Protein-Energie-Unterernährung (PEU)

VonShilpa N Bhupathiraju, PhD, Harvard Medical School and Brigham and Women's Hospital;
Frank Hu, MD, MPH, PhD, Harvard T.H. Chan School of Public Health
Überprüft/überarbeitet Okt. 2023
Aussicht hier klicken.

Protein-Energie-Unterernährung (PEU), früher als Protein-Energie-Mangelernährung bezeichnet, ist ein Energiedefizit aufgrund eines Mangels an allen Makronährstoffen, aber hauptsächlich an Proteinen. Gleichzeitig besteht dabei gewöhnlich ein Mangel zahlreicher Mikronährstoffe. Die PEU kann plötzlich und akut (als Hungerzustand) oder langsam fortschreitend auftreten. Die Ausprägung reicht von subklinischen Mängeln über offensichtliche Auszehrung mit Ödemen, Haarausfall und Hautatrophie bis zu Hungerzuständen. Eine Reihe von Organsystemen sind dabei oft stark beeinträchtigt. In der Diagnostik werden Labortests, inkl. einer Bestimmung des Serumalbuminspiegels, durchgeführt. Zur Behandlung der PEU werden Flüssigkeits- und Elektrolytmängel mit IV Lösungen ausgeglichen und anschließend die fehlenden Nährstoffe schrittweise, wenn möglich oral, wieder zugeführt.

(Siehe auch Übersicht über Unterernährung.)

In Ländern mit ausreichenden Nahrungsressourcen ist eine PEU häufig bei älteren Patienten in Heimen (obwohl oft nicht vermutet) und bei Patienten mit Störungen, die den Appetit verringern oder die Verdauung, Absorption oder den Stoffwechsel von Nährstoffen beeinträchtigen. In Ländern mit hoher Rate an Ernährungsunsicherheit betrifft die PEU Kinder, die nicht genug Kalorien oder Protein zu sich nehmen.

Klassifikation und Ätiologie der PEU

Eine Protein-Energie-Unterernährung wird als leicht, mäßig ausgeprägt oder schwer eingestuft. Die Kategorie lässt sich bestimmen, indem das Gewicht als Prozentteil des erwartbaren Gewichts im Verhältnis zur Körpergröße nach internationalen Standards berechnet wird (Normalzustand 90–110%, milde PEU 85–90%, mäßig ausgeprägte PEU 75–85%, schwere PEU weniger als 75%).

PEU kann sein,

  • Primär: Wird durch unzureichende Nährstoffaufnahme verursacht.

  • Sekundär: Ergebnisse von Störungen oder Medikamenten, die in die Nährstoffverwertung eingreifen.

Primäre PEU

Weltweit tritt eine primäre PEU meist bei Kindern und älteren Menschen auf, denen der Zugang zu Nährstoffen fehlt, zumal bei Senioren Depressionen eine gängige Ursache dafür sind. Eine PEU kann auch durch Fasten oder Anorexia nervosa sein. Kindesmisshandlung oder Misshandlung älterer Menschen können ebenfalls eine Ursache sein.

Bei Kindern gibt es 3 häufige Formen der chronischen primären Protein-Energie-Unterernährung (PEU):

  • Marasmus

  • Kwashiorkor

  • Marasmischer Kwashiorkor

Die Krankheitsform hängt davon ab, in welchem Verhältnis protein- und nichtproteinhaltige Energiequellen vorhanden sind. Ein Hungerzustand ist die akute, schwere Form der primären PEU.

Marasmus (auch als trockene Form der PEU bezeichnet) ist ein schwerer Mangel an Kalorien und Protein, der sich bei Säuglingen und sehr kleinen Kindern tendenziell entwickelt. Es verursacht Gewichtsverlust und Abbau von Fett und Muskeln. Bei Marasmus ist der größte Teil des Unterhautfetts und der tieferen Fettspeicher des Körpers verloren gegangen, sodass Rippen, Hüften, Gesichtsknochen und Wirbelsäule durch die Haut sichtbar werden. In Ländern mit hoher Rate an Ernährungsunsicherheit ist Marasmus die häufigste Form der PEU bei Kindern.

