Blutarmut (Anämie) beim Neugeborenen

VonAndrew W. Walter, MS, MD, Sidney Kimmel Medical College at Thomas Jefferson University
Überprüft/überarbeitet Nov. 2022
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Bei einer Anämie (Blutarmut) sind zu wenig rote Blutkörperchen im Blut.

  • Eine Anämie kann entstehen, wenn die roten Blutkörperchen zu rasch abgebaut werden, das Kind massiv Blut verliert oder die Knochenmarkszellen nicht genügend rote Blutkörperchen produzieren.

  • Wenn die roten Blutkörperchen zu schnell abgebaut werden, kann sich Anämie entwickeln, der Bilirubinspiegel (ein gelber Farbstoff, der beim normalen Abbau von roten Blutkörperchen entsteht) steigt an und die Haut und das Augenweiß des Neugeborenen färben sich gelb (eine Erkrankung, die als Gelbsucht bezeichnet wird).

  • Neugeborene, die plötzlich viel Blut verlieren, können schwer erkranken und sich in einem Schockzustand befinden, sehen meist sehr blass aus, haben eine hohe Herzfrequenz und einen niedrigen Blutdruck sowie eine schnelle, flache Atmung.

  • Ist der Blutverlust weniger dramatisch oder geht das Blut nur allmählich verloren, erscheint das Neugeborene möglicherweise normal und ist lediglich blass.

  • Zur Behandlung gehört die Zufuhr von Flüssigkeiten, die über eine Vene (intravenös) vorgenommen wird, gefolgt von einer Bluttransfusion oder einer Austauschtransfusion.

Mithilfe von Hämoglobin, einem Protein, das dem Blut seine rote Farbe gibt, transportieren die roten Blutkörperchen den Sauerstoff von der Lunge in alle Körpergewebe. Der Sauerstoff wird von den Zellen dazu verwendet, aus der Nahrung die Energie zu erzeugen, die der Körper benötigt. Dabei bleibt Kohlendioxid als Abfallprodukt übrig. Rote Blutkörperchen transportieren Kohlendioxid aus dem Gewebe heraus und zurück zur Lunge. Wenn die Zahl der roten Blutkörperchen zu niedrig ist, transportiert das Blut weniger Sauerstoff und es kommt zu Müdigkeit und Schwäche (siehe auch Überblick über Anämie bei Erwachsenen).

Knochenmark enthält spezielle Zellen, die für die Produktion von Blutzellen zuständig sind. Normalerweise produziert das Knochenmark zwischen der 3. und 4. Lebenswoche sehr wenige neue rote Blutkörperchen, wodurch die Anzahl der roten Blutkörperchen in den ersten 2 bis 3 Lebensmonaten langsam absinkt (was als physiologische Anämie bezeichnet wird).

Bei sehr unreifen Neugeborenen kommt es zu einem stärkeren Abfall der Anzahl der roten Blutkörperchen. In diesem Fall spricht man von einer Anämie bei Frühgeburt. Anämie bei Frühgeburt betrifft meistens Säuglinge, deren Gestationsalter (Zeitraum in der Gebärmutter nach Befruchtung der Eizelle) unter 32 Wochen liegt, und Säuglinge, die viele Tage im Krankenhaus verbracht haben.

Zu einer schwereren Anämie kann es kommen, wenn

  • Die roten Blutkörperchen zu schnell zerfallen (ein Prozess, der Hämolyse genannt wird).

  • Von Frühgeburten zu viel Blut für Blutuntersuchungen abgenommen wird.

  • Während der Wehen und während der Entbindung zu viel Blut verloren geht.

  • Das Knochenmark nicht genug neue rote Blutkörperchen produziert.

Mehrere dieser Situationen können gleichzeitig auftreten.

Schnelle Zerstörung der roten Blutkörperchen (Hämolyse)

Ein starker Zerfall der roten Blutkörperchen verursacht eine Anämie und hohe Bilirubinspiegel im Blut (Hyperbilirubinämie).

Eine hämolytische Erkrankung des Neugeborenen kann dazu führen, dass seine roten Blutkörperchen ungewöhnlich rasch durch Antikörper aus dem Blut der Mutter zerstört werden.

