Unter peripherem Nervensystem versteht man die Teile des Nervensystems, die außerhalb des zentralen Nervensystems, nämlich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks, liegen.
Zum peripheren Nervensystem gehören also:
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Die Nerven, die Kopf, Gesicht, Augen, Nase, Muskeln und Ohren mit dem Gehirn verbinden (Hirnnerven)
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Die Nerven, die das Rückenmark mit dem übrigen Körper, einschließlich der 31 Spinalnervenpaare, verbinden
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Über 100 Milliarden Nervenzellen, die durch den ganzen Körper verlaufen
Der Muskel-Gehirn-Schaltkreis
Funktionsstörungen des peripheren Nervensystems sind auf Schäden an jedem beliebigen Teil des Nervs zurückzuführen:
Eine Schädigung der Myelinscheide wie beim Guillain-Barré-Syndrom wird Demyelinisation genannt.
Typischer Aufbau einer Nervenzelle
Isolierung einer Nervenfaser
Erkrankungen des peripheren Nervensystems können
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Sich auf einen Nerv auswirken (Mononeuropathie)
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Zwei oder mehr periphere Nerven in verschiedenen Bereichen des Körpers beeinflussen (multiple Mononeuropathie)
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Mehrere Nerven im gesamten Körper betreffen, oft jedoch in den gleichen Regionen auf beiden Körperseiten (Polyneuropathie)
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Sich auf eine Spinalnervenwurzel auswirken (Teil des Spinalnervs in der Nähe des Rückenmarks)
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Einen Plexus beeinflussen (eine Verflechtung von Nervenfasern, aus der Fasern aus verschiedenen Spinalnerven sortiert und neu zusammengefasst werden, um einem bestimmten Körperbereich zu dienen)
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Die neuromuskuläre Verbindungsstelle (zwischen Nerv und Muskel) betreffen
Eine Schädigung der motorischen Nerven (die Muskelbewegungen auslösen) führt zu Muskelschwäche und -lähmung. Eine Schädigung der sensorischen Nerven (die sensorische Informationen z. B. über Schmerz, Temperatur und Vibration übermitteln) führt zu Empfindungsstörungen oder -verlust.
Ursachen
Die Erkrankungen des peripheren Nervensystems können mit oder nach der Geburt erworben werden (durch Kontakt mit Giftstoffen, Verletzungen, Entzündungen, Stoffwechselstörungen oder Entzündungskrankheiten).
Einige Ursachen für Erkrankungen des peripheren Nervensystems und für verwandte Erkrankungen
Art |
Beispiele |
Motoneuronerkrankungen* |
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Erblich |
Spinale Muskelatrophie Typ 0-IV |
Erworbene Krankheiten, die plötzlich auftreten |
Polio, Coxsackievirus-Infektionen oder andere Enteroviren (selten) und West-Nil-Virusinfektion |
Erworbene Krankheiten, die chronisch sind |
Amyotrophe Lateralsklerose* (Lou-Gehrig-Syndrom), paraneoplastische Syndrome, Post-Polio-Syndrom und progressive Bulbärparalyse |
Erkrankungen der Nervenwurzeln |
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Erblich |
Neurofibrome (weiche, fleischige Wucherungen von Nervengewebe) |
Erworben |
Ein Bandscheibenvorfall, Infektionen, Verletzungen, metastasierender Krebs, Arthrose und rheumatoide Arthritis |
Plexusschäden |
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Erworben |
