Überblick über Immunschwächeerkrankungen

VonJames Fernandez, MD, PhD, Cleveland Clinic Lerner College of Medicine at Case Western Reserve University
Überprüft/überarbeitet Jan. 2023
Aussicht hier klicken.

Immunschwächestörungen sind mit verschiedenen Komplikationen assoziiert, einschließlich Infektionen, Autoimmunerkrankungen und Lymphomen und anderen Krebsarten; Immunschwächestörungen können Patienten auch zu solchen Komplikationen prädisponieren. Primäre Immundefekte sind genetisch bedingt und können erblich bedingt sein; sekundäre Immundefekte werden erworben und sind viel häufiger.

Diese Untersuchung einer Immunschwäche schließt eine Anamnese, eine körperliche Untersuchung und Untersuchnug der Immunfunktion mit ein. Die Untersuchungen variieren, basierend auf folgenden Kriterien:

  • Ob eine primäre oder sekundäre Immunschwäche vermutet wird

  • Bei primärer Immunschwäche, welche Komponente des Immunsystems einen Mangel aufzuweisen scheint.

Primäre Immundefekte

Diese Krankheiten sind genetisch bestimmt; sie können als einzelne Krankheit oder als Teil eines Syndroms auftreten. Im Jahr 2022 berichtete die International Union of Immunological Societies, dass 485 angeborene Immunitätsfehler mit primären Immunschwächekrankheiten in Verbindung gebracht wurden (1). Trotz der Fortschritte in der genetischen Forschung geht man davon aus, dass nur etwa 20 bis 30% der derzeitigen primären Immundefekte eine definierbare genetische Mutation aufweisen.

Die primären Immundefekte manifestieren sich üblicherweise im frühen Kindesalter und in der Kindheit als anormal häufige (rezidivierende) oder ungewöhnliche Infektionen. Beim ersten Auftreten der Krankheit sind etwa 70% der Patienten < 20 Jahre alt, und wegen der oft X-chromosomalen Vererbung sind 60% der Fälle männlich. Die Gesamtinzidenz der symptomatischen Immundefekte wird auf 1/280 geschätzt.

Die Klassifikation der primären Immundefekte erfolgt nach der Hauptkomponente des Immunsystems, die einen Mangel aufweist, nicht vorhanden oder defekt ist:

Je mehr molekulare Defekte definiert werden, umso eher wird eine Klassifizierung nach molekularen Defekten zweckmäßig (2).

Primäre Immundefektsyndrome sind genetisch bedingte Immundefekte mit immunologischen und nicht-immunologischen Manifestationen. Nichtimmunologische Manifestationen sind oft leichter zu erkennen. Beispiele sind Ataxia teleangiectatica, Knorpel-Haar-Hypoplasie, Di-George-Syndrom, Hyper-IgE-Syndrom und Wiskott-Aldrich-Syndrom. Neben dem Auftretens von Immundefekten entwickeln einige Patienten auch Autoimmunerkrankungen.

Üblicherweise manifestieren sich Immundefekte als rezidivierende Infektionen. Das Alter, in dem wiederkehrende Infektionen begonnen haben, liefert einen Hinweis auf die betroffenen Komponenten des Immunsystems. Weitere charakteristische Ergebnisse legen eine vorläufige klinische Diagnose nahe (siehe Charakteristische klinische Befunde bei einigen primären Immundefekten). Es sind jedoch Laboruntersuchungen zur Bestätigung der Diagnose erforderlich (siehe Ursprüngliche und zusätzliche Labortests auf Immunodefizienz). Weitere Tests zur Bestätigung sind indiziert, wenn klinische Befunde oder erste Laboruntersuchungen den Verdacht einer spezifischen Störung von Immunzellen oder Komplementfunktionen nahelegen (siehe Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz).

Behandlung und Prognose bei primären Immunerkrankungen hängen von der spezifischen Erkrankung ab (3).

