Metabolische Azidose

VonJames L. Lewis III, MD, Brookwood Baptist Health and Saint Vincent’s Ascension Health, Birmingham
Überprüft/überarbeitet Juli 2023
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Eine metabolische Azidose ist eine primäre Verminderung von Bicarbonat (HCO), die typischerweise mit einem kompensatorischem Abfall des Carbondioxid-Partialdrucks (P) auftritt. Der pH-Wert kann deutlich niedriger oder gerade unterhalb der Normwerte sein. Metabolische Azidosen werden je nach An- bzw. Abwesenheit von nicht gemessenen Anionen im Serum in Azidosen mit normaler Anionenlücke oder in Azidosen mit großer Anionenlücke eingeteilt. Ursachen sind die Akkumulation von Ketonen und Milchsäure, Niereninsuffizienz, Einnahme von Medikamenten oder Aufnahme von Toxinen (große Anionenlücke) und HCO-Verluste über die Nieren oder den Gastrointestinaltrakt (normale Anionenlücke). Symptome und klinische Zeichen in schweren Fällen sind Übelkeit und Erbrechen, Lethargie und Hyperpnoe. Die Diagnose wird klinisch und mittels Blutgasanalyse und Messung der Serumelektrolyte gestellt. Die zugrunde liegende Ursache muss behandelt werden. Die IV Gabe von Natriumbicarbonat kann bei sehr niedrigen pH–Werten indiziert sein.

(Siehe auch Säure-Basen-Regulation und Säure-Basen-Störungen.)

Ätiologie der metabolischen Azidose

Metabolische Azidose ist eine Säureansammlung aufgrund von

  • Erhöhte Säureproduktion oder Säureaufnahme

  • Verminderte Säureausscheidung

  • Gastrointestinaler oder renaler HCO3-Verlust

Azidämie (arterieller pH < 7,35) tritt auf, wenn die Säurebelastung die respiratorische Kompensationsfähigkeit übersteigt. Die Ursachen werden nach ihren Effekten auf die Anionenlücke eingeteilt (siehe Ursachen der metabolischen Azidose).

Tabelle
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Azidosen mit großer Anionenlücke

Die häufigsten Ursachen für eine metabolische Azidose mit großer Anionenlücke sind:

  • Ketoazidose

  • Laktatazidose

  • Nierenversagen

  • Aufnahme von Toxinen

Die Ketoazidose ist eine häufige Komplikation des Typ-1-Diabetes mellitus (siehe diabetische Ketoazidose), tritt aber auch bei chronischer Alkoholkonsumstörung (siehe alkoholische Ketoazidose, Malnutrition und in kleinerem Umfang beim Fasten auf. Unter diesen Umständen stellt der Körper vom Glukosestoffwechsel auf die Verstoffwechselung freier Fettsäuren (FFA) um. FFAs werden in der Leber in Ketonsäuren, Acetoacetat und Beta-Hydroxybutyrat (alles nicht gemessene Anionen) verwandelt. Die Ketoazidose ist auch eine seltene Manifestation der kongenitalen Isovalerianazidämie oder der kongenitalen Methylmalonazidämie, bei denen es sich um seltene Störungen des Aminosäurestoffwechsels handelt.

Laktatazidose ist die bei hospitalisierten Patienten häufigste Ursache einer metabolischen Azidose. Laktatakkumulation resultiert aus einer Kombination von überschüssiger Bildung und verringerter Verwertung von Laktatstoffwechsel. Eine überschüssige Laktatproduktion tritt während Phasen von anaerobem Stoffwechsel auf. Die gravierendste Form tritt während der verschiedenen Arten von Schock auf. Ein verminderter Stoffwechsel tritt in der Regel bei einer hepatozellulären Dysfunktion infolge einer verminderten Leberperfusion oder als Teil eines generalisierten Schocks auf. Krankheiten und Medikamente, die die mitochondriale Funktion beeinträchtigen, können Laktatazidose verursachen.

Eine Niereninsuffizienz verursacht eine Azidose mit einer großen Anionenlücke durch verminderte Ausscheidung von Säuren und eine verminderte HCO3-Reabsorption. Die Akkumulation von Sulfaten, Phosphaten, Uraten und Hippuraten ist für die große Anionenlücke verantwortlich.

Toxine können saure Metaboliten haben oder eine Laktatazidose auslösen.

Rhabdomyolyse ist eine seltene Ursache einer metabolischen Azidose und man vermutet, dass die Azidose durch die Freisetzung von Protonen und Anionen direkt aus dem Muskel entsteht.

Azidosen mit normaler Anionenlücke

Die häufigsten Ursachen von Azidosen mit normaler Anionenlücke sind

  • Gastrointestinaler oder renaler HCO3-Verlust

  • Eingeschränkte renale Säureausscheidung

Die metabolische Azidose mit einer normalen Anionenlücke wird auch hyperchlorämische Azidose genannt, da die Nieren Chlorid (Cl) anstelle von HCO3 reabsorbieren.

