eine Subluxation oder ein Ehlers-Danlos-Syndrom (Typ III) spricht es, wenn der Mund auffällig weit geöffnet werden kann.

Tests

Bei einem neuen Patienten oder einem Patienten, der eine umfangreiche Versorgung benötigt, fertigt der Zahnarzt einen vollständigen Röntgenstatus des Mundes an. Dieser Status besteht aus 14 bis 16 periapikalen Aufnahmen zur Darstellung der Wurzeln und des Knochens plus vier Bissflügelaufnahmen um Karies im Frühstadium zwischen den Seitenzähnen zu erkennen. Die modernen Techniken reduzieren die Strahlenbelastung auf einen fast vernachlässigbaren Wert.

Bei Patienten mit hohem Kariesrisiko (d. h. denjenigen, bei denen Karies während der klinischen Untersuchung festgestellt wurde, die viele Restaurationen im Mund haben oder bei denen ein Kariesrezidiv an bereits versorgten Zähnen aufgetreten ist) sollten alle 6-12 Monate Bissflügelaufnahmen angefertigt werden. Ansonsten sind Bissflügelaufnahmen alle zwei bis drei Jahre indiziert.

Eine Panorama-Röntgenaufnahme kann wertvolle Informationen über Zahnentwicklung, Zysten oder Tumoren der Kiefer, überzählige oder nicht angelegte Zähne, verlagerte Weisheitszähne (dritte Molaren), Eagle-Syndrom (weniger häufig) und Ablagerungen in der Carotis liefern.