Thrombotische Krankheiten im Überblick

VonMichael B. Streiff, MD, Johns Hopkins University School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Aug. 2023
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Bei gesunden Personen besteht ein physiologisches Gleichgewicht zwischen prokoagulatorischen Faktoren auf der einen und antikoagulatorischen und fibrinolytischen Faktoren auf der anderen Seite. Eine Vielzahl von genetischen und erworbenen Faktoren sowie Umwelteinflüsse können dieses Gleichgewicht zur koagulatorischen Seite hin verschieben. Dies führt zur pathologischen Bildung von Thromben in Venen, z. B. tiefe Venenthrombosen (TVT), in Arterien (z. B. Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall) oder in den Herzkammern. Thromben können den Blutfluss an der Stelle ihrer Entstehung behindern oder mit dem Blutstrom fortgetragen werden und entfernt liegende Gefäße embolisieren (z. B. Lungenembolie, embolischer Schlaganfall).

Ätiologie thrombotischer Störungen

Zu den genetischen Veränderungen, die das Risiko für venöse Thromboembolien erhöhen, gehören

Protein Z, ein Vitamin-K-abhängiges Protein, trägt zur Inaktivierung des Gerinnungsfaktors Faktor Xa bei. Ein Mangel oder eine Dysfunktion von Protein Z prädisponiert für Venenthrombosen (vor allem bei Patienten, die auch andere Gerinnungsstörungen haben). Die Messung seiner Aktivität ist jedoch in den meisten Labors nicht möglich.

Auch erworbene Ursachen erhöhen das Risiko für venöse und arterielle Thrombosen (siehe Tabelle Erworbene Ursachen für Thromboembolien).

Andere Krankheiten oder Umwelteinflüsse können das Thromboserisiko ebenfalls erhöhen, insbesondere wenn genetische Veränderungen vorliegen.

Tabelle

Symptome und Anzeichen von thrombotischen Störungen

Häufige Manifestationen einer thrombotischen Störung umfassen eine ungeklärte tiefe Venenthrombose TVT und Lungenembolie (LE). Eine oberflächliche Thrombophlebitis kann sich ebenfalls entwickeln. Andere Folgen können arterielle Thrombosen umfassen (die z. B. Schlaganfall oder Mesenterialischämie verursachen). Die Symptome hängen von der Lage der Gerinnung ab; wie in den folgenden Beispielen:

  • Brustschmerzen und Kurzatmigkeit: Möglicherweise Lungenembolie oder Myokardinfarkt

  • Beinschmerzen, Wärme, Rötung und Schwellung: tiefe Venenthrombose

  • Schwäche/Taubheit einer Körperseite, Probleme mit dem Sprechen und Probleme mit dem Gleichgewicht und dem Gehen: möglicher ischämischer Schlaganfall

  • Bauchschmerzen: Mögliche arterielle oder venöse Thrombose in der Splanchnikusregion

Die meisten erblichen Störungen verursachen erst im jungen Erwachsenenalter ein erhöhtes Gerinnungsrisiko, obwohl sich in jedem Alter Blutgerinnsel bilden können. Frauen können eine Anamnese mehrerer Fehlgeburten haben.

Diagnose von thrombotischen Störungen

Die diagnostischen Bewertungen von thrombotischen Störungen werden entsprechend der Lokalisation des Thrombus an anderer Stelle im MSD-MANUAL zusammengefasst (z. B. tiefe Venenthrombose, Lungenembolie, ischämischer Schlaganfall. Bei Patienten, die ein thromboembolisches Ereignis ohne offensichtliche klinische Erklärung erleiden, kann eine der nachfolgend beschriebenen genetischen oder erworbenen prädisponierenden Entitäten vorliegen. Oft ist es sinnvoll, einen Hämatologen hinzuzuziehen, um die erschreckende Vielfalt der diagnostischen Möglichkeiten zu sortieren.

Prädisponierende Faktoren

Prädisponierende Faktoren sollten immer in Erwägung gezogen werden. In einigen Fällen ist die Erkrankung klinisch offensichtlich (z. B. eine kürzlich erfolgte Operation oder ein kürzlich erlittenes Trauma, länger andauernde Immobilisation, maligne Tumoren, Infektion, medizinische Erkrankung, generalisierte Atherosklerose). Wenn ein prädisponierender Faktor nicht eindeutig erkennbar ist, sollten weitere Untersuchungen in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Patienten mit

  • Eine Familienanamnese mit Venenthrombose (Verwandter ersten Grades mit venöser Thromboembolie vor dem 50. Lebensjahr)

  • Mehr als einer vorangegangenen venösen Thrombose

  • Venösen oder arteriellen Thrombosen im Alter unter 50 Jahren

  • Ungewöhnliche Orte für venöse Thrombosen (z. B. Sinus cavernosus, Splanchnikus-Venen)

Mehr als die Hälfte aller Patienten mit spontaner tiefer Venenthrombose haben einen prädisponierenden Faktor. In vielen dieser Fälle hat die Feststellung einer vererbten Thrombophilie jedoch keinen Einfluss auf die Therapie. Daher empfehlen die Leitlinien der Gesellschaft gezielte Tests bei Patienten mit hohem Risiko für eine vererbte Thrombophilie (1, 2).

