Wirbelsäulentrauma

VonGordon Mao, MD, Indiana University School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Juli 2023
Aussicht hier klicken.

Beim Wirbelsäulentrauma kann es zu Verletzungen von Rückenmark und/oder Wirbeln kommen. Gelegentlich sind auch die Spinalnerven betroffen. Die Anatomie der Wirbelsäule wird in einem anderen Abschnitt behandelt.

Verletzung des Rückenmarks kann sein

  • Total

  • Inkomplett

(Siehe auch Vorgehen beim Traumapatienten.)

Ätiologie des Wirbelsäulentraumas

Verletzung des Rückenmarks

Durchschnittlich kommt es in den USA jährlich zu etwa 18.000 Rückenmarkverletzungen oder 54 Fälle pro einer Millionen Personen pro Jahr (1).

Die häufigsten Ursachen von Rückenmarksverletzungen sind die folgenden (1):

  • Kfz-Unfälle (39%)

  • Stürze (32%)

Der Rest von Verletzungen des Rückenmarks geht auf tätliche Auseinandersetzungen (13%), Sportverletzungen (8%) und arbeitsbedingte Verletzungen zurück (1). Über 78% der Patienten sind männlich (1).

Bei älteren Patienten sind Stürze die häufigste Ursache. Osteoporotische Knochen und degenerative Gelenkerkrankung können das Risiko von Marksverletzungen bei geringeren Aufprallgeschwindigkeiten erhöhen, aufgrund von Angulation, die durch die degenerierten Gelenke gebildet wird, Osteophyten am Rückenmark und spröde Knochen, die eine einfache Fraktur durch kritische Strukturen erlauben.

Rückenmarkverletzungen entstehen, wenn eine stumpfe Krafteinwirkung die Wirbel, Ligamente oder Zwischenwirbelscheiben der Wirbelsäule schädigt und zur Quetschung, Stauchung oder Zerreißung des Rückenmarkgewebes führt und wenn das Rückenmark z. B. durch eine Schuss- oder Stichverletzung penetriert wird. Solche Verletzungen können auch von Gefäßschädigungen begleitet werden, die zur Ischämie oder zur Hämatombildung führen (typischerweise extradural), die weitere Schädigungen nach sich zieht. Alle Verletzungen können ein Rückenmarködem nach sich ziehen, das den Blutfluss und die Oxygenierung weiter behindert. Die Schädigung wird verstärkt durch exzessive Freisetzung von Neurotransmittern aus den geschädigten Zellen, durch eine Entzündungsreaktion mit Zytokinfreisetzung, durch Anhäufung von freien Radikalen und durch Apoptose.

Wirbelverletzung

Vertebrale Verletzungen können sein

  • Frakturen, die den Wirbelkörper, die Lamina und die Wirbelfortsätze, sowie den Quer- und Dornfortsatz betreffen können.

  • Dislokationen, die gewöhnlich nur die Facettengelenke betreffen.

  • Subluxationen, die einen Bänderriss ohne knöcherne Verletzungen hervorrufen können.

Im Nacken können Frakturen der posterioren Elemente und Dislokationen die Wirbelarterien schädigen und ein insultartiges Syndrom im Hirnstammbereich hervorrufen.

Von einer instabilen Wirbelverletzung spricht man, wenn die knöcherne und/oder ligamentäre Integrität so weit zerstört ist, dass freie Bewegungen möglich sind, die das Rückenmark selbst oder seine Durchblutung abschnüren und zu starken Schmerzen und potenziell zu einer deutlichen Verschlechterung der neurologischen Funktionen führen. Zu solchen Wirbelbewegungen kann es sogar bei einer Veränderung der Patientenposition kommen (z. B. beim Krankentransport oder während der initialen Untersuchung). Stabile Wirbelfrakturen können solche Bewegungen tolerieren.

Spezifische Verletzungen hängen typischerweise vom Unfallmechanismus ab. Flexionstraumen können Keilfrakturen des Wirbelkörpers oder Frakturen des Dornfortsatzes verursachen. Eine größere Flexionskraft kann bilaterale Facettenluxationen bedingen oder, wenn die Kraft auf der Höhe von C1 oder C2 auftrifft, zu einer Fraktur des Dens axis, zu einer Subluxation des Atlantookzipitalgelenks, zu einer atlantoaxialen Subluxation oder aber zu einer Fraktur mit Subluxation führen. Eine Rotationsverletzung kann zu einer einseitigen Facettendislokation führen. Ein Extensionstrauma kann häufig eine posteriore Fraktur des Wirbelbogens verursachen. Kompressionstraumen führen schließlich zu einem Berstungsbruch der Wirbelkörper.

