Übersicht zu Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

VonJosephine Elia, MD, Sidney Kimmel Medical College of Thomas Jefferson University
Überprüft/überarbeitet Mai 2023
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Angststörungen sind gekennzeichnet durch Angst, Sorge oder Furcht. Diese Gefühle beeinträchtigen das Alltagsleben sehr und verhindern ein angemessenes Reagieren auf bestimmte Situationen. Angst kann zu körperlichen Symptomen führen. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Die Behandlung erfolgt mit Verhaltenstherapie und Medikamenten, in der Regel selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI).

(Siehe auch Übersicht über Angststörungen bei Erwachsenen.)

Ein gewisses Maß an Angst gehört zu einer normalen Entwicklung dazu, wie an folgenden Beispielen zu sehen ist:

  • Die meisten Krabbelkinder sind ängstlich, wenn sie von ihrer Mutter getrennt werden, vor allem in einer nicht vertrauten Umgebung.

  • Angst vor der Dunkelheit, vor Ungeheuern, Insekten und Spinnen ist bei 3–4-Jährigen häufig.

  • Schüchterne Kinder können auf neue Situationen mit Angst und Rückzug reagieren.

  • Furcht vor dem Tod oder Verletzung kommt häufiger bei älteren Kindern vor.

  • Ältere Kinder und Jugendliche haben oft Angst, wenn sie ein Buchreferat vor der Klasse halten müssen.

Diese Schwierigkeiten sollten nicht als Hinweis auf eine Angststörung gewertet werden. Wenn die Manifestationen der Angst jedoch so übersteigert sind, dass sie das alltägliche Leben der Kinder stark beeinträchtigen oder schweren Stress und/oder Vermeidungsverhalten auslösen, sollte eine Angststörung in Betracht gezogen werden.

Angststörungen treten bei etwa 3% der 6-Jährigen und bei etwa 5% der Jungen und 10% der Mädchen im Teenageralter auf (1–3). Kinder mit einer Angststörung haben ein erhöhtes Risiko für Depressionen (4), suizidales Verhalten (5, 6) Drogen- und Alkoholabhängigkeit (7) und akademische Schwierigkeiten (8) später im Leben.

Angststörungen, die bei Kindern und Jugendlichen auftreten können, sind unter anderem

Allgemeine Literatur

  1. 1. Merikangas KR, He JP, Burstein M, et al: Lifetime prevalence of mental disorders in US adolescents: Results from the National Comorbidity Study – Adolescent Supplement (NCS-A). J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 49(10): 980-989, 2010.

  2. 2. Dalsgaard S, Thorsteinsson E, Trabjerg BB, et al: Incidence rates and cumulative incidences of the full spectrum of diagnosed mental disorders in childhood and adolescence. JAMA Psychiatry, 77(2):155-164, 2020. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2019.3523

  3. 3. Merikangas KR, He JP, Brody D, et al: Prevalence and treatment of mental disorders among US children in the 2001–2004 NHANES. Pediatrics 125(1):75-81, 2010. doi: 10.1542/peds.2008-2598

  4. 4. Cummings CM, Caporino NE, Kendall PC: Comorbidity of anxiety and depression in children and adolescents: 20 years after. Psychol Bull 140(3):816-845, 2014. doi: 10.1037/a0034733

  5. 5. Boden JM, Fergusson DM, Horwood LJ: Anxiety disorders and suicidal behaviours in adolescence and young adulthood: Findings from a longitudinal study. Psychol Med 37(3)431-440, 2007. doi: 10.1017/S0033291706009147

  6. 6. Husky MM, Olfson M, He J, et al: Twelve-month suicidal symptoms and use of services among adolescents: Results from the National Comorbidity Survey. Psychiatr Serv63(10):989-996, 2012.

  7. 7. Zimmermann P, Wittchen HU, Hofler M, et al: Primary anxiety disorders and the development of subsequent alcohol use disorders: A 4-year community study of adolescents and young adults. Psychol Med 33(7);1211-1222, 2003. doi: 10.1017/s0033291703008158

  8. 8. Van Ameringen M, Mancini C, Farvolden P: The impact of anxiety disorders on educational achievement. J Anxiety Disord 17(5):561-571, 2003. doi: 10.1016/s0887-6185(02)00228-1

Ätiologie

Befunde deuten darauf hin, dass Angststörungen eine Dysfunktion in den Teilen des limbischen Systems und des Hippocampus implizieren, die Emotionen und die Reaktion auf Angst regulieren. Bei Mäusen führt der Verlust der Expression des Serotonin 1A-Rezeptors (5-HT1AR) im Vorderhirn während der frühen Entwicklung zu einer Dysregulation des Hippocampus und zu Angstverhalten (1). Heritabilitätsstudien deuten auf eine Rolle von genetischen und Umweltfaktoren hin. Keine spezifischen Gene sind identifiziert worden; es sind wahrscheinlich viele genetische Varianten beteiligt.