Kwashiorkor (auch als feuchte, ödematöse oder Schwellungsform der PEU bezeichnet) ist ein Risiko bei frühzeitigem Abstillen, das typischerweise eingeleitet wird, wenn ein Geschwisterkind geboren wird und anstelle des älteren Kinds gestillt wird. Folglich sind Kinder mit Kwashiorkor meist älter als Kinder, die unter Marasmus leiden. Kwashiorkor kann Folge einer akuten Krankheit wie Gastroenteritis oder anderer Infektionskrankheiten sein und tritt wahrscheinlich nach Freisetzung von Zytokinen bei Kindern auf, die bereits an PEU leiden. Eine Ernährungsweise, der es mehr an Protein als an Energieträgern mangelt, verursacht mit größerer Wahrscheinlichkeit Kwashiorkor als Marasmus. Weniger als Marasmus scheint Kwashiorkor mit bestimmten Erdteilen wie dem ländlichen Afrika sowie den karibischen und pazifischen Inseln verbunden. In diesen Gebieten enthalten Grundnahrungsmittel wie Süßkartoffeln, Maniok und grüne Bananen wenig Protein und reichlich Kohlenhydrate. Kinder mit Kwashiorkor haben ein verkümmertes Wachstum, unnatürlich blondes, schütteres und brüchiges Haar und verfärbte Hautstellen. Bei Kwashiorkor sind die Zellmembranen undicht und lassen intravaskuläre Flüssigkeit und Protein austreten, sodass periphere Ödeme entstehen.

Marasmischer Kwashiorkor tritt auf, wenn ein Kind mit Kwashiorkor nicht genügend Kalorien zu sich nimmt. Es ist durch die Merkmale von Marasmus und Kwashiorkor gekennzeichnet - Ödeme und Auszehrung.

Sowohl bei Marasmus als auch bei Kwashiorkor ist die zellvermittelte Immunität geschwächt, die Anfälligkeit für Infektionen daher erhöht. Bakterielle Infektionen wie Pneumonie, Gastroenteritis, Otitis media, Harnweginfektionen und Sepsis sind typisch. Infektionen führen zur Freisetzung von Zytokinen, die ein anorektisches Erscheinungsbild verursachen, den Muskelabbau verstärken und den Serumalbuminspiegel deutlich senken.

Im Hungerzustand besteht ein Mangel an allen Nährstoffen. Dieser Zustand tritt gelegentlich auf, z. B. durch Fasten oder bei Anorexia nervosa, ergibt sich jedoch gewöhnlich durch externe Einflüsse wie Hungersnöte oder Aufenthalt abseits der Zivilisation.

Sekundäre PEU

Diese Form ist meist verursacht durch folgende Faktoren:

  • Krankheiten, die sich auf die Magen-Darm-Funktion auswirken, stören die Verdauung (z. B. Pankreasinsuffizienz), die Resorption (z. B. Enteritis, Enteropathie) oder den lymphatischen Transport von Nährstoffen (z. B. retroperitoneale Fibrose, Milroy-Krankheit).

  • Auszehrende Krankheiten: Bei auszehrenden Krankheiten wie AIDS, Krebs oder COPD und bei Nierenversagen verursacht der entstehende Katabolismus eine übermäßige Ausschüttung von Zytokinen mit der Folge einer Unterernährung durch Anorexie oder Kachexie (Abbau von Muskeln und Fett). Im Endstadium des Herzversagens kann sich eine Herzkachexie entwickeln, eine schwere Form der Unterernährung, bei der die Sterblichkeitsrate besonders hoch ist. Faktoren, die zu Herzkachexie führen, sind eine passive Stauungsleber (verursacht durch Anorexie), Ödeme des Darmtraktes (Beeinträchtigung der Absorption) und ein erhöhter O2-Bedarf durch anaeroben Stoffwechsel in fortgeschrittenem Erkrankungszustand. Auszehrende Krankheiten verringern den Appetit oder schwächen die Metabolisierung von Nährstoffen.