Schädigung der Cauda equina

Die untere Spitze des Rückenmarks (Conus medullaris) befindet sich in der Regel auf oder über der Höhe des L1-Wirbels. Unterhalb dieser Ebene bilden die Spinalnerven die Cauda equina. So können Befunde bei Wirbelsäulenverletzungen unterhalb dieses Niveaus die von Rückenmarksverletzungen nachahmen, insbesondere das Conus-medullaris-Syndrom (siehe Tabelle Rückenmarkssyndrome).

Hinweis zur Ätiologie

  1. 1. National Spinal Cord Injury Statistical Center: Facts and Figures at a Glance. Birmingham, AL: University of Alabama at Birmingham, 2019.

Symptome und Anzeichen des Wirbelsäulentraumas

Das Hauptmerkmal einer Rückenmarkverletzung ist ein Schädigungsniveau, oberhalb dessen die neurologischen Funktionen intakt sind und unter dem sie fehlen oder deutlich abgeschwächt sind. Die Muskelstärke wird ermittelt, mithilfe der Standardskala von 0 bis 5. Die spezifischen Erscheinungsformen hängen von der genauen Höhe ab (siehe Tabelle Auswirkungen von Rückenmarksverletzungen nach Lokalisation) und davon, ob die Rückenmarksverletzung vollständig oder unvollständig ist. In der Akutphase einer Rückenmarkverletzung kann ein Priapismus auftreten.

Neben motorischer und sensorischer Funktion sind obere Motoneuron-Zeichen ein wichtiger Befund bei Marksverletzung. Zu diesen Zeichen gehören erhöhte tiefe Sehnenreflexe und Muskeltonus, eine plantare Reaktion des Extensor (aufrichtende Zehe), Klonus (wird am häufigsten am Knöchel gefunden durch schnelles nach oben Biegen des Fußes) und ein Hoffman-Reflex (eine positive Antwort ist die Beugung des Endphalanx des Daumens nach Schnippen des Mittelfingernagels).

Eine Wirbelverletzung ist, wie andere Frakturen und Dislokationen auch, normalerweise schmerzhaft, doch klagen die Patienten eventuell nicht darüber, wenn sie z. B. durch weitere schmerzhafte Verletzungen (z. B. Beinbruch) oder durch eine durch Intoxikation oder Kopftrauma getrübte Bewusstseinslage abgelenkt sind.

Tabelle

Vollständige Rückenmarkdurchtrennung

Komplette Rückenmarksverletzung führt zu

  • Sofortige, vollständige, schlaffe Lähmung (einschließlich Verlust des Analsphinkters)

  • Verlust aller Empfindungs- und Reflexaktivitäten

  • Autonome Dysfunktion unter dem Niveau der Verletzung

Eine hohe Zervikalverletzung (bei oder oberhalb von C5) betrifft die Atemmuskulatur und erzeugt eine respiratorische Insuffizienz, die Beatmungspflicht bedeuten kann, besonders bei Patienten mit Verletzungen bei oder oberhalb von C3. Autonome Dysfunktion aufgrund von Verletzungen der Halswirbelsäule kann zu Bradykardie und Hypotonie führen; dieser Zustand wird als neurogener Schock bezeichnet. Im Gegensatz zu anderen Schockformen bleibt die Haut warm und trocken. Es kann sich eine Arrhythmie mit Blutdruckinstabilität entwickeln. Menschen mit einer hohen Verletzung der Wirbelsäule versterben oft an einer Pneumonie, v. a. wenn eine Beatmungspflicht besteht.

Die schlaffe Lähmung geht über Stunden bis Wochen allmählich in eine spastische Lähmung mit verstärkten tiefen Sehnenreflexen aufgrund des Verlusts der absteigenden Hemmung über. Bei intaktem Lumbosakralmark kommt es später zu einer Beugespastik, und die autonomen Reflexe kehren zurück.