Akute Neuritis brachialis, Autoimmunerkrankungen, bei der Entbindung aufgetretene Schädigungen bei Neugeborenen, Diabetes mellitus, Hämatom (Bluttasche), schwere Verletzungen (z. B. nach Autounfällen), Krebsmetastasen, Neurofibromatose (selten) und Nerventumoren |
Erkrankungen des peripheren Nervensystems |
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Erblich |
Erbliche (hereditäre) Neuropathien (wie das Charcot-Marie-Tooth-Hoffmann-Syndrom) |
Infektiös |
Hepatitis C, Herpes zoster, HIV-Infektion, Lyme-Borreliose, SARS-CoV-2 (das Virus, das COVID-19 verursacht) und Syphilis In Entwicklungsländern Diphtherie, Lepra und parasitäre Infektionen |
Entzündlich |
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Ischämisch (aufgrund von Durchblutungsstörungen) |
Vaskulitis (Entzündung der Blutgefäße) |
Metabolisch |
Amyloidose, Diabetes mellitus, Vitamin-B-Mangelkrankheiten, Unterernährung aufgrund von chronischem übermäßigem Alkoholkonsum und Niereninsuffizienz |
Druckbedingt (Nervenkompressionssyndrome) |
Karpaltunnelsyndrom, Kubitaltunnelsyndrom (eine Art Ulnarislähmung), Radialtunnelsyndrom, Peroneuslähmung und Tarsaltunnelsyndrom |
Toxine |
Arsen, Blei und Quecksilber |
Störungen an neuromuskulären Verbindungsstellen |
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Verschiedene |
Botulismus bei Säuglingen, Lambert-Eaton-Syndrom, Myasthenia gravis und Funktionsstörungen infolge der Exposition gegenüber bestimmten Insektiziden (organophosphathaltige Insektizide) oder chemischen Kampfstoffen (wie z. B. Sarin und Nowitschok, welches in Russland entwickelt und bei Mordversuchen eingesetzt wurde) oder durch die Anwendung bestimmter Arzneimittel (wie Curare, welches zum Einsatz kam, um die Muskeln während eines chirurgischen Eingriffs zu entspannen, und das an Pfeilspitzen zum Lähmen und Töten verwendet wurde) |
* Motoneuronerkrankungen wie die amyotrophe Lateralsklerose betreffen die Nerven im Gehirn sowie im Rückenmark. |
Störungen, die Erkrankungen des peripheren Nervensystems ähneln können
Bestimmte Störungen führen zu einer fortschreitenden Schädigung der Nervenzellen im Rückenmark und Gehirn, welche die Muskelbewegung kontrollieren (Motoneuronerkrankungen). Motoneuronerkrankungen können Erkrankungen des peripheren Nervensystems ähneln, die Nervenzellen außerhalb des Gehirns und Rückenmarks betreffen. Motoneuronerkrankungen können durch Viren verursacht werden (z. B. das Polio-Virus), vererbt sein oder keine eindeutige Ursache haben (wie die amyotrophe Lateralsklerose).
Erkrankungen der neuromuskulären Verbindungsstellen unterscheiden sich von Erkrankungen des peripheren Nervensystems, können aber ähnliche Konsequenzen haben, wie z. B. Muskelschwäche. Die neuromuskuläre Verbindungsstelle ist dort, wo die Enden peripherer Nervenfasern mit speziellen Bereichen auf einer Muskelmembran verbunden sind. Die Nervenfasern setzen einen chemischen Botenstoff frei (Neurotransmitter), der einen Nervenimpuls über den neuromuskulären Übergang sendet und einem Muskel damit signalisiert, sich zusammenzuziehen. Störungen an neuromuskulären Verbindungsstellen umfassen
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Myasthenia gravis und Funktionsstörungen, die durch bestimmte Insektizide (Organophosphat-Pestizide) oder chemische Kampfstoffe (z. B. Sarin und Nowitschok) oder durch die Anwendung bestimmter Arzneimittel (wie z. B. Curare) verursacht werden
Nowitschok wurde in Russland entwickelt und kam bei Mordversuchen zum Einsatz. Curare wurde verwendet, um die Muskeln während eines chirurgischen Eingriffs zu entspannen und wird an Pfeilspitzen zum Lähmen und Töten eingesetzt.