  • Bedingungen, die die metabolischen Anforderungen erhöhen, sind:Infektionen, Hyperthyreose, Phäochromozytom, andere endokrine Erkrankungen, Verbrennungen, Verletzungen, Operationen und andere schwere Krankheiten.

Pathophysiologie der Protein-Energie-Unterernährung

Die initiale metabolische Reaktion der PEU ist eine verminderte metabolische Rate. Um Energie zur Verfügung zu stellen, zieht der Körper zunächst Fettgewebe ab. Später jedoch, wenn diese Gewebe erschöpft sind, benötigt der Körper Protein als Energiequelle, was zu einer negativen N-Bilanz führt. Viszerale Organe und Muskeln werden abgebaut, was zu einer Gewichtsabnahme führt. Der Gewichtsverlust von Körperorganen betrifft vor allem Leber und Darm, gefolgt von Herz und Nieren. Am wenigsten wirkt er sich auf das Nervensystem aus.

Symptome und Anzeichen von Protein-Energie-Unterernährung

Die Symptome einer mäßig ausgeprägten PEU zeigen sich an der Körperkonstitution oder an einzelnen Organsystemen. Apathie und Gereiztheit sind typische Erscheinungen. Der Patient fühlt sich schwach, die Leistungsfähigkeit lässt nach. Die Kognition ist geschwächt, das Bewusstsein manchmal getrübt. Vorübergehend entwickeln sich ein Lactosemangel sowie eine Achlorhydrie. Häufig treten Durchfälle auf, die sich durch einen Mangel an intestinalen Disaccharasen, in erster Linie Lactase, verschlimmern. Das gonadale Gewebe atrophiert. Eine PEU kann bei Frauen zur Amenorrhoe, bei beiden Geschlechtern zum Libidoverlust führen.

Der massive Fett- und Muskelabbau ist für sämtliche Formen der PEU typisch. Wenn der Hungerzustand andauert, kann der Gewichtsverlust bei Erwachsenen 50% erreichen, bei Kindern möglicherweise mehr.

Die Kachexie wird bei Erwachsenen am deutlichsten an Körperteilen, wo normalerweise Fettdepots vorhanden sind (z. B. Rippen, Hüften, Gesichtsknochen, Wirbelsäule). Muskeln schrumpfen und Knochen stehen vor. Die Haut wird dünn, trocken, unelastisch, blass und kalt. Das Haar ist trocken, fällt leicht aus und wird immer spärlicher. Die Wundheilung verläuft verlangsamt. Bei älteren Patienten steigt das Risiko für Hüftfrakturen und Druckgeschwüre (Dekubitus).

Im Fall einer akuten oder chronisch schweren PEU verringern sich Herzgröße und Herzzeitvolumen, der Puls verlangsamt sich und der Blutdruck sinkt. Die Atemfrequenz und die Vitalkapazität gehen zurück, die Körpertemperatur fällt und führt manchmal mit zum Tod des Patienten. Ödeme, Anämie, Gelbsucht und Petechien entstehen. Leber-, Nieren- oder Herzversagen können auftreten.

Marasmus ist bei Kindern die Ursache für Hungerzustände, Gewichtsverlust, Wachstumsverzögerungen sowie den massiven Abbau von subkutanem Fettgewebe und Muskeln. Rippen und Gesichtsknochen stehen vor. Lose, dünne Haut hängt in Falten herab.

Kwashiorkor ist gekennzeichnet durch periphere und periorbitale Ödeme aufgrund der Abnahme des Serumalbumins. Der Bauch steht vor, weil die Bauchmuskeln geschwächt sind, der Darm ist gedehnt, die Leber vergrößert, und ein Aszites ist vorhanden. Die Haut scheint trocken, dünn und zerfurcht, sie kann hyperpigmentiert und von Fissuren überzogen sein, später hypopigmentiert, grobschuppig und atrophisch werden. Die Haut an verschiedenen Körperstellen ist zu unterschiedlichen Zeitpunkten betroffen. Das Haar wird dünn, rötlich-braun oder grau. Das Kopfhaar fällt leicht aus, die Kopfhaut kann schließlich kahl werden, doch wachsen die Augenbrauen gegebenenfalls übermäßig stark. Alternierende Phasen der Unterernährung und der adäquaten Nahrungszufuhr verursachen im Haar eventuell deutlich sichtbare Streifen. Betroffene Kinder sind apathisch, können aber sehr gereizt reagieren, wenn sie festgehalten werden.

