Diabetes mellitus in der Schwangerschaft

(Gestationsdiabetes; Prägestationsdiabetes)

VonLara A. Friel, MD, PhD, University of Texas Health Medical School at Houston, McGovern Medical School
Überprüft/überarbeitet Sep. 2023
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Eine Schwangerschaft erschwert die glykämische Kontrolle bei vorbestehendem Typ-1- (Insulin-abhängigen) und Typ-2-(nicht-Insulin-abhängigen) Diabetes, scheint jedoch nicht die diabetische Retinopathie, Nephropathie oder Neuropathie zu verschlimmern (1).

Gestationsdiabetes tritt bei etwa 4% der Schwangerschaften auf, wobei die Rate bei Angehörigen bestimmter Ethnien (nicht-hispanische Asiaten/pazifische Inselbewohner und Hispanics/Latinas) überdurchschnittlich hoch ist (2). Frauen mit Gestationsdiabetes haben ein erhöhtes Risiko für einen zukünftigen Typ-2-Diabetes.

Leitlinien für das Management von Diabetes mellitus während der Schwangerschaft sind verfügbar vom American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG [1, 3]).

Diabetesrisiken während der Schwangerschaft

Diabetes während der Schwangerschaft erhöht die fetale und mütterliche Morbidität und Mortalität. Neugeborene haben ein erhöhtes Risiko für Atemnot, Hypoglykämie, Hypokalzämie, Hyperbilirubinämie, Polyzythämie und erhöhte Blutviskosität.

Schlechte Kontrolle von vorbestehender (prägestationaler) oder Schwangerschaftsdiabetes während der Organogenese (bis zu ca. 10 Wochen) erhöht das Risiko für Folgendes:

Schlechte Kontrolle von Diabetes später in der Schwangerschaft erhöht das Risiko der folgenden:

Ein Gestationsdiabetes kann allerdings auch zur fetalen Makrosomie führen, wenn der Blutzucker annähernd normal eingestellt ist.

Allgemeine Literatur

  1. 1. Committee on Practice Bulletins—Obstetrics: ACOG Practice Bulletin No. 201: Clinical management guidelines for obstetrician-gynecologists: Pregestational diabetes mellitus. Obstet Gynecol 132 (6):e228–e248, 2018. doi: 10.1097/AOG.0000000000002960

  2. 2. Shah NS, Wang MC, Freaney PM, et al: Trends in Gestational Diabetes at First Live Birth by Race and Ethnicity in the US, 2011-2019. JAMA 326(7):660-669, 2021. doi:10.1001/jama.2021.7217

  3. 3. Committee on Practice Bulletins—Obstetrics: ACOG Practice Bulletin No. 190: Gestational diabetes mellitus. Obstet Gynecol 131 (2):e49–e64, 2018. doi: 10.1097/AOG.0000000000002501

Diagnose von Diabetes mellitus in der Schwangerschaft

  • Oraler Glukosetoleranztest (OGTT) oder eine einzelne Plasmaglukosemessung (nüchtern oder zufällig)

Das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) empfiehlt allen schwangeren Frauen gescreent auf Gestationsdiabetes, typischerweise in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche (1). Ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) wird empfohlen, aber die Diagnose kann wahrscheinlich auf der Grundlage eines Nüchternplasmaglukosespiegels von > 126 mg/dl (> 6,9 mmol/l) oder eines Zufallsplasmaglukosespiegels von > 200 mg/dl (> 11 mmol/l) gestellt werden.

Für das Screening wird ein 2-stufiger Test empfohlen. Zunächst wird ein Belastungstest mit 50 g Glukose oral und eine Glukosebestimmung nach 1 Stunde durchgeführt. Liegt der Blutzuckerspiegel nach 1 Stunde bei > 130–140 mg/dl (> 7,2–7,8 mmol/l), erfolgt zur Bestätigung ein zweiter Belastungstest nach 3 Stunden mit 100 g Glukose (siehe Tabelle Glukoseschwellenwerte für Schwangerschaftsdiabetes unter Verwendung eines 3-stündigen oralen Glukosetoleranztests).

Die meisten Organisationen außerhalb der USA empfehlen einen einstufigen 2-Stunden-Test.

