Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

(Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie, akute idiopathische Polyneuritis)

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Apr. 2022
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Kurzinformationen

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine Form von Polyneuropathie, bei der es zu Muskelschwäche kommt. Diese Schwäche verstärkt sich gewöhnlich innerhalb einiger Tage bis Wochen und geht dann allmählich von selbst zurück oder verschwindet. Wird die Störung behandelt, kommt es in der Regel zu einer schnelleren Heilung.

  • Man geht davon aus, dass das Guillain-Barré-Syndrom durch eine Autoimmunreaktion verursacht wird.

  • Die ersten Schwächesymptome treten meist in beiden Beinen auf und breiten sich nach oben auf den Körper aus.

  • Die Diagnose lässt sich durch Elektromyografie und Messungen der Nervenleitungsgeschwindigkeit nachweisen.

  • Patienten mit dem Guillain-Barré-Syndrom müssen sofort in einer Klinik behandelt werden, da sich die Symptome rasch verschlimmern können.

  • Eine schnellere Heilung wird durch die intravenöse Gabe von Immunglobulin und Plasmaaustausch angestrebt.

(Siehe auch Übersicht über das periphere Nervensystem.)

Das Guillain-Barré-Syndrom betrifft viele periphere Nerven im gesamten Körper (Polyneuropathie).

Als Ursache des Guillain-Barré-Syndroms vermutet man eine Autoimmunreaktion. Das körpereigene Immunsystem greift einen oder beide der folgenden Bereiche an:

  • Die Myelinscheide, die die Nerven umschließt und eine rasche Übertragung von Nervensignalen ermöglicht

  • Der Teil des Nervs, der die Signale übermittelt (ein Axon genannt)

Bei etwa zwei Drittel der betroffenen Patienten beginnen die Symptome des Guillain-Barré-Syndroms innerhalb von etwa fünf Tagen bis drei Wochen nach einer leichten Infektion (wie einer Campylobacterinfektion, Mononukleose oder einer anderen Virusinfektion), einer Operation oder einer Impfung.

Bei einigen Patienten entwickelt sich das Guillain-Barré-Syndrom nach einer Infektion mit dem Zika-Virus oder infolge von COVID-19.

Isolierung einer Nervenfaser

Die meisten Nervenfasern sind von einem vielschichtigen fetthaltigen Mantel (Lipoprotein) umgeben, der Myelinschicht. Diese Schichten bilden die Myelinscheide. Ähnlich der Isolierung eines Elektrokabels ermöglicht die Myelinscheide, Nervensignale (elektrische Impulse) schnell und exakt entlang der Nervenfaser weiterzuleiten. Ist die Myelinscheide defekt (was als Demyelinisation bezeichnet wird), leiten die Nerven Impulse nicht richtig weiter.

Die durch das Guillain-Barré-Syndrom hervorgerufene Schwäche nimmt in der Regel innerhalb von 3 oder 4 Wochen zu, bleibt dann gleich oder geht wieder zurück, bis sie völlig verschwunden ist. Nimmt diese Schwäche für länger als acht Wochen zu, ist das kein Anzeichen eines Guillain-Barré-Syndroms, sondern einer chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP).

Symptome des GBS

Die ersten Symptome des Guillain-Barré-Syndroms treten meist in beiden Beinen auf und breiten sich nach oben auf die Arme aus. Manchmal treten die ersten Symptome in den Armen oder im Kopf auf und breiten sich nach unten aus.

Zu den Symptomen gehören Schwäche und Kribbeln oder Empfindungsverlust. Das Guillain-Barré-Syndrom ist eher durch Schwäche als durch Empfindungsstörungen gekennzeichnet. Reflexe fehlen oder sind abgeschwächt. Bei 90 % der betroffenen Patienten ist die Schwäche drei bis vier Wochen nach dem ersten Auftreten von Symptomen am stärksten ausgeprägt. Die Atemmuskulatur ist bei 5 bis 10 Prozent der Kranken so geschwächt, dass eine künstliche Beatmung erforderlich wird.

Wenn die Erkrankung schwerwiegend ist, tritt bei mehr als der Hälfte der Patienten eine Schwäche der Gesichts- und Schluckmuskulatur auf. Die Betroffenen müssen daher beim Essen würgen oder leiden an Dehydratation und Mangelernährung.

Bei einer besonders schwer ausgeprägten Symptomatik sind die vom vegetativen Nervensystem gesteuerten inneren Funktionen gestört. Es kommt eventuell zu Blutdruckschwankungen, Herzrhythmusstörungen, Harnverhalten und starker Verstopfung.

Bei einer Sonderform des akuten Guillain-Barré-Syndroms, dem Miller-Fisher-Syndrom, sind nur einige Symptome vorhanden: Die Augen werden unbeweglich, der Gang wird unsicher, die Reflexe fehlen.

Diagnose des GBS

  • Untersuchung durch den Arzt

  • Elektromyografie und Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit, Magnetresonanztomografie, Bluttests und Spinalpunktion

In der Regel kann das Guillain-Barré-Syndrom auf Grundlage des Symptommusters diagnostiziert werden. Zu einer Bestätigung kommt es jedoch erst nach den Tests. Da sich die Symptome rasch verschlimmern können und es zur Schwäche der Atemmuskulatur kommen kann, müssen sich die Betroffenen in einer Klinik untersuchen lassen, wenn der Verdacht auf ein Guillain-Barré-Syndrom besteht. Die Atmung wird immer wieder beurteilt.

