Die reaktive Arthritis ist eine hochakute Spondylarthritis, die oft auf eine Infektion (am häufigsten des Gastrointestinal- oder Urogenitaltraktes) zurückzuführen ist. Zu den häufigen Manifestationen gehören asymmetrische Arthritis unterschiedlicher Intensität, die tendenziell die unteren Extremitäten mit wurstförmigen Deformationen der Finger oder Zehen oder beider betrifft, große Knieergüsse, konstitutionelle Symptome, Enthesitis, Tendinitis und mukokutane Ulzerationen, einschließlich hyperkeratotischer oder verkrusteter Bläschenläsionen (Keratoderma blennorrhagicum). Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die Therapie wird zunächst mit nichtsteroidalen Antiphlogistika, bei chronifiziertem Verlauf auch mit Sulfasalazin oder andere Immunsuppressiva durchgeführt.
Eine Spondylarthritis in Verbindung mit Urethritis oder Zervizitis, Konjunktivitis und Schleimhautläsionen (früher Reiter-Syndrom genannt) ist eine spezielle Form der reaktiven Arthritis.
Ätiologie der reaktiven Arthritis
Zwei Formen der reaktiven Arthritis sind häufig: sexuell übertragen und dysenteritisch.
Die sexuell übertragene Form kommt vorwiegend bei Männern zwischen dem 20. und 40 Lebensjahr vor, am häufigsten im Zusammenhang mit genitalen Infektionen mit Chlamydia trachomatis.
Die dysenteritische Form nach enteritischen Infektionen, verursacht vorwiegend durch Shigella, Salmonella, Clostridioides difficile, Yersinia, oder Campylobacter, kommt bei Männern und Frauen gleich häufig vor.
Auch die Injektion von Bacille Calmette-Guerin bei Blasenkrebs kann reaktive Arthritis auslösen.
In etwa in 40% der Fälle können die Infektionserreger nicht identifiziert werden (1).
Die reaktive Arthritis ist eine postinfektiöse Arthritis. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass ein mikrobielles Antigen im Synovium vorliegt, aus der Gelenkflüssigkeit können jedoch keine Mikroorganismen kultiviert werden.
Hinweis zur Ätiologie
1. Fendler C, Laitko S, Sörensen H, et al: Frequency of triggering bacteria in patients with reactive arthritis and undifferentiated oligoarthritis and the relative importance of the tests used for diagnosis. Ann Rheum Dis. 2001;60(4):337-343. doi:10.1136/ard.60.4.337
Epidemiologie der reaktiven Arthritis
Die Prävalenz des humanen Leukozyten-Antigens B27 (HLA-B27) bei Patienten mit reaktiver Arthritis kann bis zu etwa 80 % betragen (PMID 34144605), verglichen mit Schätzungen aus der Allgemeinbevölkerung mit Schätzungen von 7 % bei gesunden Kontrollen (1, 2), wodurch eine genetische Prädisposition unterstützt wird.
Im Vergleich zu Patienten ohne HLA-B27-Allel haben Patienten mit dem HLA-B27-Allel eine schwerere Arthritis, extraartikuläre Manifestationen und einen längeren Krankheitsverlauf.
Literatur zur Epidemiologie
1. Costantino F, Talpin A, Said-Nahal R, et al: Prevalence of spondyloarthritis in reference to HLA-B27 in the French population: results of the GAZEL cohort. Ann Rheum Dis. 2015;74(4):689-693. doi:10.1136/annrheumdis-2013-204436
2. Bentaleb I, Abdelghani KB, Rostom S, Amine B, Laatar A, Bahiri R. Reactive Arthritis: Update. Curr Clin Microbiol Rep. 2020;7(4):124-132. doi:10.1007/s40588-020-00152-6
Symptome und Anzeichen einer reaktiven Arthritis
Das Spektrum der reaktiven Arthritis reicht von der flüchtigen Monarthritis bis zur schwersten multisystemischen Krankheit. Allgemeinsymptome wie Fieber, Müdigkeit und Gewichtsverlust sind häufig vorhanden. Die Arthritis kann leicht oder schwer verlaufen. Die Gelenkbeteiligung ist in der Regel asymmetrisch und oligoartikulär oder polyartikulär. Sie tritt vorwiegend an den Zehen und den großen Gelenken der unteren Extremitäten auf und kann auch große Knieergüsse umfassen. In schweren Fällen können auch tiefsitzende Kreuzschmerzen vorkommen. Gelenkschäden treten selten auf. Eine axiale Beteiligung tritt häufiger bei Patienten mit positivem HLA-B27 auf und ist in der Regel asymmetrisch mit großen und massiven Syndesmophyten.