Die Angstsymptome unter Jugendlichen verdoppelten sich während der COVID-19-Pandemie, insbesondere bei Mädchen (2), und die Zahl der Besuche in der psychiatrischen Klinik wegen Angstzuständen stieg um 43% (3). Diese Studienergebnisse wurden für Geschlecht, Alter und das Vorhandensein von Angstsymptomen vor der COVID-Studie kontrolliert und zeigten, dass eine schlechte Bindung zur Betreuungsperson, schlechte Schlafhygiene und ein hoher Anteil an Bildschirmarbeit signifikante Prädiktoren für die COVID-19-Angstsymptome des Kindes waren (4).

Ängstliche Eltern scheinen ängstliche Kinder zu haben, was leider dazu führen kann, dass das kindliche Problem schlimmer wird, als es sonst eigentlich wäre. Sogar einem normalen Kind fällt es schwer, in Beisein eines ängstlichen Elternteils ruhig und gelassen zu bleiben. Umso schwieriger ist dies für ein Kind, das eine genetische Prädisposition für eine Angststörung hat. Bei 30% der Fälle lohnt es sich, die elterliche Angst gleichzeitig mit der kindlichen Angst zu behandeln (für Angststörungen bei Erwachsenen siehe Angststörungen).

Literatur zur Ätiologie

  1. 1. Adhikari A, Topiwala M, Gordon JA: Synchronized activity between the ventral hippocampus and the medial prefrontal cortex during anxiety. Neuron 65:257-269, 2010. doi: 10.1016/j.neuron.2009.12.002

  2. 2. Racine N, McArthur B, Cooke J, et al: Global prevalence of depressive and anxiety symptoms in children and adolescence during COVID-19: A meta-analysis. JAMA Pediatr 175(11):1142-1150, 2021. doi: 10.1001/jamapediatrics.2021.2482

  3. 3. Dvir Y, Ryan C, Straus JH: Comparison of use of the Massachusetts Child Psychiatry Access Program and patient characteristics before vs during the COVID-19 pandemic. JAMA Netw Open5(2):e2146618, 2022. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.46618

  4. 4. McArthur BA, Racine N, McDonald S, et al: Child and family factors associated with child mental health and well-being during COVID-19. Eur Child Adolesc Psychiatry Jul 24;1-11, 2021. doi: 10.1007/s00787-021-01849-9

Symptome und Beschwerden

Die vielleicht häufigste Manifestation einer Angststörung bei Kindern und Jugendlichen ist die Schulverweigerung. Schulverweigerung hat den Begriff Schulphobie verdrängt. Eine richtige Schulangst ist selten. Die meisten Kinder, die sich weigern, in die Schule zu gehen, haben Trennungsängste, soziale Angststörung, Panikstörung oder eine Kombination daraus. Einige leiden unter eine besonderen Phobie. Die Möglichkeit, dass das Kind in der Schule gemobbt wird, sollte ebenfalls berücksichtigt werden.

Einige Kinder beklagen sich direkt über ihre Angst und beschreiben sie mit Ausdrücken der Sorge. Zum Beispiel: „Ich habe Angst, dich nie mehr wiederzusehen“ (Trennungsangst) oder „Ich habe Angst, dass die Kinder mich auslachen“ (soziale Angststörung). Manche Kinder beschreiben ihr Unbehagen durch somatischen Beschwerden: „Ich kann nicht zur Schule gehen, weil ich Bauchweh habe.“ Das kann manchmal für Verwirrung sorgen, da das Kind oft die Wahrheit sagt. Bauchschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen und Schlafprobleme können sich oft bei Kindern mit Angstzuständen entwickeln. Mehrere Langzeit-Follow-up-Studien bestätigen, dass viele Kinder mit somatischen Beschwerden, vor allem Bauchschmerzen, eine zugrunde liegende Angststörung haben.