Fehlt die Nahrungsaufnahme vollständig, so führt dies innerhalb von 8–12 Wochen zum Tod. Bestimmte Symptome einer PEU haben in diesem Zeitraum nicht genügend Zeit, sich zu entwickeln.

Diagnose von Protein-Energie-Unterernährung

  • Die Diagnose basiert in der Regel auf der Vorgeschichte.

  • Zur Bestimmung des Schweregrades: Body-Mass-Index (BMI), Serumalbumin, Gesamt-Lymphozytenzahl, CD4+-Auszählung und Serumtransferrin

  • Zur Diagnose von Komplikationen und Folgen: Gesamtblutbild, Elektrolyte, Harnstoff, Glukose, Kalzium, Magnesium und Phosphat

Die Diagnose einer Protein-Mangel-Unterernährung kann auf Grundlage der Patientengeschichte erfolgen, wenn die Nahrungszufuhr eindeutig inadäquat ist. Die Ursache für die unzureichende Nahrungsaufnahme sollte besonders bei Kindern und Jugendlichen eruiert werden. Dabei sind Anzeichen für Kindesmissbrauch und Anorexia nervosa zu prüfen.

Die körperliche Untersuchung umfasst die Messung von Körpergröße und -gewicht, Inspektion der Körperfettverteilung und anthropometrische Messungen der fettarmen Körpermasse. Der Body Mass Index (BMI = Gewicht [kg]/[m]2) wird berechnet, um die Schwere zu bestimmen. Die Ergebnisse bestätigen im Normalfall die Diagnose.

Laboruntersuchungen sind erforderlich, wenn aus der Ernährungsanamnese nicht klar hervorgeht, ob eine unzureichende Kalorienzufuhr gegeben ist. Eine Bestimmung des Plasmaalbumins, die Gesamtzahl der Lymphozyten und CD4+-T-Lymphozyten, Transferrin sowie die Reaktion auf Hautantigene geben Auskunft über die Ausprägung der PEU (siehe Tabelle Häufig verwendete Werte zur Bestimmung der Schwere einer Protein-Energie-Unterernährung) oder bestätigen in Grenzfällen die Diagnose. Zahlreiche weitere Blutwerte können von der Norm abweichen, z. B. zu niedrige Spiegel für Hormone, Vitamine, Lipide, Cholesterin, Präalbumin, Insulin-Wachstumsfaktor-1, Fibronectin und Retinol-bindendes Protein. Mit den Kreatinin- und Methylhistidinwerten lässt sich das Stadium des Muskelabbaus beurteilen. Da sich der Proteinkatabolismus verlangsamt, sinkt auch der Harnstoffwert des Urins. Diese Ergebnisse wirken sich selten auf die Behandlung aus.

Tabelle

Um die Ursachen einer vermuteten sekundären PEU festzustellen, sind Labortests erforderlich. Das C-reaktive Protein oder der lösliche Interleukin-2-Rezeptor sollten ermittelt werden, wenn die Ursache einer Unterernährung nicht eindeutig ist; diese Messungen lassen erkennen, ob ein Zytokinüberschuss vorliegt (möglicherweise auf sonst okkulte entzündliche oder verzehrende Störungen wie Infektion, Hyperthyreose, AIDS oder Krebs hindeutend). Die Schilddrüsenfunktion sollte überprüft werden.

Mit weiteren Labortests können Anomalien aufgedeckt werden, die mit einer PEU verbunden sind und eine Behandlung erfordern. Serumelektrolyte, Harnstoffstickstoff, Glucose und die Spiegel für Kalzium, Magnesium und Phosphat sollten bestimmt werden. Die Werte für Blutglucose, Elektrolyte (besonders für Kalium und manchmal Natrium), Phosphat, Kalzium und Magnesium sind gewöhnlich niedrig. Die Harnstoff-Stickstoff-Messung führt oft zu niedrigen Werten, wenn kein Nierenversagen vorliegt. Eine metabolische Azidose kann auftreten. Ein Blutstatus wird normalerweise abgenommen; gewöhnlich treten eine normozytäre Anämie aufgrund eines Proteinmangels oder eine mikrozytäre Anämie auf.