Häufig und charakteristisch sind Entzündungen der Sehnenansätze am Knochen (Enthesitis; z. B. plantare Fasziitis, Tendinitis der Achillessehne und digitale Periostitis).
Schleimhautläsionen — kleine, flüchtige, verhältnismäßig schmerzlose oberflächliche Schleimhautulzera treten v. a. in der Mundschleimhaut, am Zahnfleisch sowie an der Glans penis (Balanitis circinata) auf. Besonders charakteristisch sind Hautveränderungen in Form von Bläschen (manchmal identisch mit der pustulösen Psoriasis), lokalisiert palmoplantar und um die Nägel, die hyperkeratotisch werden und Krusten bilden (Keratoderma blennorrhagicum). Keratoderma blennorrhagicum kann auch Erytheme, Plaques und Schuppung umfassen. Die Nägel können dystrophieren. Über Erythema nodosum wurde auch bei reaktiver Arthritis berichtet, vor allem nach einer Yersinia-Infektion.
Die Geschwüre auf diesem Foto sind flach und relativ schmerzlos.
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Diese Abbildung zeigt umfangreiche psoriatische Plaques, generalisiertes Erythem und starke Skalierung an den Handflächen eines Patienten mit reaktiver Arthritis.
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Dieses Foto zeigt Plaques, ausgeprägtes Erythem und Schuppung der Haut bei einem Patienten mit reaktiver Arthritis.
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Diese Abbildung zeigt dystrophische Nagelveränderungen als Folge einer reaktiven Arthritis.
Image courtesy of Karen McKoy, MD.
Eine Urethritis entwickelt sich ca. 7–14 Tage nach sexuellem Kontakt (oder gelegentlich auch nach Dysenterie); im Lauf der nächsten Wochen entwickeln sich dann Temperaturerhöhungen, Konjunktivitis und Arthritis. Nicht alle Symptome müssen vorkommen, ein inkompletter Befall ist in Betracht zu ziehen. Bei Männern ist die Urethritis weniger schmerzhaft und entwickelt weniger purulenten Ausfluss als bei der akuten gonorrhoischen Urethritis, sie kann mit einer hämorrhagischen Zystitis oder Prostatitis verknüpft sein. Bei Frauen verläuft die Urethritis und Zervizitis meist mild oder asymptomatisch (mit geringer Dysurie oder leichtem vaginalem Ausfluss).
Die Konjunktivitis stellt die häufigste Augenbeteiligung dar. Sie verursacht meist leichte Rötung und Fremdkörpergefühl, es kann sich jedoch auch eine Keratitis und Uveitis anterior entwickeln, die Schmerzen, Photophobie und Tränenfluss verursacht.
Deutlich seltener kommt es zu kardiovaskulären Komplikationen (z. B. Aortitis, Aorteninsuffizienz, Reizleitungsstörungen), zur Pleuritis und zur Beteiligung des zentralen oder peripheren Nervensystems.
Diagnose der reaktiven Arthritis
Typische Arthritis
Symptome einer vorangegangenen gastrointestinalen oder Urogenital-Infektion
Eine andere extraartikuläre Funktion
Eine reaktive Arthritis sollte bei Patienten mit akuter, asymmetrischer Arthritis der großen Gelenke der unteren Extremitäten oder der Zehen vermutet werden, insbesondere wenn eine Enthesitis, Daktylitis oder eine Anamnese mit Diarrhö oder Dysurie vorliegt.
Die Diagnose wird letztlich klinisch gestellt, sie erfordert das typische Bild der peripheren Arthritis in Verbindung mit Symptomen einer Harnwegs- oder gastrointestinalen Infektion sowie einer der anderen extraartikulären Manifestationen. Da diese Befunde zu unterschiedlichen Zeiten auftreten können, wird die definitive Diagnose möglicherweise erst nach Monaten gestellt. Die Komplementspiegel in Serum und Synovia sind hoch, da es sich aber um unspezifische Befunde handelt, ist deren Bestimmung nicht erforderlich.
Die disseminierte Gonokokkeninfektion kann einer reaktiven Arthritis stark ähneln. Eine Arthrozentese kann nicht immer bei der Unterscheidung helfen, da bei beiden Krankheiten die Synovialflüssigkeit entzündlich verändert ist und der kulturelle Gonokokkennachweis oft nicht gelingt. Klinische Merkmale können hilfreich sein; eine disseminierte Gonokokkeninfektion betrifft in der Regel die oberen und unteren Extremitäten gleichermaßen, ist zu Beginn eher wandernd, verursacht keine Rückenschmerzen und die Bläschen sind in der Regel nicht hyperkeratotisch. Eine positive Gonokokken-Kultur aus Blut oder Hautläsionen hilft bei der Unterscheidung der beiden Erkrankungen, eine positive Kultur aus der Harnröhre oder der Zervix hingegen nicht, auch wenn sie suggestiv ist. Wenn die Differenzierung immer noch schwierig ist, kann ein Ansprechen auf eine Ceftriaxon-Behandlung nach etwa einer Woche für eine gleichzeitige Diagnose und Behandlung erforderlich sein.