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Diagnosehinweis

  1. 1. ACOG Practice Bulletin No. 190: Gestational Diabetes Mellitus. Obstet Gynecol 131(2):e49-e64, 2018. doi:10.1097/AOG.0000000000002501

Behandlung von Diabetes Mellitus in der Schwangerschaft

  • Engmaschige Überwachung

  • Strenge Kontrolle des Blutzuckers

  • Behandlung von Komplikationen

Beratung vor der Konzeption und optimale Einstellung des Diabetes vor, während und nach der Schwangerschaft minimieren das mütterliche und fetale Risiko, darunter auch das Risiko für kongenitale Fehlbildungen (1). Da sich Fehlbildungen schon vor der Diagnose einer Schwangerschaft entwickeln können, obliegt es den Frauen, die einen Diabetes haben und beabsichtigen, schwanger zu werden (oder die keine Verhütungsmittel anwenden), notwendigerweise eine ständige strenge Kontrolle der Glukosespiegel durchzuführen.

Risiken werden minimiert durch

  • Hinzuziehen eines Diabetes-Teams (z. B. Ärzte, Schwestern, Ernährungsberater, Sozialberater) und eines Kinderarztes

  • Umgehendes Erkennen und Behandeln von Schwangerschaftskomplikationen, egal, wie belanglos sie erscheinen

  • Geburtsplanung und Bereithalten eines erfahrenen Kinderarztes

  • Sicherstellen einer verfügbaren Intensivpflege des Neugeborenen

In regionalen Perinatalzentren stehen Fachärzte für Diabetologie zur Verfügung.

Während der Schwangerschaft

Die Behandlung kann variieren, aber einige allgemeine Behandlungsrichtlinien sind nützlich (siehe Tabellen Behandlung des Typ-1-Diabetes während der Schwangerschaft, Behandlung von Typ-2-Diabetes während der Schwangerschaft, und Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes während der Schwangerschaft).

Frauen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes sollten ihre Blutzuckerspiegel zu Hause kontrollieren. Während der Schwangerschaft betragen die normalen Nüchternblutzuckerwerte etwa 76 mg/dl (4,2 mmol/l).

Ziele der Behandlung sind:

  • Nüchtern-Blutzuckerspiegel bei < 95 mg/dl (< 5,3 mmol/l)

  • postprandiale Werte nach 2 Stunden bei ≤ 120 mg/dl (≤ 6,6 mmol/l)

  • keine großen Blutzuckerschwankungen

  • Glykosyliertes Hämoglobin (HbA1c) -Spiegel bei < 6,5%

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Insulin ist die traditionelle Behandlung der Wahl, da es die Plazenta nicht passieren kann und eine besser vorhersehbare Blutzuckerkontrolle ermöglicht; es wird bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes sowie bei einigen Frauen mit Gestationsdiabetes eingesetzt. Wenn möglich, wird Human-Insulin benutzt, da es die Ausbildung von Antikörpern sehr gering hält. Insulin-Antikörper passieren die Plazenta, aber ihre Wirkung auf den Fetus ist unbekannt. Bei einigen Frauen mit seit langem bestehendem Typ-1-Diabetes löst eine Hypoglykämie nicht die normale Ausschüttung gegenregulierender Hormone (Katecholamine, Glucagon, Kortisol und Wachstumshormon) aus; daher kann dann ein Zuviel an Insulin zu einem hypoglykämischen Koma ohne vorwarnende Symptome führen. Alle Schwangeren mit Typ-1-Diabetes sollten ein Glucagon-Set besitzen und (wie auch deren Familienmitglieder) in die Anwendung von Glucagon beim Auftreten einer bedrohlichen Hypoglykämie eingewiesen werden (indiziert bei Bewusstlosigkeit, Verwirrtheit oder Blutzuckerspiegeln < 40 mg/dl [< 2,2 mmol/l]).

Tipps und Risiken

  • Alle schwangeren Frauen mit Typ-1-Diabetes sollten ein Glucagon-Set besitzen und (wie auch deren Familienmitglieder) in die Anwendung von Glucagon beim Auftreten einer schweren Hypoglykämie eingewiesen werden.

Zur Einstellung des Diabetes bei Schwangeren werden zunehmend orale Blutzucker-senkende Medikamente (z. B. Metformin) gegeben, da ihre Anwendung sehr einfach ist (Tabletten im Vergleich zu Injektionen), die Kosten niedrig sind und nur einmal täglich dosiert wird. Einige Studien haben gezeigt, dass Metformin in der Schwangerschaft sicher ist und dass es eine vergleichbare Kontrolle wie Insulin für Frauen mit Gestationsdiabetes bietet. Zu Frauen mit bereits vor der Schwangerschaft bestehendem Typ-2-Diabetes liegen nur spärliche Daten über orale Wirkstoffe vor; Insulin wird fast immer bevorzugt. Die Einnahme oraler Antidiabetika während der Schwangerschaft kann post partum in der Stillzeit fortgesetzt werden, das Kind sollte dabei aber engmaschig auf Zeichen einer Hypoglykämie kontrolliert werden.

