Übelkeit und Erbrechen

VonJonathan Gotfried, MD, Lewis Katz School of Medicine at Temple University
Überprüft/überarbeitet Jan. 2022
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Übelkeit, das unangenehme Gefühl, erbrechen zu müssen, besteht in dem Bewusstwerden von afferenten Reizen (inkl. eines erhöhten Parasympathikotonus) auf das medulläre Brechzentrum. Erbrechen ist das kraftvolle Auswerfen von Mageninhalt, hervorgerufen durch unwillkürliche Kontraktion der Abdominalmuskulatur, während der Magenfundus und der untere Ösophagussphinkter erschlafft sind.

Erbrechen muss vom Regurgitieren abgegrenzt werden, dem Hochwürgen von Mageninhalt ohne assoziierte Übelkeit oder kraftvolle Kontraktion der abdominellen Muskulatur. Patienten mit Achalasie, Ruminationssyndrom oder einem Zenker-Divertikel können unverdaute Nahrung ohne Übelkeit erbrechen.

Übelkeit und Erbrechen bei Säuglingen und Kindern wird an anderer Stelle diskutiert.

Komplikationen

Schweres Erbrechen kann zu symptomatischer Dehydrierung und Elektrolytstörungen (typischerweise eine metabolische Alkalose mit Hypokaliämie) oder selten zum teilweisen (Mallory-Weiss) oder kompletten (Boerhaave-Syndrom) Riss der Speiseröhre führen.

Wenn ein Patient bewusstlos oder nur teilweise bei Bewusstsein ist, kann das Erbrochene eingeatmet (aspiriert) werden. Die Säure im Erbrochenen kann die Lunge stark reizen und eine Aspirationspneumonie verursachen.

Chronisches Erbrechen führt zu Unterernährung, Gewichtsverlust und Stoffwechselstörungen.

Ätiologie von Übelkeit und Erbrechen

Übelkeit und Erbrechen treten als Reaktion auf Vorgänge, die das Brechzentrum beeinflussen, auf. Die Ursachen können im Gastrointestinaltrakt oder im Zentralnervensystem (ZNS) liegen oder resultieren aus einer Reihe von systemischen Bedingungen ( siehe Tabelle: Einige Ursachen von Übelkeit und Erbrechen).

Die häufigsten Ursachen von Übelkeit und Erbrechen sind:

Zyklisches Erbrechen (Cyclic vomiting syndrome, CVS) kommt selten vor, es ist charakterisiert durch schwere, unabhängig auftretende Anfälle von Erbrechen, manchmal auch nur Anfälle von Übelkeit, die in variierenden Intervallen mit völlig beschwerdefreien Zwischenperioden und ohne nachweisbare strukturelle Veränderungen vorkommen. Es tritt am häufigsten in der Kindheit auf (mittleres Alter 5 Jahre) und lässt im Erwachsenenalter nach. Zyklisches Erbrechen bei Erwachsenen kann bei chronischem Marihuanakonsum (Cannabis) auftreten (Cannabis-Hyperemesis-Syndrom); das Erbrechen kann durch ein heißes Bad gelindert werden und verschwindet nach Beendigung des Marihuanakonsums.

Das chronische Übelkeits- und Erbrechenssyndrom ist eine Funktionsstörung, die durch das Auftreten von Symptomen für mindestens 6 Monate, einschließlich der letzten 3 Monate, gekennzeichnet ist. Lästige Übelkeit und/oder Erbrechen treten mindestens einmal pro Woche auf. Diese Störung sollte bei Patienten in Betracht gezogen werden, bei denen nach routinemäßiger Untersuchung (einschließlich der oberen Endoskopie) keine Hinweise auf eine organische, systemische oder metabolische Erkrankung vorliegen, die wahrscheinlich die Symptome erklären, und bei denen selbstinduziertes Erbrechen, Essstörungen, Regurgitation und Wiederkäuen ausgeschlossen wurden (1).

