Verhaltensbezogene und psychische Symptome der Demenz

VonJuebin Huang, MD, PhD, Department of Neurology, University of Mississippi Medical Center
Überprüft/überarbeitet Feb. 2023
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Störende Verhaltensweisen sind bei Patienten mit Demenz häufig und der wichtigste Grund für bis zu 50% der Aufnahmen in ein Pflegeheim. Störendes Verhalten umfasst Umherwandern, Rastlosigkeit, Schreien, Werfen, Schlagen, Verweigerung von Behandlungen, endloses Fragen, Unterbrechen der Arbeit der Pflegekräfte, Schlaflosigkeit und Weinen. Verhaltensbezogene und psychische Symptome der Demenz sind nicht gut charakterisiert, und ihre Behandlung wird kaum verstanden.

Die Entscheidung, welche Handlungen ein verhaltensbezogenes Symptom darstellen, ist sehr subjektiv. Die Erträglichkeit (welches Verhalten können die Pflegepersonen tolerieren?) hängt zum Teil von den Lebensumständen des Patienten, besonders der Sicherheit, ab. Umherwandern kann z. B. toleriert werden, wenn ein Patient in einer sicheren Umgebung lebt (mit Schlössern und Alarmsicherung an allen Türen und Ausgängen); wenn der Patient jedoch in einem Pflegeheim oder Krankenhaus lebt, kann das Umherwandern unerträglich sein, weil es andere Patienten oder den Betrieb der Institution stört.

Viele Verhaltensweisen (z. B. Umherwandern, wiederholtes Fragen, unkooperatives Verhalten) sind tagsüber besser zu ertragen. Ob das Sundowning-Phänomen (Zunahme der störenden Verhaltensweisen bei Sonnenuntergang bzw. am frühen Abend) eine abnehmende Toleranz der Pflegekräfte oder eine echte Tagesschwankung repräsentiert, ist unbekannt. In Pflegeheimen zeigen 12–14% der Patienten mit Demenz abends mehr störendes Verhalten als am Tag.

(Siehe auch Übersicht über Delir und Demenz und Dementia.)

Ätiologie

Verhaltensbezogene und psychische Symptome können von funktionellen Veränderungen im Zusammenhang mit der Demenz herrühren:

  • Verminderte Hemmung der unangemessenen Verhaltensweisen (z. B. Patienten entkleiden sich an öffentlichen Orten)

  • Fehlinterpretation der visuellen und auditiven Hinweisreize (z. B. können sie sich Behandlungen widersetzen, die sie als Angriff wahrnehmen)

  • Eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis (z. B. sie fragen immer wieder nach Dingen, die sie bereits bekommen haben)

  • Reduzierte Fähigkeit oder Unfähigkeit, Bedürfnisse auszudrücken (sie wandern z. B. umher, weil sie einsam, furchtsam oder auf der Suche nach etwas oder jemandem sind)

Patienten mit Demenz passen sich oft nur sehr schlecht an die Regeln des institutionellen Lebens an. Essenszeiten, Schlafenszeiten und Zeiten für den Toilettengang sind nicht individualisiert. Bei vielen älteren Patienten mit Demenz entwickeln oder verstärken sich verhaltensbezogene oder psychische Symptome, nachdem sie in ein stärker beschränkendes nicht vertrautes Umfeld gezogen sind.

Körperliche Probleme (z. B. Schmerz, Atemnot, Harnverhalt, Obstipation, körperliche Misshandlung) können verhaltensbezogene und psychische Symptome verstärken, teilweise deshalb, weil die Patienten nicht adäquat kommunizieren können, worin das Problem besteht. Körperliche Probleme können zu einem Delir führen, und das Delir, das sich auf eine chronische Demenz auflagert, kann das verhaltensbezogene Symptom verschlechtern.