Zu einem schnellen Zerfall der roten Blutkörperchen beim Neugeborenen kann es auch kommen, wenn eine vererbbare Anomalie der roten Blutkörperchen vorliegt. Eine solche Krankheit ist z. B. die vererbbare Sphärozytose, bei der die roten Blutkörperchen unter dem Mikroskop wie kleine Kugeln aussehen.

Eine andere seltene Erkrankung tritt bei manchen Säuglingen auf, die einen Mangel eines roten Blutkörperchenenzyms aufweisen, das Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase genannt wird (G6PD-Mangel). Bei diesen Säuglingen kann es durch den Kontakt der Mutter oder des Fötus mit bestimmten Medikamenten während der Schwangerschaft zu einem raschen Zerfall der roten Blutkörperchen kommen (z. B. bei Anilinfarbstoffen, Sulfonamiden und vielen anderen Medikamenten).

Eine Hämolyse kann auch bei Hämoglobinopathien auftreten. Hämoglobinopathien sind genetische Störungen, bei denen der Aufbau oder die Bildung von Hämoglobin gestört ist. Hämoglobin ist ein Protein in den roten Blutkörperchen, das es den Zellen ermöglicht, Sauerstoff von der Lunge in alle Teile des Körpers zu transportieren. Thalassämie ist ein Beispiel für eine Hämoglobinopathie, die in seltenen Fällen bei Neugeborenen Probleme verursachen kann.

Auch durch Infektionen, deren Ansteckungen vor der Geburt liegen, z. B. mit Toxoplasmose-, Röteln-, Zytomegalie- oder Herpes-simplex-Viren oder Syphilis, sowie durch bakterielle Infektionen, die sich das Neugeborene während oder nach der Geburt zuzieht, können die roten Blutkörperchen rasch abgebaut werden.

Blutverlust

Blutverlust ist ein weiterer Grund für eine Anämie. Es kann viele Gründe für einen Blutverlust bei einem Neugeborenen geben. Ein Blutverlust kann z. B. dadurch entstehen, dass Blut vom Fötus die Plazenta passiert (das Organ, über das der Fötus mit der Gebärmutter verbunden ist und über das der Fötus ernährt wird) und in den Kreislauf der Mutter übertritt (Fötus-Mutter-Transfusion). Bei der Entbindung kann auch zu viel Blut in der Plazenta zurückgehalten werden, wenn das Neugeborene zu lange über den Bauch der Mutter gehalten wird, bevor die Nabelschnur abgeklemmt wird.

Fetofetale Transfusionen, bei denen das Blut von einem Fötus zum anderen fließt, können bei einem Fötus eine Anämie auslösen, während der andere Zwilling zu viel Blut erhält (Polyzythämie).

Vor der Entbindung kann sich die Plazenta von der Gebärmutterwand ablösen (Plazentaablösung) oder die Plazenta kann am falschen Ort angewachsen sein (Placenta praevia), was zu einer Blutung mit fetalem Blut führt.

Blutverlust kann auch bei verschiedenen invasiven Verfahren auftreten, bei denen der Fötus auf Gen- und Chromosomenanomalien getestet wird. Invasive Verfahren erfordern ein Einführen eines Instruments in den Körper der Mutter. Zu diesen Verfahren gehören die Amniozentese, Chorionzotten-Probenahme und Blutentnahme aus der Nabelschnur.

Manchmal verliert das Neugeborene durch eine Verletzung bei der Geburt Blut. Ein Riss in der Leber oder der Milz kann zum Beispiel zu innerem Bluten führen. In seltenen Fällen treten bei Verwendung einer Saugglocke oder Geburtszange bei der Geburt Blutungen im Inneren des Schädels des Neugeborenen auf.

Bei Neugeborenen mit einem Vitamin-K-Mangel kann auch ein Blutverlust eintreten. Vitamin K ist eine Substanz, die dem Körper bei der Bildung von Blutgerinnseln und Kontrolle von Blutungen hilft. Ein Vitamin-K-Mangel kann beim Neugeborenen eine hämorrhagische Krankheit auslösen, die durch eine Blutungsneigung gekennzeichnet ist. Neugeborene haben bei der Geburt normalerweise einen niedrigen Vitamin-K-Spiegel. Um einer Blutung vorzubeugen, erhalten Neugeborene bei der Geburt routinemäßig eine Vitamin K-Injektion.

