Paraneoplastische Syndrome

VonRobert Peter Gale, MD, PhD, DSC(hc), Imperial College London
Überprüft/überarbeitet Sep. 2022
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    Als paraneoplastische Syndrome werden Symptome bezeichnet, die nicht lokal durch den Tumor oder seine Metastasen verursacht sind.

    Die Pathogenese ist unklar, jedoch entstehen diese Symptome wahrscheinlich sekundär aufgrund von Substanzen, die vom Tumor sezerniert werden, oder als Ergebnis einer Antikörperbildung gegen Tumorzellen, die mit anderem Gewebe kreuzreagieren. Die Symptome können in jedem Organsystem auftreten. Bei bis zu 20% der Tumorpatienten entstehen paraneoplastische Syndrome, jedoch werden ihre Symptome häufig nicht bemerkt.

    Am häufigsten treten paraneoplastische Syndrome auf bei

    Die erfolgreichste Behandlung besteht in der Kontrolle des zugrunde liegenden malignen Tumors, doch können einige Symptome auch durch bestimmte Arzneimittel (z. B. Cyproheptadin oder Somatostatin-Analoga bei karzinoiden Syndromen, Bisphosphonate und Kortikosteroide bei Hyperkalzämie) kontrolliert werden.

    Allgemeine paraneoplastische Symptome

    Patienten mit Tumorerkrankungen leiden oft an Fieber, Nachtschweiß, Anorexie und Kachexie. Diese Symptome können durch die Freisetzung von Zytokinen, die bei Entzündungsreaktionen oder der Immunantwort eine Rolle spielen, oder durch Mediatoren, die im Zusammenhang mit dem Untergang von Tumorzellen stehen, z. B. Tumornekrosefaktor Alpha, hervorgerufen werden. Auch Veränderungen der Leberfunktion und der Produktion von Steroiden können dazu beitragen.

    Kutane paraneoplastische Syndrome

    Die Patienten können zahlreiche kutane Symptome zeigen.

    Juckreiz ist das häufigste kutane Symptom bei Krebspatienten (z. B. Leukämie, Morbus Hodgkin, myeloproliferative Neoplasien und Lymphome) und kann auch auf Hypereosinophilie oder Mastozytose zurückzuführen sein.

    Darüber hinaus kann eine Flush-Symptomatik auftreten, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit vom Tumor gebildeten vasoaktiven Substanzen (z. B. Prostaglandine, Histamin, Serotonin) steht.

    Es können auch pigmentierte Hautläsionen oder Keratosen auftreten. Hierzu gehören Acanthosis nigricans (gastrointestinale Tumoren), generalisiert auftretende neurokutane Melanosen (Lymphome, Melanome, hepatozelluläres Karzinom), Bowen-Krankheit (Lungentumoren, gastrointestinale und urogenitale Tumoren) und große multiple seborrhoische Keratosen, d. h. Zeichen des Leser-Trélat-Syndroms (Lymphome und gastrointestinale Tumoren).

    Ein Herpes zoster kann durch die Reaktivierung des latent vorhandenen Virus bei Patienten mit Depression oder Dysfunktion des Immunsystems auftreten.

    Endokrine paraneoplastische Syndrome

    Das endokrine System ist häufig von paraneoplastischen Syndromen betroffen.

    Ein Cushing-Syndrom (Anstieg der Kortisolspiegel, die zu Hyperglykämie, Hypokaliämie, Hypertonie, Stammfettsucht und "Mondgesicht" führen) kann durch eine ektope Produktion von adrenokortikotropem Hormon oder ACTH-ähnlichen Molekülen verursacht sein und tritt am häufigsten bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen auf.

    Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts, einschließlich der Hyponatriämie, können die Folge der Produktion von Vasopressin und Parathormon-ähnlichen Hormonen sein; diese werden häufig von kleinzelligen und nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen gebildet.

    Eine Hypoglykämie kann die Folge der Produktion von Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktoren oder Insulinproduktion durch durch pankreatische Inselzelltumore, Hämangiopericytome oder große Retroperitonealtumore.

    Eine refraktäre Hyperglykämie kann aufgrund eines Glukagon-produzierenden pankreatischen Tumoren auftreten.