Bewertung

  • Charakterisierung von Verhaltensweisen (z. B. mit der Cohen-Mansfield-Skala)

  • Erfassung von spezifischen Verhaltensweisen

  • Abklärung einer gleichzeitig bestehenden Depression und Psychose

Der beste Ansatz besteht in der Charakterisierung und Klassifizierung des Verhaltens und weniger in der Benennnung aller Verhaltensstörungen als Agitation, ein Begriff, der zu viele Bedeutungen hat und dadurch wenig hilfreich ist. Die Cohen-Mansfield-Skala (Cohen-Mansfield Agitation Inventory) wird häufig verwendet; sie klassifiziert Verhaltensweisen wie folgt:

  • Körperlich aggressiv: z. B. Schlagen, Stoßen, Treten, Beißen, Kratzen oder Packen von Personen oder Dingen

  • Nicht körperlich aggressiv: z. B. unangemessener Umgang mit Dingen, Verstecken von Dingen, unpassendes An- und Ausziehen, Hin- und Herlaufen, Wiederholung von Manierismen oder Sätzen, rastloses Agieren oder Versuche, woanders hinzugehen

  • Verbal aggressiv: z. B. Fluchen, Hervorbringen seltsamer Geräusche, Schreien oder Temperamentsausbrüche

  • Nicht verbal aggressiv: z. B. Klagen, Jammern, ständiges Heischen nach Aufmerksamkeit, Abneigung gegen alles, Unterbrechen mit relevanten oder irrelevanten Bemerkungen oder negatives oder herrisches Gehabe

Die folgende Information sollten erfasst werden:

  • Spezifische Verhaltensweisen

  • Präzipitierendes Ereignisse (z. B. Essen, Toilettengang, Medikamentenverabreichung, Besuche)

  • Zeitpunkt des Beginns und der Beendigung des Verhaltens

Diese Informationen helfen dabei, Veränderungen im Muster oder der Intensität einer Verhaltensweise zu identifizieren und machen daher die Planung einer Strategie zum Umgang mit dem Problem einfacher.

Wenn sich das Verhalten ändert, sollte eine körperliche Untersuchung durchgeführt werden, um körperliche Störungen und Misshandlungen auszuschließen, aber Veränderungen der Umwelt (z. B. einer anderen Pflegeperson) sollten auch zur Kenntnis genommen werden, weil diese, eher als ein patientenbezogener Faktor, der Grund sein können.

EineDepression,die bei Patienten mit Demenz häufig vorkommt, kann das Verhalten beeinflussen und muss identifiziert werden. Sie kann sich zunächst manifestieren als abrupte Veränderung der Kognition, verminderter Appetit, Verschlechterung der Stimmung, Änderung im Schlafmuster (oft Hypersomnolenz), Rückzug, vermindertes Aktivitätsniveau, Weinkrämpfe, Sprechen über den Tod und das Sterben, plötzliche Entwicklung von Reizbarkeit oder einer Psychose oder unvermittelte Verhaltensänderungen. Oft wird eine Depression zuerst von den Familienangehörigen vermutet.

Psychotisches Verhaltenmuss ebenfalls festgestellt werden, weil sich die Behandlungsstrategie unterscheidet. Das Vorliegen von Wahnvorstellungen oder Halluzinationen zeigt eine Psychose an. Wahn und Halluzinationen müssen von Desorientiertheit, Ängstlichkeit und Missverständnissen, die allesamt häufig bei Patienten mit Demenz vorkommen, unterschieden werden:

  • Wahnvorstellungen ohne Verfolgungsideen können mit Desorientiertheit gemischt sein, aber Wahnvorstellungen sind meist fixiert (ein Pflegeheim wird häufig ein Gefängnis genannt), und die Desorientiertheit variiert (z. B. wird das Pflegeheim als Gefängnis, Restaurant oder Zuhause bezeichnet).

  • Halluzinationen treten ohne äußere Sinnesreize auf; Halluzinationen sollten unterschieden werden von Illusionen, die die falsche Deutung von externen sensorische Reizen (z. B. Mobiltelefone, Funkrufempfänger) beinhalten.