Innere Blutungen, die zu Anämie führen, können bei Babys auftreten, die mit einer schweren, erblichen Blutungsstörung wie Hämophilie geboren werden, insbesondere bei einer schwierigen Entbindung.

Eine häufige Blutabnahme bei einem kranken Neugeborenen kann zur Anämie beitragen.

Verringerte Produktion roter Blutkörperchen

Vor der Geburt produziert das Knochenmark des Fötus vielleicht nicht genug neue rote Blutkörperchen. Diese seltene Störung kann zu schwerer Anämie führen. Eine solche fehlende Produktion kommt auch bei seltenen genetischen Störungen, wie z. B. dem Fanconi-Syndrom oder Diamond-Blackfan-Anämie, vor.

Außerdem können nach der Geburt manche Infektionen (z. B. Zytomegalievirus-Infektion, Syphilis und Infektion mit dem humanen Immunschwächevirus [HIV]) das Knochenmark daran hindern, rote Blutkörperchen zu bilden. In seltenen Fällen können Neugeborenen auch bestimmte Nährstoffe fehlen, wie Eisen, Folat (Folsäure) und Vitamin E, wodurch Anämie entstehen kann, weil das Knochenmark dann nicht genug rote Blutkörperchen produzieren kann.

Symptome einer Anämie beim Neugeborenen

Bei den meisten Säuglingen mit leichter oder mäßiger Anämie treten keine Symptome auf. Eine mittelschwere Anämie kann zu Teilnahmslosigkeit (Lethargie) oder Appetitlosigkeit führen oder auch gar keine Symptome hervorrufen.

Komplikationen einer Anämie bei Neugeborenen

Neugeborene, die während der Geburt plötzlich viel Blut verloren haben, können sich in einem Schockzustand befinden, sehen meist sehr blass aus, haben eine hohe Herzfrequenz und einen niedrigen Blutdruck sowie eine schnelle und flache Atmung.

Wenn eine Anämie auftritt, weil die roten Blutkörperchen zu schnell abgebaut werden, steigt zusätzlich der Bilirubinspiegel an und die Haut und das Augenweiß des Neugeborenen können sich gelb (Gelbsucht) färben.

Diagnose einer Anämie beim Neugeborenen

  • Vor der Geburt: pränatale Ultraschalluntersuchungen

  • Nach der Geburt: Symptome und Bluttests

Wenn Ärzte vor der Geburt einen pränatalen Ultraschall durchführen, sehen sie manchmal Anzeichen für Anämie des Fötus.

Die Diagnose von Anämie nach der Geburt basiert auf den Symptomen und wird mithilfe von Tests an der Blutprobe des Neugeborenen bestätigt. Darüber hinaus werden in einigen Bundesstaaten der USA Neugeborene auf einige der Ursachen von Anämie, wie z. B. G6PD-Mangel, untersucht.

Laboruntersuchung

Behandlung einer Anämie beim Neugeborenen

  • Bei durch schnellen Blutverlust hervorgerufener Anämie werden über die Vene Flüssigkeiten und eine Bluttransfusion gegeben.

  • Bei durch eine hämolytische Krankheit verursachter Anämie kann die Behandlung unterschiedlich sein.

  • Manchmal Eisenpräparate

Bei den meisten Frühgeborenen liegt nur eine leichte Anämie vor, die keine Behandlung erfordert.

Neugeborene, die schnell viel Blut verloren haben, häufig während der Wehen und der Entbindung, erhalten intravenös Flüssigkeit und dann eine Bluttransfusion.

Sehr schwere Fälle von Anämie, die durch eine hämolytische Erkrankung verursacht wurden, verlangen zwar ebenfalls häufig eine Bluttransfusion, meist werden sie jedoch mit einer sogenannten Austauschtransfusion behandelt, bei der gleichzeitig der Bilirubinspiegel gesenkt und die Anzahl der roten Blutkörperchen erhöht wird. Bei einer Austauschtransfusion wird regelmäßig eine kleine Menge Blut des Neugeborenen entfernt und mit der gleichen Menge Spenderblut ersetzt.

Manche Säuglinge erhalten flüssige Eisenpräparate, um deren Anzahl an roten Blutkörperchen schneller steigen zu lassen.

Bei Neugeborenen mit Gelbsucht kann eine Phototherapie oder „Bilirubin-Leuchte“ begonnen werden, um die Bilirubinkonzentration zu senken.