Stuhlkulturen sollten ausgewertet und auf Eier und Parasiten untersucht werden, wenn eine schwere Diarrhoe besteht, die sich trotz erfolgter Behandlung fortsetzt. Bisweilen werden zur Diagnose okkulter Infektionen eine Harnuntersuchung, eine Urin- oder Blutkultur, ein Tuberkulintest und eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs durchgeführt, da unterernährte Personen abgeschwächt auf Infektionen reagieren.

Behandlung von Protein-Energie-Unterernährung

  • Gewöhnlich orale Nahrungsaufnahme

  • Möglicherweise Vermeidung von Laktose (z. B. wenn anhaltender Durchfall einen Verdacht auf Laktoseintoleranz begründet)

  • Unterstützende Maßnahmen (z. B. Umweltveränderungen, Unterstützung bei der Fütterung, orexigene Medikamente)

  • Bei Kindern Verschiebung der Nahrungsaufnahme um 24–48 h

Weltweit ist die wichtigste PEU-Präventionsstrategie die Verringerung der Armut und die Verbesserung der Ernährungserziehung und der öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen.

Eine milde oder mäßig ausgeprägte Protein-Energie-Unterernährung, zu der auch kurzzeitige Hungerzustände zählen, lässt sich mit vorzugsweise oral zugeführter Nahrung behandeln, die das Nährstoffgleichgewicht wiederherstellt. Flüssige orale Nahrungssupplemente (üblicherweise lactosefrei) werden verwendet, wenn feste Nahrung nicht angemessen verdaut werden kann. Durchfälle erschweren häufig die orale Zufuhr, da der Darmtrakt im Hungerzustand mit größerer Wahrscheinlichkeit Bakterien in Peyer-Drüsen befördert und damit das Auftreten einer infektiösen Diarrhoe begünstigt. Bei persistierender Diarrhoe, die eine Lactoseintoleranz vermuten lässt, werden eher Diäten auf Joghurt- als auf Milchbasis verabreicht, da Patienten mit Lactoseintoleranz Joghurt tolerieren. Zudem sollten sie eine Multivitaminergänzung erhalten.

Eine schwere PEU oder ein längerfristiger Hungerzustand erfordern eine stationäre Behandlung bei festgelegtem Ernährungsschema. Dabei werden primär Flüssigkeits- und Elektrolytanomalien korrigiert und Infektionen bekämpft. Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte, dass Kinder von einer Antibiotikaprophylaxe profitieren. Anschließend liegt der Schwerpunkt darin, Makronährstoffe oral zuzuführen oder, wenn nötig (z. B. bei Schluckproblemen), auch über eine transnasale Magensonde oder eine PEG (enterale Ernährung). Die parenterale Ernährung ist indiziert, wenn eine schwere Malabsorption besteht.

Weitere therapeutische Maßnahmen sind erforderlich, wenn einzelne Nährstoffmängel korrigiert werden müssen, die sich bei zunehmendem Körpergewicht zeigen. Um Nährstoffmängel zu vermeiden, sollten Patienten etwa doppelt so viele Mikronährstoffe zu sich nehmen wie die Vorgaben empfehlen, bis sie wieder vollständig gesund sind.

Kinder

Zugrunde liegende Störungen bei Kindern mit PEU sollten behandelt werden.