Unvollständige Rückenmarkdurchtrennung

Bei unvollständiger Rückenmarkverletzung kommt es zu einer motorischen Beeinträchtigung und zu einer Sinnesbeeinträchtigung, und die tiefen Sehnenreflexe können hyperaktiv sein, aber die Empfindung bleibt zumindest in den Segmenten S4 bis S5 erhalten. Je nach Ätiologie kommt es zu einem permanenten oder vorübergehenden partiellen Verlust der Motorik und Sensibilität. Die Funktion kann kurzfristig aufgrund einer Erschütterung des Rückenmarks oder langfristiger durch eine Kontusion oder Verletzung des Rückenmarks ausfallen. Manchmal jedoch führt eine schnelle Schwellung des Rückenmarks zu einer totalen neurologischen Dysfunktion, die einer vollständigen Rückenmarksverletzung ähnelt; dieser Zustand wird als Wirbelsäulenschock bezeichnet (nicht zu verwechseln mit einem neurogenen Schock). Die Symptome klingen nach ein bis mehreren Tagen ab, aber es bleibt häufig eine Restinvalidität.

Die Manifestationen hängen davon ab, welcher Rückenmarkabschnitt betroffen ist (siehe Tabelle Rückenmarkssyndrome).

Es werden verschiedene Syndrome unterschieden. Das Brown-Séquard-Syndrom entsteht bei einer halbseitigen Schädigung des Rückenmarks. Die Patienten haben eine gleichseitige spastische distale Lähmung mit Störung der Tiefensensibilität und eine kontralaterale Störung der Schmerz- und Temperaturempfindung.

Vorderstrangsyndrome (v. a. Spinalis-anterior-Syndrom) resultieren aus einem direkten Trauma des Vorderstrangs oder der A. spinalis anterior. Die Patienten verlieren unterhalb der Läsion die motorische Kontrolle und das Schmerzempfinden. Die posterioren Rückenmarkfunktionen (Vibrationsempfinden, Propriozeption) sind intakt.

Das zentralen Rückenmarksyndrom tritt gewöhnlich bei Patienten mit einem verengten zervikalen Spinalkanal (angeboren oder degenerativ) nach einer Hyperextensionsverletzung auf. Die motorische Funktion der Arme ist stärker beeinträchtigt als die der Beine. Wenn die hinteren Bahnen betroffen sind, ist das Empfinden für Haltung, Vibration und Berührung beeinträchtigt. Geht es um die spinothalamischen Bahnen, geht das Empfinden für Schmerz, Temperatur und oft auch für leichte oder starke Berührungen verloren. Rückenmarkblutungen (Hämatomyelie) nach einem Trauma sind gewöhnlich auf die zentrale graue Substanz begrenzt, was zu den Symptomen einer Schädigung der unteren Motoreuronen führt, die in der Regel permanent ist (Muskelschwäche und -schwund, Faszikulationen und abgeschwächte Reflexe an den Armen). Die motorische Schwäche ist meist proximal betont und wird von einer selektiven Einschränkung der Schmerz- und Temperaturempfindung begleitet.

Läsionen der Cauda equina

Ein Verlust der Motorik oder Sensorik oder beides, in der Regel teilweise, tritt in den distalen Beinen auf. Sinnesymptome sind in der Regel bilateral, aber in der Regel asymmetrisch und betreffen eine Seite mehr als die andere. Die Sensibilität ist gewöhnlich in der perinealen Region eingeschränkt (Reithosenanästhesie). Es kann eine Dysfunktion von Darm und Blase auftreten, entweder als Inkontinenz oder als Retention. Männer können eine erektile Dysfunktion und Frauen eine verminderte sexuelle Reaktion haben. Der anale Sphinktertonus ist schwach, der Bulbocavernosusreflex und der anale Tonus sind jedoch normal. Diese Befunde können denen des conus medullaris-Syndroms ähnlich sein.

Komplikationen bei Verletzung des Rückenmarks

Die Folgen hängen von der Schwere und dem Ort der Schädigung ab. Die Atmung kann beeinträchtigt sein, wenn die Verletzung bei oder oberhalb des C5-Segments ist. Eine verminderte Motiliät erhöht die Gefahr von Blutgerinnseln, Harnwegsinfektionen, Kontrakturen, Atelektase, Pneumonie und Dekubitus. Es kann sich eine zur Behinderung führende Spastik entwickeln. Kardiovaskuläre Instabilität tritt häufig nach einer Zervixkordverletzung auf und steht in Zusammenhang mit neurogenem Schock und autonomer Dysreflexie, die als Reaktion auf auslösende Ereignisse wie Schmerzen oder Druck auf den Körper auftreten. Chronische neurogene Schmerzen können sich in einem brennenden oder stechenden Charakter manifestieren.