Humorale Immunschwächestörungen

Humorale Immunschwächestörungen (B-Zell-Defekte), die einen Antikörpermangel hervorrufen, machen 50-60% der primären Immundefekte aus (siehe Tabelle Humorale Immunschwächestörungen). Durch abnehmende Serumantikörpertiter erhöht sich die Anfälligkeit für bakterielle Infektionen.

Der häufigste B-Zell-Defekt ist

Selektiver IgA-Mangel ist die häufigste B-Zell-Störung, aber viele Patienten sind asymptomatisch. Die gemeinsame variable Immundefizienz (CVID) ist die häufigste symptomatische Immundefizienz.

Zur diagnostischen Bewertung von humoralen Immunitätsmängeln siehe Annäherung an den Patienten mit vermuteter Immunschwäche und Tabelle Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz.

Tabelle

Zelluläre Immunschwächestörungen

Zelluläre Immunschwächestörungen (T-Zell-Störungen)stellen etwa 5-10% der primären Immundefekte und machen anfällig für Infektionen durch Viren, Pneumocystis jirovecii, Pilze, andere opportunistische Organismen und viele häufig vorkommende Erreger (siehe Tabelle Zelluläre Immunschwächestörungen). Da das B- und T-Zell-Immunsystem voneinander abhängig sind, können auch T-Zell-Defekte einen Immunglobulinmangel verursachen.

Die häufigsten T-Zellen-Erkrankungen sind

Primäre Defekte der natürlichen Killerzellen, die sehr selten sind, können eine Prädisposition für Virusinfektionen (insbesondere Herpesvirusinfektion) und Tumoren darstellen.

Sekundäre Defekte der natürlichen Killerzellen können bei Patienten mit verschiedenen anderen primären oder sekundären Immundefekten auftreten, häufig bei Patienten mit Krebs oder Autoimmunerkrankungen und bei Patienten, die bestimmte Medikamente einnehmen (4, 5).

Für die diagnostische Bewertung zellulärer Immunitätsmängel siehe Tabellen Ursprüngliche und zusätzliche Labortests auf Immunodefizienz und Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz.

Tabelle

Kombinierte humorale und zelluläre Immunschwächestörungen

Etwa 20% der primären Immundefekte sind kombinierte humorale und zelluläre Immunschwächestörungen (B- und T-Zell-Defekte) (siehe Tabelle Kombinierte humorale und zelluläre Immunschwächestörungen).

Der wichtigste Form ist

Bei einigen Formen des kombinierten Immundefizienz-Syndroms (z. B. Purinnukleosid-Phosphorylase-Mangel) sind die Immunglobulin-Konzentrationen normal oder erhöht, aufgrund der inadäquaten T-Zell-Funktion jedoch ist die Antikörperbildung beeinträchtigt.

zur diagnostischen Untersuchnug von kombinierten humoralen und zellulären Immunschwächestörungen, siehe Tabelle Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz.

Tabelle

Phagozytäre Zelldefekte

Phagozytendefekte stellen 10-15% der primären Immundefekte; die Fähigkeit der Phagozyten (z. B. Monozyten, Makrophagen, neutrophile und eosinophile Granulozyten), Erreger zu zerstören ist beeinträchtigt (siehe Tabelle Phagozytäre Zelldefekte). Charakteristisch sind außerdem Hautinfektionen mit Staphylokokken und gramnegativen Erregern.

Die häufigsten (obwohl immer noch selten) phagozytischen Zelldefekte sind

Zur diagnostischen Bewertung phagozytischer Zelldefekte siehe Tabellen Ursprüngliche und zusätzliche Labortests auf Immunodefizienz und Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz.