Leiden Kinder unter Durchfall, wird die Nahrungszufuhr um 24–48 h verschoben, um zu vermeiden, dass sich der Durchfall verschlimmert; während dieses Intervalls benötigen die Kinder eine orale oder eine IV Rehydratation. Nahrungsportionen werden häufig (6- bis 12-mal/Tag) gegeben, bleiben jedoch auf kleine Mengen beschränkt (< 100 ml), die die Magen-Darm-Kapazität für die Nahrungsabsorption nicht übersteigen. In der ersten Woche werden Formeldiäten auf Milchbasis, denen Supplemente zugesetzt sind, in zunehmend größeren Mengen gegeben; nach einer Woche können die vollen 175 kcal/kg und 4 g Protein/kg verabreicht werden. Das Doppelte der empfohlenen Tagesdosis an Mikronährstoffen sollte über handelsübliche Multivitaminpräparate zugeführt werden. Nach 4 Wochen kann die Formeldiät durch Vollmilch sowie Lebertran und feste Lebensmittel, darunter Eier, Obst und Fleisch, ersetzt werden.

Die Verteilung der Energiewerte unter den Makronährstoffen sollte bei etwa 16% Eiweiß, 50% Fett und 34% Kohlenhydrate liegen. Als Beispiel kann eine Kombination aus entrahmtem Kuhmilchpulver (110 g), Saccharose (100 g), pflanzlichem Öl (70 g) und Wasser (900 ml) dienen. Auch weitere Zusammensetzungen wie frische Vollmilch (voller Fettgehalt) mit Maisöl und Maltodextrin lassen sich verwenden. Das in der Diät verwendete Milchpulver wird in Wasser gelöst.

Den Diätformeln sollten folgende Supplemente zugegeben werden:

  • Magnesium i.m. in einer Dosis von 0,4 mval/kg/Tag über 7 Tage

  • Vitamine des B-Komplexes in doppelter Menge der empfohlener Nährstoffzufuhr-Vorgaben parenteral in den ersten 3 Tagen, zusätzlich Vitamin A, Phosphor, Zink, Mangan, Kupfer, Jod, Fluorid, Molybdän und Selen.

  • Da oral verabreichtes Eisen von Kindern mit PEU schlecht resorbiert wird, ist ggf. eine orale oder intramuskuläre Eisenergänzung notwendig.

Die Eltern sind über die erforderliche Ernährung zu informieren.

Erwachsene

Zunächst sind die einer Mangelernährung zugrunde liegenden Krankheiten zu behandeln. Führen z. B. AIDS oder Krebserkrankungen zu einer übermäßigen Zytokinproduktion, können Megestrolacetat oder Medroxyprogesteron die Nahrungszufuhr verbessern. Da diese Medikamente den Testosteronspiegel bei Männern dramatisch senken (möglicherweise Muskelverlust verursachen), sollte Testosteron ersetzt werden. .Zudem sollten sie nur über weniger als 3 Monate eingenommen werden, da sie zur Niereninsuffizienz führen können.

Ein orexigener Wirkstoff wie das Cannabisextrakt Dronabinol sollte Patienten mit Anorexie verabreicht werden, wenn keine offensichtliche Ursache vorliegt, oder Patienten am Ende ihres Lebens, wenn die Anorexie die Lebensqualität beeinträchtigt. Anabole Steroide (z. B. Testosteron, Enanthate, Nandrolon) oder Wachstumshormone können sich bei älteren Patienten mit Kachexie nach Nierenversagen positiv auswirken (z. B. durch Zunahme der fettfreien Körpermasse oder möglicherweise durch eine Verbesserung der Funktion).

Eine Behandlung der PEU führt bei Erwachsenen in der Regel zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Kindern. Die orale Nahrungsaufnahme wird oft auf kleine Mengen begrenzt, doch muss sie für die meisten Erwachsenen nicht hinausgezögert werden. Im Handel erhältliche Formeldiäten für die orale Verabreichung lassen sich dann verwenden. Die tägliche Nährstoffversorgung sollte bei 60 kcal/kg und 1,2–2 g Protein/kg liegen. Werden flüssige orale Ergänzungen mit fester Nahrung verabreicht, sollten sie mindestens eine Stunde vor den Mahlzeiten zugeführt werden, sodass die zur Mahlzeit verzehrte Nahrungsmenge sich nicht verringert.

