Verzögerte Pubertät

VonAndrew Calabria, MD, The Children's Hospital of Philadelphia
Überprüft/überarbeitet Apr. 2024
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Kurzinformationen

Verzögerte Pubertät wird als das Ausbleiben des Beginns der sexuellen Reife zum erwarteten Zeitpunkt definiert.

  • In den meisten Fällen entwickeln sich die Kinder einfach später als Gleichaltrige, letztendlich jedoch normal.

  • Manchmal wird eine verzögerte Pubertät durch eine chronische Erkrankung, Hormonstörungen, Strahlentherapie oder Chemotherapie, Essstörungen oder übermäßige sportliche Aktivitäten, genetische Erkrankungen, Tumoren und bestimme Infektionen verursacht.

  • Die typischen Symptome sind unter anderem das ausbleibende Wachstum der Hoden bei Jungen und das Ausbleiben des Brustwachstums und der Menstruation bei Mädchen.

  • Die Diagnose basiert auf den Ergebnissen einer körperlichen Untersuchung, verschiedenen Labortests, einer Röntgenuntersuchung der Knochen, einem Gentest und anderen Tests mit bildgebenden Verfahren.

  • Die Behandlung ist abhängig von der Ursache und kann eine Hormonsubstitutionstherapie beinhalten.

(Siehe auch Pubertät bei Jungen und Pubertät bei Mädchen.)

Die sexuelle Reifung (Pubertät) setzt ein, wenn die Hypothalamusdrüse beginnt, ein chemisches Signal namens Gonadotropin-freisetzendes Hormon abzusondern. Die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) reagiert auf dieses Signal, indem sie Hormone, sogenannte Gonadotropine, absondert, die das Wachstum der Geschlechtsdrüsen stimulieren (die Hoden bei Jungen und die Eierstöcke bei Mädchen). Die wachsenden Geschlechtsdrüsen sondern die Sexualhormone Testosteron bei Jungen und Östrogen bei Mädchen ab. Diese Hormone führen zur Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale, darunter Gesichtsbehaarung und Muskelmasse bei Jungen, Brüste bei Mädchen, und Scham- und Achselbehaarung sowie sexuelles Verlangen (Libido) bei beiden Geschlechtern.

Bei einigen Jugendlichen beginnt die sexuelle Entwicklung nicht im üblichen Alter.

Bei Jungen kommt die verzögerte Pubertät häufiger vor und ist folgendermaßen definiert:

  • Keine Vergrößerung der Hoden (Testes) im Alter von 13 oder 14 Jahren

  • Zeitspanne von mehr als 4 Jahren ab dem Einsetzen des Wachstums der äußeren Geschlechtsorgane bis hin zum völligen Auswachsen der Geschlechtsorgane

Bei Mädchen wird die verzögerte Pubertät folgendermaßen definiert:

  • Keine Brustentwicklung im Alter von 12 bis 13 Jahren

  • Zeitspanne von mehr als 3 Jahren ab dem Beginn des Brustwachstums bis hin zur ersten Menstruationsperiode

  • Keine Menstruation (Amenorrhö) bis zum Alter von 15 Jahren

Bei Mädchen ist der Zeitpunkt der Pubertät auch von der ethnischen Herkunft und Abstammung abhängig. Die Pubertät beginnt bei Mädchen afroamerikanischer und lateinamerikanischer Herkunft im Vergleich zu Mädchen mit heller Haut früher (siehe Vorzeitige Pubertät).

Meilensteine der sexuellen Entwicklung bei Mädchen und Jungen

Die sexuelle Entwicklung läuft während der Pubertät in einer festgelegten Reihenfolge während einer bestimmten Zeitspanne ab. Es hängt aber von der Person ab, wann die Veränderungen beginnen und wie schnell sie voranschreiten.

Bei Mädchen beginnt die Pubertät im Alter von 8 bis 13 Jahren und dauert ca. 4 Jahre.

Bei Jungen beginnt die Pubertät etwa mit 9 bis 14 Jahren und dauert ungefähr 4 bis 6 Jahre.

Die Grafik zeigt einen typischen Ablauf und ein normales Entwicklungsspektrum für die Meilensteine der sexuellen Entwicklung.

Ursachen für eine verzögerte Pubertät

In den meisten Fällen stellt die verzögerte Pubertät eine normale Abweichung dar, die erblich bedingt sein könnte (auch als konstitutionelle Verzögerung der Pubertät bezeichnet). Diese Jugendlichen wachsen völlig normal heran und sind im Übrigen gesund. Auch wenn der Wachstumsschub und die Pubertät verzögert auftreten, verläuft ihre Entwicklung letztendlich normal.