Tabelle

Hinweis zur Ätiologie

  1. 1. Stanghellini V, Chan FK, Hasler WL, et al: Gastroduodenal disorders. Gastroenterology 150(6):1380–1392, 2016. doi: 10.1053/j.gastro.2016.02.011

Auswertung von Übelkeit und Erbrechen

Anamnese

Die Anamnese der bestehenden Erkrankung sollte Häufigkeit und Dauer von Erbrechen abfragen, dessen Bezug auf mögliche Auslöser wie die Einnahme von Medikamenten oder die Aufnahme von Toxinen, Kopfverletzungen und Bewegung (z. B. Auto, Flugzeug, Boot, Fahrgeschäfte) und ob das Erbrochene Galle (bitter, gelb-grün) oder Blut (rot oder kaffeesatzartiges Material) enthielt. Wichtige assoziierte Symptome umfassen Bauchschmerzen und Durchfall, den letzten Stuhlgang und Blähungen sowie Kopfschmerzen und Schwindel oder beides.

Die Untersuchung der Körpersysteme forscht nach Anzeichen zugrunde liegender Störungen wie Amenorrhö und Schwellung der Brüste (Schwangerschaft), Polyurie und Polydipsie (Diabetes) und Hämaturie und Flankenschmerzen (Nierensteine).

Die Anamnese sollte bekannte Ursachen wie Schwangerschaft, Diabetes, Migräne, Leber-oder Nierenerkrankungen, Krebs (einschließlich des Zeitpunkts von Chemo- oder Strahlentherapie) und frühere Bauchoperationen (die Darmverschluss durch Verwachsungen verursachen) ermitteln. Alle kürzlich eingenommenen Medikamente und Substanzen sollten erfragt werden; bestimmte Stoffe zeigen ihre Toxizität erst mehrere Tage nach der Einnahme (z. B. Paracetamol, einige Pilze).

Wiederholtes Erbrechen in der Familienanamnese sollte beachtet werden.

Körperliche Untersuchung

Bei der Untersuchung der Vitalfunktionen sollte besonders auf das Vorhandensein von Fieber und Anzeichen einer Hypovolämie (z. B. Tachykardie, Hypotonie oder beides) geachtet werden.

Die allgemeine Untersuchung sollte nach Anzeichen für Gelbsucht und Ausschlag suchen.

Bei der Untersuchung des Abdomens sollte der Arzt auf einen aufgeblähten Bauch und chirurgische Narben achten; er sollte Präsenz und Qualität der Darmgeräusche (z. B. normal, hohe Töne) beurteilen und mithilfe der Perkussion auf Tympanie untersuchen sowie auf Druckempfindlichkeit, Peritonitiszeichen (z. B. Abwehrspannung, verhärtete Bauchdecken und Klopfschmerz) und Massen, Organvergrößerungen oder Hernien abtasten. Die rektale und (bei Frauen) gynäkologische Untersuchung sind unerlässlich, um Schmerzempfindlichkeit, Massen und Blutungen zu lokalisieren.

Die neurologische Untersuchung sollte vor allem auf den mentalen Status achten, auf Nystagmus, Meningismus (z. B. Nackensteifigkeit, Kernig-Zeichen oder Brudzinski-Zeichen) und okuläre Anzeichen von erhöhtem Hirndruck (z. B. Papillenödem, das Fehlen von Venenpuls, Lähmung des 3. Hirnnervs) oder eine Subarachnoidalblutung (Netzhautblutung).

Warnhinweise

Die folgenden Befunde sind von besonderer Bedeutung:

  • Zeichen der Hypovolämie

  • Kopfschmerzen, steifer Nacken oder Veränderungen des mentalen Status

  • Zeichen peritonealer Reizung

  • Aufgetriebener, tympanitischer Bauch

Interpretation der Befunde

Viele Befunde deuten auf eine Ursache oder eine Gruppe von Ursachen hin (siehe Tabelle Einige Ursachen von Übelkeit und Erbrechen).

Erbrechen, das kurz nach der Medikamenteneinnahme oder der Aufnahme von Toxinen oder der Einwirkung von Bewegungen bei einem Patienten mit ansonsten unauffälligen neurologischen und abdominellen Untersuchungsergebnissen auftritt, kann getrost auf diese Ursachen zurückgeführt werden, ebenso wie Erbrechen bei einer Frau mit einer bekannten Schwangerschaft und unauffälligen Untersuchungsbefunden. Akutes und von Durchfall begleitetes Erbrechen bei einem ansonsten gesunden Patienten ohne Auffälligkeiten bei der Untersuchung ist höchstwahrscheinlich auf eine infektiöse Gastroenteritis zurückzuführen; eine weitere Untersuchung kann zurückgestellt werden.