Viele der Sekrete des Gastrointestinaltrakts sind reich an HCO3 (z. B. biliäre, pankreatische und intestinale Flüssigkeiten); Verluste durch Diarrhö, einen Drainageschlauch oder Fisteln können Azidose verursachen. Bei der Ureterosigmoidostomie (Umleitung des Ureters in einen Abschnitt des Colon sigmoideum nach Obstruktion oder Zystektomie) sezerniert und verliert das Kolon HCO3 im Austausch für Urinchlorid (Cl) und absorbiert Ammoniak aus dem Urin, das in NH3+ und H+ dissoziiert.

Ionenaustauschharze verursachen sehr selten einen HCO3-Verlust durch eine Bindung von HCO3.

Bei der renalen tubulären Azidose ist entweder die H+-Sekretion (Typ 1 und 4) oder die HCO3-Absorption (Typ 2) beeinträchtigt. Eine beeinträchtigte Säureexkretion und eine normale Anionenlücke treten auch im frühen Stadium der Niereninsuffizienz, bei der tubulointerstitiellen Nierenkrankheit und der Einnahme von Carboanhydraseinhibitoren (z. B. Acetazolamid) auf.

Symptome und Anzeichen der metabolischen Azidose

Symptome und Beschwerden (siehe Tabelle Klinische Folgen von Säure-Basen-Störungen) sind in erster Linie die durch die Grunderkrankung verursachten.

Eine geringgradige Azidämie ist an sich asymptomatisch. Eine schwerere Azidämie (pH < 7,10) kann Übelkeit, Erbrechen und Unwohlsein hervorrufen. Symptome können bereits bei höheren pH-Werten auftreten, wenn sich die Azidose schnell entwickelt.

Das charakteristischste Symptom ist eine Hyperpnoe (lange, tiefe Atemzüge bei normaler Frequenz), welche auf einen kompensatorischen Anstieg der alveolären Ventilation hinweist. Diese Hyperpnoe wird nicht durch ein Gefühl von Dyspnoe begleitet.

Tipps und Risiken

  • Die durch metabolische Azidose ausgelöste Hyperpnoe verursacht kein Gefühl von Atemnot.

Eine schwere, akute Azidämie prädisponiert zu kardialen Störungen mit Hypotension und Schock, ventrikulären Herzrhythmusstörungen und Koma. Eine chronische Azidämie verursacht Demineralisationsstörungen der Knochen (z. B. Rachitis, Osteomalazie, Osteopenie).

Diagnose der metabolischen Azidose

  • Blutgasanalyse (ABG) und Messung der Serumelektrolyte

  • Berechnung Anionenlücke und Deltalücke

  • Winters Formel zur Berechnung kompensatorischer Veränderungen

  • Ursachenbewertung

Das Erkennen der metabolischen Azidose und die adäquate respiratorische Kompensation werden im Abschnitt Diagnose von Säure-Basen-Störungen erörtert. Die Bestimmung der Ursache der metabolischen Azidose beginnt mit der Anionenlücke.

Die Ursache einer erhöhten Anionenlücke kann klinisch offensichtlich sein (z. B. hypovolämischer Schock, verpasste Hämodialyse). Ist dies nicht der Fall, sollten die Laborwerte Folgendes beinhalten

  • Blut-Harnstoff-Stickstoff

  • Kreatinin

  • Glukose

  • Laktat

  • Mögliche Toxine

Die Salicylat-Spiegel können in den meisten Labors bestimmt werden, die Werte für Methanol und Ethylenglykol häufig aber nicht; einen Hinweis auf das mögliche Vorkommen dieser Substanzen gibt das Auftreten einer osmolaren Lücke.

Die kalkulierte Serumosmolarität (2 [Natrium] + [Glukose]/18 + Blut-Harnstoff-Stickstoff/2,8 + Blutalkohol-Spiegel/5, basierend auf konventionellen Einheiten) wird von der gemessenen Osmolarität subtrahiert. Eine Differenz > 10 weist auf die Anwesenheit einer osmotisch aktiven Substanz hin, welche im Falle einer Azidose mit großer Anionenlücke Methanol oder Ethylenglykol ist. Obwohl die Aufnahme von Ethanol eine osmolare Lücke und eine geringgradige Azidose verursachen kann, sollte man dies nicht für die einzige Ursache einer ausgeprägten metabolischen Azidose halten.