Tabelle

Defekte des Komplementsystems

Komplementmängel sind selten ( 2% der primären Immundefekte); sie umfassen isolierte Mängel an Komplementkomponenten oder Inhibitoren und können erblich bedingt oder erworben sein (siehe Tabelle Komplementmängel). Mit Ausnahme des autosomal-dominanten C1-Inhibitor-Mangels und des X-chromosomal vererbten Properdin-Defektes werden hereditäre Defekte autosomal-rezessiv vererbt. Die Komplementdefekte führen zu einer unzulänglichen Opsonierung, Phagozytose und Lyse von Pathogenen sowie zur mangelhaften Auflösung von Antigen-Antikörper-Komplexen.

Die schwersten Folgen sind

  • Wiederkehrende Infektion aufgrund defekter Opsonisierung

  • Autoimmunerkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes [St.-Louis-Enzephalitis], Glomerulonephritis) infolge einer unzulänglichen Auflösung von Antigen-Antikörper-Komplexen.

Ein Mangel an einem komplementregulierenden Protein, dem C1-Inhibitor verursacht das hereditäre Angioödem.

Komplementdefekte können den klassischen Weg und/oder den alternativen Weg des Komplementsystems betreffen. Die alternative Weg teilt C3 und C5 durch C9 mit dem klassischen Weg, verfügt jedoch über zusätzliche Komponenten: Faktor D, Faktor B, Properdin (P) und regulatorische Faktoren H und I.

Zur diagnostischen Bewertung von Komplementmängeln siehe Tabellen Ursprüngliche und zusätzliche Labortests auf Immunodefizienz und Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz.

Tabelle

Literatur zur primären Immunschwäche

  1. 1. Tangye SG, Al-Herz W, Bousfiha A, et al: Human Inborn Errors of Immunity: 2022 Update on the Classification from the International Union of Immunological Societies Expert Committee [published online ahead of print, 2022 Jun 24]. J Clin Immunol 2022;1–35. doi:10.1007/s10875-022-01289-3

  2. 2. Chinn IK, Chan AY, Chen K, et al: Diagnostic interpretation of genetic studies in patients with primary immunodeficiency diseases: A working group report of the Primary Immunodeficiency Diseases Committee of the American Academy of Allergy, Asthma and Immunology. J Allergy Clin Immunol 145(1):46–69, 2020. doi: 10.1016/j.jaci.2019.09.009

  3. 3. Leonardi L, Rivalta B, Cancrini C, et al: Update in primary immunodeficiencies. Acta Biomed 91(11-S):e2020010, 2020. doi: 10.23750/abm.v91i11-S.10314

  4. 4. Moon WY, Powis SJ: Does natural killer cell deficiency (NKD) increase the risk of cancer? NKD may increase the risk of some virus induced cancer. Front Immunol 10:1703, 2019. Published 2019 Jul 19. doi:10.3389/fimmu.2019.01703

  5. 5. Schleinitz N, Vély F, Harlé JR, Vivier E: Natural killer cells in human autoimmune diseases. Immunology 131(4):451–458, 2010. doi:10.1111/j.1365-2567.2010.03360.x

Sekundäre Immundefekte

Zu den Ursachen (siehe Tabelle Einige Erkrankungen, die eine sekundäre Immunschwäche verursachen) gehören

  • Systemische Krankheiten (z. B. Diabetes, Unterernährung, HIV-Infektion)

  • Immunsuppressive Behandlungen (z. B. zytotoxische Chemotherapie, Knochenmarksablation vor der Transplantation, Strahlentherapie)

  • Längere schwere Krankheit

Sekundäre Immundefekte treten auch bei intensivpflichtigen Personen, älteren Menschen oder hospitalisierten Patienten auf. Längere, schwere Krankheiten können die Immunantwort schwächen, wobei die Beeinträchtigung oft reversibel ist, wenn die zugrunde liegende Krankheit abklingt. In seltenen Fällen kann eine längere Exposition gegenüber toxischen Substanzen (z. B. bestimmte Pestizide, Benzol) immunsuppressiv wirken.

