Gerinnungsstörungen im Überblick

VonMichael B. Streiff, MD, Johns Hopkins University School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Sep. 2023
Aussicht hier klicken.

Abnorme Blutungen können durch Störungen des Gerinnungssystems, der Thrombozyten oder der Blutgefäße verursacht sein. Störungen der Blutgerinnung sind entweder erworben oder hereditär bedingt.

Die Hauptursachen für erworbene Gerinnungsstörungen sind

Eine schwere Leberkrankheit (z. B. Zirrhose, fulminante Hepatitis, akute Fettleber bei Schwangeren) kann zur Störung der Hämostase und der Synthese von Gerinnungsfaktoren führen. Da alle Gerinnungsfaktoren in der Leber gebildet werden (von Hepatozyten und hepatischen sinusoidalen Endothelzellen), sind sowohl die Prothrombinzeit (PT) als auch die partielle Thromboplastinzeit (PTT) bei schweren Lebererkrankungen verlängert. (Die PT wird üblicherweise als INR [International Normalized Ratio] wiedergegeben). Gelegentlich führt eine dekompensierte Leberkrankheit aufgrund der verminderten Synthese von Alpha-2-Antiplasmin zu einer exzessiven Fibrinolyse und Blutungen.

Die häufigste erbliche Störung der Hämostase ist

Die am meisten verbreiteten angeborenen Gerinnungsstörungen sind

Untersuchung von Gerinnungsstörungen

Patienten, bei denen der Verdacht auf eine Gerinnungsstörung besteht, benötigen eine Laboruntersuchung, die mit der folgenden beginnt

  • Prothrombin Zeit (PT) und partielle Thromboplastinzeit (PTT)

  • Blutbild mit Thrombozytenzahl

  • Peripherer Blutausstrich

Die Resultate dieser Testergebnisse engen die diagnostischen Möglichkeiten ein und leiten dadurch die weiteren Untersuchungen.

Normale Ergebnisse

Normale Ergebnisse der ersten Tests schließen viele Blutungsstörungen aus. Die wichtigsten Ausnahmen sind

Beim Von-Willebrand-Syndrom, einer häufigen Krankheit, ist der Faktor-VIII-Mangel oft zu gering ausgeprägt, um die PTT zu verlängern. Patienten mit normalen ersten Testergebnissen, Symptomen oder Anzeichen von Blutungen und einer positiven Familienanamnese sollten durch Messung des von-Willebrand-Faktors (vWF)-Antigens im Plasma getestet werden; hierzu werden das von-Willebrand-Faktor-(vWF-)Antigen, die Ristocetin-Kofaktoraktivität (ein indirekter Test zur Messung der vWF-Funktion), das vWF-Multimermuster und der Faktor-VIII-Spiegel bestimmt.

Die hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (auch Osler-Weber-Rendu-Syndrom genannt) ist eine erbliche Störung der Gefäßmissbildung. Patienten mit dieser Erkrankung haben kleine rote bis violette Läsionen im Gesicht, auf den Lippen, der Mund- und Nasenschleimhaut sowie an den Finger- und Zehenspitzen. Sie können wiederkehrende Blutungen aus der Nasenschleimhaut und dem Magen-Darm-Trakt erleiden und andere potenziell schwerwiegende Folgen arteriovenöser Missbildungen haben.

Thrombozytopenie

Bei Thrombozytopenie liefert der periphere Blutausstrich oft Hinweise auf die Ursache.

Ist der Abstrich normal, sollten die Patienten auf HIV-Infektion und Hepatitis C getestet werden. Wenn diese Tests negativ sind und die Patientin nicht schwanger ist und kein Medikament eingenommen hat, das bekanntermaßen eine Thrombozytenzerstörung verursacht, ist eine Immunthrombozytopenie (ITP) wahrscheinlich.

Zeigt der Abstrich auch Anzeichen von Hämolyse (fragmentierte rote Blutkörperchen), sollte der Verdacht auf thrombotische thrombozytopenische Purpura (TTP) oder auf hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) bestehen. "Klassischer" HUS tritt bei Patienten mit Shiga-artiger toxininduzierter hämorrhagischer Kolitis auf, die bei Infektionen mit mehreren Escherichia coli Serotypen vorkommt. Ein "atypische" Form des HUS tritt ungewöhnlicherweise bei Menschen mit angeborenen Anomalien des alternativen Komplement-Reaktionswegs auf. Bei TTP und HUS ist der Coombs-Test negativ.

