Thiaminmangel

(Beriberi; Vitamin-B1-Mangel)

VonLarry E. Johnson, MD, PhD, University of Arkansas for Medical Sciences
Überprüft/überarbeitet Nov. 2022
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Thiaminmangel (der zu Beriberi führt) ist am häufigsten bei Menschen, die sich von weißem Reis oder stark raffinierten Kohlenhydraten ernähren, in Ländern mit hoher Ernährungsunsicherheit und bei Menschen mit Alkoholproblemen. Als Symptome gelten eine diffuse Polyneuropathie, rhythmogene Herzinsuffizienz und das Wernicke-Korsakow-Syndrom. Thiamin wird zur Diagnosestellung und zur Behandlung des Mangels verabreicht.

Thiamin ist in der Nahrung weit verbreitet, insbesondere in Vollkorngetreide, Fleisch (vor allem Schweinefleisch und Leber), angereicherten Getreideprodukten, Nüssen, Hülsenfrüchten und Kartoffeln (siehe Tabelle Quellen, Funktionen und Wirkungen von Vitaminen). Thiamin ist am Kohlenhydrat-, Fett-, Aminosäure-, Glukose- und Alkoholstoffwechsel beteiligt und ist besonders wichtig für die Funktion der zentralen und peripheren Nervenzellen und des Myokards.

Es ist nicht toxisch.

(Siehe auch Überblick über Vitamine.)

Ätiologie des Thiaminmangels

Ein primärer Thiaminmangel entsteht durch

  • inadäquate Zufuhr von Thiamin.

Sie ist häufig auf eine Ernährung mit stark raffinierten Kohlenhydraten (z. B. polierter Reis, Weißmehl, Weißzucker) in Ländern mit hoher Ernährungsunsicherheit zurückzuführen. Ein Mangel entwickelt sich zudem, wenn nicht ausreichend weitere Nährstoffe aufgenommen werden, wie dies bei jungen Erwachsenen mit schwerer Anorexie der Fall ist. Thiaminmangel tritt oft zusammen mit Mängeln von weiteren B-Vitaminen auf.

Ein sekundärer Thiaminmangels wird verursacht durch:

  • erhöhten Bedarf (z. B. bei Hyperthyreoidismus, in der Schwangerschaft und Stillzeit, bei intensiver körperlicher Tätigkeit oder bei Fieber),

  • eingeschränkte Absorption (z. B. bei anhaltenden Durchfällen),

  • gestörten Metabolismus (z. B. bei Leberinsuffizienz).

Bei Menschen mit Alkoholkonsumstörung tragen mehrere Mechanismen zu einem Thiaminmangel bei: verringerte Zufuhr, eingeschränkte Absorption und Verwertung, erhöhter Bedarf und möglicherweise ein Apoenzymdefekt.

Pathophysiologie des Thiaminmangels

Ein Thiaminmangel führt zur Degeneration von peripheren Nerven, Thalamus, Mamillarkörpern und Kleinhirn. Der zerebrale Blutfluss nimmt merklich ab, der Gefäßwiderstand erhöht sich.

Eine Herzdilatation kann entstehen; Muskelfasern schwellen an, bilden Fragmente und vakuolisieren, die Interstitialräume werden durch Flüssigkeit erweitert. Eine Vasodilatation führt zu Bein- und Armödemen. Arteriovenöse Shunts nehmen zu. Schließlich kann eine rhythmogene Herzinsuffizienz entstehen.

Symptome und Anzeichen von Thiaminmangel

Die Frühsymptome von Thiaminmangel sind unspezifisch: Müdigkeit, Reizbarkeit, schlechtes Gedächtnis, Schlafstörungen, präkardiale Schmerzen, Anorexie und abdominale Beschwerden.

Verschiedene Formen von Beriberi verursachen unterschiedliche Symptome.

Trockene Beriberi bezieht sich auf durch Thiaminmangel ausgelöste Störungen des peripheren Nervensystems. Diese Defizite sind bilateral und ungefähr symmetrisch und treten in einer Strumpf-Handschuh-Verteilung auf. Die Beeinträchtigungen betreffen hauptsächlich die unteren Extremitäten und beginnen mit Parästhesien an den Zehen und Brennen an den Füßen, das nachts besonders ausgeprägt ist, weiterhin mit Wadenkrämpfen, Schmerzen in den Beinen und plantarer Dysästhesie. Schwäche der Wadenmuskulatur, Probleme beim Aufstehen aus der Hocke und verringerte Vibrationswahrnehmung in den Zehen sind Frühsymptome. Muskeln werden abgebaut. Bei andauerndem Mangel verschlimmert sich die Polyneuropathie, die schließlich auch die Arme betrifft.

Das Wernicke-Korsakow-Syndrom, eine Kombination der Pseudoenzephalitis Wernicke und der Korsakow-Psychose, tritt bei einigen Menschen mit Alkoholkonsumstörung auf, die keine mit Thiamin angereicherten Lebensmittel konsumieren. Die Pseudoenzephalitis Wernicke zeigt sich mit psychomotorischer Verlangsamung oder Apathie, Nystagmus, Ataxie, Ophthalmoplegie sowie Bewusstseinsstörungen und führt unbehandelt ins Koma und zum Tod. Sie entsteht wahrscheinlich durch einen schweren akuten Mangel, der einen chronischen Mangel überlagert. Von der Korsakow-Psychose Betroffene sind geistig verwirrt, leiden unter Dysphonie und konfabulieren bei schwachem Gedächtnis für aktuelle Geschehnisse. Das Krankheitsbild resultiert aus einem chronischen Mangel und entwickelt sich nach wiederholten Episoden der Pseudoenzephalitis Wernicke.