Tabelle
Tabelle

Ein Immundefekt kann durch renalen Verlust von Serumprotein (insb. IgG und Albumin) durch Folgendes entstehen:

  • Die Nieren beim nephrotischen Syndrom

  • Die Haut bei schweren Verbrennungen oder Dermatitis

  • Der Gastrointestinaltrakt bei Enteropathie

die außerdem zu einem Verlust von Lymphozyten und in Folge davon zu Lymphozytopenie führen kann.

Die Behandlung konzentriert sich auf die Grunderkrankung; z. B. eine Diät mit einem hohen Anteil an mittelkettigen Triglyceriden kann den Verlust von Imunglobulinen Igs) und Lymphozyten aus dem Gastrointestinaltrakt verringern und sich als außerordentlich heilsam erweisen.

Bei Verdacht auf einen klinisch relevanten sekundären Immundefekt sollten sich die Untersuchungen auf diesen konzentrieren (z. B. Diabetes, HIV-Infektion, zystische Fibrose, primäre ziliäre Dyskinesie).

Grundlagen der Geriatrie: Immunschwäche

Immundefekte treten auch altersbedingt auf. Zum Beispiel neigt der Thymus bei älteren Menschen dazu, weniger naive T-Zellen zu erzeugen; damit stehen weniger T-Zellen zur Verfügung, um auf neue Antigene zu reagieren. Die gesamte Zahl der T-Zellen ist nicht verringert (wegen Oligoklonalität), die vorhandenen Zellen können jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Antigenen erkennen.

Die Signaltransduktion (Übertragung von Antigen-bindendem Signal durch die Zellmembran in die Zelle) ist beeinträchtigt, so dass T-Zellen weniger wahrscheinlich auf Antigene reagieren. Auch signalisieren die Helfer-T-Zellen den B-Zellen weniger wahrscheinlich, Antikörper zu produzieren.

Die Zahl der Neutrophilen nimmt nicht ab, aber die vorhandenen Zellen werden weniger wirksam bei der Phagozytose und in der keimtötenden Wirkung.

Unterernährung, häufig bei älteren Menschen, beeinträchtigt die Immunantworten. Kalzium-, Zink- und Vitamin E sind für die Immunität besonders. Die Gefahr von Kalziummangel ist bei älteren Menschen erhöht, zum Teil weil die Fähigkeit des Darms, Kalzium aufzunehmen, mit dem Älterwerden nachlässt. Auch deshalb, weil ältere Menschen evtl. nicht genug Kalzium mit ihrer Nahrung zu sich nehmen. Zinkmangel ist sehr verbreitet bei Erwachsenen in Einrichtungen und bei Patienten, die ans Haus gebunden sind.

Bestimmte Erkrankungen (z. B. Diabetes, chronische Nierenerkrankung, Unterernährung), die bei älteren Personen häufiger sind, und bestimmte Behandlungen (z. B. Immunsuppressiva, immunmodulatorische Medikamente und Behandlungen), die bei älteren Personen eher Verwendung finden, können die Immunität ebenfalls beeinträchtigen.

Wichtige Punkte

  • Sekundäre (erworbene) Immunschwächestörungen sind wesentlich häufiger als primäre (genetische) Immunschwächestörungen.

  • Primäre Immunschwächestörungen können die humorale Immunität (am häufigsten), die zelluläre Immunität, sowohl die humorale als auch die zelluläre Immunität, die Phagozyten oder das Komplementsystem betreffen.

  • Patienten, die primäre Immunschwächestörungen haben, können nicht-immune Manifestationen zeigen, die leichter zu erkennen sind als die Immunschwächestörungen.

  • Die Immunität neigt dazu, mit dem Alter teilweise aufgrund altersbedingter Veränderungen abzunehmen; zudem treten Bedingungen, die die Immunität beeinträchtigen (z. B. bestimmte Erkrankungen, Einnahme bestimmter Medikamente) bei älteren Menschen häufiger auf.