Wenn das Gesamtblutbild und der periphere Blutausstrich andere Zytopenien oder unreife Leukozyten zeigen, sollte eine hämatologische Anomalie vermutet werden, die mehrere Zelltypen betrifft. Eine Knochenmarkaspiration und -biopsie sind dann zur Diagnose notwendig.

Verlängerte partielle Thromboplastinzeit mit normalen Blutplättchen und PT

Eine verlängerte partielle Thromboplastinzeit mit normaler Thrombozytenzahl und Prothrombinzeit deutet auf eine Hämophilie A oder B, und Faktor-VIII- und Faktor-IX-Assays sind indiziert. Zu den partieller Thromboplastinzeit- verlängernden Inhibitoren gehören ein Autoantikörper gegen Faktor VIII sowie Antikörper gegen den Protein-Phospholipid-Komplex. Wenn nach dem Mischen mit Normalplasma im Verhältnis 1:1 weiterhin eine verlängerte partielle Thromboplastinzeit besteht, wird einer dieser Inhibitoren als Ursache angenommen. Bei Patienten mit normalen Faktor-VIII- und Faktor-IX-Werten sollte auch ein Faktor-XI-Mangel (Hämophilie C oder Rosenthal-Krankheit) in Betracht gezogen werden. Faktor-XI-Mangel ist besonders häufig bei Patienten mit aschkenasisch-jüdischer Abstammung.

Verlängerte partielle Thromboplastinzeit mit normalen Blutplättchen und Prothrombinzeit

Eine verlängerte Prothrombinzeit bei normaler Thrombozytenzahl und normaler partieller Thromboplastinzeit weist auf einen Faktor-VII-Mangel hin. Ein angeborener Faktor-VII-Mangel ist selten; die kurze Halbwertszeit von Faktor VII im Plasma führt jedoch dazu, dass Faktor VII bei Patienten, die eine Warfarin-Antikoagulation beginnen, bei Patienten mit frühem Vitamin-K-Mangel oder bei Patienten mit beginnender Lebererkrankung schneller auf niedrige Werte absinkt als andere Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren.

Verlängerung der Prothrombinzeit und partielle Thromboplastinzeit mit Thrombozytopenie

Längere Prothrombinzeit und partielle Thromboplastinzeit mit Thrombozytopenie deuten auf DIC hin, insbesondere bei Patienten mit Geburtskomplikationen, Sepsis, Krebs oder Schock.

Mithilfe mehrfacher Tests kann der Verdacht durch erhöhte D-Dimer-Spiegel (oder Fibrinspaltprodukte) und abnehmender Plasmafibrinogenspiegel bestätigt werden.

Eine verlängerte PT, eine verlängerte PTT und eine Thrombozytopenie können auch die Folge einer Lebererkrankung sein, da die Hepatozyten die meisten Gerinnungsfaktoren (außer Faktor VIII) sowie Thrombopoietin, den primären Thrombozytenwachstumsfaktor, synthetisieren. Bei Patienten mit Lebererkrankungen und portaler Hypertonie ist die Thrombozytopenie auch auf eine Sequestrierung der Milz zurückzuführen. Viele Patienten mit Lebererkrankungen und Thrombozytopenie haben auch Leukopenie und Anämie. Tests auf Hepatitis C wird empfohlen.

Längerer Prothrombinzeit oder partielle Thromboplastinzeit mit normaler Thrombozytenzahl

Eine verlängerte PT oder PTT mit einer normalen Thrombozytenzahl kann bei Lebererkrankungen oder auftreten Vitamin-K-Mangel, oder während der Antikoagulation mit Warfarin, unfraktioniertem Heparin, direkten oralen Antikoagulanzien (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban) oder direkt Thrombin Inhibitoren (Argatroban, Bivalirudin — siehe Tabelle Screening von Labortestergebnissen und Behandlung von erblichen Blutgerinnungsstörungen).

Der Verdacht auf eine Lebererkrankung ergibt sich aus der Anamnese oder dem körperlichen Untersuchungsbefund (z. B. Gelbsucht, Hepatomegalie, Splenomegalie, Teleangiektasie) und wird durch erhöhte Serumaminotransferasen und Bilirubin bestätigt.