Diagnose des Wirbelsäulentraumas

  • Berücksichtigung von Verletzungen bei Hochrisiko-Patienten, auch solchen ohne Symptome

  • CT

Wirbelverletzungen bedingt durch Traumen sind nicht immer offensichtlich. Verletzungen an der Wirbelsäule und des Rückenmarks müssen bei Patienten in Betracht gezogen werden mit

  • Verletzungen, die den Kopf betreffen

  • Beckenfrakturen

  • Penetrierende Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule

  • Bei Autounfälle erlittene Verletzungen

  • Schwere stumpfe Verletzungen

  • Verletzungen durch Sturz oder Eintauchen ins Wasser

Bei älteren Patienten muss eine Wirbelsäulenverletzung auch nach kleineren Stürzen in Betracht gezogen werden.

Eine Verletzung der Wirbelsäule und des Rückenmarks sollte auch bei Patienten mit verändertem Sensorium, lokalisierter Wirbelsäulendruckschmerzemfpindlichkeit, anderen schmerzhaften und dadurch ablenkenden Verletzungen oder kompatiblen neurologischen Defiziten berücksichtigt werden.

Die Diagnose von Wirbelsäulen- und Rückenmarkverletzungen umfasst die Beurteilung der Nervenfunktion, einschließlich Reflex, Motorik, Sensorik und Bildgebung.

Die Verletzungsmanifestationen können anhand der ASIA (American Spinal Injury Association) Impairment Scale oder eines ähnlichen Instruments (siehe Tabelle Rückenmarkverletzungs-Skala) charakterisiert werden.

Tabelle

Nervenstudien

Die motorische Funktion wird an sämtlichen Extremitäten geprüft. Die Sensibilitätsprüfung sollte leichte Berührungen (Hinterstrangfunktion), Nadelstiche (Tractus spinothalamicus anterior) und Prüfung des Lagesinns (Hinterstrangfunktion) umfassen. Die Identifizierung der sensorischen Ebene erfolgt am besten durch eine Prüfung von distal nach proximal und durch die Prüfung der thorakalen Nervenwurzeln auf dem Rücken, um zu vermeiden, dass die für das zentromedulläre Syndrom charakteristische zervikale "umhangartige" Verteilung (mit sensorischen Veränderungen im oberen Rücken, an der Nackenbasis und an den proximalen Oberarmen) zu einer Verwechslung führt. Priapismus zeigt eine Schädigung des Rückenmarks. Der Rektaltonus kann vermindert sein und die tiefen Sehenreflexe können überschießend oder abgeschwächt sein.

Bildgebende Verfahren

Traditionell werden Röntgenbilder von allen möglicherweise verletzten Bereichen gemacht. CT-Aufnahmen werden von Bereichen angefertigt, die auf den Röntgenbildern abnormal erscheinen und bei Stellen, die klinisch auffällig sind. Allerdings wird die CT zunehmend als primäres bildgebendes Verfahren bei Wirbelsäulenverletzungen verwendet, weil es eine bessere diagnostische Genauigkeit aufweist und in vielen Trauma-Zentren leicht verfügbar ist.

Eine MRT hilft bei der Identifizierung der Art und Lage der Verletzungen des Rückenmarks, sie ist die genaueste Studie zur Abbildung des Rückenmarks und anderer Weichteile, steht aber nicht immer sofort zur Verfügung.

Wird eine Fraktur der Halswirbelsäule, eine Subluxation oder eine Bandverletzung festgestellt, ist in der Regel eine vaskuläre Untersuchung erforderlich (in der Regel eine CT-Angiographie), um eine gleichzeitige Verletzung der Karotis oder der A. vertebralis auszuschließen (1).

Diagnosehinweis

  1. 1. Burlew CC, Biffl WL, Moore EE, et al: Blunt cerebrovascular injuries: Redefining screen criteria in the era of non-invasive diagnosis. J Trauma Acute Care Surg 72(2):p 539, 2012. | doi: 10.1097/TA.0b013e31824b6133

Behandlung des Wirbelsäulentraumas

  • Immobilisierung

  • Aufrechterhaltung von Sauerstoffversorgung und Durchblutung des Rückenmarks

  • Unterstützende Behandlung

  • Chirurgische Stabilisierung, wenn indiziert

  • Langfristige symptomatische Pflege und Rehabilitation

Akutversorgung

Richtlinien für das Management von akuten Halswirbelsäulen- und Rückenmarksverletzungen sind bei der American Association of Neurological Surgeons und dem Congress of Neurological Surgeons (1) verfügbar.