Diagnose

  • Psychiatrische Beurteilung

  • Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fünfte Auflage (DSM 5-TR) Kriterien

Die Diagnose einer Angststörung wird durch eine klinische Bewertung gestellt (1). Eine gründliche psychosoziale Anamnese kann die Diagnose in der Regel bestätigen.

Bewertungsskalen können für das Screening nützlich sein. Mehrere validierte Skalen sind frei verfügbar: Screen for Child Anxiety-Related Emotional Disorders [SCARED], Spence Children's Anxiety Scale [SCAS], Preschool Anxiety Scale [PAS], und Allgemeine Angststörung-7 [GAD-7]).

Die körperlichen Symptome, die durch die Angst bei Kindern verursacht werden, können die Diagnosestellung erschweren. Bei vielen Kindern werden gründliche körperliche Untersuchungen vorgenommen, bevor eine Angststörung in Betracht gezogen wird.

Diagnosehinweis

  1. 1. Walter HJ, Bukstein OG, Abright AR, et al: Clinical practice guideline for the assessment and treatment of children and adolescents with anxiety disorders. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 59(10):1107-1124, 2020. doi: https://doi.org/10.1016/j.jaac.2020.05.005

Behandlung

  • Verhaltenstherapie (Expositions-basierte kognitive Verhaltenstherapie)

  • Eltern-Kind- und Familieninterventionen

  • Medikamente, in der Regel selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und in geringerem Maße Serotonin-Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und trizyklische Antidepressiva für die Langzeitbehandlung und manchmal Benzodiazepine zur Linderung akuter Symptome.

Kindliche Angststörungen werden mit Verhaltenstherapie (nach dem Modell der „Expositions-Reaktions-Verhinderung“) behandelt (1), manchmal in Verbindung mit einer medikamentösen Therapie (1–4).

In der Expositions-basierten kognitiven Verhaltenstherapie wird das Kind systematisch der Situation, die die Angst hervorruft, in verschiedenen Abstufungen ausgesetzt. Indem man dem Kind hilft, sich der Angst provozierenden Situation auszusetzen (Angstvermeidung), wird das Kind nach und nach desensibilisiert, und die Angst verringert sich. Verhaltenstherapie ist am erfolgreichsten, wenn ein erfahrener Therapeut mit Kenntnissen in der Kindesentwicklung diese Prinzipien individuell anwendet.

In leichten Fällen reicht die Verhaltenstherapie alleine aus, in schweren Fällen oder wenn kein erfahrener Verhaltenstherapeut für Kinder zur Verfügung steht, kann aber eine medikamentöse Therapie notwendig werden. SSRI sind in der Regel die Medikamente erster Wahl für die Langzeitbehandlung (siehe Tabelle Medikamente für die Langzeitbehandlung von Angst und verwandten Störungen). SSRI in Kombination mit CBT haben die höchste Wahrscheinlichkeit, die Symptome zu verbessern (4). Benzodiazepine sind besser für akute Angstzuständen (z. B. aufgrund eines medizinischen Eingriffs), werden aber nicht für die Langzeitbehandlung bevorzugt. Benzodiazepine mit kurzer Halbwertszeit (z. B. Lorazepam 0,05 mg/kg bis zu einem Maximum von 2 mg in einer Einzeldosis) stellen die beste Wahl dar. Buspiron erwies sich bei pädiatrischen Patienten (6–17 Jahre) mit einer generalisierten Angststörung als gut verträglich, aber zwei randomisierte, kontrollierte Studien zeigten keine größere Wirksamkeit als Placebo; diese Studien waren zu schwach ausgeprägt, um kleine Effekte zu erkennen (5). Berichte über Besserungen bei Entwicklungsstörungen wie dem Williams-Syndrom (6) und Autismus (7) haben zu laufenden Untersuchungen geführt.

Tabelle

Die meisten Kinder vertragen die SSRI ohne Nebenwirkungen. Manchmal können Magenschmerzen, Diarrhö, Schlafstörungen oder Gewichtszunahme auftreten. Einige Kinder haben verhaltensbedingte Nebenwirkungen (z. B. Unruhe, Enthemmung); diese Effekte sind in der Regel mild bis mäßig. Normalerweise beseitigt oder reduziert eine Verringerung der Medikamentendosis oder ein Wechsel zu einem anderen Medikament diese Wirkungen. Selten sind Verhaltensbeeinträchtigungen (z. B. Aggressivität, erhöhte Suizidalität) schwerwiegend. Verhaltensbezogene Nebenwirkungen sind idiosynkratisch und können mit jedem Antidepressivum und zu jeder Zeit während der Behandlung auftreten. Daher müssen Kinder und Jugendliche, die solche Medikamente einnehmen, genau überwacht werden.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Brent DA, Porta G, Rozenman M, et al: Brief behavioral therapy for pediatric anxiety and depression in primary care: A follow-up. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 59(7):856-867, 2019. doi: 10.1016/j.jaac.2019.06.009

  2. 2. Strawn JR, Welge JA, Wehry AM, et al: Efficacy and tolerability of antidepressants in pediatric anxiety disorders: A systematic review and meta-analysis. Depress Anxiety 32(3):149-157, 2015.

