Plötzlicher Hörverlust

VonLawrence R. Lustig, MD, Columbia University Medical Center and New York Presbyterian Hospital
Überprüft/überarbeitet Juni 2022
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Kurzinformationen

Ein plötzlicher Hörverlust ist ein mittelschwerer bis schwerer Hörverlust, der sich über wenige Stunden hinweg entwickelt oder beim Erwachen erkannt wird.

Ein solcher Hörverlust betrifft typischerweise nur ein Ohr (außer in Fällen, in denen die Ursache ein Arzneimittel ist). Je nach Ursache des plötzlichen Hörverlusts haben Menschen andere Symptome, wie z. B. Pfeifen in den Ohren (Tinnitus), Schwindel oder ein falsches Gefühl der Bewegung oder des Sich-Drehens (Vertigo). Ein plötzlicher Hörverlust tritt bei etwa 1 von 5.000 bis 1 von 10.000 Personen pro Jahr auf. Siehe Schwerhörigkeit für Informationen zu einer sich allmählich entwickelnden Schwerhörigkeit.

Ursachen für plötzlichen Hörverlust

Die Ursachen für einen plötzlichen Hörverlust sind in drei allgemeine Kategorien eingeteilt:

  • Eine unbekannte Ursache

  • Ein feststellbares, erklärendes Ereignis (wie z. B. Gehirninfektion oder Kopfverletzung)

  • Zugrunde liegende Erkrankung

Unbekannte Ursache

Bei den meisten Menschen kann für den plötzlichen Hörverlust keine Ursache gefunden werden. Ärzte haben jedoch mehrere Theorien. Zu den möglichen Ursachen gehören Virusinfektionen (insbesondere Infektionen mit Herpes-simplex-Viren), ein Angriff des Innenohrs oder seiner Nerven durch das körpereigene Immunsystem (Autoimmunreaktion) und die Blockierung kleiner Blutgefäße des Innenohrs oder der Blutgefäße der Nerven. Vielleicht gibt es unterschiedliche Ursachen für verschiedene Personen.

Feststellbares Ereignis

Bei vielen anderen Personen ist die Ursache für den plötzlichen Hörverlust feststellbar. Dazu gehören:

Eine Kopfverletzung (wie z. B. Bruch des Schläfenbeins im Schädel oder manchmal schwere Gehirnerschütterungen ohne Bruch) kann das Innenohr beschädigen und zu einem plötzlichen Hörverlust führen.

Starke Druckveränderungen (wie z. B. beim Tauchen oder seltener durch Niederdrücken beim Gewichtheben) können zu einem Loch (Fistel) zwischen Mittel- und Innenohr führen. Manchmal ist eine solche Fistel von der Geburt an vorhanden und kann spontan einen plötzlichen Hörverlust verursachen oder eine Person nach einer Kopfverletzung oder Druckveränderungen für Schwerhörigkeit anfälliger machen.

Ototoxische Arzneimittel sind Arzneimittel, die schädigende Nebenwirkungen auf die Ohren haben. Einige Arzneimittel können schnell zu Schwerhörigkeit führen, manchmal sogar innerhalb eines Tages (insbesondere bei einer Überdosis). Einige wenige Personen leiden unter einer seltenen genetischen Erkrankung, die sie bei der Einnahme von Antibiotika (Aminoglykoside) für Schwerhörigkeit anfälliger macht. Alle Personen, die solche Antibiotika einnehmen, sollten während der Einnahme auf toxische Werte untersucht werden, die einen Hörverlust verursachen können. Bei Patienten, die Arzneimittel wie Aminoglykoside einnehmen, die mit dem Urin ausgeschieden werden, sollte auch die Nierenfunktion überprüft und überwacht werden, um Nierenschäden zu vermeiden.

Zahlreiche Infektionen verursachen einen plötzlichen Hörverlust während oder unmittelbar nach einer akuten Krankheit. Zu diesen Infektionen gehören bakterielle Meningitis, Lyme-Borreliose und viele Virusinfektionen. Die am häufigsten auftretenden viralen Ursachen in Industrieländern sind Mumps und Infektionen des Gehirns durch Herpes simplex. Masern sind selten die Ursache, weil die meisten Personen gegen diese Infektion geimpft sind.

Zugrunde liegende Erkrankungen

Plötzlicher Hörverlust kann in seltenen Fällen das erste Symptom einiger Erkrankungen sein, die in der Regel andere erste Symptome aufweisen. Zu diesen Erkrankungen gehören ein Tumor des Hörnervs (sogenanntes Akustikusneurinom, multiple Sklerose, die Menière-Krankheit oder ein leichter Schlaganfall aufgrund einer Blockade der Arterie, die das Gleichgewichtszentrum des Gehirns (Kleinhirn bzw. Cerebellum) versorgt. Manchmal wird eine Syphilis-Infektion bei HIV-positiven Menschen wieder aktiv. Diese Reaktivierung kann einen plötzlichen Hörverlust auslösen.

Zu den selteneren Erkrankungen gehört das Cogan-Syndrom, bei dem eine Autoimmunreaktion das Innenohr (sowie die Augenoberfläche) angreift, bestimmte Erkrankungen, die mit einer Entzündung der Blutgefäße einhergehen (Vaskulitis), sowie Bluterkrankungen wie z. B. Waldenströms Makroglobulinämie, Sichelzellanämie und einige Formen von Leukämie.