Ein wichtiges Ziel besteht darin, eine sekundäre Schädigung der Wirbelsäule und des Rückenmarks zu verhindern.

Bei instabilen Verletzungen können Flexion oder Extension der Wirbelsäule das Rückenmark quetschen oder durchtrennen. Wenn verletzte Personen also bewegt werden, kann eine unangemessene Handhabung zu Para- oder Tetraplegie oder auch zum Tod führen.

Bei Patienten, die eine Verletzung der Wirbelsäule haben können, sollte die Wirbelsäule sofort immobilisiert werden; der Hals wird bei der endotrachealen Intubation manuell gerade ausgerichtet (Inline-Stabilisierung). So bald wie möglich wird die Wirbelsäule voll und ganz auf einer festen, flachen, gepolsterten Bahre oder einer ähnlichen Unterlage immobilisiert. Die Position sollte dabei ohne übermäßigen Druck stabilisiert werden. Ein sogenannter Stiffneck sollte zur Immobilisierung der Halswirbelsäule angelegt werden. Patienten mit Brust- oder Lendenwirbelsäulenverletzungen können in der Bauch- oder Rückenlage transportiert werden. Bei Patienten mit einem Halsmarktrauma, das respiratorische Probleme induzieren kann, erfolgt der Transport in Rückenlage, wobei immer auf das Freihalten der Atemwege geachtet und eine Brusteinengung vermieden werden soll. Die Einweisung in ein Traumzentrum ist wünschenswert.

Die medizinische Versorgung sollte darauf ausgerichtet sein, Hypotonie und Hypoxie zu vermeiden, die beide das verletzte Rückenmark weiter belasten können. Viele Experten befürworten die Aufrechterhaltung eines leicht erhöhten Blutdrucks mit einem mittleren arteriellen Druck (MAP) von ≥ 85 bis 90 mmHg für 5 bis 7 Tage, um die Perfusion des Rückenmarks zu verbessern und hypotensive Episoden zu vermeiden, die die Genesung beeinträchtigen könnten (1, 2, 3). Die MAP-Ziele können durch Volumenexpansion mit Kristalloiden und/oder Kolloiden, Vasopressoren oder eine Kombination davon erreicht werden. Verletzungen oberhalb von T6–T7 werden mit Vasopressoren behandelt, die chronotrope und inotrope Wirkungen haben, wie z. B. Noradrenalin und Dopamin, da sie die Sympathikusleistung zu den thorakalen kardiopulmonalen Nerven beeinträchtigen. Läsionen unterhalb von T7 können ausreichend auf reine Vasokonstriktoren wie Phenylephrin ansprechen. Die Sauerstoffsättigung sollte 90% gehalten werden, um eine Ischämie des Rückenmarks zu verhindern. Bei zervikalen Verletzungen oberhalb von C5, die den phrenischen Nerveninput beeinträchtigen, sind in der Regel Intubation und Atemunterstützung erforderlich.

Große Dosen von Kortikosteroiden, die innerhalb von 8 Stunden nach einer Rückenmarksverletzung begonnen wurden, wurden lange Zeit verwendet, um das Ergebnis bei stumpfen Verletzungen zu verbessern, aber mehrere randomisierte klinische Studien an Erwachsenen haben nicht nur keinen zusätzlichen klinischen Nutzen gezeigt, sondern auch ein erhöhtes Risiko einer Wundinfektion dokumentiert, Lungenembolie, Sepsis und Tod (1). Der Einsatz von Kortikosteroiden ist daher rückläufig und wird von der American Association of Neurological Surgeons/Congress, nicht empfohlen, auch wenn das Thema nach wie vor etwas umstritten ist. Alternativ empfehlen die Leitlinien der AO Spine eine 24-stündige Infusion von hochdosiertem Methylprednisolon (30 mg/kg Bolus + 5,4 mg/kg/Stunde über 23 Stunden) für Patienten, die innerhalb von 8 Stunden nach ihrer Verletzung eingeliefert werden. Diese Empfehlung stützt sich auf eine systematische Überprüfung aller drei randomisierten klinischen Studien, die einen mäßigen Nutzen für Patienten ergab, die bald nach der Verletzung ins Krankenhaus kommen, ohne dass es zu einer Zunahme von Komplikationen kommt (4).

