Otalgie

(Ohrenschmerzen)

VonEric J. Formeister, MD, MS, Dept. of Head and Neck Surgery and Communication Sciences, Duke University School of Medicine
Reviewed ByLawrence R. Lustig, MD, Columbia University Medical Center and New York Presbyterian Hospital
Überprüft/überarbeitet Geändert Jan. 2025
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Ohrenschmerzen können für sich allein oder zusammen mit Ausfluss oder mit Hörverlust auftreten.

Pathophysiologie der Otalgie

Ohrenschmerzen können durch einen Prozess im Ohr selbst verursacht werden oder von einer benachbarten, nicht otologischen Quelle in das Ohr übertragen werden.

Schmerzen aus dem Ohr selbst können auf ein Druckgefälle zwischen dem Mittelohr und der Außenluft und/oder auf lokale Entzündungen zurückzuführen sein. Ein Druckgefälle im Mittelohr hat in der Regel eine Verlegung der Tuba Eustachii zur Folge, was einen Ausgleich zwischen dem Druck im Mittelohr und dem atmosphärischem Druck verhindert und zugleich eine Ansammlung von Flüssigkeit im Mittelohr ermöglicht. Bei einer Otitis media führen Trommelfellentzündung und Druckanstieg im Mittelohr zu Schmerzen und zur Vorwölbung des Trommelfells.

Ausstrahlende Schmerzen können auf Störungen in den Innervationsgebieten der Hirnnerven V, IX und X zurückzuführen sein, die das Außen- und Mittelohr sensibel versorgen. Spezifische Innervationsgebiete sind Nase, Nasennebenhöhlen, Nasopharynx, Zähne, Zahnfleisch, Kiefergelenk (Art. temporomandibularis), Unterkiefer, Ohrspeicheldrüsen, Zunge, Gaumenmandeln, Pharynx, Larynx, Trachea und Ösophagus. Störungen in diesen Bereichen verlegen manchmal auch die Ohrtrompete (Tuba Eustachii), was zu Schmerzen aufgrund des Druckgefälles im Mittelohr führt. Isolierte Ohrenschmerzen sind eine häufige Manifestation von Migräne (1). Mehr als zwei Drittel der Patienten, die sich mit Ohrenschmerzen und einer normalen Ohruntersuchung in einer spezialisierten Ohrenklinik vorstellen, erfüllen die diagnostischen Kriterien für eine Migräne gemäß der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (2). In diesen Fällen bessern sich die Ohrenschmerzen, wenn die Migräne behandelt wird (3).

Literatur zur Pathophysiologie

  1. 1. Lempert T, Olesen J, Furman J, et al. Vestibular migraine: diagnostic criteria. J Vestib Res 2012;22(4):167-172. doi:10.3233/VES-2012-0453

  2. 2. Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS) The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition. Cephalalgia 2018;38(1):1-211. doi:10.1177/0333102417738202

  3. 3. Sussman S, Zimmerman Z, Chishom T, Reid L, Seyyedi M. Migraine-Associated Otalgia: An Underappreciated Entity. J Audiol Otol 2022;26(2):90-96. doi:10.7874/jao.2021.00465

Ätiologie der Otalgie

Ohrenschmerzen können otologische (mit Beteiligung des äußeren und des Mittelohrs) oder nichtotologische Ursachen haben, falls Krankheitsprozesse in der Nähe auf das Ohr projiziert werden (siehe Tabelle Einige Ursachen für Otalgie).

Die häufigsten Ursachen für akute Schmerzen sind:

Die häufigsten Ursachen für chronische Schmerzen (> 2–3 Wochen) sind:

Auch bei chronischen Schmerzen muss immer ein Tumor in Betracht gezogen werden, vor allem bei älteren Patienten und wenn der Schmerz mit Ausfluss aus dem Ohr oder Blutungen aus dem Gehörgang assoziiert ist. Menschen mit Diabetes oder chronischer Nierenerkrankung oder anderen Formen der Immunschwäche können eine besonders schwere Form der Otitis externa entwickeln, die als nekrotisierende Otitis externa bezeichnet wird (früher als maligne Otitis externa bekannt). Wenn bei der Untersuchung des Gehörgangs auffälliges Weichteilgewebe gefunden wird, muss eine Biopsie vorgenommen werden, um eine Krebserkrankung auszuschließen.