Umgang mit Komplikationen

Obwohl diabetische Retinopathie, Nephropathie und leichte Neuropathie keine Kontraindikationen einer Schwangerschaft sind, erfordern sie doch eine präkonzeptionelle Beratung und eine sorgfältige Führung vor und während der Schwangerschaft.

Bei einer Retinopathie ist es erforderlich, dass in jedem Trimester eine augenärztliche Untersuchung stattfindet. Wird bei der ersten Untersuchung in der Schwangerschaft eine proliferative Retinopathie festgestellt, ist möglichst bald eine Photokoagulation durchzuführen, um einer zunehmenden Verschlechterung vorzubeugen.

Eine Nephropathie, insbesondere bei Frauen mit Nierentransplantation, ist prädisponiert für Gestationshypertonie Das Risiko einer Frühgeburt ist größer, wenn die Nierenfunktion beeinträchtigt ist oder die Transplantation erst kurze Zeit zurückliegt. Findet die Geburt 2 Jahre nach Transplantation statt, ist die Prognose am günstigsten.

Angeborene Fehlbildungen der wichtigsten Organe werden durch erhöhte HbA1c-Spiegel bei der Empfängnis und während der ersten 8 Wochen der Schwangerschaft vorhergesagt. Beträgt der Wert während des 1. Trimesters 8,5%, ist das Risiko für kongenitale Fehlbildungen deutlich erhöht; zur Abklärung von Fehlbildungen werden dann während des 2. Trimenons eine gezielte Sonographie und eine fetale Echokardiographie durchgeführt (2). Wenn Frauen mit Typ-2-Diabetes während des ersten Trimesters orale Antidiabetika einnehmen, ist das fetale Risiko für angeborene Fehlbildungen nicht bekannt (siehe Tabelle Einige Medikamente mit unerwünschten Wirkungen während der Schwangerschaft).

Wehentätigkeit und Geburt

Bestimmte Vorsichtsmaßnahmen sind erforderlich, um einen optimalen Verlauf zu gewährleisten.

Die Zeitplanung der Geburt hängt vom Wohlbefinden des Feten ab. Die Schwangere wird angehalten, die Bewegungen des Feten täglich über die Dauer einer Stunde zu zählen (fetale Trittzahl) und jede plötzliche Verringerung sofort dem Geburtshelfer zu berichten. Mit vorgeburtlichen Untersuchungen wird in der 32. Schwangerschaftswoche begonnen; sie werden früher gemacht, wenn die Schwangere eine ausgeprägte Hypertonie oder eine Nierenerkrankung aufweist oder wenn eine fetale Wachstumsretardierung vermutet wird. Eine Amniozentese zur Beurteilung der fetalen Lungenreife ist oft bei Frauen erforderlich mit:

  • Geburtshilflichen Komplikationen in den vorausgegangenen Schwangerschaften

  • Unzureichender Schwangerschaftsvorsorge

  • Unsichem Geburtstermin

  • Schlechter Blutzuckereinstellung

  • Ungenügender Therapietreue

Bei der Art der Geburt handelt es sich meist um eine spontane vaginale Entbindung am Termin. Gefahr von Totgeburten und Schulterdystokie erhöht kurzfristig. Wenn die Wehen bis zur 39. Woche nicht spontan einsetzen, ist daher häufig eine Einleitung erforderlich. Störungen der Wehentätigkeit, ein fetopelvines Missverhältnis oder die Gefahr einer Schulterdystokie können einen Kaiserschnitt notwendig machen.