Beurteilung von plötzlichem Hörverlust

Die folgenden Informationen können dabei helfen, zu klären, wann man zum Arzt gehen sollte und was im Rahmen dieser Untersuchung zu erwarten ist.

Warnsignale

Plötzlicher Hörverlust an sich ist ein Warnsignal.

Wann ein Arzt zu konsultieren ist:

Personen, die an plötzlichem Hörverlust leiden, sollten sofort einen Arzt zurate ziehen, da einige Ursachen schnell behandelt werden müssen. Wenn neben dem Hörverlust weitere Symptome einer Störung des Nervensystems auftreten, kann der Hörverlust ein Symptom einer Funktionsstörung der Nerven oder des Gehirns sein.

Was der Arzt unternimmt:

Ärzte stellen zunächst immer Fragen zu den Symptomen und zur Krankengeschichte des Patienten. Darauf folgt eine körperliche Untersuchung. Das Ergebnis der Krankengeschichte in Kombination mit dem Ergebnis der körperlichen Untersuchung kann auf eine Ursache des plötzlichen Hörverlusts und die eventuell durchzuführenden Tests schließen lassen.

Ärzte notieren, ob ein oder beide Ohren von der Schwerhörigkeit betroffen sind und ob es ein besonderes Ereignis gegeben hat, wie z. B. eine Kopfverletzung, ein Tauchunfall oder eine infektiöse Krankheit. Sie fragen nach Begleiterscheinungen bezüglich des Ohrs (wie z. B. Pfeifen oder Ausfluss), des Gleichgewichtszentrums (wie z. B. Orientierungsstörung im Dunkeln oder Schwindel) und anderer Teile des Gehirns und Nervensystems (wie z. B. Kopfschmerzen, Schwäche oder anormaler Geschmackseindruck). Sie versuchen herauszufinden, ob momentan irgendwelche ototoxischen Arzneimittel eingenommen werden oder kürzlich eingenommen wurden.

Bei der körperlichen Untersuchung werden hauptsächlich die Ohren und das Gehör geprüft. Eine Untersuchung des Nervensystems wird ebenfalls durchgeführt.

Tabelle

Tests

Typischerweise sollte ein Tonaudiogramm durchgeführt werden (ein Hörtest). Wenn Ärzte nicht davon ausgehen können, dass es sich klar um eine akute Infektion oder Medikamententoxizität handelt, wird in der Regel ebenfalls eine Magnetresonanztomographie (MRT) mit Gadolinium oder eine Computertomographie (CT) durchgeführt, insbesondere dann, wenn die Schwerhörigkeit auf einem Ohr ausgeprägter ist als auf dem anderen. Weitere Tests werden auf Grundlage der möglichen Ursache durchgeführt. Bei Personen mit einer Kopfverletzung sollte zum Beispiel eine MRT durchgeführt werden. Bei einem Risiko für sexuell übertragbare Infektionen sollte Blut auf HIV und Syphilis geprüft werden.

Behandlung von plötzlichem Hörverlust

Die Behandlung richtet sich nach der bekannten Ursache des plötzlichen Hörverlusts. Wenn die Ursache unbekannt ist, versuchen es die meisten Ärzte mit einer Verabreichung von Kortikosteroiden. Zudem verschreiben viele Ärzte antivirale Arzneimitteln, die gegen Herpes simplex wirken (wie z. B. Valaciclovir oder Famciclovir), auch wenn es keinen gesicherten Nachweis gibt, dass antivirale Arzneimittel wirksam sind.

Wenn die Ursache unbekannt ist, gewinnt etwa die Hälfte der Patienten ihr normales Hörvermögen zurück, während die anderen ihr Hörvermögen teilweise zurückerlangen. Eine Verbesserung tritt gegebenenfalls innerhalb von 10 bis 14 Tagen ein. Die Erholung von einem ototoxischen Arzneimittel hängt weitgehend von dem Arzneimittel und der Dosierung ab. Bei manchen Arzneimitteln (wie z. B. Aspirin und Diuretika) kehrt das Hörvermögen innerhalb von 24 Stunden wieder zurück. Antibiotika und Arzneimittel für Chemotherapien verursachen bei Überschreiten der sicheren Dosierung häufig eine permanente Schwerhörigkeit.

Wichtigste Punkte

  • Warum ein plötzlicher Hörverlust auftritt, weiß man gewöhnlich nicht.

  • Wenige Patienten haben eine feststellbare Ursache (wie z. B. eine schwere Kopfverletzung oder Infektion oder die Einnahme von Arzneimitteln, die das Gehör beschädigen können).

  • Bei sehr wenigen Patienten ist ein plötzlicher Hörverlust das erste Zeichen einer zugrunde liegenden Erkrankung.

  • Ärzte führen eine Audiometrie, ein CT und ein MRT sowie andere Tests auf vermutete Ursachen durch.

  • Die Behandlung richtet sich nach den bekannten Ursachen des plötzlichen Hörverlusts.

Weitere Informationen

Die folgenden Quellen in englischer Sprache können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MANUAL nicht für den Inhalt dieser Quelle verantwortlich ist.

  1. National Institute on Deafness and Other Communication Disorders: Informationen über Gehörverlust und andere Kommunikationsstörungen, übergreifende Funktionen von Hörsinn, Gleichgewicht, Geschmack, Geruchssinn, Stimme und Sprache