Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

(Akute idiopathische Polyneuritis, akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie)

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Apr. 2022
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Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute, meist sehr schnell fortschreitende, sich allerdings selbst limitierende inflammatorische Polyneuropathie und charakterisiert durch Muskelschwäche und leichte distale Sensibilitätsausfälle. Als Ursache wird ein Autoimmunprozess angenommen. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die Behandlung umfasst IV-Immunglobuline, Plasmaaustausch und, in schweren Fällen, eine apparative Beatmung.

(Siehe auch Überblick über Störungen des peripheren Nervensystems.)

Das Guillain-Barré-Syndrom ist die häufigste erworbene inflammatorische Neuropathie. Es gibt mehrere Varianten. Bei einigen Varianten dominiert die Demyelinisierung, bei anderen Varianten ist das Axon betroffen.

Ätiologie der GBS

Obwohl die Ursache des Guillain-Barré-Syndroms nicht vollständig geklärt ist, wird angenommen, dass es autoimmun ist.

Bei etwa zwei Dritteln der Patienten beginnt das Guillain-Barré-Syndrom 5 Tage bis 3 Wochen nach einem banalen Infekt, einem operativen Eingriff oder einer Impfung. Die Infektion ist der Auslöser bei > 50% der Patienten; häufige Krankheitserreger sind unter anderem

Ein Häufung von Fällen folgte dem Schweinegrippe-Impfprogramm im Jahr 1976, aber der Zusammenhang erwies sich wegen eines Bias bei der Erhebung später als falsch. Bei einigen Patienten hat sich das Guillain-Barré-Syndrom nach einer Zika-Virus-Infektion oder nach COVID-19 entwickelt.

Zu den unerwünschten Wirkungen von Immun-Checkpoint-Inhibitoren gehört ein Syndrom, das dem Guillain-Barré-Syndrom ähnelt.

Wenn die Schwäche > 2 Monate fortschreitet, wird eine chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie diagnostiziert.

Symptome und Anzeichen von GBS

Eine schlaffe Lähmung dominiert bei den meisten Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom; sie steht den sensorischen Störungen gegenüber immer im Vordergrund und kann proximal am stärksten ausgeprägt sein. Eine relativ symmetrische Schwäche mit Parästhesien beginnt üblicherweise in den Beinen und breitet sich auf die Arme aus, jedoch kann sie gelegentlich auch in den Armen oder am Kopf beginnen. Bei 90% der Patienten erreicht die Schwäche in der Regel ihr Maximum in der 3. bis 4. Krankheitswoche. Die Muskeleigenreflexe fallen aus. Die Sphinkteren bleiben in der Regel ausgespart. Schwäche bleibt die gleiche für eine variable Zeitdauer, in der Regel für einige Wochen und geht dann zurück.

Die fazialen und oropharyngealen Muskeln sind bei > 50% der Patienten mit schwerem Verlauf schwach. Daraus können Dehydrierung und Hyperosmolarität resultieren. Eine respiratorische Lähmung, die so schwer ist, dass endotracheale Intubation und mechanische Beatmung nötig sind, tritt in 5–10% der Fälle auf.

Einige Patienten (möglicherweise mit einer Variante der Krankheit) haben signifikante, lebensbedrohliche autonome Funktionsstörungen, die Blutdruckschwankungen, unangemessene antidiuretische Hormonsekretion, kardiale Arrhythmien, gastrointestinale Stase, Harnverhalt und Pupillenveränderungen verursachen.

Eine ungewöhnliche Variante (Fisher Variante oder Miller-Fisher-Syndrom) kann eine Kombination lediglich aus Ophthalmoparese, Ataxie und Areflexie hervorrufen.

Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms

  • Klinische Beurteilung

  • Elektrodiagnostische Testung

  • Liquoranalyse

Die Diagnose des Guillain-Barré-Syndroms wird primär klinisch gestellt.