    Hypertonie kann infolge einer abnormen Sekretion von Adrenalinoder Noradrenalin (Phäochromozytom) oder durch die gesteigerte Kortisolproduktion (ACTH-sezernierende Tumoren)

    Weitere ektop produzierte Hormone sind das Parathormon-related Protein (PTHrP; von Plattenepithelkarzinomen der Lunge, Kopf-Hals-Tumoren, Blasentumoren gebildet), Calcitonin (von Mammakarzinomen, kleinzelligen Lungenkarzinomen und medullären Schilddrüsenkarzinomen gebildet) und Thyreoidea-stimulierendes Hormon (von Chorionkarzinomen gebildet). PTHrP verursacht Hyperkalzämie und die damit verbundenen Symptome (Polyurie, Dehydratation, Konstipation, Muskelschwäche); Calcitonin bewirkt ein Absinken des Kalziumspiegels im Serum, das zu Muskelzuckungen und Herzarrhythmien führt.

    Gastrointestinale paraneoplastische Syndrome

    Nach einer tumorbedingten Sekretion von Prostaglandinen oder des vasoaktiven intestinalen Peptids können wässrige Diarrhöen mit nachfolgender Dehydratation und Verschiebungen im Elektrolythaushalt auftreten. Dazu gehören u. a. Inselzelltumoren des Pankreas (Gastrinom).

    Karzinoide Tumoren produzieren Serotonin-Abbauprodukte, die zu Erröten, Durchfall und Atembeschwerden führen. Entzündungsreaktionen, v. a. bei Lymphomen, können zu einer Proteinverlustenteropathie führen.

    Hämatologische paraneoplastische Syndrome

    Bei Patienten mit Tumorerkrankungen kann es zur Entwicklung von einer „Pure-Red-Cell“-Aplasie, Anämie bei chronischen Krankheiten, Leukozytose (leukämoide Reaktion), Thrombozytose, Eosinophilie, Basophilie und disseminierter intravasaler Gerinnung kommen. Darüber hinaus können die Entwicklung einer Immun-Thrombozytopenie und einer Coombs-positiven hämolytischen Anämie den Verlauf von lymphatischen Tumorerkrankungen und des Hodgkin-Lymphoms komplizieren. Durch die ektope Produktion von Erythropoetin oder Erythropoetin-ähnlichen Substanzen kann bei verschiedenen Tumorarten, insbesondere bei Nieren- und Lebertumoren, eine Erythrozytose auftreten. Teilweise kommen auch monoklonale Gammopathien vor. Myelodysplasie kann mit Elliptozytose (20q-), reiner Erythrozytenaplasie, erworbener Hämoglobin-H-Krankheit und Knochenmarkshypoplasie, die auf Immunsuppression anspricht, einhergehen.

    Es wurden verschiedene Mechanismen nachgewiesen, die zur Ausbildung hämatologischer Veränderungen führen. Dazu gehören Substanzen, die von Tumoren produziert werden und entweder physiologischen Wachstumsfaktoren ähneln oder normale endokrine Signale für die hämatologische Entwicklung blockieren, sowie die Bildung von Antikörpern, die mit Rezeptoren oder Zelllinien kreuzreagieren.

    Neurologische paraneoplastische Syndrome

    Mehrere Typen der peripheren Neuropathie gehören zu den häufigsten neurologischen paraneoplastischen Syndromen. Zerebelläre Syndrome und andere zentrale neurologische paraneoplastische Syndrome kommen ebenfalls vor.

    Die periphere Neuropathie ist das häufigste neurologische paraneoplastische Syndrom. Es handelt sich meist um eine distale sensomotorische Polyneuropathie, die zu einer leichten sensomotorischen Schwäche, sensorischem Verlust und dem Verschwinden von distalen Reflexen führt.

    Die subakute sensorische Neuropathie ist eine spezifischere Form der peripheren Neuropathie, die jedoch nur selten auftritt. Es kommt zu einer Degeneration von Spinalganglien mit progressivem sensorischem Verlust und Ataxie, jedoch nur gering ausgeprägter Muskelschwäche. Diese Veränderungen können zu bleibenden Behinderungen führen. Der Autoantikörper Anti-Hu wird bei einigen Patienten mit Lungentumoren gefunden. Es gibt keine Behandlung.