Wenn die Serum-Anionenlücke normal ist, werden die Urin-Elektrolyte gemessen und die Harn-Anionenlücke wird berechnet als [Natrium] + [Kalium] - [Chlorid]. Eine normale Anionenlücke im Urin bei einer Person ohne Azidose hat einen Wert nahe Null. Wenn die Anionenlücke im Urin negativ wird, befinden sich überschüssige, nicht gemessene, positiv geladene Ionen im Urin, in der Regel Ammonium (NH4+), das normalerweise von den Nieren als Reaktion auf einen Volumenmangel sezerniert wird. Wenn die Anionenlücke im Urin bei einem Patienten mit metabolischer Azidose ohne Anionenlücke -30 bis -50 mEq/l (-30 bis -50 mmol/l) beträgt, reagieren die Nieren auf extra-renale Volumenverluste, die typischerweise aus dem Gastrointestinaltrakt stammen. Eine Erhöhung der Anionenlücke im Urin bei solchen Patienten (ein positives berechnetes Ergebnis) ist auf den Verlust nicht gemessener negativ geladener Ionen im Urin zurückzuführen und deutet auf einen renalen HCO3-Verlust hin, der am häufigsten bei renaler tubulärer Azidose auftritt (die Bewertung der renalen tubulären Azidose wird an anderer Stelle behandelt).

Zusätzlich, wenn eine metabolische Azidose vorliegt, wird eine Deltalücke berechnet, um eine gleichzeitige metabolische Alkalose zu identifizieren und die Winters Formel wird angewendet, um festzustellen, ob die respiratorische Kompensation angemessen ist oder eine 2. Säure-Basen-Störung widerspiegelt.

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Behandlung der metabolischen Azidose

  • Behandlung der Ursache

  • Natriumbikarbonat (NaHCO3) In erster Linie für schwere Azidose—geben Sie es mit Vorsicht

Die Behandlung richtet sich nach der jeweiligen Ursache. Beim Nierenversagen und gelegentlich auch bei Intoxikationen mit Ethylenglykol, Methanol oder Salicylaten bedarf es einer Hämodialyse.

Für die Therapie einer Azidämie mit NaHCO3 gibt es nur unter ganz bestimmten Umständen eine deutliche Indikation; unter anderen Umständen kann sie wahrscheinlich schädlich sein. Wenn die metabolische Azidose von einem HCO3-Verlust oder der Akkumulation anorganischer Säuren herrührt (wie bei einer Azidose mit normaler Anionenlücke), ist die Therapie mit HCO3− im Allgemeinen sicher und angebracht. Wird die Azidose jedoch durch die Akkumulation organischer Säuren verursacht (wie bei einer Azidose mit großer Anionenlücke), wird der Einsatz von HCO3− uneinheitlich beurteilt. Diese Therapieoption senkt die Mortalitätsrate nicht signifikant und beinhaltet verschiedene mögliche Risiken

Nach Behandlung der auslösenden Ursache werden Laktat und Ketonsäuren zu HCO3 rückmetabolisiert. Die exogene Zufuhr von HCO3 kann daher zu einer "überschießenden" metabolischen Alkalose führen. In jedem Fall kann HCO3−-Gabe auch zu Natrium- und Volumenüberladung, Hypokaliämie und (durch Hemmung des Atemantriebs) Hyperkapnie führen. Darüber hinaus wird eine intrazelluläre Azidose nicht korrigiert, da HCO3 nicht durch Zellmembranen diffundieren kann. Die Azidose kann sich sogar paradoxerweise verschlechtern, da ein Teil des zugeführten HCO3 in Carbondioxid (CO2) umgewandelt wird, welches in die Zellen diffundieren kann und zu H+ und HCO3 hydrolysiert wird. Die Ausscheidung von zusätzlichem CO2 erfordert auch eine ausreichende Minutenbeatmung. Bei Patienten mit eingeschränktem Atemstatus aufgrund einer zugrundeliegenden Lungenerkrankung kann es sein, dass sie die erhöhte Minutenventilation nicht einhalten können. Patienten, die eine mechanische Beatmungsunterstützung benötigen, brauchen entsprechende Einstellungen des Beatmungsgeräts, um eine erhöhte Minutenventilation zu berücksichtigen.

Trotz dieser und anderer Kontroversen empfehlen die meisten Experten, Bicarbonat intravenös bei schwerer metabolischer Azidose (pH-Wert < 7,0) zu verabreichen, vor allem wegen der Bedenken hinsichtlich einer Verschlechterung der kardiovaskulären Instabilität bei niedrigeren pH-Werten.