Feuchte (kardiovaskuläre) Beriberi bezeichnet eine Erkrankung des Myokards durch Thiaminmangel. Erste Zeichen dafür sind Vasodilatation, Tachykardie, ein hoher Pulsdruck, Schwitzen, warme Haut und Laktatazidose. Später entwickelt sich eine Herzinsuffizienz, die zu Orthopnoe sowie pulmonalen und peripheren Ödemen führt. Die Vasodilatation kann fortschreiten und einen Schock auslösen.

Infantile Beriberi betrifft Säuglinge bis zur 3. oder 4. Lebenswoche, die von Müttern mit Thiaminmangel gestillt werden. Kennzeichnend dafür sind plötzlich eintretende Herzinsuffizienz, Aphonie und fehlende tiefe Sehnenreflexe.

Da Thiamin für den Glukosestoffwechsel benötigt wird, werden die Thiaminmangelsymptome bei Betroffenen akut oder verschlimmern sich, wenn sie Glukoseinfusionen erhalten.

Diagnose von Thiaminmangel

  • Positive Reaktion auf Thiamin

Die Diagnose eines Thiaminmangels stützt sich auf eine positive Reaktion bei der Behandlung von Mangelsymptomen mit Thiamin. Ähnliche bilaterale Polyneuropathien der unteren Extremitäten, wie sie bei Diabetes, Alkoholkonsumstörung, Vitamin-B12Mangel oder einer Schwermetallvergiftung entstehen, bessern sich dagegen unter einer Thiamintherapie nicht. Neuropathien einzelner Nerven, z. B. das Ischiassyndrom, und multiple Mononeuropathien, wie die Mononeuritis multiplex, werden mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durch einen Thiaminmangel ausgelöst.

Elektrolytwerte einschließlich Magnesium sollten bestimmt werden, um andere Ursachen auszuschließen. Um eine mögliche Fehldiagnose zu bestätigen, werden die Aktivität der Erythrozytentransketolase und die Thiaminausscheidung über 24 Stunden gemessen.

Die Diagnose der kardiovaskulären Beriberi ist schwierig, wenn zusätzliche Erkrankungen mit dem Symptom einer Herzinsuffizienz vorliegen. Abhilfe leistet in diesem Fall ein Therapieversuch mit Thiamin.

Behandlung von Thiaminmangel

  • Thiaminergänzung; die Höhe der Dosis richtet sich nach den klinischen Manifestationen

Unabhängig von den Symptomen ist abzuklären, ob mit der Nahrung ausreichend Thiamin aufgenommen wird.

Da die IV Gabe von Glukose einen Thiaminmangel verschlimmert, sollten Alkoholiker und andere Risikopatienten 100 mg Thiamin IV erhalten, bevor Glukose infundiert wird.

Tipps und Risiken

  • Alkoholiker und andere Risikopatienten sollten 100 mg Thiamin IV erhalten, bevor Glukose infundiert wird.

Die Dosis an Thiamin beträgt

  • bei milder Polyneuropathie: 10–20 mg/Tag oral über 2 Wochen,

  • Bei wenig ausgeprägter oder fortgeschrittener Neuropathie: 20–30 mg/Tag (als Einzeldosis oder geteilte Dosis); nach Verschwinden der Symptome über mehrere Wochen fortführen

  • bei Ödemen und Verstopfung aufgrund einer kardiovaskulären Beriberi: 100 mg IV einmal täglich über mehrere Tage.

Eine Herzinsuffizienz ist ebenfalls zu behandeln.

Beim Wernicke-Korsakoff-Syndrom wird Thiamin über mehrere Tage gegeben. Obwohl es keine nachweislich überlegene Behandlungsmethode gibt, ist eine gängige Variante 500 mg i.v. über 30 Minuten 3-mal täglich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen und 250 mg i.v. oder i.m. einmal täglich an weiteren fünf Tagen in Kombination mit anderen B-Vitaminen. Anaphylaktische Reaktionen auf eine IV Thiamintherapie sind selten. Die Symptome der Ophthalmoplegie können sich innerhalb eines Tages auflösen; eine Korsakow-Psychose bessert sich innerhalb von ein bis drei Monaten. Neurologische Defizite des Wernicke-Korsakow-Syndroms und anderer Krankheitsbilder des Thiaminmangels verschwinden häufig nicht vollständig.

Da ein Thiaminmangel oft mit einem gleichzeitigen Mangel weiterer B-Vitamine auftritt, werden zahlreiche wasserlösliche Vitamine über mehrere Wochen verordnet. Auf Alkohol sollte grundsätzlich verzichtet werden. Patienten sollten sich weiterhin nährstoffreich ernähren und bis zur zweifachen Menge der Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr aufnehmen.

Wichtige Punkte

  • Das Risiko eines Thiaminmangels ist bei Menschen erhöht, die sich von stark raffinierten Kohlenhydraten wie poliertem Reis und Weißmehl ernähren (wie es in Ländern mit hoher Ernährungsunsicherheit der Fall ist) oder bei Menschen mit Alkoholproblemen.

  • Die ersten Befunde können unspezifisch sein; periphere neurologische Defizite, rhythmogene Herzinsuffizienz und Wernicke-Korsakow-Syndrom (v. a. bei Alkoholikern) können ebenfalls auftreten.

  • Die Diagnose basiert auf dem klinischen Bild, einschließlich einer positiven Reaktion auf die Behandlung mit zusätzlichem Thiamin.