    Das Guillain-Barré-Syndrom, eine weitere ansteigende periphere Neuropathie, ist ein seltener Befund in der Allgemeinbevölkerung und tritt wahrscheinlich bei Patienten mit Hodgkin-Lymphom häufiger auf.

    Das Lambert-Eaton-Rooke-Syndrom (pseudomyasthenisches Syndrom) ist ein immunvermitteltes Syndrom, ähnlich der Myasthenia gravis. Die dabei auftretende Schwäche betrifft v. a. die proximale Muskulatur. Die Augen- und Bulbärmuskulatur ist nicht betroffen. Es handelt sich um einen präsynaptischen Defekt, der infolge einer inadäquaten Freisetzung von Acetylcholin an den Nervenendigungen auftritt. Hieran ist ein IgG-Antikörper beteiligt. Das Syndrom kann der Tumorerkrankung vorangehen, gleichzeitig vorliegen oder erst nach der Diagnosestellung in Erscheinung treten. Es kommt am häufigsten bei Männern mit intrathorakalen Tumoren vor, von denen 70% ein kleinzelliges Bronchialkarzinom bzw. Haferzellkarzinom (Oatcell-Karzinom) haben. Zu den klinischen Zeichen gehören Müdigkeit, Schwäche, Schmerzen in der Muskulatur der proximalen Extremitäten, periphere Parästhesien, Mundtrockenheit, erektile Dysfunktion und Ptosis. Die tiefen Sehnenreflexe sind reduziert oder nicht mehr auslösbar. Die Diagnose wird durch den Nachweis einer sich verstärkenden Antwort auf repetitive Nervenstimulation gestellt. Die Amplitude des gesamten Muskelaktionspotenzials steigt auf > 200% bei Raten > 10 Hz an. Die Behandlung richtet sich in erster Linie gegen die zugrunde liegende Tumorerkrankung und führt bisweilen zur Remission. Amifampridin ist ein Kaliumkanalblocker, der die Depolarisation der präsynaptischen Nervenendigung verlängert und die Acetylcholinfreisetzung verbessern kann. Die empfohlene Anfangsdosis von Amifampridin beträgt 15 bis 30 mg täglich, oral eingenommen in geteilten Dosen (3- bis 4-mal/Tag). Amifampridin kann Krampfanfälle auslösen und ist bei Menschen mit Anfallsleiden kontraindiziert. Wenn Amifampridin nicht toleriert wird oder nicht zur Verfügung steht, ist die Alternative Guanidin (anfangs 125 mg oral 4-mal täglich, schrittweise erhöht auf maximal 35 mg/kg), das die Acetylcholinfreisetzung fördert, oft die Symptome lindert, aber Knochenmark und Leberfunktion beeinträchtigen kann. Durch Kortikosteroide und Plasmaaustausch tritt bei einigen Patienten eine Verbesserung ein.

    Die subakute zerebelläre Degeneration verursacht eine progressive bilaterale Ataxie der Arme und Beine, Dysarthrie und gelegentlich Schwindel und Doppelbilder. Zu den neurologischen Zeichen können eine Demenz mit oder ohne Hirnstammzeichen, Ophthalmoplegie, Nystagmus und positive Babinski-Zeichen mit deutlicher Dysarthrie und Beteiligung der Arme gehören. Die zerebelläre Degeneration entwickelt sich meist über Wochen oder Monate und führt oft zu einer starken körperlichen Einschränkung. Sie kann über Wochen oder Jahre hinweg fortschreiten, bevor ein Tumorleiden entdeckt wird. Der Autoantikörper Anti-Yo wird im Serum oder Liquor einiger Patienten, v. a. bei Frauen mit Mamma- oder Ovarialkarzinomen, gefunden. MRT oder CT können besonders im Spätstadium Zeichen der zerebellären Atrophie zeigen. Zu den charakteristischen pathologischen Veränderungen gehören weitreichende Verluste von Purkinje-Zellen und eine lymphatische Ummantelung von tiefen Blutgefäßen. Im Liquor findet sich gelegentlich eine leichte lymphozytäre Pleozytose. Die Behandlung ist unspezifisch, jedoch kommt es nach einer erfolgreichen antitumorösen Therapie häufig zu Verbesserungen.