Erbrechen, das bei dem Gedanken an Nahrung auftritt oder zeitlich nicht mit der Nahrungsaufnahme korreliert, lässt eine psychogene Ursache vermuten, genauso wie das Vorkommen von funktioneller Übelkeit und Erbrechen in der persönlichen oder in der Familienanamnese. Die Patienten sollten eingehend über bei ihnen bestehende mögliche Verbindungen zwischen dem Erbrechen und stressreichen Episoden befragt werden, denn es ist möglich, dass sie diese Assoziation überhaupt nicht erkennen oder sich nicht eingestehen, Ekel in diesen Situationen zu empfinden.

Testverfahren

Bei Frauen im gebärfähigen Alter wird ein Schwangerschaftstest im Urin durchgeführt. Bei Patienten mit schwerem Erbrechen, Erbrechen, das länger als einen Tag besteht, oder Zeichen der Dehydrierung wird weitere Labordiagnostik durchgeführt (z. B. Elektrolyte, Blut-Harnstoff-Stickstoff, Kreatinin, Glukose, Urinanalyse, ggf. Leberwerte). Bei Patienten mit verdächtigen Befunden sollten den Symptomen angemessene Untersuchungen durchgeführt werden (siehe Tabelle Einige Ursachen von Übelkeit und Erbrechen).

Die Abklärung von chronischem Erbrechen schließt in der Regel die oben aufgeführten Labortests sowie die endoskopische Untersuchung des oberen GIT ein, außerdem Röntgenuntersuchungen des Dünndarms und Tests zur Erfassung der Magenentleerung und der antralduodenalen Motilität.

Behandlung von Übelkeit und Erbrechen

Spezifische Zustände wie Dehydrierung werden behandelt. Aber auch ohne Vorliegen einer signifikanten Dehydrierung führt die IV Flüssigkeitsgabe (0,9%ige Kochsalzlösung 1 l oder 20 ml/kg bei Kindern) häufig zu einer Besserung der Symptome. Bei Erwachsenen sind verschiedene Antiemetika wirksam ( siehe Tabelle: Einige Medikamente gegen Erbrechen). Die Wahl des Mittels variiert etwas mit der Ursache und Schwere der Symptome. Eine typische Anwendung sieht folgendermaßen aus:

  • Reisekrankheit: Antihistaminika, Scopolaminpflaster oder beides

  • Leichte bis mittelschwere Symptome: Prochlorperazin, Promethazin oder Metoclopramid

  • Schweres oder refraktäres Erbrechen und Erbrechen bei Chemotherapie: 5-HT3-Antagonisten, Neurokinin-1-Antagonisten (z. B. Aprepitant)

Bei sich aktiv erbrechenden Patienten sollten nur parenteral oder sublingual verabreichte Arzneimittel verwendet werden.

Bei psychogenem Erbrechen zeigt eine beruhigende Therapie dem Patienten an, dass man sein Leiden ernst nimmt und den Wunsch hat, eine Verbesserung der Symptome unabhängig von deren Ursache zu erreichen. Kommentare wie „alles ist in Ordnung“ oder „Ihr Problem ist emotional“ sollten in jedem Falle vermieden werden. Der Versuch einer kurzen symptomatischen Behandlung mit Antiemetika kann gemacht werden. Ist eine Langzeitbehandlung notwendig, können unterstützende regelmäßige Praxisbesuche bei der Lösung des zugrunde liegenden Problems hilfreich sein.

Tabelle

Wichtige Punkte

  • Viele Episoden von Übelkeit und Erbrechen haben eine offensichtliche Ursache, sind gutartiger Natur und erfordern nur eine symptomatische Behandlung.

  • Alarmierend sind Anzeichen für ein akutes Abdomen oder eine signifikante intrakranielle Erkrankung.

  • Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist immer an eine Schwangerschaft zu denken.