Erkrankungen, die eher den Muskel beeinflussen als die Nerven (wie Erkrankungen des peripheren Nervensystems) verursachen zudem Muskelschwäche. Muskelerkrankungen können wie folgt unterteilt werden:
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Erblich, wie z. B. Duchenne- und Becker-Muskeldystrophie, familiäre periodische Lähmung, Gliedergürtel-Muskeldystrophie, Myotonia congenita (Thomsen-Syndrom) und myotone Dystrophie (Curschmann-Batten-Steinert-Syndrom)
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Endokrin, wie z. B. Akromegalie (übermäßiges Wachstum infolge einer Überproduktion von Wachstumshormonen), Cushing-Syndrom, Diabetes mellitus, Hyperthyreose (eine Überfunktion der Schilddrüse) und Hypothyreose (eine Unterfunktion der Schilddrüse)
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Inflammatorisch, wie z. B. Infektionen (meist viral) sowie Polymyositis und Dermatomyositis
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Metabolisch, wie z. B. Lipid- und Glykogenspeicherkrankheiten, Alkoholismus und Hypokaliämie (niedriger Kaliumspiegel)
Die Ärzte führen Tests durch, um festzustellen, ob eine Muskel- oder Nervenstörung oder die Störung einer neuromuskulären Verbindungsstelle die Ursache der Schwäche ist.
Diagnose
Zur Diagnose einer Erkrankung des peripheren Nervensystems werden die Betroffenen gebeten, folgende Angaben zu machen:
Die Patienten werden vom Arzt auch nach möglichen Ursachen gefragt, z. B. ob Infektionen oder andere Erkrankungen aufgetreten sind, ob sie möglicherweise Toxinen ausgesetzt waren und ob es Familienmitglieder mit ähnlichen Symptomen gibt. Diese Informationen können Aufschluss über die Symptomursache geben.
Eine gründliche körperliche und neurologische Untersuchung kann bei der Ursachenfindung helfen. Folgendes wird überprüft:
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Empfindung—ob die Betroffenen Reize normal wahrnehmen oder anomale Empfindungen wahrnehmen, z. B. ein Kribbeln
Der Befund der ärztlichen Untersuchung deutet auf eine mögliche Ursache hin und gibt Anhaltspunkte dazu, welche Tests durchzuführen sind.
Die Tests umfassen Folgendes:
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Elektromyographie und Messungen der Nervenleitungsgeschwindigkeit, damit die Ärzte bestimmen können, ob das Problem in den Nerven, der neuromuskulären Verbindungsstelle oder den Muskeln besteht
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Bildgebende Verfahren, um nach Auffälligkeiten (wie Tumoren) zu suchen, die die Hirnnerven oder das Rückenmark betreffen, und um andere Ursachen für die Symptome auszuschließen
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Eine Biopsie der Muskeln und Nerven, um die Art des Problems zu bestimmen (wie demyelinisierte oder entzündete Nerven)
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Genetische Tests (Bluttests zur Bestimmung des veränderten Gens), wenn der Verdacht auf eine hereditäre Neuropathie besteht
Behandlung
Wenn eine Erkrankung symptomatisch ist, wird sie behandelt, sofern dies möglich ist. Andernfalls liegt der Schwerpunkt auf der Linderung der Symptome.
Ein Team aus verschiedenen medizinischen Fachkräften (fachübergreifendes Team) hilft den Betroffenen, mit dem fortschreitenden Charakter der Störung umzugehen. Dieses Team kann aus folgenden Personen bestehen:
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Physiotherapeuten helfen den Betroffenen, ihre Muskeln weiter zu verwenden
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Ergotherapeuten können Hilfsmittel empfehlen, die den Betroffenen im Alltag helfen (z. B. Gehhilfen)
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Sprech- und Sprachtherapeuten zur Verbesserung der Kommunikation
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Spezialisten zur Hilfestellung bei bestimmten Problemen, z. B. beim Schlucken oder Atmen
Wenn eine Erkrankung des peripheren Nervensystems die Lebensdauer verkürzt, müssen der/die Betroffene, die Familie und die Betreuer mit den medizinischen Fachkräften offen über Entscheidungen in Bezug auf die medizinische Versorgung sprechen für den Fall, dass der/die Betroffene selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Das beste Vorgehen ist es, die Wünsche des Patienten bezüglich der Entscheidungen, die die Gesundheitsversorgung betreffen, rechtsverbindlich festzuhalten (als Patientenverfügung bezeichnet), für den Fall dass der Patient diese Entscheidungen nicht mehr selbst treffen kann.