Überblick über Anämie

VonEvan M. Braunstein, MD, PhD, Johns Hopkins University School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Juli 2022
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Kurzinformationen

Anämie ist eine Erkrankung, bei der die Zahl der roten Blutkörperchen niedrig ist.

Mithilfe des in ihnen enthaltenen Hämoglobins transportieren die roten Blutkörperchen den Sauerstoff von der Lunge in alle Bereiche des Organismus. Ist die Zahl der roten Blutkörperchen niedrig, kann das Blut nicht mehr genügend Sauerstoff transportieren. Durch die unzureichende Sauerstoffversorgung der Gewebe entstehen die Symptome der Anämie.

Ursachen für eine Anämie

Die Ursachen von Anämie sind zahlreich, aber die meisten lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen:

  • Blutverlust (übermäßige Blutungen)

  • Unzureichende Bildung roter Blutkörperchen

  • Übermäßige Zerstörung roter Blutkörperchen

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Durch übermäßige Blutungen verursachte Anämie

Die Anämie kann durch übermäßige Blutungen verursacht werden. Starker Blutverlust kann z. B. plötzlich infolge einer Verletzung oder während einer Operation auftreten. Die Blutungen entwickeln sich häufig allmählich und kehren wieder (chronische Blutung), typischerweise aufgrund von Auffälligkeiten im Verdauungs- oder Harntrakt oder aufgrund starker Menstruationsblutungen. Chronische Blutungen lassen den Eisenspiegel typischerweise absinken, was die Anämie verschlimmert (siehe Eisenmangelanämie).

Durch unzureichende Bildung roter Blutkörperchen verursachte Anämie

Eine Anämie kann auch entstehen, wenn der Körper nicht genug rote Blutkörperchen produziert (siehe Die Bildung von Blutkörperchen). Für ihre Produktion sind viele Substanzen notwendig. Die wichtigsten sind Eisen, Vitamin B12 und Folsäure. Der Körper braucht aber auch Spuren von Kupfer sowie einen ausgeglichenen Hormonhaushalt (vor allem Erythropoetin, das die Bildung der roten Blutkörperchen anregt). Ohne diese Substanzen verläuft der Bildungsvorgang langsam und unangemessen, oder die roten Blutkörperchen sind deformiert und können den Sauerstoff nicht richtig transportieren.

Eine chronische Entzündung, Infektion oder Krebs können ebenfalls die Bildung roter Blutkörperchen unterdrücken. Unter anderen Umständen können Leukämie, Lymphome oder Metastasen in das Knochenmark eindringen und es ersetzen, wodurch die Produktion der roten Blutkörperchen absinkt.

Durch übermäßige Zerstörung roter Blutkörperchen verursachte Anämie

Auch wenn viele rote Blutkörperchen zerstört werden, kann es zu einer Anämie kommen. Rote Blutkörperchen leben im Allgemeinen rund 120 Tage. Fresszellen im Knochenmark, in der Milz und in der Leber entdecken und zerstören rote Blutkörperchen, die ihre übliche Lebensdauer erreicht oder überschritten haben. Wenn rote Blutkörperchen zu früh zerstört werden (Hämolyse), versucht das Knochenmark, das auszugleichen, indem es schneller neue Zellen bildet. Überschreitet die Zahl der zerstörten roten Blutkörperchen die der neu gebildeten, kommt es zur hämolytischen Anämie. Die hämolytische Anämie ist relativ selten im Vergleich zur Anämie, die durch starke Blutungen und verringerte Bildung von roten Blutkörperchen verursacht wird. Die hämolytische Anämie kann aufgrund von Störungen der roten Blutkörperchen selbst entstehen, aber häufiger ist sie auf Störungen zurückzuführen, die die Zerstörung der roten Blutkörperchen verursachen.

Symptome für Anämie

Die Symptome hängen davon ab, wie stark die Anämie ausgeprägt ist und wie schnell sie sich entwickelt. Einige Menschen mit leichter Anämie haben, vor allem wenn sie sich langsam entwickelt, keinerlei Symptome. Andere haben eventuell nur bei körperlicher Anstrengung Symptome. Eine stärkere Anämie kann sogar dann Beschwerden hervorrufen, wenn der Patient ruht. Die Symptome verstärken sich, wenn sich eine leichte oder schwere Anämie sehr schnell entwickelt, wie z. B. bei Blutungen beim Reißen eines Blutgefäßes.