Die Untersuchungen auf prädisponierende angeborene und erworbene Faktoren umfassen spezifische Tests zur Messung der Menge oder Aktivität natürlicher Antikoagulanzmoleküle im Plasma und die Suche nach spezifischen Genfehlern wie folgt:

  • Gerinnungstest des Lupusantikoagulans

  • Gerinnungstest der Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC)

  • Gentest des Faktor-V-Leiden

  • Gentest der Prothrombin-Genmutation (G20210A)

  • Aktivität der Faktoren VIII, IX und XI

  • Funktionstest des Antithrombin

  • Funktionstest des Protein C

  • Funktionstest des Protein S

  • Antigentest des gesamten und frei vorliegenden Protein S

  • Messung des Homocysteinspiegels im Plasma

  • Immuntest der Antiphospholipidantikörper

Literatur zur Diagnose

  1. 1. National Institute on Health and Care Excellence (NICE): Venous thromboembolic diseases: diagnosis, management and thrombophilia testing. NICE guideline [NG 158]. 26. März 2020.

  2. 2. Ortel TL, Neumann I, Ageno W, et al. American Society of Hematology 2020 guidelines for management of venous thromboembolism: treatment of deep vein thrombosis and pulmonary embolism. Blood Adv 2020;4(19):4693-4738. doi:10.1182/bloodadvances.2020001830

Behandlung von thrombotischen Störungen

Die Behandlung wird entsprechend der Lokalisation des Thrombus an anderer Stelle im MSD-Manual besprochen.

Antikoagulation ist oft erforderlich. Bei Patienten, die einen Krankenhausaufenthalt benötigen, wird die Antikoagulation in der Regel mit unfraktioniertem Heparin oder niedermolekularem Heparin begonnen (1, 2). Bei Patienten, die ambulant behandelt werden können, werden direkte orale Antikoagulanzien (DOACs) oder Warfarin eingesetzt (1, 2, 3).

Zu den Substanzen gehören Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) und ein direkter Thrombininhibitor Dabigatran. Im Gegensatz zu Warfarin erfordern DOAC keine regelmäßige Laborüberwachung, und einige dieser Medikamente (Apixaban, Rivaroxaban) können in der Akutbehandlung ohne initiale parenterale Antikoagulation eingesetzt werden. Im Gegensatz zu Warfarin haben DOAC weniger Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln, und ihre Wirksamkeit wird nicht durch die Ernährung beeinflusst.

Im Falle lebensbedrohlicher Blutungen stehen als Umkehrmittel für DOACs sowohl gezielte Gegenmittel (Idarucizumab für Dabigatran; Andexanet alfa für die Faktor-Xa-Inhibitoren) als auch unspezifische prohemostatische Mittel wie Prothrombinkomplexkonzentrate, die die Faktoren VII, IX, X und Prothrombin enthalten, zur Verfügung (1, 4, 5). Warfarin wird mit Vitamin K und Prothrombinkomplexkonzentraten aufgehoben.

Ein großer aktueller Nachteil von DOACs sind ihre Kosten.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Stevens SM, Woller SC, Kreuziger LB, et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Second Update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report [published correction appears in Chest 2022 Jul;162(1):269]. Chest 2021;160(6):e545-e608. doi:10.1016/j.chest.2021.07.055

  2. 2. Ortel TL, Neumann I, Ageno W, et al. American Society of Hematology 2020 guidelines for management of venous thromboembolism: treatment of deep vein thrombosis and pulmonary embolism. Blood Adv 2020;4(19):4693-4738. doi:10.1182/bloodadvances.2020001830

  3. 3. National Institute on Health and Care Excellence (NICE): Venous thromboembolic diseases: diagnosis, management and thrombophilia testing. NICE guideline [NG 158]. 26. März 2020.

  4. 4. Cuker A, Burnett A, Triller D, et al: Reversal of direct oral anticoagulants: Guidance from the Anticoagulation Forum. Am J Hematol 94:697–709, 2019.

  5. 5 Frontera JA, Lewin JJ 3rd, Rabinstein AA, et al. Guideline for Reversal of Antithrombotics in Intracranial Hemorrhage: A Statement for Healthcare Professionals from the Neurocritical Care Society and Society of Critical Care Medicine. Neurocrit Care. 2016;24(1):6-46. doi:10.1007/s12028-015-0222-x