Myasthenia gravis

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Apr. 2022
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Myasthenia gravis ist durch episodische Muskelschwäche und leichte Ermüdbarkeit gekennzeichnet, die durch die autoantikörper- und zellvermittelte Zerstörung von Acetylcholinrezeptoren verursacht wird. Sie kommt bei jungen Frauen und älteren Männern häufiger vor, kann aber bei Männern und Frauen in jedem Alter auftreten. Die Symptome verschlimmern sich bei Muskelaktivität und nehmen in Ruhe ab. Die Diagnose wird durch Messung der Serum-Acetylcholin-Rezeptor (AChR) -Antikörperspiegel, Elektromyographie und Tests am Krankenbett (Eisbeutel-Test, Ruhe-Test) gestellt. Die Behandlung besteht in der Gabe von Cholinesterasehemmern, Immunsuppressiva, Kortikosteroiden, Plasmaaustausch, IV-Immunglobulin und möglicherweise Thymektomie.

(Siehe auch Überblick über Störungen des peripheren Nervensystems.)

Myasthenia gravis entwickelt sich am häufigsten bei Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren und Männern im Alter von 50 bis 80 Jahren, kann aber in jedem Alter, einschließlich der Kindheit, auftreten.

Myasthenia gravis ist auf einen autoimmunen Angriff auf postsynaptische Acetylcholinrezeptoren zurückzuführen, der die neuromuskuläre Übertragung unterbricht. Der Auslöser für die Autoantikörperproduktion ist unbekannt, jedoch ist die Störung mit Anomalien des Thymus, autoimmuner Hyperthyreose und anderen Autoimmunkrankheiten (z. B. rheumatoide Arthritis [RA], systemischer Lupus erythematodes [SLE], perniziöse Anämie) assoziiert.

Die Rolle des Thymus bei Myasthenie ist unklar, jedoch haben 65% der Patienten eine Hyperplasie des Thymus und 10% ein Thymom. Etwa die Hälfte der Thymome sind bösartig.

Auslösende Faktoren für Myasthenia gravis umfassen

  • Infektion

  • Operative Eingriffe

  • Bestimmte Medikamente (z. B. Aminoglykoside, Chinin, Magnesiumsulfat, Procainamid, Kalziumkanalblocker, Immun-Checkpoint-Hemmer).

Abnormal eAntikörper

Die meisten Patienten mit Myasthenia gravis entwickeln Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren (AChRs); diese Antikörper binden an AChRs auf der postsynaptischen Membran an der neuromuskulären Verbindungsstelle und unterbrechen die neuromuskuläre Übertragung. Etwa 10 bis 20% der Patienten mit generalisierter Myasthenie haben keine Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren (AChR) im Serum. Bis zu 50% dieser AChR-Antikörper-negativen Patienten haben Antikörper gegen die muskelspezifische Rezeptortyrosinkinase (MuSK), ein Enzym der Oberflächenmembran, das die Aggregation von AChR-Molekülen während der Entwicklung der motorischen Endplatte unterstützt. Jedoch treten Anti-MuSK-Antikörper bei den meisten Patienten mit AChR-Antikörpern oder mit isolierter okulärer Myasthenia nicht auf.

Die klinische Bedeutung der Anti-MuSK-Antikörper wird noch erforscht; Patienten mit diesen Antikörpern haben allerdings mit viel geringerer Wahrscheinlichkeit eine Thymushyperplasie oder ein Thymom, sie können weniger auf Cholinesterasehemmer ansprechen und eine aggressivere frühe Immuntherapie brauchen als Patienten mit AChR-Antikörpern.

Ungewöhliche Formen

Eine okuläre Myasthenia gravis betrifft nur die extraokulären Muskeln. Sie macht rund 15% der Fälle aus.

Die kongenitale Myasthenie ist eine seltene autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung mit Beginn in der Kindheit. Sie ist nicht immunvermittelt und ergibt sich aus präsynaptischen oder postsynaptischen Anomalien, einschließlich der folgenden:

  • Reduzierte Acetylcholin-Neusynthese aufgrund eines Cholinacetyltransferase-Mangels

  • Acetylcholinesterasemangel der Endplatte

  • Strukturelle Veränderungen im postsynaptischen Rezeptor

Ophthalmoplegie tritt häufig bei Patienten mit angeborener Myasthenie auf.