Verletzungen werden mit Ruhe, Schmerzmitteln und muskelentspannenden Mitteln mit oder ohne Operation behandelt, bis Schwellungen und lokale Schmerzen abgeklungen sind. Weitere Allgemeinbehandlung von Traumapatienten ist, so weit notwendig, vorgesehen

Instabile Verletzungen werden ruhiggestellt, bis knöcherne und Weichteilverletzungen abgeheilt sind, um eine saubere Ausrichtung zu gewährleisten. Manchmal sind eine chirurgische Knochenfusion und interne Fixierung erforderlich. Im Gegensatz dazu können Patienten mit inkompletten Rückenmarkverletzungen nach der Dekompression noch signifikante neurologische Verbesserungen aufweisen. Dagegen ist eine nennenswerte Rückkehr der neurologischer Funktionen bei kompletten Verletzungen unterhalb des Schädigungsniveaus unwahrscheinlich. Bei einer kompletten Rückenmarkverletzung bezweckt die Chirurgie deshalb eine Stabilisierung der Wirbelsäule mit dem Ziel einer frühzeitigen Mobilisierung.

Es kann erforderlich sein, die durch Knochenfragmente, epidurale Hämatome oder akute Fehlstellungen verursachte Kompression zu beseitigen. Viele Chirurgen empfehlen die manuelle Reposition am Krankenbett noch vor der MRT (oder Operation) bei Translations-, Rotations- oder Distraktionsverletzungen der Halswirbelsäule, die eine aktive Kompression des Rückenmarks verursachen. Im Allgemeinen sollten jedoch Patienten mit deutlichen neurologischen Ausfällen infolge eines Wirbelsäulentraumas vor einem chirurgischen Eingriff einer MRT-Untersuchung unterzogen werden, um die Weichteilverletzung zu definieren und eine aktive Kompressionspathologie auszuschließen. Frühzeitige Chirurgie ermöglicht eine frühere Mobilisierung und Rehabilitation. Jüngste retrospektive und prospektive Studien legen nahe, dass der optimale Zeitpunkt für eine Dekompressionsoperation bei unvollständigen Rückenmarksverletzungen innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung liegt. Bei vollständigen Verletzungen wird eine Operation manchmal innerhalb der ersten paar Tagen durchgeführt, aber es ist nicht klar, ob dieses Timing Auswirkungen auf das Ergebnis hat. Die bisher einzige randomisierte kontrollierte Studie, die den Zeitpunkt der Operation bei Rückenmarksverletzungen untersuchte, analysierte unvollständige und vollständige Rückenmarksverletzungen gemeinsam. In dieser Studie wurde ein besseres neurologisches Ergebnis nach 6 Monaten festgestellt, wenn die Dekompressionsoperation innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung und nicht später durchgeführt wurde (5).

Andere invasive Behandlungen, die noch untersucht werden, sind das Einlegen von Lumbaldrainagen zur Ableitung von Liquor bei Rückenmarksverletzungen und die chirurgische Duroplastie bei Dekompressionsoperationen. Beide Techniken zielen darauf ab, den erhöhten intrathekalen Liquordruck (und die daraus resultierenden Sekundärschäden) zu verringern, der durch die Kontusion und das Ödem des Rückenmarks verursacht wird.

In der Pflege wird besonders auf das Vermeiden von Harn- und Atemwegsinfekten sowie von Druckgeschwüren geachtet, indem der immobilisierte Patient z. B. alle 2 h gedreht wird (ggf. auf einem Bett mit Bauchlage). Auch die Prophylaxe einer tiefen Beinvenenthrombose ist notwendig. Bei immobilen Patienten, bei denen eine Antikoagulation kontraindiziert ist, könnte ein herausnehmbarer Vena-cava-Filter in Betracht gezogen werden.

Langzeitversorgung nach Verletzung des Rückenmarks

Die Spastik mancher Patienten kann gut auf Medikamente ansprechen. Bei Spastiken nach Rückenmarktraumen wird üblicherweise Baclofen 5 mg 3-mal täglich (maximal 80 mg über 24 h) und Tizanidin 4 mg 3-mal täglich (maximal 36 mg über 24 h) verordnet. Eine intrathekale Baclofengabe von einmal 50–100 mcg einmal täglich kann bei ineffizienter oraler Applikation erwogen werden.

