Urtikaria

(Nesselsucht, Quaddeln)

VonJulia Benedetti, MD, Harvard Medical School
Überprüft/überarbeitet Dez. 2021
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Urtikaria besteht aus wandernden, klar begrenzten, erythematösen, pruritischen Plaques auf der Haut.

Urtikaria kann auch mit einem Angioödem einhergehen, das aus der Mastzell- und Basophilenaktivierung in tieferen Schichten der Dermis und des subkutanen Gewebes resultiert und sich als Ödem des Gesichts und der Lippen, der Extremitäten oder Genitalien manifestiert. Ein Angioödem kann im Darm auftreten und als kolikartigen Bauchschmerzen vorkommen. Ein Angioödem kann lebensbedrohlich sein, wenn wegen einem Larynxödem oder dem Anschwellen der Zunge die Atemwege blockiert werden.

(Siehe auch Beurteilung des dermatologischen Patienten.)

Pathophysiologie der Urtikaria

Urtikaria entsteht aufgrund der Freisetzung von Histaminen, Bradykinin, Kallikrein und anderen vasoaktiven Substanzen aus Mastzellen und Basophilen in der oberflächlichen Dermis, was zu intradermalen Ödemen, verursacht durch die Vasodilation der Kapillaren und der Venen (und gelegentlich verursacht durch eine leukozytäre Infiltration), führt.

Dieser Vorgang kann immunvermittelt sein oder nicht.

Die immunvermittelte Mastzellaktivierung umfasst

  • Typ I-Überempfindlichkeitsreaktionen, bei denen an Allergene gebundene IgE-Antikörper an sehr affine Rezeptoren auf der Oberfläche von Mastzellen und Basophilen binden

  • Autoimmunerkrankungen, bei denen Antikörper gegen IgE-Rezeptoren diese funktionell vernetzen und die Mastzelldegranulation verursachen

Die nicht immunvermittelte Mastzellaktivierung umfasst

  • Direkte, nicht allergische Aktivierung von Mastzellen durch bestimmte Medikamente

  • Medikamenteninduzierte Hemmung der Cyclooxygenasen, die Mastzellen durch bislang fast unbekannte Mechanismen aktiviert

  • Aktivierung durch körperliche oder emotionale Reize; dieser Mechanismus ist wenig bekannt, beinhaltet aber möglicherweise die Freisetzung von Neuropeptiden, die mit Mastzellen interagieren

Ätiologie der Urtikaria

Urtikaria wird als akut (< 6 Wochen) oder chronisch (> 6 Wochen) eingestuft; akute Fälle (70%) sind häufiger als chronische (30%).

Akute Urtikaria ( siehe Tabelle: Einige Ursachen der Urtikaria) wird am häufigsten verursacht durch

  • Typ I-Überempfindlichkeitsreaktion

Ein möglicher Auslöser (z. B. Medikament, Nahrungsaufnahme, Insektenbiss oder -stich, Infektion) kann gelegentlich identifiziert werden.

Chronische Urtikaria wird am häufigsten verursacht durch

  • Idiopathische Ursachen

  • Autoimmunerkrankungen

Die chronische Urtikaria dauert oft über Monate bis Jahre an, bis sie zurückgeht, ohne dass der Auslöser gefunden wurde.

Tabelle
Bilder der Urtikaria
Urtikaria
Urtikaria
Urtikarielle Läsionen (Quaddeln oder Nesselsucht) sind wandernde, erhabene, juckende, rötliche Plaques, die durch lokal... Erfahren Sie mehr

Image provided by Thomas Habif, MD.

Kälteinduzierte Urtikaria
Kälteinduzierte Urtikaria
Dieses Foto zeigt einen positiven Eiswürfeltest bei einem Patienten mit idiopathischer kälteinduzierter Urtikaria. Das ... Erfahren Sie mehr

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Urticaria pigmentosa (Thorax)
Urticaria pigmentosa (Thorax)
Die Urticaria pigmentosa kann sich als rötliche, plaqueähnliche Läsionen auf der Haut manifestieren.

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Urticaria pigmentosa (Bein)
Urticaria pigmentosa (Bein)
Eine systemische Mastozytose kann gelblich-braune bis rötlich-braune Makula und Papeln verursachen, die beim Streichen ... Erfahren Sie mehr

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Urticaria pigmentosa (Kind)
Urticaria pigmentosa (Kind)
Dieses Foto zeigt rotbraune Flecken auf dem Rücken eines Kindes im Schulalter.