Eine Neugeborenenmyastheniebetrifft 12% der von Frauen mit Myasthenia gravis geborenen Kinder. Sie entsteht durch IgG-Antikörper, die passiv über die Plazenta übertragen werden. Sie verursacht eine generalisierte Muskelschwäche, die sich über Tage bis Wochen zurückbildet, wenn die Antikörpertiter abfallen. Daher wird in der Regel nur unterstützend behandelt.

Symptome und Beschwerden von Myasthenia gravis

Die häufigsten Symptome von Myasthenia gravis sind

  • Ptosis

  • Diplopie

  • Muskelschwäche nach Gebrauch des betroffenen Muskels.

Die Schwäche verschwindet, wenn sich die betroffenen Muskeln erholt haben, sie kehrt jedoch wieder, wenn diese erneut belastet werden. Schwäche aufgrund von Myasthenie nimmt bei kühleren Temperaturen ab.

Die Augenmuskeln sind initial bei 40% und letztendlich bei 85% der Patienten betroffen, im 15% der Fälle sind sie die einzigen Muskeln, die betroffen sind. Wenn sich eine generalisierte Myasthenie nach okulären Symptomen entwickelt, entwickelt sie sich bei 78% der Patienten innerhalb eines Jahres und bei 94% innerhalb der ersten 3 Jahre.

Der Händedruck kann zwischen schwach und normal abwechseln (Melkerinnen-Griff). Die Nackenmuskulatur kann schwach werden. Eine proximale Extremitätenschwäche ist häufig. Einige Patienten zeigen bulbäre Symptome (z. B. veränderte Stimme, nasale Regurgitation, Husten, Dysphagie). Sensorik und die Muskeleigenreflexe sind normal. Die Schwere der Symptome fluktuiert im Tagesverlauf über Minuten bis Stunden.

Die myasthene Krise bezeichnet eine schwere, generalisierte Tetraparese oder lebensbedrohliche respiratorische Muskelschwäche, die bei 15–20% der Patienten zumindest einmal im Leben auftritt. Sie wird häufig durch eine hinzukommende Infektion, die das Immunsystem reaktiviert, verursacht. Wenn eine respiratorische Insuffizienz einsetzt, kann sich sehr schnell ein Atemversagen entwickeln.

Die cholinerge Krise ist eine Muskelschwäche, die Folge von zu hohen Dosen von Cholinesterasehemmern sein kann (z. B. Neostigmin, Pyridostigmin). Die Unterscheidung einer leichten Krise von einer sich verschlechternden Myasthenie kann schwierig sein. Eine schwere cholinerge Krise lässt sich in der Regel unterscheiden, weil sie, im Gegensatz zu Myasthenia gravis zu Muskelfaszikulationen, zu verstärktem Tränen- und Speichelfluss, Tachykardie und Diarrhö führt.

Diagnose von Myasthenia gravis

  • Tests am Krankenbett (Eisbeutel-Test, Ruhe-Test)

  • AChR-Antikörper-Spiegel, Elektromyographie, oder beides

Die Diagnose von Myasthenia gravis wird anhand der Symptomatik angenommen und durch Untersuchungen bestätigt.

Untersuchung am Krankenbett

Der traditionelle Anticholinesterase-Test, der am Krankenbett durchgeführt wird und das kurz wirkende (< 5 Minuten) Medikament Edrophonium einsetzt, wird in den USA und in vielen anderen Ländern nicht verwendet, und Edrophonium ist in den USA nicht mehr erhältlich.

Weil Schwäche aufgrund von Myasthenie bei kühleren Temperaturen nachlässt, kann bei Patienten mit Ptosis der Eisbeuteltest angewandt werden. Bei diesen Test wird ein Eisbeutel für 2 Minuten auf die geschlossenen Augen des Patienten gelegt und dann entfernt. Als positives Ergebnis gilt der vollständige oder teilweise Rückgang der Ptosis. Der Eisbeuteltest funktioniert in der Regel nicht bei Patienten mit Ophthalmoparese.