Die Behandlung von in Heimen untergebrachten älteren Patienten mit PEU erfordert vielfältige Maßnahmen:

  • Umweltschutzmaßnahmen (z. B. attraktivere Gestaltung des Essbereichs)

  • Hilfen bei der Nahrungsaufnahme

  • Anpassung der Ernährung (z. B. unter Verwendung von appetitanregenden Lebensmitteln und Kalorienergänzungen zwischen den Mahlzeiten)

  • Behandlung von Depressionen und anderen zugrunde liegenden Störungen

  • Verwendung von orexigenen Medikamenten, anabolen Steroiden oder beidem

Die langfristige Nahrungseingabe über eine Magensonde lässt sich bei Patienten mit schwerer Dysphagie nicht vermeiden, bei dementen Patienten wird der Einsatz von Sondennahrung dagegen kontrovers diskutiert. Neuere Erkenntnisse weisen zunehmend darauf hin, dass für Heimbewohner wenig schmackhafte therapeutische Nahrung wie salzarme, diabetische oder cholesterinarme Diäten abgelehnt werden sollten, da diese Mahlzeiten zu einer eingeschränkten Nahrungsaufnahme und eventuell zu einer schweren PEU führen.

Patienten, die nicht mehr mobil sind, müssen Lieferungen von Mahlzeiten und Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme erhalten.

Komplikationen der Behandlung

Während der Therapie einer PEU können Komplikationen wie das Refeeding-Syndrom auftreten, zu dem übermäßige Flüssigkeitszufuhr, Unterversorgung mit Elektrolyten, Hyperglykämie, Herzarrhythmien und Diarrhoe zählen. Durchfälle entstehen meist vorübergehend in leichter Form, doch führen sie bei Patienten mit schwerer PEU gelegentlich zu ausgeprägter Dehydration oder enden letal. Die Ursachen einer Diarrhoe (z. B. das in Sondennahrung enthaltene Sorbit oder Clostridioides difficile unter Antibiotikatherapie) lassen sich beseitigen. Eine osmotische Diarrhoe aufgrund übermäßiger Kalorienzufuhr ist bei Erwachsenen selten und sollte nur nach Ausschluss anderer Ursachen erwogen werden.

Da eine PEU die Herz- und Nierenfunktion einschränkt, kann eine therapeutische Hyperhydratation zu einer intravaskulären Volumenüberladung führen. Eine Behandlung verringert den extrazellulären Kalium- und Magnesiumspiegel. Eine Erschöpfung der Kalium- und Magnesiumdepots kann Herzarrhythmien verursachen. Der während der Behandlung gesteigerte Kohlenhydratstoffwechsel stimuliert die Insulinausschüttung, wodurch Phosphat in die Zellen befördert wird. Auf eine Hypophosphatämie können Muskelschwäche, Parästhesien, Krämpfe, Koma oder Herzarrhythmien folgen. Da sich der Phosphatspiegel während einer parenteralen Ernährung schnell ändern kann, sollte er regelmäßig gemessen werden.

Während der Behandlung einer PEU wird endogenes Insulin ggf. unwirksam, eine Hyperglykämie entsteht. Daraus resultieren Dehydration und Hyperosmolarität. Es können sich letal verlaufende ventrikuläre Arrhythmien entwickeln, die möglicherweise durch ein verlängertes QT-Intervall ausgelöst werden.

Bei der parenteralen Ernährung besteht die Gefahr einer Infektion, da der Katheter über einen längeren Zeitraum liegen bleibt und die Glukose in der Lösung das Bakterienwachstum fördert.

Aus unbekannten Gründen führt die totale parenterale Ernährung, wenn sie länger als etwa 3 Monate verabreicht wird, bei manchen Menschen zu einer Abnahme der Knochendichte. Die beste Behandlung besteht darin, diese Art der Fütterung vorübergehend oder dauerhaft einzustellen. Auch die totale parenterale Ernährung kann zu Leberfunktionsstörungen führen, am häufigsten bei Frühgeborenen. Blutuntersuchungen werden durchgeführt, um die Leberfunktion zu überwachen. Eine Anpassung der Lösung kann helfen. Obstruktion des Gallengangs können entstehen. Die Behandlung besteht in der Anpassung der Lösung und, wenn möglich, in der oralen Verabreichung von Nahrung oder einer Ernährungssonde.