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Urticaria pigmentosa (Säugling)
Urticaria pigmentosa (Säugling)
Der hier gezeigte Säugling hat profuse papulonoduläre und plaqueartige Läsionen der Urticaria pigmentosa.

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Urticaria solaris
Urticaria solaris
Dieses Foto zeigt eine solare Urtikaria bei einer Frau, die ein Tanktop getragen hatte. Diese Quaddeln erscheinen inner... Erfahren Sie mehr

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Urtikaria und bullöses Pemphigoid
Urtikaria und bullöses Pemphigoid
Urtikarielle Papeln und Bläschen an der Extremität eines Säuglings mit bullösem Pemphigoid.

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Dermographismus
Dermographismus
Dermographismus oder Hautschrift kann auftreten, wenn die Haut leicht gekratzt wird und zu erhöhten roten Linien führt.

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Untersuchung von Urtikaria

Weil es keine definitiven diagnostischen Tests für die Urtikaria gibt, beruht die Beurteilung weitgehend auf der Anamnese und der körperlichen Untersuchung.

Anamnese

Die aktuelle Anamnese sollte eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Episoden von Urtikaria enthalten, inklusive der Verteilung, der Größe und des Aussehens der Läsionen, ihre Auftretenshäufigkeit, die Dauer der einzelnen Episoden und alle vorigen Episoden. Die Aktivitäten und Kontakte mit möglichen auslösenden Faktoren während, unmittelbar vor und innerhalb der letzten 24 Stunden vor dem Auftreten der Urtikaria sind zu beachten. Kliniker sollten speziell nach vor Kurzem stattgefundenem Training, einer Exposition gegenüber potenziellen Allergenen ( siehe Tabelle: Einige Ursachen der Urtikaria), Kontakt mit Insekten oder Tieren, neuen Waschmitteln, Seifen oder Lebensmitteln, die zum ersten Mal verzehrt wurden, sowie nach kürzlich erlittenen Infektionen oder belastenden Ereignissen im Leben fragen. Der Patient sollte über die Dauer zwischen einem vermuteten Auslöser und dem Auftreten von Urtikaria sowie über die vermuteten Auslöser selbst befragt werden. Wichtige Begleitsymptome sind Pruritus, Rhinorrhö, Anschwellen des Gesichts und der Zunge sowie Dyspnoe.

Die Untersuchung der Organsysteme sollte sich auf Symptome der ursächlichen Störungen, einschließlich Fieber, Müdigkeit, Unterleibsschmerzen und Durchfall (Infektion); Wärme- oder Kälteintoleranz, Tremor oder Gewichtsveränderung (Autoimmunthyroiditis); Gelenkschmerzen (Kryoglobulinämie [systemischem Lupus erythematodes]); Schmetterlingserythem (systemischem Lupus erythematodes); trockene Augen und Mundtrockenheit (Sjögren-Syndrom); Hautulzera und hyperpigmentierte Läsionen nach Rückgang der Urtikaria (Urtikariavaskulitis); kleine pigmentierte Papeln (Mastozytose); Lymphadenopathie (virale Erkrankung, Krebs, Serumkrankheit); akute oder chronische Diarrhö (virale oder parasitäre Enterokolitis); Fieber, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust (Krebs) fokussieren.

Die Anamnese sollte eine detaillierte Geschichte von Allergien, einschließlich bekannter atopischer Erkrankungen (z. B. Allergien, Asthma, Ekzeme), sowie bekannte mögliche Ursachen (z. B. Autoimmunerkrankungen, Krebs) beinhalten. Alle eingenommenen Medikamente sollten überprüft werden, einschließlich der rezeptfreien und pflanzlichen Medikamente und insbesondere alle Wirkstoffe, die mit Urtikaria in einen Zusammenhang gebracht werden ( siehe Tabelle: Einige Ursachen der Urtikaria). Die Familienanamnese sollte alle Fälle von rheumatischen und Autoimmunerkrankungen sowie von Krebs erfassen. Die Sozialanamnese sollte alle bisherigen Reisen und jegliche Risikofaktoren für die Übertragung von Infektionskrankheiten (z. B. Hepatitis, HIV) abdecken.

Körperliche Untersuchung

Bei der Messung der Vitalzeichen sollte auf das Vorhandensein von Bradykardie oder Tachykardie und Tachypnoe geachtet werden. Bei der allgemeinen Untersuchung sollte sofort nach Anzeichen von Atemnot sowie von Kachexie, Gelbsucht oder Aufregung gesucht werden.