Kiefergelenksdysfunktion und Migräne sind häufige Ursachen für Otalgie bei Patienten mit unauffälligem Ohrbefund.

Tabelle
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Abklärung der Otalgie

Anamnese

Die Anamnese des Krankheitsverlaufs sollte Lage, Dauer und Schwere der Ohrenschmerzen beurteilen und ob es sich um konstante oder intermittierende Ohrenschmerzen handelt. Bei intermittierenden Schmerzen ist es wichtig festzustellen, ob der Schmerz zufällig auftritt oder hauptsächlich beim Schlucken oder bei Kieferbewegungen. Wichtige assoziierte Symptome sind Ohrausfluss, Hörverlust und Halsschmerzen. Der Patient sollte über alle Versuche zur Reinigung des Gehörgangs (z. B. mit Wattestäbchen) oder vor Kurzem stattgehabte instrumentelle Eingriffe, Fremdkörper, kürzliche Flugreisen oder Sporttauchen und Schwimmen oder anderen wiederholten Kontakt der Ohren mit Wasser befragt werden.

Bei der Überprüfung der Organsysteme sollte nach Symptomen einer chronischen Krankheit wie Gewichtsverlust und Fieber gefragt werden.

Die Anamnese sollte nach einem bekannten Diabetes oder anderen immunkompromittierenden Zuständen, früheren Erkrankungen der Ohren (insbesondere Infektionen) und nach Ausmaß und Dauer von Tabak- und Alkoholkonsum fragen. Die Patienten sollten auch nach früheren otologischen Erkrankungen (z. B. Ausfluss aus dem Ohr, Hörverlust, Tinnitus) und otologischen Eingriffen (z. B. Paukenröhrchen in der Kindheit) gefragt werden.

Körperliche Untersuchung

Die Patienten sollten auf Fieber untersucht werden.

Die körperliche Untersuchung konzentriert sich auf Ohren, Nase und Hals.

Die Ohrmuschel und die Region über dem Mastoid sollten auf Rötung und Schwellung inspiziert werden. Die Ohrmuschel wird sanft gezogen; eine erhebliche Schmerzzunahme beim Ziehen deutet auf Otitis externa hin. Der Gehörgang sollte auf Rötung, Ausfluss, Schwellung, Zerumen oder Fremdkörper und andere Läsionen untersucht werden. Das Trommelfell sollte auf Rötung, Perforation, und Anzeichen für eine Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr (z. B. Vorwölbung, Deformation) untersucht werden.

Es sollte ein kurzer Hörtest direkt am Krankenbett durchgeführt werden, einschließlich des Weber- und Rinne-Tests mit einer 512-Hz-Stimmgabel. Steht keine Stimmgabel zur Verfügung, kann der Patient gebeten werden, mit einer niedrigen Frequenz zu summen. Ist das Brummen auf dem betroffenen Ohr lauter zu hören, deutet dies auf eine Schallleitungsschwerhörigkeit hin, z. B. aufgrund eines Mittelohrergusses oder einer Trommelfellentzündung. Ist das Brummen auf dem nicht betroffenen Ohr lauter zu hören, deutet dies auf eine Schallempfindungsschwerhörigkeit im betroffenen Ohr bei der Frequenz des Brummens (etwa 200 Hz) hin.

Der Hals sollte auf Rötung, tonsilläres Exsudat peritonsilläre Schwellung und Schleimhautläsionen, die auf einen Tumor hindeuten, untersucht werden.

Die Funktion des Kiefergelenks sollte durch Abtasten der Gelenke beim Öffnen und Schließen des Mundes beurteilt werden, und es sollte auf Trismus oder Anzeichen von Bruxismus, wie z. B. Abnutzung der Zähne, geachtet werden.

Der Hals sollte nach einer Lymphadenopathie abgetastet werden. Eine fiberoptische Untersuchung von Rachen und Kehlkopf in der Praxis sollte in Betracht gezogen werden, insbesondere dann, wenn bei der Routineuntersuchung keine Ursache für die Schmerzen identifiziert werden kann und wenn nichtotologische Symptome wie Heiserkeit, Schluckbeschwerden oder nasale Obstruktion berichtet werden.