Eine leichte Anämie kann Erschöpfung, Schwäche und Blässe verursachen. Abgesehen davon kann eine schwerere Anämie Schwächeanfall, Schwindel, verstärkten Durst, Schwitzen, schwachen und schnellen Puls und schnelles Atmen auslösen. Eine schwere Anämie kann zu starken Wadenkrämpfen bei Belastung, Kurzatmigkeit und Schmerzen im Brustkorb führen, vor allem, wenn der Betroffene bereits Probleme mit der Blutversorgung in den Beinen oder bestimmte Lungen- oder Herzkrankheiten hat.

Manche Symptome ermöglichen auch Rückschlüsse auf die Ursache der Anämie. Zum Beispiel legen schwarzer, teerartiger Stuhl, Blut im Urin oder Stuhl und das Husten von Blut nahe, dass Blutungen die Anämie verursachen. Dunkler Urin oder Gelbsucht (eine Gelbfärbung der Haut oder des Weißen im Auge) legt nahe, dass die Zerstörung roter Blutzellen die Anämie verursachen könnte. Ein brennendes Gefühl oder Prickeln in den Händen oder Füßen könnte auf einen Vitamin-B12-Mangel hindeuten.

Anämie bei älteren Erwachsenen

Viele eine Anämie verursachenden Erkrankungen wie Krebs (einschließlich Blutkrebs wie das myelodysplastische Syndrom und multiple Myelome) kommen tendenziell häufiger bei älteren Menschen vor. Daher entwickeln viele ältere Menschen eine Anämie. Die häufigsten Anämieursachen bei älteren Patienten sind chronische Erkrankungen (Anämie als Folge chronischer Erkrankungen: chronische Entzündung, Infektion oder Krebs) und Eisenmangel (Eisenmangelanämie), der durch ungewöhnliche Blutungen verursacht wird. Eine Anämie ist keine normale Konsequenz des Alterns. Wenn eine Anämie festgestellt wird, sollte immer nach der Ursache gesucht werden.

Die Symptome der Anämie sind ungeachtet des Alters grundsätzlich die gleichen. Außerdem neigen ältere Menschen eher als jüngere Menschen dazu, selbst wenn die Anämie leicht ist, verwirrt, depressiv, nervös oder schlapp zu werden. Sie werden vielleicht auch unsicherer und haben Probleme beim Laufen. Diese Probleme können ein unabhängiges Leben einschränken. Jedoch haben einige ältere Menschen mit leichter Anämie überhaupt keine Symptome, vor allem, wenn sich die Anämie langsam entwickelt, was häufig der Fall ist.

Bei älteren Menschen kann eine Anämie, die durch einen Vitamin-B12-Mangel verursacht wird, mit Demenz verwechselt werden, weil sich diese Art der Anämie auf die geistige Funktion auswirkt.

Anämie kann die Lebenserwartung älterer Menschen verkürzen. Daher ist es besonders wichtig, die Ursache zu erkennen und zu beheben.

Diagnose der Anämie

  • Bluttests

Manchmal kann Anämie durch routinemäßige Blutuntersuchungen festgestellt werden, bevor der Betroffene Symptome bemerkt.

Niedrige Hämoglobinwerte oder ein geringer prozentualer Anteil von roten Blutkörperchen im Verhältnis zum gesamten Blutvolumen (Hämatokrit) bestätigen die Anämie. Andere Tests, wie die Untersuchung einer Blutprobe unter einem Mikroskop und seltener die Untersuchung einer Knochenmarkprobe, helfen dabei, die Ursache der Anämie zu bestimmen.

Behandlung der Anämie

  • Behandlung der Anämieursache

  • Bei Bedarf Bluttransfusion

Die Behandlung der Anämie hängt von der Bestimmung der Ursache ab.

Bei Menschen mit übermäßigen Blutungen ist es am wichtigsten, die Blutung zu stillen. Wenn eine Wunde beispielsweise stark blutet, kann die Blutung durch Druck gestoppt werden; möglicherweise ist eine Operation notwendig. Blutungen im Magen-Darm-Trakt, z. B. durch ein Geschwür, können oft durch eine Endoskopie oder andere Maßnahmen gestillt werden. Bei chronischen Uterusblutungen ist es zum Beispiel gegebenenfalls notwendig, orale Kontrazeptiva einzunehmen oder die Gebärmuttermyome zu entfernen.

Eine unzureichende Bildung von Blutkörperchen wird häufig durch eine unzureichende Menge von Vitaminen oder Nährstoffen verursacht, die zur Blutbildung notwendig sind, wie z. B. Eisen oder Vitamin B12.

Menschen, deren rote Blutkörperchen vorzeitig zerstört werden (Hämolyse), müssen möglicherweise mit Medikamenten behandelt werden, die das Immunsystem unterdrücken.

Wenn die Anämie schwerwiegend ist oder Symptome verursacht, sind letztendlich möglicherweise Bluttransfusionen erforderlich und können lebensrettend sein.