Bei Untersuchung des Kopfes sollten eine Schwellung des Gesichts, der Lippen oder der Zunge, ein Sklerenikterus, ein Schmetterlingserythem, eine empfindliche und vergrößerte Schilddrüse, Lymphadenopathie oder trockene Augen und Mundtrockenheit beachtet werden. Der Mund- und Rachenraum sollte untersucht und die Nasennebenhöhlen palpiert und auf Anzeichen von okkulten Infektionen durchleuchtet werden (z. B. Nasennebenhöhlenentzündung, Zahnabszess).

Die Untersuchung des Unterleibs sollte jegliche Schwellungen, Hepatomegalien, Splenomegalien und Druckschmerzen erfassen. Bei der neurologischen Untersuchung sollte auf alle Tremore sowie auf Hyper- und Hyporeflexie geachtet werden. Bei der Untersuchung des Bewegungsapparates sollten entzündete oder verformte Gelenke zur Kenntnis genommen werden.

Bei der Untersuchung der Haut sollten das Vorkommen und die Verteilung von urtikariellen Läsionen sowie alle kutanen Ulzerationen, Hyperpigmentierung, kleine Papeln oder Gelbsucht beachtet werden. Urtikarielle Läsionen treten in der Regel als klar abgegrenzte, vorübergehende Schwellungen unter Einbezug der Dermis auf. Diese Schwellungen sind in der Regel rot und variieren in der Größe von einem Nadelstich bis zu großen betroffenen Bereichen. Einige Läsionen können sehr groß sein. In anderen Fällen können kleinere urtikarielle Läsionen konfluieren. Allerdings kann es auch vorkommen, dass zum Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung keine Hautläsionen vorhanden sind. Während der Untersuchung können z. B. durch Vibrationen (Stimmgabel), Wärme (unter warmes Wasser gehaltene Stimmgabel), Kälte (Stethoskop oder gekühlte Stimmgabel), Wasser oder Druck (leichtes Kratzen einer nicht betroffenen Stelle mit einem Fingernagel) physikalische Urtikaria hervorgerufen werden.

Warnzeichen

Die folgenden Befunde sind besonders ernst zu nehmen:

  • Angioödem (Schwellung des Gesichts, der Lippen oder der Zunge)

  • Stridor, Keuchen oder andere Arten von Atemnot

  • Hyperpigmentierte Läsionen, Ulzera oder Urtikaria, die > 48 Stunden andauern

  • Anzeichen einer systemischen Erkrankung (z. B. Fieber, Lymphadenopathie, Gelbsucht, Kachexie)

Interpretation der Befunde

Akute Urtikaria entsteht fast immer aufgrund einer bestimmten Exposition gegenüber einem Wirkstoff oder physikalischen Stimulus oder einer akuten Infektionskrankheit. Allerdings wird der Auslöser in der Anamnese nicht immer deutlich, vor allem weil Allergien gegenüber einer zuvor vertragenen Substanz ohne Vorwarnung entstehen können.

Die chronische Urtikaria ist meist idiopathisch. Danach stehen an zweiter Stelle der häufigsten Auslöser Autoimmunerkrankungen. Die ursächliche Autoimmunerkrankung ist manchmal klinisch auffällig. Urtikariavaskulitis wird manchmal mit Kollagenosen (v. a. systemischem Lupus erythematodes oder Sjögren-Syndrom) in Zusammenhang gebracht. Bei der Urtikariavaskulitis geht die Urtikaria mit Befunden von kutaner Vaskulitis einher. Urtikariavaskulitis sollte in Betracht gezogen werden, wenn die Urtikaria eher schmerzhaft statt juckend ist, > 48 Stunden andauert, nicht erbleicht oder mit Bläschen oder Purpura einhergeht.

Tests

Normalerweise werden bei einem isolierten Fall von Urtikaria keine Tests benötigt, außer die Symptome und Beschwerden weisen auf eine spezifische Erkrankung (z. B. eine Infektion) hin.