Therapie

  • Maßnahmen zur Umgebungsanpassung und Unterstützung der Pflegekräfte

  • Medikamente nur bei Bedarf

Der Umgang mit verhaltensbezogenen und psychischen Symptomen bei Demenz wird kontrovers diskutiert und ist bisher nur wenig erforscht. Unterstützende Maßnahmen sind zu bevorzugen, dennoch werden häufig Medikamente eingesetzt.

Maßnahmen zur Anpassung der Umgebung

Die Umgebung sollte sicher und flexibel genug sein, um Verhaltensweisen zu ermöglichen, die nicht gefährlich sind. Hinweise, die den Patienten helfen, den Weg zu finden, und Türen, die mit Schlössern oder Alarmanlagen ausgestattet sind, können helfen, die Sicherheit umherwandernder Patienten zu gewährleisten. Flexible Schlafenszeiten und die Ausgestaltung der Betten können Patienten mit Schlafproblemen helfen.

Maßnahmen zur Behandlung einer Demenz tragen in der Regel auch dazu bei, verhaltensbezogene Symptome zu minimieren:

  • Bereitstellung von Hinweisen auf Ort und Zeit

  • Erklären der Pflegemaßnahmen, bevor sie durchgeführt werden

  • Ermunterung zu körperlicher Aktivität

Wenn eine Einrichtung nicht in der Lage ist, ein angemessenes Umfeld für einen bestimmten Patienten zu schaffen, kann eine Verlegung des Patienten in eine Einrichtung, die ein angemesseneres Umfeld bieten kann, dem Einsatz von Medikamenten vorzuziehen sein.

Unterstützung der Pflegekräfte

Eine Unterstützung der Pflegekräfte ist essentiell.

Wenn Familienangehörige und andere pflegende Personen verstehen, wie eine Demenz zu verhaltensbezogenen und psychischen Symptomen führt und wie sie auf störendes Verhalten zu reagieren haben, kann dies ihnen helfen, dem Patienten Pflege zukommen zu lassen und besser mit ihm zurechtzukommen.

Die Pflegenden müssen lernen, mit Belastungen, die sehr erheblich sein können, umzugehen. Belastete Pflegende sollten an Hilfsdienste verwiesen werden (z. B. Sozialarbeiter, Selbsthilfegruppen für Pflegende, häusliche Pflegehilfen) und darüber informiert werden, wie eine Kurzzeitpflege zu bekommen ist, falls eine solche zur Verfügung steht.

Pflegende Familienangehörige sollten hinsichtlich einer Depression überwacht werden; diese kommt bei fast der Hälfte der pflegenden Angehörigen vor. Eine Depression bei Pflegekräften sollte umgehend behandelt werden.

Verwendung von Medikamenten

Medikamente, die die Kognition verbessern (z. B. Cholinesterasehemmer), können auch helfen, verhaltensbezogene und psychische Symptome bei Patienten mit Demenz zu handhaben. Allerdings werden Arzneimittel, die in erster Linie auf das Verhalten abzielen (z. B. Antipsychotika), nur dann eingesetzt, wenn andere Ansätze unwirksam sind und wenn diese Arzneimittel für die Sicherheit unerlässlich sind. Die Notwendigkeit für eine Weiterführung der Behandlung sollte zumindest jeden Monat neu überprüft werden. Das Medikament sollte so gewählt werden, dass es auf das am meisten störende Verhalten abzielt.

Antidepressiva, vorzugsweise selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), sollten nur Patienten mit Anzeichen einer Depression verschrieben werden.

Antipsychotika

Antipsychotika werden häufig eingesetzt, obwohl ihre Wirksamkeit nur bei psychotischen Patienten nachgewiesen wurde. Andere Patienten profitieren wahrscheinlich nicht davon und erfahren sehr häufig unerwünschte Wirkungen, v. a. extrapyramidale Symptome. Eine Spätdyskinesie oder tardive Dystonie kann sich entwickeln. Oft bilden sich diese Störungen nicht zurück, wenn die Dosis reduziert oder das Medikament abgesetzt wird.