Eine Ernährungssonde kann das nasopharyngeale und/oder ösophageale Gewebe reizen und erodieren. In solchen Fällen kann die Verwendung einer anderen Art von Ernährungssonde die Fortsetzung der Ernährung ermöglichen. Bei älteren Patienten, die über eine Sonde ernährt werden, kommt es häufig zur Aspiration. Die Wahrscheinlichkeit, dass Nahrung aspiriert wird, ist geringer, wenn die Lösung langsam verabreicht wird und wenn das Kopfende des Bettes nach der Sondennahrung 1–2 Stunden lang erhöht ist.

Prognose für Protein-Energie-Unterernährung

Kinder

Für Kinder liegt die Sterblichkeitsrate bei 5–40%. Sie ist niedriger, wenn die Kinder auf der Intensivstation betreut werden und ihre PEU weniger ausgeprägt ist. Die Ursache für den tödlichen Krankheitsverlauf in den ersten Behandlungstagen liegt gewöhnlich in Elektrolytmängeln, Sepsis, Hypothermie oder Herzversagen. Eingeschränktes Bewusstsein, Gelbsucht, Petechien, Hyponaträmie und fortwährende Durchfälle gelten als bedrohliche Zeichen, ein Verschwinden von Apathie, Ödemen und Anorexie als vorteilhaft. Eine Besserung des Zustands stellt sich bei Kwashiorkor schneller ein als bei Marasmus.

Die langzeitlichen Auswirkungen einer PEU bei Kindern sind nicht vollständig erfasst. Einige Kinder entwickeln eine chronische Malabsorption und eine Pankreasinsuffizienz. Sehr kleine Kinder können eine leichte geistige Behinderung entwickeln, die mindestens bis ins Schulalter andauert. Eine langfristige kognitive Schwäche tritt in Abhängigkeit von Dauer, Schwere der PEU und Erkrankungsalter auf.

Erwachsene

Bei Erwachsenen kann eine PEU zu schweren Krankheitszuständen und zum Tod führen, z. B. erhöht ein fortschreitender Gewichtsverlust die Sterblichkeitsrate von älteren Patienten in Heimen. Bei älteren Menschen erhöhen sich die Risiken für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf bei gleichzeitigen Operationen, Infektionen oder zusätzlich auftretenden Krankheiten.

Wenn kein Organversagen auftritt, verläuft die Behandlung insgesamt erfolgreich.

Wichtige Punkte

  • Eine PEU kann primär (d. h. durch eine verminderte Aufnahme von Nährstoffen verursacht) oder sekundär für gastrointestinale Störungen, Auszehrungsstörungen oder Zustände, die den metabolischen Bedarf erhöhen, verantwortlich sein.

  • Bei schweren Formen der PEU gehen Körperfett und schließlich Eingeweidegewebe verloren, die Immunität wird beeinträchtigt und die Organfunktion verlangsamt, was manchmal zu multiplem Organversagen führt.

  • Zur Einstufung der Schwere dienen Body-Mass-Index (BMI), Serumalbumin, Gesamtlymphozytenzahl, CD4-Anzahl und Serumtransferrin.

  • Um Komplikationen und Folgen zu diagnostizieren, werden komplettes Blutbild, Elektrolyte, Blut-Harnstoff-Stickstoff, Glucose, Kalzium, Magnesium und Phosphat bestimmt.

  • Bei leichten Fällen wird eine ausgewogene Ernährung unter Vermeidung laktosehaltiger Lebensmittel empfohlen.

  • Bei schwerer PEU erfolgt stationäre Aufnahme der Patienten sowie Gabe einer kontrollierten Ernährung, eine Korrektur von Flüssigkeits- und Elektrolytanomalien sowie die Behandlung von Infektionen; die häufigsten Komplikationen der Behandlung (Refeeding-Syndrom) umfassen Wassereinlagerungen, Elektrolytdefizite, Hyperglykämie, Herzrhythmusstörungen und Durchfall.