Eine Rehabilitation ist notwendig, um die größtmögliche Erholung des Patienten zu erreichen. Sie erfolgt am besten durch ein Team, das Physiotherapie, Muskelaufbautraining und Beratungen kombiniert, die den sozialen und emotionalen Bedürfnissen Rechnung tragen. Geleitet wird ein solches Team am besten durch einen Rehabilitationsmediziner. Dazu gehören normalerweise Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Ernährungsberater, Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten und ein Reha-Berater für berufliche und Lebensgestaltungsfragen.

Die Physiotherapie konzentriert sich auf die Stärkung der Muskulatur, passive Dehnungsübungen um Krämpfen vorzubeugen und den Einsatz von Hilfsmitteln wie Orthesen, Gehhilfen oder Rollstuhl, die die Mobilität erhöhen sollen. Es werden auch Strategien zur Kontrolle von Spastik, autonomer Dysreflexie und Neuralgie gelehrt.

Die Beschäftigungstherapie richtet sich auf das Wiedererlangen feinmotorischer Fertigkeiten. Ein Blasen- und Mastdarmtraining vermittelt Entleerungstechniken, eine intermittierende Katheterisierung kann erforderlich sein. Oft ist zur Darmentleerung eine zeitlich abgestimmte Laxanzienstimulation notwendig.

Zur beruflichen Rehabilitation gehört die Einschätzung der grob- und feinmotorischen Fertigkeiten ebenso wie der kognitiven Möglichkeiten, um die Chancen für eine sinnvolle Beschäftigung auszuloten. Der Berufsberater hilft dann dabei, mögliche Arbeitsplätze zu definieren, und bestimmt die notwendigen Unterstützungsmaßnahmen und Arbeitsplatzmodifikationen. Ein Reha-Berater widmet sich mit einem ähnlichen Ansatz der Identifizierung und Ausgestaltung möglicher Hobbys und sportlicher und anderer Aktivitäten.

Die psychologische Betreuung soll die Depersonalisation und die beinahe unvermeidbare Depression bekämpfen, die sich nach dem Verlust der Kontrolle über den Körper einstellt. Sie ist entscheidend für den Erfolg aller anderen Reha-Maßnahmen. Sie muss von Bemühungen zur Anpassung des Patienten an die neue Situation begleitet sein und die aktive Beteiligung von Familie und Freunden suchen.

Prüftherapien

Behandlungen, um die Nervenregeneration zu fördern und die Bildung von Narbengewebe im Rückenmark zu minimieren, werden noch untersucht. Solche Behandlungen umfassen die Implantation eines Polymergerüstes auf der Ebene der Schnurverletzung sowie Injektionen von autologen, inkubierten Makrophagen, Oligodendrozyten aus menschlichen embryonalen Stammzellen, neuralen Stammzellen und trophischen Faktoren. Die Stammzellforschung wird evaluiert, viele Untersuchungen an Tieren haben vielversprechende Ergebnisse gezeigt und es wurden mehrere klinische Phase-I und -II-Studien mit Menschen durchgeführt.

Die Implantation eines epiduralen Stimulators ist eine andere Behandlungsmethode, die untersucht wird, um die freiwilligen Bewegung nach einer Rückenmarksverletzung zu verbessern. Während der epiduralen Stimulation, werden elektrische Impulse an die Oberfläche des Rückenmarks unterhalb der Verletzung gegeben.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Walters BC, Hadley MN, Hurlbert RJ, et al: Guidelines for the management of acute cervical spine and spinal cord injuries: 2013 Updates. Neurosurgery 60(CN_suppl_1):82–91. doi: 10.1227/01.neu.0000430319.32247.7f

  2. 2. Hawryluk G, Whetstone W, Saigal R, et al: Mean arterial blood pressure correlates with neurological recovery after human spinal cord injury: Analysis of high frequency physiologic data. J Neurotrauma 32(24):1958–1967, 2015. doi: 10.1089/neu.2014.3778

  3. 3. Vale FL, Burns J, Jackson AB, et al: Combined medical and surgical treatment after acute spinal cord injury: Results of a prospective pilot study to assess the merits of aggressive medical resuscitation and blood pressure management. J Neurosurg 87(2):239–246, 1997. doi: 10.3171/jns.1997.87.2.0239