Die Wahl des Antipsychotikums hängt von seiner relativen Toxizität ab. Unter den konventionellen Antipsychotika hat Haloperidol relativ geringe sedierende und weniger starke anticholinerge Wirkungen, jedoch ruft es mit größter Wahrscheinlichkeit extrapyramidale Symptome hervor. Thioridazin und Thiothixen verursachen eher seltener extrapyramidale Symptome, sie sind jedoch stärker sedierend und haben ausgeprägtere anticholinerge Effekte als Haloperidol.

Die Antipsychotika der zweiten Generation (atypische Antipsychotika; z. B. Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon) wirken minimal anticholinerg und verursachen weniger extrapyramidale Symptome als konventionelle Antipsychotika; jedoch können diese Arzneimittel, wenn sie über längere Zeit eingesetzt werden, zu Gewichtszunahme und Hyperlipidämie führen und das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen. Bei älteren Patienten mit einer demenzbedingten Psychose können diese Medikamente das Risiko eines Schlaganfalls und des Todes erhöhen.

Werden Antipsychotika eingesetzt, sollten sie in niedriger Dosierung (Olanzapin 2,5–15 mg/Tag p.o.; Risperidon 0,5–3 mg p.o. alle 12 h; Haloperidol 0,5–1,0 mg p.o., IV oder i.m. 2-mal täglich oder nach Bedarf) und nur für kurze Zeit gegeben werden.

Andere Medikamente

Antiepileptika, insbesondere Valproat, können bei der Kontrolle von impulsiven Verhaltensausbrüchen nützlich sein.

Sedativa (z. B. kurzwirksame Benzodiazepine wie Lorazepam 0,5 mg p.o. alle 12 h nach Bedarf) werden manchmal für kurze Zeit eingesetzt, um ereignisbezogene Ängstlichkeit zu lindern; eine solche Behandlung ist jedoch nicht über längere Zeit zu empfehlen.

Wichtige Punkte

  • Was störendes Verhalten ausmacht, ist zwar subjektiv und variabel, doch sind Verhaltensstörungen der Grund für bis zu 50% der Einweisungen in Pflegeheime.

  • Das Verhalten verschlechtert sich oft, wenn die Patienten aus ihrer gewohnten häuslichen Umgebung herausgenommen werden.

  • Verhaltensstörungen können durch ein körperliches Problem ausgelöst werden, das der Patient nicht kommunizieren kann.

  • Das Kategorisieren von Verhaltensstörungen erfolgt mit der Cohen-Mansfield-Skala.

  • Erkennen Sie Anzeichen einer Depression, wie z. B. plötzliche Veränderungen der Wahrnehmung, verminderter Appetit, Verschlechterung der Stimmung, veränderte Schlafgewohnheiten (oft Hypersomnolenz), Rückzug, verminderte Aktivität, Weinanfälle und Sprechen über Tod und Sterben, und achten Sie auf plötzliche Entwicklung von Reizbarkeit oder psychotischem Verhalten.

  • Behandeln Sie unter Nutzung der Umgebungsanpassung, und vermeiden Sie nach Möglichkeit den Einsatz von Medikamenten.

Weitere Informationen

Die folgenden englischsprachigen Quellen können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MSD-Manual nicht für den Inhalt dieser Quellen verantwortlich ist.

  1. BPSD Algorithm: Dieses Instrument soll dazu beitragen, eine interdisziplinäre, evidenzbasierte Betreuung von Patienten mit verhaltensbezogenen und psychologischen Symptomen aufgrund von Demenz zu gewährleisten. Es enthält Leitlinien für die Bewertung und den Einsatz von Medikamenten sowie ein Flussdiagramm.