Patienten mit Opthalmoparese werden mit dem Ruhetest untersucht. Bei diesem Test werden die Patienten gebeten, in einem dunklen Raum 5 Minuten lang mit geschlossenen Augen ruhig zu liegen. Verschwindet die Ophthalmoparese nach dieser Ruhepause, ist das Ergebnis positiv.

Antikörpertests und Elektromyographie

Selbst wenn ein Test am Krankenbett eindeutig positiv ausfällt, sind zur Bestätigung der Diagnose eine oder beide der folgenden Untersuchungen notwendig:

  • Serum-AChR-Antikörper-Spiegel

  • Elektromyographie (EMG)

AChR-Antikörper liegen bei 80–90% der Patienten mit generalisierter Myasthenie vor, jedoch nur bei 50% der Patienten mit okulärer Myasthenie. Die Antikörperspiegel im Serum korrelieren nicht mit der Schwere der Krankheit. Bis zu 50% der Patienten ohne AChR-Antikörper werden positiv auf Anti-MuSK-Antikörper getestet.

Ein EMG unter Einsatz repetitiver elektrischer Stimulation (2–3/Sekunden) zeigt ein Dekrement > 10% in der Amplitude des muskulären Summenaktionspotenzials bei 60% der Patienten. Einzelfaser-EMG können in > 95% der Fälle eine abnorme neuromuskuläre Übertragung erfassen.

Weitere Tests

Wenn eine Myasthenie diagnostiziert ist, sollte eine CT oder MRT des Thorax zum Ausschluss oder Nachweis einer Thymushyperplasie und eines Thymoms erfolgen.

Weitere Untersuchungen sollten als Screening auf Autoimmunkrankheiten, die häufig mit einer Myasthenie assoziiert sind (z. B. perniziöse Anämie, autoimmuner Hyperthyreoidismus, rheumatoide Arthritis, systemischem Lupus erythematodes,), durchgeführt werden.

Patienten in einer myasthenen Krise sollten auf einen infektiösen Auslöser überprüft werden.

Pulmonale Lungenfunktionstests am Krankenbett (z. B. forcierte Vitalkapazität) tragen dazu bei, eine drohende Ateminsuffizienz rechtzeitig zu erkennen.

Behandlung von Myasthenia gravis

  • Cholinesterasehemmer zur Linderung der Symptome

  • Kortikosteroide, immunmodulierende Behandlungen (z. B. IV Immunglobuline, Plasmaaustausch), Immunsuppressiva oder Thymektomie, um die Autoimmunreaktion zu verringern

  • Unterstützende Behandlung

Bei Patienten mit kongenitaler Myasthenie sind Cholinesterasehemmer und immunmodulatorische Behandlungen nicht von Nutzen und sollten vermieden werden. Patienten mit Ateminsuffizienz benötigen eine Intubation und mechanische Beatmung.

Symptomatische Behandlung

Cholinesterasehemmer sind die Hauptstütze der symptomatischen Behandlung, verändern jedoch nicht den zugrunde liegenden Krankheitsprozess. Mehr noch, sie bessern kaum alle Symptome, und die Myasthenie kann gegenüber diesen Medikamenten refraktär werden.

Pyridostigmin wird mit 60 mg p.o. alle 3–4 h begonnen und bis zu einem Maximum von 120 mg/Dosis je nach den Symptomen auftitriert. Wenn eine parenterale Therapie notwendig ist (z. B. wegen einer Dysphagie), kann Neostigmin (1 mg = 60 mg Pyridostigmin) substituiert werden. Cholinesterasehemmer können abdominale Krämpfe und Diarrhöen verursachen, die mit oralem Atropin 0,4–0,6 mg (Gabe zusammen mit Pyridostigmin oder Neostigmine) oder mit Propanthelin 15 mg 3- bis 4-mal täglich behandelt werden.

Patienten, die bereits gut auf die Behandlung angesprochen hatten und sich dann verschlechtern, brauchen wegen einer möglichen cholinergen Krise eine Atemunterstützung, und die Cholinesterasehemmer müssen mehrere Tage lang abgesetzt werden.