  4. 4. Fehlings MG, Wilson JR, Tetreault LA, et al: A clinical practice guideline for the management of patients with acute spinal cord injury: Recommendations on the use of methylprednisolone sodium succinate. Global Spine J7(3 Suppl):203S-211S, 2017. doi: 10.1177/2192568217703085

  5. 5. Fehlings MG, Vaccaro A, Wilson JR, et al: Early versus delayed decompression for traumatic cervical spinal cord injury: Results of the Surgical Timing in Acute Spinal Cord Injury Study (STASCIS). PLoS One 7(2):e32037, 2012. doi:10.1371/journal.pone.0032037

Prognose bei Wirbelsäulentrauma

Die Durchtrennung des Rückenmarks führt zu einer irreparablen Schädigung und einem dauerhaften Verlust der neurologischen Funktion unterhalb der Verletzungsstelle. Die Abtrennung der Nervenwurzel führt ebenfalls zu einem dauerhaften Funktionsverlust; weniger schwere traumatische Verletzungen durch Kompression oder Dehnung des Nervengewebes können je nach dem Grad der Verletzung der Axone, des Endoneuriums und des Epineuriums zu einer Wiederherstellung der Funktion führen. (Siehe Seddon-Klassifikation [1] und Sunderland-Klassifikation [2].) Die Rückkehr von etwas Bewegung oder Empfindung in der ersten Woche nach der Verletzung lässt auf eine positive Rekonvaleszenz hoffen. Eine Dysfunktion, die nach 6 Monaten noch vorhanden ist, wird wahrscheinlich dauerhaft sein; jedoch kann sich ein American Spinal Injury Association (ASIA)-Grad um einen Grad innerhalb eines Jahres nach der Verletzung verbessern. Einige Forschungen zeigen die Rückkehr einiger Funktion bei zurückliegenden kompletten Rückenmarksverletzungen mit Rückenmarkstimulation.

Literatur zur Prognose

  1. 1. Seddon HJ: Three types of nerve injury. Brain 66(4):237–288, 1942. doi.org/10.1093/brain/66.4.237

  2. 2. Sunderland S: A classification of peripheral nerve injuries producing loss of function. Brain 74(4):491–516, 1951. https://doi.org/10.1093/brain/74.4.491

Wichtige Punkte

  • Zusätzlich zu den Patienten mit offensichtlichen Wirbelsäulentraumata vermutet man Rückenmarksverletzungen bei Patienten mit erhöhtem Risiko für Wirbelsäulenverletzungen, einschließlich älterer Patienten, die möglicherweise einen Sturz erlitten haben, und Patienten mit einem veränderten Sensorium, neurologischen Defiziten, die auf eine Rückenmarksverletzung hindeuten, oder lokalisierter Wirbelsäulenschmerzen.

  • Um die Diagnose einer unvollständigen Rückenmarkverletzung abzusichern, werden motorische und sensorische Funktionen überprüft (einschließlich leichte Berührung, Nadelstich und Positionsempfindung), sowie nach einer unverhältnismäßigen Schwäche in den oberen Extremitäten gefahndet.

  • Eine unmittelbare Immobilisierung der Wirbelsäule ist bei Patienten wichtig, die ein Risiko haben.

  • Eine sofortige CT oder, wenn verfügbar, MRT, sollte veranlasst werden.

  • Eine Operation innerhalb von 24 h nach der Verletzung sollte anberaumt werden, wenn Patienten eine unvollständige Rückenmarkverletzung haben.

  • Irreversible Verletzung des Rückenmarks werden mit multimodaler Rehabilitation und Medikamenten zur Kontrollierung der Spastik behandelt.

Weitere Informationen

Die folgenden englischsprachigen Quellen können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MSD-Manual nicht für den Inhalt dieser Quellen verantwortlich ist.

  1. American Spinal Injury Association (ASIA): (New) International standards for neurological classification of spinal cord injury (ISNCSCI) 2019 revision released.

  2. ASIA and ISCoS International Standards Committee: The 2019 revision of the International Standards for Neurological Classification of Spinal Cord Injury (ISNCSCI)-What's new? Spinal Cord 57(10):815-817, 2019. doi: 10.1038/s41393-019-0350-9