Die Tests umfassen Folgendes:

Mithilfe dieser Tests können andere mögliche Ursachen der schwerwiegenden Schwäche ausgeschlossen werden, welche dem Guillain-Barré-Syndrom ähneln. Zum Beispiel kann mithilfe der MRT eine Rückenmarksschädigung aufgrund von Kompression (z. B. durch einen Tumor oder einen Abszess) oder eine Querschnittmyelitis (Entzündung des Rückenmarks) ausgeschlossen werden.

Ein hoher Eiweißgehalt bei gleichzeitigem Mangel oder Fehlen von weißen Blutkörperchen in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit sowie typische Befunde einer Elektromyografie deuten stark auf das Guillain-Barré-Syndrom hin.

Prognose beim GBS

Das Fortschreiten kommt nach acht Wochen zum Stillstand. Ohne Behandlung kommt es bei den meisten Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom innerhalb von einigen Monaten zu einer Abheilung. Bei einer frühen Behandlung jedoch kommt es meistens zu einer sofortigen Besserung – innerhalb von Tagen oder Wochen.

Etwa 30 Prozent der betroffenen erwachsenen Patienten und sogar mehr der betroffenen Kinder weisen noch drei Jahre nach Beginn des Syndroms eine verbleibende Schwäche auf. Die durchschnittliche Mortalitätsrate aufgrund dieser Krankheit beträgt 2 Prozent.

Nach einer anfänglichen Besserung entwickeln drei bis zehn Prozent der Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom eine chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie.

Behandlung des GBS

  • Krankenhausaufenthalt und unterstützende Therapiemaßnahmen

  • Bei Bedarf wird ein mechanisches Beatmungsgerät eingesetzt, um die Atmung zu unterstützen.

  • Immunglobulin oder Plasmaaustausch

Das Guillain-Barré-Syndrom kann rasch fortschreiten und gilt als medizinischer Notfall. Betroffene Patienten müssen sofort in einer Klinik behandelt werden. Je eher mit einer entsprechenden Behandlung begonnen wird, umso höher die Wahrscheinlichkeit für ein positives Ergebnis. Deuten die Symptome stark auf ein Guillain-Barré-Syndrom hin, werden die Testergebnisse in der Regel nicht abgewartet und die Behandlung eingeleitet.

Unterstützende Versorgung

Die Patienten werden in einer Klinik genau überwacht, damit die Atmung notfalls künstlich unterstützt werden kann.

Patienten mit schwacher Gesichts- und Schluckmuskulatur müssen intravenös (intravenöse Ernährung) oder über einen Schlauch, der über einen kleinen Schnitt in der Bauchwand in den Magen (Magensonde) oder den Dünndarm (perkutane endoskopische Gastrostomie-Sonde oder PEG-Sonde) eingeführt wird, künstlich ernährt werden. Flüssigkeit kann intravenös verabreicht werden.

Eine Bewegungsunfähigkeit aufgrund schwacher Muskeln kann zu vielen Problemen führen, unter anderem Druckgeschwüren sowie steifen, dauerhaft verkürzten Muskeln (Kontrakturen). Um Wundliegen und Druckgeschwüre zu verhindern, lagert man die Patienten deshalb auf speziellen Matratzen und bringt die schwer Betroffenen alle zwei Stunden in eine andere Position.

Zur Verhinderung von Kontrakturen und zum Erhalt der Gelenk- und Muskelfunktion und der Mobilität wird eine Physiotherapie durchgeführt. Durch Wärmetherapie kann die Physiotherapie angenehmer gemacht werden. Zu Beginn der Physiotherapie kann der Therapeut die Gliedmaßen des Patienten bewegen (passive Bewegung). Nimmt die Schwäche ab, sollten die Betroffenen dann ihre Gliedmaßen selbst bewegen (aktive Bewegung).

Immunglobulin oder Plasmaaustausch

Immunglobuline (eine Lösung aus vielen verschiedenen Antikörpern, gesammelt aus einer Spendergruppe) die frühzeitig und über eine Vene (intravenös) über einen Zeitraum von fünf Tagen gegeben werden, sind die bevorzugte Behandlungsmethode des Guillain-Barré-Syndroms.

Wenn sich Immunglobulin als wirkungslos erweist, wird ein Plasmaaustausch (Filtern toxischer Stoffe aus dem Blut, einschließlich Antikörper gegen die Myelinscheide) durchgeführt.

Diese Behandlungen verkürzen den Krankenhausaufenthalt, beschleunigen den Heilungsprozess und reduzieren das Sterberisiko und das Risiko einer dauerhaften Behinderung. Ein Plasmaaustausch wird in der Regel so schnell wie möglich durchgeführt, wenn sich der Zustand der Patienten rapide verschlechtert. Die Entnahme und der Austausch einer großen Blutmenge durch einen Schlauch (Katheter), der in eine Vene eingeführt ist, kann jedoch zu niedrigem Blutdruck führen und das Infektionsrisiko erhöhen.

Da bei einem Plasmaaustausch Immunglobulin aus dem Blut entfernt wird, wird er nicht zur selben Zeit wie die Verabreichung von Immunglobulin, Der Plasmaaustausch wird nach Gabe von Immunglobulin um mindestens 2 bis 3 Tage verzögert.

Andere Therapien

Kortikosteroide bieten keine Hilfe und führen oft zu einer Verschlechterung des Guillain-Barré-Syndroms.