Die Behandlung erfordert die Durchführung von zwei Berechnungen (dieselben für konventionelle und SI-Einheiten). Die erste bestimmt, bis zu welchem Wert HCO3 angehoben werden muss, berechnet nach der Kassirer-Bleich-Gleichung, wobei ein Zielwert für [H+] von 79 nEq/l (79 nmol/l) verwendet wird, was einem pH-Wert von 7,10 entspricht:

79 = 24 × Pco2/HCO3

oder

Gewünschtes HCO3 = 0,30 × PCO2

Die Menge Natriumbikarbonat, die zum Erreichen dieser Werte benötigt wird, ist:

NaHCO3 benötigt (mEq/mmol) = (gewünschtes [HCO3] beobachtetes [HCO3]) ×0,4 × Körpergewicht (kg)

Zum Beispiel hat ein 70 kg schwerer Mann eine schwere metabolische Azidose mit einem pH-Wert von 6,92, PCO2 von 40 mmHg und HCO3 von 8 mEq/l (8 mmol/l). Der Zielbicarbonatspiegel, der benötigt wird, um einen pH-Wert von 7,10 zu erreichen, beträgt 0,30 × 40 = 12 mEq/l (12 mmol/l). Dieser Wert liegt um 4 mEq/l (4 mmol/l) über seinem aktuellen Bicarbonatwert von 8. Um Bicarbonat um 4 zu erhöhen, multiplizieren Sie 4 mit 0,4 mal 70 (das Körpergewicht), was ein Ergebnis von 112 mEq (112 mmol) HCO3 ergibt. Diese Menge Natriumbikarbonat wird über mehrere Stunden gegeben. Blut-pH und HCO3-piegel sollten 30 Minuten bis 1 Stunde nach der Administration überprüft werden. Dies erlaubt eine zwischenzeitliche Äquilibrierung mit extravaskulärem HCO3. Es gibt keinen Konsens über die Konzentration der zu verwendenden Bikarbonatlösung, aber es ist wichtig zu wissen, dass die typische 50-ml-Ampulle NaHCO3 50 mEq Natriumbikarbonat enthält und eine Volumenüberlastung verschlimmern und auch Hyperosmolalität verursachen kann, insbesondere wenn mehrere Ampullen über einen kurzen Zeitraum verabreicht werden. Isoosmotische Formulierungen wie 75 mEq NaHCO3 gemischt mit 1 l 0,45%iger Kochsalzlösung und 150 mEq NaHCO3 gemischt mit 1 l sterilem Wasser werden ebenfalls verwendet.

Alternativen zu Natriumbikarbonat umfassen

  • Laktat, entweder in Form einer laktierten Ringerlösung oder Natriumlaktat (metabolisiert mEq für mEq zu Bikarbonat, wenn die Leberfunktion normal ist).

  • Natriumacetat (wird bei normaler Leberfunktion mEq für mEq in Bicarbonat umgewandelt)

  • Tromethamin: ein Aminoalkohol, der sowohl metabolische (H+) als auch respiratorische (Kohlensäure [H2CO3]) Säuren puffert

  • Carbicarb, ein äquimolares Gemisch aus Natriumbicarbonat und Carbonat (welches CO2 verbraucht und HCO3 generiert)

  • Dichloroacetat, das die Oxidation von Laktat verbessert

Diese Alternativen bieten keinen erwiesenen Vorteil gegenüber Natriumbikarbonat allein und können selbst zu Komplikationen führen.

Der K+-Mangel, der häufig bei einer metabolischen Azidose besteht, sollte durch konstante Überprüfung des K+ im Serum bestimmt werden und je nach Schweregrad mit oraler oder parenteraler Gabe von Kaliumchlorid behandelt werden.

Wichtige Punkte

  • Eine metabolische Azidose kann durch die Akkumulation von Säuren verursacht werden, die durch erhöhte Säureproduktion oder -aufnahme, verminderte Säureausscheidung oder durch Verluste von HCO3 über den Gastrointestinaltrakt oder über die Nieren entsteht.

  • Metabolische Azidosen werden danach kategorisiert, ob die Anionenlücke groß oder normal ist.

  • Ursachen von Azidosen mit großer Anionenlücke sind meist Ketoazidose, Laktatazidose, chronische Nierenerkrankungen oder die Aufnahme bestimmter Toxine.

  • Ursache von Azidosen mit normaler Anionenlücke ist meist HCO3-Verlust über den Gastrointestinaltrakt oder über die Nieren.

  • Berechnen Sie die Deltalücke, um begleitende metabolische Alkalosen zu identifizieren und wenden Sie Winters Formel an, um zu sehen, ob die respiratorische Kompensation angemessen ist oder eine 2. Säure-Basen-Störung widerspiegelt.

  • Behandeln Sie die Ursache.

  • Intravenöses Bicarbonat HCO3 wird angezeigt, wenn Azidose aufgrund einer Änderung in HCO3 (Normale Anionenlücke Azidose) hervorgerufen wird.

  • Intravenöses NaHCO3 ist bei Azidose mit großer Anionenlücke umstritten (kann aber auch, wenn der pH-Wert < 7,00 ist, mit einem Ziel-pH-Wert von ≥ 7,10) in Betracht gezogen werden.