Verschiedene Störungen, wie beispielsweise Diabetes mellitus, entzündliche Darmerkrankungen, Nierenerkrankungen, Mukoviszidose und Anämie, können die sexuelle Entwicklung verzögern oder verhindern. Entwicklungsverzögerungen oder ein Ausbleiben der Entwicklung können auch bei Jugendlichen, die sich einer Strahlentherapie oder Krebs-Chemotherapie unterziehen, auftreten. Die Pubertät kann auch durch Autoimmunerkrankungen (wie Hashimoto-Thyreoiditis, Addison-Krankheit [primäre Nebennierenrindeninsuffizienz] und Erkrankungen, die die Eierstöcke direkt betreffen) verzögert werden. Durch einen Tumor, der die Hirnanhangsdrüse oder den Hypothalamus beeinträchtigt, kann der Gonadotropinspiegel sinken oder die Hormonproduktion insgesamt zum Erliegen kommen.

Bei Jungen kann eine verzögerte Pubertät durch eine verminderte Produktion von Testosteron, Spermien oder beidem verursacht werden (Hypogonadismus).

Jugendliche, die aufgrund von Unterernährung oder einer Essstörung sehr dünn werden, haben oft eine verzögerte Pubertät. Übermäßige körperliche Aktivität kann zu einer verzögerten Pubertät führen, insbesondere bei Mädchen, die keine Menstruationsperioden haben (Amenorrhö).

Chromosomenanomalien, wie beispielsweise das Turner-Syndrom bei Mädchen und das Klinefelter-Syndrom bei Jungen sowie andere genetische Störungen können die Produktion der Sexualhormone beeinflussen. Bei einer dieser genetischen Erkrankungen, dem Kallmann-Syndrom, ist nur die Gonadotropin-Produktion betroffen.

Pubertas tarda (konstitutionell verzögerter Geschlechtsreife)

Manche Kinder sind gesund, die Pubertät setzt einfach nur nicht im normalen Alter ein. Dieses Phänomen wird als konstitutionelle Verzögerung der Pubertät bezeichnet. Die konstitutionelle Verzögerung kommt bei Jungen häufiger vor und viele Kinder weisen eine Familiengeschichte einer verzögerten Pubertät bei einem Eltern- oder Geschwisterteil auf.

Kleinwuchs tritt hier in der Kindheit und Jugend bei Kindern mit konstitutionell verzögerter Geschlechtsreife häufig auf. Zur erwarteten Zeit in der Pubertät lässt das Wachstum oft nach, da der typische Wachstumsschub verzögert auftritt. Dadurch besteht in den frühen Jugendjahren ein merkbarer Unterschied bezüglich der Größe zwischen den betroffenen Kindern und Gleichaltrigen. Diese Kinder zeigen typischerweise bis zum Alter von 18 Jahren Anzeichen der Pubertät und erreichen letztendlich eine normale Größe und entwickeln sich auch normal. Diese Verzögerung kann allerdings Ängste hervorrufen.

Die konstitutionelle Entwicklungsverzögerung wird nicht durch hormonelle oder genetische Probleme oder eine zugrundeliegende Erkrankung verursacht (wie eine entzündliche Darmerkrankung oder Essstörungen). Zum Ausschluss anderer Ursachen von Kleinwuchs und einer verzögerten Pubertät können die Kinder jedoch untersucht werden.

Symptome einer verzögerten Pubertät

Bei Mädchen kommt es nicht zu Brustentwicklung, Schambehaarung, der ersten Menstruationsperiode oder einer Kombination davon.

Bei Jungen kommt es nicht zur Entwicklung der Genitalien oder zum Wachstum der Schambehaarung oder einer Kombination von beidem.

Kleinwüchsigkeit, Wachstumsverzögerung oder beides kann auf eine verzögerte Pubertät bei beiden Geschlechtern hindeuten.

Jugendliche mit verzögerter Pubertät (Pubertas tarda) können deutlich kleiner als Gleichaltrige sein, Probleme mit Hänseleien und Mobbing haben und häufig Hilfe im Umgang und mit der Bewältigung von sozialen Problemen benötigen. Jungen fühlen sich eher aufgrund von Kleinwüchsigkeit und verzögerter Pubertät psychisch gestresst und verlegen als Mädchen, aber sowohl bei Jungen als auch Mädchen kann die Schul- und soziale Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein.