Warnzeichen

Die folgenden Befunde sind von besonderer Bedeutung:

  • Diabetes mellitus oder immunkompromittierter Zustand oder chronische Nierenerkrankung

  • Rötung und Fluktuieren über dem Mastoid sowie Vorfall der Ohrmuschel

  • Starke Schwellung am äußeren Gehörgang

  • Chronische Schmerzen, vor allem wenn sie mit anderen Kopf-/Hals-Symptomen assoziiert sind

  • Schmerzen, die den Patienten aus dem Schlaf wecken

Interpretation der Befunde

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist, ob die Untersuchung des Ohrs normal ausfällt; Erkrankungen des Mittel- und äußeren Ohrs verursachen anomale körperliche Befunde, die zusammen mit der Anamnese in der Regel auf eine otogene Ätiologie hindeuten (siehe Tabelle Einige Ursachen für Otalgie). Zum Beispiel zeigen Patienten mit chronischen Funktionsstörungen der Tuba Eustachii Anomalien des Trommelfells, typischerweise eine Retraktionstasche.

Patienten mit einer unauffälligen Ohrenuntersuchung weisen eine sichtbare oropharyngeale Ursache auf, wie z. B. eine Tonsillitis oder einen Peritonsillarabszess. Ohrenschmerzen aufgrund einer Neuralgie (wie z. B. Trigeminusneuralgie oder – deutlich seltener – Glossopharyngeusneuralgie) äußern sich typischerweise in kurzen (meist Sekunden, immer < 2 Minuten) Episoden von extrem starken, stechenden Schmerzen. Chronische Ohrenschmerzen ohne Auffälligkeiten bei der Ohrenuntersuchung könnten auf eine Störung des Kiefergelenks oder Migräne zurückzuführen sein; bei den Patienten sollte eine gründliche Untersuchung von Kopf und Hals (einschließlich fiberoptischer Untersuchung) erfolgen, um eine Krebserkrankung auszuschließen.

Tests

Die meisten Fälle sind nach Anamnese und körperlicher Untersuchung offensichtlich. Je nach klinischem Befund können nichtotologische Ursachen weitere Tests erfordern (siehe Tabelle Einige Ursachen für Otalgie). Bei Patienten mit normalen Befunden bei der Ohruntersuchung, insbesondere bei chronischen, nächtlichen oder wiederkehrenden Schmerzen, kann eine MRT der Schädelbasis angezeigt sein, um ein Karzinom auszuschließen.

Behandlung der Otalgie

Zugrunde liegende Störungen bei Patienten mit Ohrenschmerzen werden behandelt.

Der Schmerz wird mit oralen Analgetika behandelt; in der Regel ist ein nichtsteroidales Antirheumatikum oder Paracetamol ausreichend, gelegentlich bedarf es jedoch einer kurzen Verabreichung eines oralen Opioids, vor allem in Fällen von schwerer Otitis externa. In Fällen von schwerer Otitis externa verlangt eine wirksame Behandlung das Absaugen von Detritus aus dem Gehörgang und das Einlegen eines Baumwoll-/Gazestreifens, der die Abgabe antibiotischer Ohrentropfen auf das infizierte Gewebe ermöglicht. Orale Antibiotika werden nicht eingesetzt, es sei denn, ein Teil oder die gesamte Ohrmuschel ist gerötet, was auf eine Ausbreitung der Infektion hindeutet. Orale Antibiotika können auch bei Patienten eingesetzt werden, deren Immunsystem geschwächt ist (z. B. bei Patienten mit Diabetes oder Nierenerkrankungen im Endstadium). Topische Analgetika sind im Allgemeinen nicht sehr wirksam und werden nicht routinemäßig empfohlen.

Die Patienten sollten angewiesen werden, keine Objekte (egal wie weich die Objekte sind oder wie vorsichtig der Patient zu sein vorgibt) in ihre Ohren einzuführen. Patienten mit Otitis externa sollten ihre Ohren trocken halten. Auch sollten die Patienten Ohrspülungen erst nach ärztlicher Anleitung und nur sehr behutsam selbst durchführen. Für Ohrspülungen darf keinesfalls eine Munddusche verwendet werden.

Wichtige Punkte

  • Die meisten Fälle sind auf eine Infektion des Mittel- oder äußeren Ohres zurückzuführen.

  • Anamnese und körperliche Untersuchung sind zur Diagnosestellung in der Regel ausreichend.

  • Nichtotologische Ursachen sollten in Betracht gezogen werden, wenn die Untersuchung der Ohren unauffällig ist.

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