Auch die Psoriasisarthritis kann bei Vorhandensein ähnlicher Hautveränderungen, einer Uveitis und einer asymmetrischen Oligoarthritis mit der reaktiven Arthritis verwechselt werden. Die Psoriasisarthritis jedoch befällt häufig die oberen Extremitäten, charakteristischerweise die DIP-Gelenke, kann abrupt oder allmählich beginnen und ruft keine Schleimhautulzera hervor und ist ohne urogenitale oder gastrointestinale Infektanamnese.
Behandlung der reaktiven Arthritis
Nichtsteroidale Antirheumatika (= nonsteroidal anti-inflammatory drugs, NSAID)
Manchmal Sulfasalazin, Methotrexat oder ein Tumornekrosefaktor (TNF)-Inhibitor
Supportive Maßnahmen
NSAR (z. B. Indomethacin 25 bis 50 mg oral 3-mal täglich) helfen in der Regel, die Symptome der reaktiven Arthritis zu lindern. Bei einer Infektion mit C. trachomatis, sollte Doxycyclin (100 mg p.o. 2-mal täglich) bis zu 3 Monate eingenommen werden, um das Abklingen zu beschleunigen, der Effekt dieser Maßnahme wird aber noch kontrovers diskutiert. Sulfasalazin zur Behandlung von rheumatoider Arthritis kann ebenfalls hilfreich sein. Bei anhaltend massiver Symptomatik trotz nichtsteroidaler Antiphlogistika und Sulfasalazin kann der Einsatz von Methotrexat notwendig sein. Bei Patienten, die auf NSAR und herkömmliche synthetische DMARD (krankheitsmodifizierende Antirheumatika, insbesondere Sulfasalazin und Methotrexat) nicht ansprechen, können TNF-Inhibitoren in Betracht gezogen werden. Die Gründe für diesen Ansatz liegen in der Behandlung von Patienten mit einer peripheren Spondyloarthropathie begründet.
Die lokale Verabreichung von Depotkortikosteroiden bei einer Oligoarthritis oder Enthesitis kann hingegen einen guten symptomatischen Effekt bringen. Während der Abklingphase ist der zusätzliche Einsatz von physikalischer Therapie nützlich, um die Gelenkbeweglichkeit wiederherzustellen bzw. zu erhalten. Die Uveitis anterior wird mit lokalen Kortikosteroiden und Mydriatika behandelt, um eine Narbenbildung zu verhindern. Konjunktivitis und Schleimhautläsionen bedürfen nur symptomatischer Therapie.
Es wird empfohlen, auf das humane Immundefizienzvirus (HIV) und andere sexuell übertragbare Infektionen zu testen und Sexualpartner zu behandeln.
Prognose für reaktive Arthritis
Die reaktive Arthritis verschwindet oft innerhalb von 3–4 Monaten, aber bei bis zu 50% der Patienten treten die Symptome über mehrere Jahre hinweg immer wieder auf oder halten an, insbesondere wenn sie durch eine Chlamydieninfektion ausgelöst werden und bei Patienten mit positiven HLA-B27-Allelen. In diesen Fällen kann es zu Gelenkdeformitäten und entzündlichem Befall der Wirbelsäule und Iliosakralgelenke kommen, Einige Patienten werden zu Behinderten.
Wichtige Punkte
Die reaktive Arthritis ist eine Form der Spondyloarthropathie, die durch eine Infektion ausgelöst wird und typischerweise nach einer sexuell übertragbaren oder enterischen Infektion auftritt.
Zu ihren Manifestationen gehören Arthritis (meist asymmetrisch und unter Beteiligung der großen Gelenke der unteren Extremität und der Zehen), Enthesopathie, mukokutane Läsionen, Konjunktivitis und nicht eitriger genitaler Ausfluss (z. B. Urethritis, Zervizitis).
Die Diagnose wird bestätigt durch die typischen arthritischen Befunde und entweder durch Symptome oder eine Anamnese einer Harnwegs- oder gastrointestinalen Infektion oder einen charakteristischen extraartikulären Befund.
Behandeln Sie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR) und manchmal Sulfasalazin, Methotrexat oder einem TNF-Inhibitor.