Immunmodulierende Behandlung

Immunsuppressiva (z. B. Kortikosteroide, Azathioprin, Cyclosporin) unterbrechen die Autoimmunreaktion und verlangsamen den Krankheitsverlauf, jedoch erreichen sie keine schnelle Symptombesserung. Daher müssen Patienten mit einer myasthenischen Krise mit IVIG oder Plasmaaustausch behandelt werden. Nach der Gabe von IVIG 400 mg/kg einmal täglich über 5 Tage IV zeigen 70% der Patienten nach 1–2 Wochen eine Besserung. Die Effekte können 1–2 Monate lang anhalten. Ein Plasmaaustausch (z. B. 5 Austausche von 3–5 l Plasma über 7–14 Tage) kann ähnliche Auswirkungen haben.

Viele Patienten brauchen Kortikosteroide als Erhaltungstherapie, diese haben jedoch wenig unmittelbare Wirkung auf eine myasthene Krise. Über die Hälfte der Patienten verschlechtert sich akut nach Beginn einer Hochdosistherapie mit Kortikosteroiden. Initial wird Prednison 10 mg einmal täglich oral gegeben; die Dosis wird um 10 mg wöchentlich bis auf 60 mg gesteigert und ca. 2 Monate lang gegeben, dann wird langsam ausgeschlichen. Eine klinische Besserung kann mehrere Monate dauern; dann sollte die Dosis auf das zur Kontrolle der Symptome notwendige Minimum herabgesetzt werden.

Azathioprin 2,5–3,5 mg/kg oral 1-mal täglich kann etwa so wirksam wie Kortikosteroide sein, wenn auch ein signifikanter Nutzen oft erst nach Monaten eintritt. Ciclosporin 2–2,5 g/kg 2-mal täglich oral kann eine Reduktion der Kortikosteroiddosis ermöglichen. Diese Medikamente erfordern die üblichen Vorsichtsmaßnahmen.

Andere Medikamente, die von Nutzen sein können, sind Methotrexat, Cyclophosphamid und Mycophenolat Mofetil. Für Patienten mit refraktärer Erkrankung können monoklonale Antikörper (z. B. Rituximab, Eculizumab) und das neue modifizierte monoklonale IgG1 Fc-Fragment efartigimod von Vorteil sein, sind aber teuer.

Eine Thymektomie kann bei Patienten mit generalisierter Myasthenie < 80 Jahre indiziert sein; sie sollte bei allen Patienten mit einem Thymom durchgeführt werden. In der Folge erreichen 80% eine Remission, oder die Erhaltungsdosis kann verringert werden.

Plasmaaustausch oder IVIG (die übliche Behandlung der myasthenen Krise) kann ebenfalls sinnvoll sein, wenn Patienten vor der Thymektomie nicht auf Medikamente ansprechen.

Wichtige Punkte

  • Erwägen Sie Myasthenia gravis bei Patienten mit Ptosis, Diplopie und Muskelschwäche nach Gebrauch des betroffenen Muskels.

  • Bestimmen Sie zur Bestätigung der Diagnose die AChR-Antikörper-Serumspiegel (die üblicherweise bei Myasthenia gravis vokommen) und führen Sie eine Elektromyographie (EMG) oder beides durch.

  • Testen Sie, nachdem die Diagnose bestätigt ist, auf Thymushyperplasie, Thymome, Hyperthyreose und Autoimmunerkrankungen, die häufig eine Myasthenia gravis begleiten.

  • Verwenden Sie bei den meisten Patienten Cholinesterasehemmer, um die Symptome zu lindern, und eine immunmodulierende Behandlung, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und den Rückgang der Symptome zu unterstützen; wenden Sie diese Behandlungen nicht bei Patienten mit kongenitaler Myasthenie an.

  • Wenn Patienten eine myasthenische Krise haben, sollten sie mit IVIG oder Plasmaaustausch behandelt werden.

  • Wenn Patienten, die gut auf die Behandlung angesprochen hatten, eine plötzliche Verschlechterung zeigen, stellen Sie Atemunterstützung bereit und setzen Sie die Cholinesterasehemmer mehrere Tage lang ab, weil sie eine cholinerge Krise haben können.