Während der Wehentätigkeit und Geburt lassen sich die Blutzuckerspiegel am besten durch eine kontinuierliche „Low-dose“-Insulininfusion kontrollieren. Falls eine Geburtseinleitung geplant ist, essen die Schwangeren am Vortag ihre normale Diät und nehmen ihre normale Insulindosis. Am Morgen der Geburtseinleitung werden Frühstück und Insulinvorenthalten. Nach Bestimmung des basalen Nüchtern-BZ-Wertes wird mit Hilfe einer Infusionspumpe mit einer IV Infusion von 5% Dextrose in 0,45%iger Kochsalzlösung in einer Dosis von 125 ml/Stunde begonnen. Die anfängliche Geschwindigkeit der Insulininfusion richtet sich nach dem kapillären Glukosespiegel. Die Insulindosis wird folgendermaßen festgelegt:

  • Initial: 0 I.E. bei einem kapillären Spiegel von < 80 mg/dl (< 4,4 mmol/l) oder 0,5 I.E./Stunde bei einem Spiegel von 80–100 mg/dl (4,4–5,5 mmol/l)

  • Danach: Erhöhung bei Spiegeln über 100 mg/dl für jeden Anstieg des Glukosespiegels um 40 mg/dl (2,2 mmol/l) um 0,5 I.E./Stunde bis zu 2,5 I.E./Stunde bei Spiegeln > 220 mg/dl (> 12,2 mmol/l).

  • Jede Stunde während der Wehentätigkeit: Messung des Glukosespiegels am Bett und Anpassung der Dosis, sodass die Spiegel zwischen 70 und 120 mg/dl (3,8–6,6 mmol/l) gehalten werden.

  • Bei deutlich erhöhten Glukosespiegeln: möglicherweise zusätzliche Bolus-Dosen

Bei einer Spontangeburt wird ebenso vorgegangen, außer dass die Insulindosis reduziert werden muss, falls in den vorausgegangenen 12 Stunden ein Intermediärinsulin gegeben wurde. Bei Frauen mit Fieber, Infektion oder anderen Komplikationen und adipösen Frauen mit Typ-2-Diabetes, die vor der Schwangerschaft täglich > 100 I.E. Insulin benötigten, muss die Insulindosis erhöht werden.

Post partum

Nach der Geburt verringert sich mit der Ausstoßung der Plazenta, die während der Schwangerschaft große Mengen an Insulin-antagonistisch wirkenden Hormonen synthetisiert, der Insulinbedarf sofort. Daher benötigen Frauen mit Gestationsdiabetes und viele Frauen mit Typ-2-Diabetes nach der Geburt kein Insulin mehr. Für Frauen mit Typ-1-Diabetes verringert sich der Insulin-Bedarf drastisch, steigt aber nach ca. 72 Stunden allmählich wieder an.

Während der ersten 6 Wochen post partum ist das Ziel eine strenge Blutzuckereinstellung. Die Glukosespiegel werden vor den Mahlzeiten und vor dem Schlafengehen bestimmt. Stillen ist nicht kontraindiziert, kann aber bei Einnahme von oralen Antidiabetika zu neonatalen Hypoglykämien führen. Frauen, die Gestationsdiabetes hatten, sollten einen 2-stündigen oralen Glukosetoleranztest mit 75 g Glukose 6–12 Wochen nach der Geburt durchführen lassen, um festzustellen, ob der Diabetes verschwunden ist.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. American College of Obstetricians and Gynecologists' Committee on Practice Bulletins—Obstetrics. ACOG Practice Bulletin No. 201: Pregestational Diabetes Mellitus. Obstet Gynecol 132(6):e228-e248, 2018. doi:10.1097/AOG.0000000000002960

  2. 2. Miller E, Hare JW, Cloherty JP, et al: Elevated maternal hemaglogin A1c in early pregnancy and major congenital anomalies in infants of diabetic mothers. N Engl J Med 304 (22):1331–1334, 1981. doi: 10.1056/NEJM198105283042204

Wichtige Punkte

  • Diabetes in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für Makrosomie, Schulterdystokie, Präeklampsie, Kaiserschnittgeburt, Totgeburt und – falls ein bereits existierender Diabetes oder ein Gestationsdiabetes während der Organogenese schlecht eingestellt ist – für schwere angeborene Fehlbildungen und Spontanabort.

  • Alle Schwangeren sollten mit einem oralen Glukosetoleranztest auf Gestationsdiabetes getestet werden.

  • Wenn möglich sollte ein Diabetes-Team einbezogen werden; Ziel ist es, den Nüchtern-Blutzuckerspiegel bei < 95 mg/dl (< 5,3 mmol/l) und die postprandialen 2-Stunden-Werte bei ≤ 120 mg/dl (≤ 6,6 mmol/l) zu halten.

  • Die vorgeburtlichen Untersuchungen sollten in der 32. Schwangerschaftswoche beginnen und die Entbindung in der 39. Schwangerschaftswoche sein.

  • Die Insulindosis wird unmittelbar nach Geburt der Plazenta angepasst.