  3. 3. Ipser JC, Stein DJ, Hawkridge S, et al: Pharmacotherapy for anxiety disorders in children and adolescents. Cochrane Database Syst Rev (3):CD005170, 2009. doi: 10.1002/14651858.CD005170.pub2

  4. 4. Walkup JT, Albano AM, Piacentini J, et al: Cognitive behavioral therapy, sertraline, or a combination in childhood anxiety. N Engl J Med 359:2753-2766, 2008. doi: 10.1056/NEJMoa0804633

  5. 5. Strawn JR,  Mills JA, Cornwall GJ, et al: Buspirone in children and adolescents with anxiety: A review and Bayesian analysis of abandoned randomized controlled trials. J Child Adolesc Psychopharmacol  28(1): 2-9, 2018. doi: 10.1089/cap.2017.0060

  6. 6. Thom RP, Keary CJ, Waxler JL, et al: Buspirone for the treatment of generalized anxiety disorder in Williams syndrome: A case series. J Autism Dev Disord 50(2):676-682, 2020. doi: 10.1007/s10803-019-04301-9

  7. 7. Ceranoglu TA, Wozniak J, Fried R, et al: A retrospective chart review of buspirone for the treatment of anxiety in psychiatrically referred youth with high-functioning autism spectrum disorder. J Child Adolescent Psychopharmacol, 29(1):28-33, 2018. doi: 10.1089/cap.2018.0021

Prognose für Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

Die Prognose für Angststörungen bei Kindern hängt vom Schweregrad, der Verfügbarkeit fachkundiger Behandlung und der Widerstandsfähigkeit des Kindes ab. Viele Kinder kämpfen mit Angstzuständen bis in ihr Erwachsenleben und weiter. Mit einer frühen Behandlung jedoch lernen viele Kinder, ihre Angst zu kontrollieren.

Wichtige Punkte

  • Die häufigste Manifestation einer Angststörung kann Schulverweigerung sein. Die meisten Kinder litten unter somatischen Beschwerden.

  • Betrachten Sie Angst als eine Störung bei Kindern nur dann, wenn die Angst so übertrieben wird, dass sie die Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigt oder schwere Not und/oder Vermeidung verursacht.

  • Die körperlichen Symptome, die durch die Angst bei Kindern verursacht werden, können die Diagnosestellung erschweren.

  • Die Verhaltenstherapie (unter Anwendung der Prinzipien der Expositions- und Response-Prävention) ist am effektivsten, wenn sie von einem erfahrenen Therapeuten durchgeführt wird, der über die Entwicklung des Kindes Bescheid weiß und diese Prinzipien auf das Kind zuschneidet.

  • Wenn die Fälle schwerer sind oder wenn der Zugang zu einem erfahrenen Kindertherapeuten eingeschränkt ist, können Medikamente benötigt werden.

  • Kommerziell erhältliche Panels, die auf CYP-Varianten testen, sind nach wie vor begrenzt.

Weitere Informationen

Die folgenden englischsprachigen Quellen können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MSD-Manual nicht für den Inhalt dieser Quellen verantwortlich ist.

  1. CPIC—Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium: Dieses internationale Konsortium erleichtert die Nutzung pharmakogenetischer Tests für die Patientenversorgung. Die Webseite bietet Zugang zu Leitlinien, die Ärzten helfen sollen zu verstehen, wie Gentestergebnisse zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie eingesetzt werden sollten.

  2. American Academy of Child and Adolescent Psychiatry Clinical Practice Guideline for the Assessment and Treatment of Children and Adolescents With Anxiety Disorders: Diese Leitlinien fassen fachlich fundierte Hinweise zur psychosozialen und psychopharmakologischen Behandlung von Angstzuständen zusammen und zielen darauf ab, die Qualität der Versorgung und die klinischen Ergebnisse für Kinder und Jugendliche zu verbessern.