Bei ungewöhnlichem Erscheinungsbild und in hartnäckigen oder wiederkehrenden Fällen ist eine weitere Abklärung erforderlich. Für Hautallergietests sollte eine Überweisung erfolgen. Routinemäßig durchgeführte Labortests sollten das Blutbild, die Blutchemie, Leber- und TSH-Werte erfassen. Weitere Tests sollten sich an den Symptomen und Beschwerden (z. B. bei Autoimmunerkrankungen) sowie an den Auffälligkeiten bei den Screening-Tests orientieren (z. B. Hepatitis-Serologien und Ultraschall bei abnormen Lebertests; Eizellen und Parasiten bei Eosinophilie; Kryoglobulin-Titer bei erhöhten Lebertests oder erhöhtem Kreatinin; Schilddrüsen-Autoantikörper bei abnormem TSH).

Bei Unsicherheit bezüglich der Diagnose oder bei Quaddeln, die > 48 Stunden bestehen, sollte eine Hautbiopsie durchgegführt werden (zum Ausschluss einer Urtikariavaskulitis).

Ärzte sollten vorsichtig sein, wenn sie dem Patienten empfehlen, einen empirischen Test durchzuführen (z. B. "Probieren Sie dieses und jenes noch einmal aus und sehen Sie, ob Sie eine Reaktion bekommen"), da die nachfolgenden Reaktionen schwerer ausfallen können.

Behandlung von Urtikaria

Etwaige Ursachen werden behandelt oder gelindert. Auslösende Arznei- und Nahrungsmittel sollten gemieden werden.

Eine unspezifische symptomatische Behandlung (z. B. kühle Bäder, Vermeidung von heißem Wasser und Kratzen, weite Kleidung) kann hilfreich sein.

Medikamentöse Therapie

Hauptsäule der Therapie sind weiterhin Antihistaminika, die regelmäßig und nicht nach Bedarf eingenommen werden müssen. Die neueren oralen Antihistaminika werden allgemein bevorzugt, da sie nur 1-mal täglich eingenommen werden müssen und einige von ihnen weniger sedierend wirken. Entsprechende Auswahlmöglichkeiten sind

  • Cetirizin 10 mg 1-mal täglich

  • Fexofenadin 180 mg 1-mal täglich

  • Desloratadin 5 mg 1-mal täglich

  • Levocetirizin 5 mg 1-mal täglich

Ältere orale Antihistaminika (z. B. Hydroxyzin 10–25 mg alle 4–6 Stunden, Diphenhydramin 25–50 mg alle 6 Stunden) wirken sedierend, sind aber kostengünstig und manchmal sehr effektiv.

Systemische Kortikosteroide (z. B. Prednison 30–40 mg p.o. 1-mal täglich) sind bei schweren Attacken geeignet, sollten jedoch nicht über längere Zeit verabreicht werden. Topische Kortikosteroide oder topische Antihistaminika sind nicht von Vorteil.

Patienten mit chronischer idiopathischer Urtikaria sprechen oft nicht auf Antihistaminika oder andere häufig genutzte Medikamente an. Omalizumab, ein monoklonaler Antikörper, der bestimmte allergische Reaktionen unterdrücken kann, kann dabei helfen die Symptome zu lindern, aber die Erfahrungen mit der Verwendung sind begrenzt.

Angioödem

Patienten, die ein Angioödem mit Einbeziehung des Oropharynx oder jeglicher Beteiligung der Atemwege haben, sollten 0,3 ml einer 1:1000 Lösung Epinephrin subkutan erhalten und in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Bei der Entlassung sollten Patienten selbst injizierbares Epinephrin erhalten und über die Verwendung der Spritze aufgeklärt werden.

Grundlagen der Geriatrie

Die älteren oralen Antihistaminika (z. B. Hydroxyzin, Diphenhydramin) wirken sedierend und können zu Verwirrung, Ischurie und Delirium führen. Sie sollten vorsichtig eingesetzt werden, um Urtikaria bei älteren Patienten zu behandeln.

Wichtige Punkte

  • Urtikaria kann durch allergische oder nichtallergische Mechanismen verursacht werden.

  • Die meisten akuten Fälle werden durch eine allergische Reaktion auf einen bestimmten Stoff verursacht.

  • Die meisten chronischen Fälle sind idiopathisch oder resultieren aus Autoimmunerkrankungen.

  • Die Behandlung erfolgt basierend auf dem Schweregrad. Nicht-sedierende Antihistaminika und die Vermeidung von Auslösern sind Optionen erster Wahl.

  • Topische Kortikosteroide und topische Antihistaminika sind nicht von Vorteil.

  • Gleichzeitig auftretende systemische Symptome erfordern eine gründliche Beurteilung für die Ätiologie.