Überblick über Erkrankungen des Rückenmarks

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Feb. 2023
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Erkrankungen des Rückenmarks können eine bleibende schwere neurologische Behinderung verursachen. Bei einigen Patienten kann eine solche Behinderung vermieden oder minimiert werden, sofern Abklärung und Behandlung schnell erfolgen.

Anatomie des Rückenmarks

Das Rückenmark erstreckt sich kaudalwärts von der Medulla oblongata im Bereich des Foramen magnum bis zum obersten Lendenwirbel, in der Regel zwischen L1 und L2, wo es den Conus medullaris bildet. In der Lumbosakralregion steigen Nervenwurzeln, die von den unteren Rückenmarksegmenten kommen, innerhalb des Spinalraums in einem pferdeschweifartigen Bündel ab und formen die Cauda equina.

Die weiße Substanz an der Peripherie des Rückenmarks enthält aszendierende und deszendierende Bahnen myelinisierter sensibler und motorischer Nervenfasern. Die zentrale, H-förmige graue Substanz besteht aus Zellkörpern und nichtmyelinisierten Fasern (siehe Abbildung Spinalnerv). Die Vorderhörner (ventrale Anteile) des „H“ enthalten die unteren Motoneurone; diese beziehen Impulse aus dem motorischen Kortex über die absteigenden kortikospinalen Bahnen und, auf der jeweiligen Höhe, von Interneuronen und afferenten Fasern aus den Museklspindlen. Die Axone der unteren Motoneuronen sind die efferenten Fasern der Spinalnerven. Die Hinterhörner (dorsale Anteile) enthalten sensible Fasern, die ihren Ursprung in Zellkörpern in den Hinterwurzelganglien haben. Die graue Substanz enthält auch viele Interneuronen, die motorische, sensible oder reflektorische Impulse von den dorsalen zu den ventralen Nervenwurzeln, von einer Seite des Rückenmarks auf die andere oder von einem Segment zum anderen weitergeben.

Der Tractus spinothalamicus überträgt die Schmerz- und Temperaturempfindung der kontralateralen Körperhälfte in das Rückenmark; die meisten anderen Bahnen übertragen Information aus der ipsilateralen Körperhälfte. Das Rückenmark ist in funktionelle Segmente (Höhen) eingeteilt, die annähernd den 31 Paaren der spinalen Nervenwurzeln entsprechen.

Spinalnerv

Ätiologie von Erkrankungen des Rückenmarks

Erkrankungen des Rückenmarks sind in der Regel zurückzuführen auf Störungen außerhalb des Rückenmarks (extrinsisch) wie die Folgenden:

Weniger häufig liegen die Störungen innerhalb des Rückenmarks (intrinsisch). Zu den intrinsischen Störungen gehören RückenmarksInfarzierung, Blutung, transverse Myelitis, HIV-Infektion, Poliovirusinfektion, West-Nil-Infektion, Syphilis (kann Tabes dorsalis verursachen), COVID-19, Trauma, Vitamin-B12-Mangel (führt zu funikulärer Myelose), Dekompressionskrankheit, Verletzung durch Blitzschlag (kann zu Keraunoparalyse (vorübergehende Lähmung und sensorische Defizite bei Ischämie) führen), Strahlentherapie (kann eine Myelopathie verursachen), Syrinx und Rückenmarkstumor. Arteriovenöse Malformationen können extrinsisch oder intrinsisch sein. Kupfermangel kann eine Myelopathie zur Folge haben, ähnlich derjenigen durch Vitamin-B12-Mangel.

Spinalnervenwurzeln außerhalb des Rückenmarks können ebenfalls geschädigt sein.

Symptome und Beschwerden von Erkrankungen des Rückenmarks

Eine neurologische Funktionsstörung durch eine Erkrankung des Rückenmarks manifestiert sich im betroffenden Rückenmarksegment (siehe tabelle Motorische und reflektorische Effekte der Rückenmarkstörung auf Segmentebene) und in allen Segmenten darunter. Die Ausnahme bildet das zentrale Rückenmarkssyndrom (siehe Tabelle Rückenmarkssyndrome), das tiefer gelegene Segmente aussparen kann.

Tabelle

Erkrankungen des Rückenmarks verursachen verschiedene Symptomkonstellationen in Abhängigkeit davon, welche Nervenbahnen innerhalb des Rückenmarks oder welche Spinalwurzeln außerhalb des Rückenmarks geschädigt sind. Störungen, die die Spinalnerven, jedoch nicht direkt das Mark in Mitleidenschaft ziehen, verursachen sensorische und/oder motorische Ausfälle nur in den von den betroffenen Spinalnerven versorgten Gebieten.