Diagnose einer verzögerten Pubertät

  • Eine körperliche Untersuchung

  • Röntgenuntersuchung zur Bestimmung des Knochenalters

  • Bluttests

  • Manchmal Magnetresonanztomographie (MRT)

  • Genetische Untersuchung

  • Ultraschalluntersuchung des Beckens (bei Mädchen)

Die Erstbeurteilung der verzögerten Pubertät sollte aus einer vollständigen Krankengeschichte und einer körperlichen Untersuchung zur Beurteilung der Entwicklung, des Ernährungszustands und des Wachstums bestehen. Der Arzt fragt auch, ob es in der Familie der Kinder Fälle von verzögerter Pubertät gab.

Häufig wird eine Röntgenaufnahme der linken Hand des Kindes durchgeführt, um die Reife der Knochen zu bestimmen (Röntgenuntersuchung zur Bestimmung des Knochenalters). Eine Röntgenuntersuchung zur Bestimmung des Knochenalters kann zeigen, dass die Knochen eines Kindes ein weniger reifes Aussehen haben, als sie für ein typisches Kind dieses Alters haben sollten.

Zum Ausschluss eines Hirntumors oder einer strukturellen Auffälligkeit der Hirnanhangsdrüse kann eine Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt werden.

Es können Bluttests und grundlegende Labortests durchgeführt werden, um nach Anzeichen einer chronischen Erkrankung zu suchen und die Hormonspiegel zu messen. Bei manchen Kindern werden die Blutproben unter Umständen für Gentests verwendet.

Ärzte untersuchen Jungen für gewöhnlich, wenn sie bis zum Alter von 13 oder 14 Jahren keine Anzeichen einer Pubertät aufweisen. Sie untersuchen in der Regel Mädchen, die bis zum Alter von 12 oder 13 Jahren keine Anzeichen einer einsetzenden Pubertät zeigen, oder die bis zum Alter von 15 Jahren keine Menstruation haben. Wenn diese Jugendlichen ansonsten gesund sind, sind sie höchstwahrscheinlich konstitutionelle Spätentwickler. Der Arzt kann entscheiden, bei diesen Jugendlichen regelmäßige Untersuchungen in Abständen von 6 Monaten durchzuführen, um sicherzustellen, dass die Pubertät einsetzt und normal fortschreitet.

Mädchen mit stark verzögerter Pubertät sollten auf primäre Amenorrhö untersucht werden. Diese Untersuchung umfasst eine Ultraschalluntersuchung des Beckens und andere Blut- und Gentests.

Behandlung einer verzögerten Pubertät

  • Behandlung der Krankheitsursache

  • Hormontherapie

Die Behandlung einer Pubertas tarda hängt von ihrer Ursache ab. Wenn eine tiefer liegende Störung die Ursache der verzögerten Pubertät ist, setzt sich die Pubertät für gewöhnlich fort, sobald die Störung behandelt wurde.

Ein Jugendlicher, bei dem eine natürliche Entwicklungsverzögerung vorliegt, muss nicht behandelt werden. Belastet die verzögerte oder fehlende Entwicklung den Jugendlichen jedoch psychisch stark, können vom Arzt ergänzende Geschlechtshormone gespritzt werden, um den Pubertätsbeginn früher einzuleiten. Bei Jungen wird diese Behandlung bedeutend häufiger durchgeführt. Kinder mit verzögerter Pubertät benötigen oft zusätzliche Unterstützung von den Eltern, Familienmitgliedern und Freunden, um sicherzustellen, dass sie ein gesundes Körperbild und Selbstwertgefühl haben.

Wenn bei Jungen im Alter von 13 oder 14 Jahren noch keine Anzeichen der Pubertät auftreten, können sich diese einer 4- bis 6-monatigen Testosterontherapie mit monatlichen Injektionen unterziehen. In geringen Mengen leitet Testosteron die Pubertät ein, bewirkt die Entwicklung einiger männlicher Merkmale (Virilisierung) und verhindert nicht das Körperwachstumspotenzial der Jugendlichen.

Mädchen können geringe Dosen von Östrogen als Pillen oder Pflaster verabreicht werden. Diese Östrogentherapie kann eingesetzt werden, um die Pubertät zu einzuleiten. In einigen Fällen, wie bei Mädchen mit Turner-Syndrom, kann die Therapie für einen langfristigen Hormonersatz erforderlich sein.

Genetische Störungen können nicht behandelt werden. Eine Hormontherapie kann jedoch die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale unterstützen.

Zur Entfernung von Hypophysentumoren kann eine Operation notwendig sein. Bei diesen Kindern besteht das Risiko eines Hypopituitarismus (einem Mangel an einem oder mehreren Hormonen, die von der Hypophyse gebildet werden).