    Opsoklonus (kurze, schnelle und unregelmäßige Augenbewegungen) ist ein seltenes zerebelläres Syndrom, das im Zusammenhang mit dem kindlichen Neuroblastom auftreten kann. Er ist mit zerebellärer Ataxie und Myoklonien des Stammes und der Extremitäten assoziiert. Der zirkulierende Antikörper Anti-Ri kann nachweisbar sein. Das Syndrom spricht häufig auf die Gabe von Kortikosteroiden oder die erfolgreiche Tumorbehandlung an.

    Die subakute motorische Neuropathie ist eine seltene Krankheit, die zur schmerzlosen Schwäche der unteren Motoneuronen der oberen und unteren Extremitäten führt. Sie wird meist bei Patienten mit Hodgkin-Lymphom oder anderen Lymphomen beobachtet. Es kommt zu einer Degeneration der Vorderhornzellen. Meist tritt eine spontane Besserung ein.

    Die subakute nekrotisierende Myelopathie ist ein seltenes Syndrom, beim dem ein rasch fortschreitender sensorischer und motorischer Verlust in der weißen und grauen Substanz des Rückenmarks auftritt und das letztlich zur Paraplegie führt. Mittels MRT kann eine epidurale Kompression durch metastasierte Tumoren, die einen deutlich häufigeren Grund für fortschreitende Rückenmarkdysfunktionen bei Tumorpatienten darstellen, ausgeschlossen werden. Im MRT können Nekrose im Rückenmark nachgewiesen werden.

    Die Enzephalitis kann als paraneoplastisches Syndrom in verschiedenen Formen auftreten, die von der betroffenen Gehirnregion abhängig sind. Als Ursache für die Enzephalopathie, die am häufigsten beim kleinzelligen Lungenkarzinom auftritt, wird eine globale Enzephalitis angenommen. Die Enzephalitis des limbischen Systems ist durch Angst und Depression charakterisiert und führt letztlich zu Gedächtnisverlust, Agitation, Verwirrtheit, Halluzinationen und Verhaltensauffälligkeiten. Anti-Hu-Antikörper, die gegen RNA-bindende Proteine gerichtet sind, können in Serum und Liquor vorhanden sein. Im MRT können sich Bereiche mit erhöhtem Kontrast und Ödeme zeigen.

    Renales paraneoplastisches Syndrom

    Bei Patienten mit Kolonkarzinom, Ovarialkarzinom und Lymphom kann es infolge von zirkulierenden Immunkomplexen zu einer membranösen Glomerulonephritis kommen.

    Rheumatische paraneoplastische Syndrome

    Durch Autoimmunreaktionen verursachte rheumatische Erkrankungen können ebenfalls Ausdruck von paraneoplastischen Syndromen sein.

    Arthropathien (rheumatische Polyarthritis, Polymyalgie), Polychondritis oder systemische Sklerose können bei Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen wie Myelodysplasie oder chronischer myelomonozytärer Leukämie oder mit Krebserkrankungen des Dickdarms, des Pankreas oder der Prostata auftreten. Systemische Sklerose oder systemischer Lupus erythematodes kann sich auch bei Patienten mit Lungen- und gynäkologischen Tumoren zeigen.

    Die hypertrophe Osteoarthropathie ist häufig mit verschiedenen Lungentumoren vergesellschaftet und manifestiert sich als schmerzhafte Schwellung der Gelenke (Knie, Fuß- und Handgelenke, Ellbogen, Metakarpophalangealgelenke) mit Ergüssen und der Bildung von Trommelschlägelfingern.

    Sekundäre Amyloidosen können in Verbindung mit Myelomen, Lymphomen oder Nierenzellkarzinomen auftreten.

    Eine Dermatomyositis und in geringerer Ausprägung auch eine Polymyositis scheinen bei Patienten mit Tumoren, v. a. bei solchen > 50 Jahre, häufiger vorzukommen. Typisch ist eine progressive proximale Muskelschwäche mit pathologisch nachweisbaren Muskelentzündungen und Nekrosen. Es kann sich ein dunkles Schmetterlingserythem mit violetter Färbung an den Wangen und periorbitalem Ödem entwickeln. Kortikosteroide können wirksam sein.