Eine Rückenmarkdysfunktion verursacht

  • Parese

  • Verlust der Empfindung

  • Reflexänderungen

  • Autonome Dysfunktion (z. B. Darm, Blase und erektile Dysfunktion; Verlust der Schweißsekretion)

Die Funktionsstörung kann partiell (inkomplett) sein. Autonome Störungen und Reflexanomalien sind in der Regel die objektivsten Zeichen einer Fehlfunktion des Rückenmarks; Sensibilitätsstörungen sind am wenigsten objektiv.

Tabelle

Läsionen des kortikospinalen Bahnensystems verursachen Störungen der oberen Motoneurone. Akute, schwere Läsionen (z. B. Infarkt, traumatische Läsionen) verursachen einen spinalen Schock mit schlaffer Lähmung (verminderter Muskeltonus, Hyporeflexie und kein positives Babinski-Zeichen). Nach Tagen oder Wochen entwickelt sich die Dysfunktion der oberen Motoneurone zu einer spastischen Lähmung (erhöhter Muskeltonus, Hyperreflexie und Klonus). Dann liegen ein positives Babinski-Zeichen und autonome Funktionsstörungen vor. Eine schlaffe Lähmung, die mehr als ein paar Wochen lang dauert, weist auf eine Dysfunktion von unteren Motoneuronen hin (z. B. aufgrund eines Guillain-Barré-Syndroms).

Spezifische Rückenmarkssyndrome sind (siehe Tabelle Rückenmarkssyndrome):

  • Transverse Myelopathie

  • Brown-Séquard-Syndrom

  • Zentralkabel-Syndrom

  • Spinalis-anterior-Syndrom

  • Conus-medullaris-Syndrom

Das Cauda-equina-Syndrom, das Schädigungen der Nervenwurzeln am kaudalen Ende des Rückenmarks aufweist, ist kein Rückenmarkssyndrom. Allerdings imitiert es das Conus-medullaris-Syndrom, verursacht eine Beinparese und einen sensorischen Verlust mit Beteiligung der betroffenen Nervenwurzeln (oft im Sattelbereich) sowie einer Blasen-, Darm- und Pudendus-Dysfunktion.

Diagnose von Erkrankungen des Rückenmarks

  • MRT

Neurologische Defizite auf einer segmentalen Höhe sprechen für eine Erkrankung des Rückenmarks. Ähnliche Defizite, v. a. wenn sie einseitig sind, können durch eine Nervenwurzel- oder periphere Nervenkrankheit verursacht werden; dies kann aber meist klinisch differenziert werden. Höhe und Muster einer Rückenmarksfunktionsstörung helfen dabei, über das Vorliegen und die Lokalisation einer Rückenmarksläsion zu entscheiden, jedoch nicht immer über die Art der Läsion.

Die MRT ist die genaueste bildgebende Untersuchung bei Erkrankungen des Rückenmarks: sie zeigt das Rückenmarkparenchym, Weichteilläsionen (z. B. Abszesse, Hämatome, Tumoren, Anomalien der Bandscheiben) und knöcherne Läsionen (z. B. Erosion, schwere hypertrophe Veränderungen, Sinterungen, Fraktur und Subluxation, Tumoren).

Die Myelographie mit einem röntgendichten Mittel, gefolgt von CT, wird seltener eingesetzt. Sie ist nicht so genau wie die MRT und ist invasiver, kann aber leichter verfügbar sein und kann für Patienten benötigt werden, die sich keiner MRT unterziehen können (z. B. aufgrund eines permanenten Herzschrittmachers).

Nativ-Röntgenbilder können helfen, knöcherne Läsionen zu entdecken.

Behandlung von Erkrankungen des Rückenmarks

  • Behandlung der Ursache, wenn möglich

  • Prävention von Komplikationen

  • Physio- und Ergotherapie

Wenn die Symptome einer Erkrankung des Rückenmarks (z. B. Lähmungen, Gefühlsstörungen) plötzlich auftreten, ist eine Notfallbehandlung erforderlich.

Wenn möglich, wird die Ursache behandelt oder behoben.

Maßnahmen zur Vorbeugung von Problemen aufgrund von Bettruhe sind unerlässlich, wenn Patienten gelähmt oder ans Bett gefesselt sind.

Der weitreichende Verlust von Körperfunktionen kann verheerend sein und zu Depressionen und einem Verlust des Selbstwertgefühls führen. Eine formelle Beratung kann den Patienten helfen, den Funktionsverlust zu bewältigen und sie auf die Rehabilitation vorzubereiten.

Die Rehabilitation wird am besten durch ein interdisziplinäres Team (Krankenpflegepersonal, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sozialarbeiter, Ernährungsberater, Psychologen, Berater) durchgeführt; zum Team gehören auch der Patient und die Familienangehörigen.