Differenzialdiagnosen

Eine ähnliche akute Schwäche kann durch Myasthenia gravis, Botulismus, Poliomyelitis (v. a. außerhalb der USA), Zeckenparalyse, West-Nil-Virusinfektion, metabolische Neuropathien, und transversale Myelitis hervorgerufen werden, jedoch können diese Störungen von einem Guillain-Barré-Syndrom in der Regel wie folgt unterschieden werden:

  • Myasthenia gravis ist intermittierend und wird durch körperliche Anstrengung verschlimmert.

  • Botulismus kann starre dilatierte Pupillen (in 50% der Fälle) verursachen sowie prominente Hirnnervenstörungen bei normaler Sensorik.

  • Poliomyelitiskommt üblicherweise epidemisch vor.

  • Zeckenparalyse verursacht aufsteigende Lähmungen, betrifft aber nicht die Sensorik.

  • West-Nil-Virusinfektion verursacht Kopfschmerzen, Fieber und asymmetrische schlaffe Lähmungen, betrifft aber nicht die Sensorik.

  • Metabolische Neuropathien treten im Rahmen chronisch metabolischer Störungen auf.

  • Die transverse Myelitis verursacht Schmerzen, Schwäche, Gefühlsstörungen und Funktionsstörungen beim Wasserlassen.

Testung

Es werden Untersuchungen auf Infektionskrankheiten und Immunstörungen, inkl. Untersuchungen auf Hepatitis und HIV, und eine Serumprotein-Elektrophorese durchgeführt.

Bei V. a. Guillain-Barré-Syndrom sollten die Patienten zur elektrodiagnostischen Testung (Untersuchungen der Nervenleitung und Elektromyographie), zu Liquoruntersuchungen und zum Monitoring der wiederholten Messung der forcierten Vitalkapazität alle 6–8 Stunden stationär aufgenommen werden. Eine zu Beginn durchgeführte elektrodiagnostische Testung deckt langsame Nervenleitungsgeschwindigkeiten und Anzeichen einer segmentalen Demyelinisierung bei zwei Dritteln der Patienten auf; normale Befunde, insbesondere innerhalb der ersten 5 bis 7 Tage, schließen jedoch die Diagnose nicht aus und sollten eine Behandlung nicht verzögern.

Bei der Liquoranalyse kann eine zytoalbuminäre Dissoziation (erhöhtes Protein bei normalen Leukozytenwerten) nachgewiesen werden; diese kann sich jedoch manchmal erst nach bis zu einer Woche zeigen, und bei 10% der Patienten entwickelt sie sich gar nicht.

Selten zervikale Rückenmarkkompression— insbesondere, wenn Polyneuropathie koexistiert (zu Hyporeflexie beitragend oder diese verursachend) und bulbären Beteiligung nicht prominent ist—kann Guillain-Barré-Syndrom imitieren; in solchen Fällen sollte MRT erfolgen.

Prognose für GBS

Bei < 2% der Patienten verläuft das Guillain-Barré- Syndrom tödlich. Die meisten Patienten zeigen eine beträchtliche Besserung über einen Zeitraum von Monaten, jedoch haben ca. 30% der Erwachsenen und noch mehr Kinder nach 3 Jahren noch eine Restlähmung. Patienten mit Residualdefekten können Übungsbehandlungen, orthopädische Hilfsmittel oder operative Eingriffe benötigen.

Nach der initialen Besserung entwickeln 2–5% der Patienten eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP).

Behandlung des Guillain-Barré-Syndroms

  • Intensivmedizinische unterstützende Behandlung

  • IV-Immunglobuline (IVIG) oder Plasmaaustausch

Das Guillain-Barré-Syndrom ist ein medizinischer Notfall. Es erfordert die konstante Überwachung und Unterstützung der Vitalfunktionen, typischerweise auf einer Intensivstation. Die forcierte Vitalkapazität sollte häufig gemessen werden, sodass die Atmung nötigenfalls unterstützt werden kann. Wenn die Vitalkapazität < 15 ml/kg liegt, ist eine endotracheale Intubation indiziert. Die Unfähigkeit, den Kopf durch Nackenbeugung vom Kissen abzuheben, ist ein weiteres Gefahrenzeichen; es entwickelt sich häufig gleichzeitig mit einer Schwäche des N. phrenicus (Zwerchfelllähmung).

Bei Schwierigkeiten mit der oralen Flüssigkeitsaufnahme werden IV-Flüssigkeiten nach Bedarf gegeben, um ein Urinvolumen von mindestens 1–1,5 l/Tag aufrechtzuerhalten. Die Extremitäten sollten vor Verletzungen und Lagerungsschäden bei Bettlägrigkeit geschützt werden.

Wärmebehandlung hilft, Schmerzen zu lindern und macht eine frühe physikalische Therapie möglich. Immobilisierung ist zu vermeiden, da sie zu Ankylose und Kontrakturen führen kann. Ein passives Durchbewegen aller Gelenke im gesamten Bewegungbereich sollte sofort begonnen werden, und eine aktive Übungsbehandlung sollte baldmöglichst bei Rückbildung der akuten Symptome folgen. Heparin mit niedrigem Molekulargewicht (LMWH) trägt zur Prävention tiefer Venenthrombosen bei bettlägerigen Patienten bei. Mehrere randomisierte Studien und Metaanalysen haben berichtet, dass LMWH wirksamer ist als niedrig dosiertes unfraktioniertes Heparin (in der Regel zweimal täglich 5000 Einheiten verabreicht) und ein ähnliches Blutungsrisiko aufweist.

Frühe Gaben von IVIG 2 g/kg über 1 bis 2 Tage oder, langsamer, 400 mg/kg IV einmal täglich an 5 aufeinanderfolgenden Tagen ist die Therapie der Wahl; sie hat einen gewissen Nutzen bis zu 1 Monat nach Ausbruch der Krankheit.

Ein Plasmaaustausch hilft wenn er früh erfolgt; er wird bei Unwirksamkeit von IVIG eingesetzt. Der Plasmaaustausch verkürzt den Krankheitsverlauf und die Dauer des stationären Aufenthalts, senkt das Mortalitätsrisiko und verringert die Inzidenz von bleibenden Lähmungen. Allerdings kann es aufgrund der großen Flüssigkeitsverschiebungen zu Hypotonie kommen, und der intravenöse Zugang kann schwierig sein oder Komplikationen verursachen. Beim Plasmaaustausch werden alle zuvor verabreichten IVIG entfernt und damit ihr Nutzen zunichte gemacht, und somit sollte er niemals während oder kurz nach dem Einsatz von IVIG durchgeführt werden. Es wird empfohlen, bis mindestens 2–3 Tage nach Absetzen der IVIG zu warten.

Tipps und Risiken

  • Geben Sie keine Kortikosteroide bei Guillain-Barré-Syndrom, weil diese den Ausgang verschlechtern können.

Kortikosteroide tragen nicht zur Verbesserung bei und können den Ausgang verschlechtern.

Wichtige Punkte

  • Das Guillain-Barré-Syndrom beginnt typischerweise mit einer aufsteigenden, relativ symmetrischen schlaffen Schwäche.

  • Grenzen Sie zunächst auf Grundlage der Anamnese und der Untersuchungsergebnisse andere Erkrankungen ab, die ähnliche Symptome verursachen (z. B. Myasthenia gravis, Botulismus, Zeckenparalyse, West-Nil-Virusinfektion, metabolische Neuropathien, transverse Myelitis; außerhalb der USA: Poliomyelitis).

  • Führen Sie eine elektrodiagnostische Testung und eine Liquoranalyse durch, obwohl die Diagnose in erster Linie klinisch gestellt wird.

  • Die meisten Patienten bessern sich über einen Zeitraum von Monaten erheblich, aber etwa 30% der Erwachsenen und noch mehr Kinder haben nach 3 Jahren eine Restschwäche, und 2 bis 5% entwickeln eine chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie.

  • Intensive unterstützende Pflege ist der Schlüssel zur Genesung.

  • Versuchen Sie zuerst IVIG und dann, sollten diese unwirksam sein, einen Plasmaaustausch.