Säure-Base-Störungen sind pathologische Veränderungen im Kohlendioxid-Partialdruck (PCO 80127, USA2) oder im Serum-Bicarbonat (HCO3−), die typischerweise anormale arterielle pH-Werte produzieren.
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Eine Azidämie besteht bei einem Serum-pH < 7,35.
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Eine Alkalämie besteht bei einem Serum-pH > 7,45.
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Eine Azidose beschreibt physiologische Abläufe, die zu einer Säureakkumulation oder einem Basenverlust führen.
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Eine Alkalose beschreibt physiologische Abläufe, die zu einer Basenakkumulation oder einem Säureverlust führen.
Tatsächliche Veränderungen des pH-Wertes sind abhängig von dem Ausmaß der physiologischen Kompensation und dem Vorkommen mehrerer anderer Faktoren.
(Siehe auch Säure-Basen-Regulation.)
Klassifikation
Basierend auf dem klinischem Kontext und darauf, ob die primären Veränderungen des pH-Wertes auf eine Veränderung des Serum-HCO3− oder des PCO2-Wertes zurückzuführen sind, werden primäre Störungen des Säure-Basen-Haushalts als metabolisch oder respiratorisch definiert.
Eine metabolische Azidose besteht bei einem Serum-HCO3−< 24 mEq/l. Ursachen sind
Eine metabolische Alkalose liegt bei einem Serum-HCO3−> 24 mEq/l vor. Ursachen sind
Eine respiratorische Azidose ist durch einen PCO2-Wert > 40 mmHg (Hyperkapnie) definiert. Ursache ist
Eine respiratorische Alkalose besteht bei einem PCO2-Wert < 40 mmHg (Hypokapnie). Ursache ist
Ausgleichsmechanismen beginnen den pH-Wert zu korrigieren (siehe Tabelle: Primäre Änderungen und Gegenregulationen bei einfachen Säure-Basen-Störungen), wann immer eine Säure-Base-Störung vorliegt. Eine Kompensation kann den pH-Wert nicht vollständig normalisieren und es kommt nie zu einer Überkompensation.
Eine einfache (primäre) Säure-Basen-Störung ist eine einzelne Störung im Säure-Basen-Haushalt mit der damit einhergehenden kompensatorischen Reaktion.
Gemischte Säure-Basen-Störungen umfassen ≥ 2 primäre Säure-Basen-Störungen.
Primäre Änderungen und Gegenregulationen bei einfachen Säure-Basen-Störungen
Symptome und Beschwerden
Kompensierte oder leichte Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts verursachen wenige Symptome oder Beschwerden.
Schwere, nicht kompensierte Störungen haben zahlreiche kardiovaskuläre, respiratorische, neurologische und metabolische Folgen (siehe Tabelle: Klinische Folgen von Säure-Basen-Störungen und Oxyhemoglobin-Dissoziationskurve.).
Klinische Folgen von Säure-Basen-Störungen
Diagnose
Die Diagnostik erfolgt durch ABG und Messung der Serumelektrolyte. Die ABG misst direkt den arteriellen pH-Wert und den PCO2. Die HCO3−-Spiegel der ABG werden anhand der Henderson-Hasselbalch-Gleichung berechnet; die HCO3−-Spiegel der Serumchemieparameter werden direkt gemessen und bei Abweichungen als genauer angesehen. Die exakteste Bestimmung des Säure-Basen-Gleichgewichts erfolgt durch die Messung des pH-Wertes und des PCO2 auf das arterielle Blut. In Fällen von Kreislaufversagen oder während einer Herz-Lungen-Wiederbelebung können Messungen mit venösem Blut die Bedingungen auf Gewebe-Ebene möglicherweise genauer widerspiegeln und ein nützlicherer Leitfaden für die Bikarbonat-Anwendung und die benötigte Beatmung sein.
Mittels pH-Wert lässt sich der primäre Prozess (Azidose oder Alkalose) festlegen, obwohl sich dieser mit Ausgleich zum Normalbereich bewegt. PCO2-Veränderungen spiegeln die respiratorische Komponente wider, während Veränderungen des HCO3−die metabolische Komponente widerspiegeln.
Komplexe oder gemischte Säure-Basen-Störungen umfassen mehr als einen primären Prozess. Bei diesen gemischten Störungen können die Werte täuschend normal sein. Daher ist es bei der Beurteilung von Säure-Basen-Störungen wichtig, zu bestimmen, ob Änderungen im PCO2 und HCO3− die erwartete Kompensation zeigen (siehe Tabelle: Primäre Änderungen und Gegenregulationen bei einfachen Säure-Basen-Störungen). Wenn nicht, dann sollte ein zweiter primärer Prozess als Ursache für die anormale Kompensation vermutet werden. Die Interpretation muss auch klinische Faktoren berücksichtigen (z. B. chronische Lungenkrankheiten, Nierenversagen, Medikamentenüberdosierung).
Die Anionenlücke sollte immer berechnet werden; eine Erhöhung weist fast immer auf eine metabolische Azidose hin. Eine normale Anionenlücke mit einem niedrigen HCO3− (z. B. < 24 mEq/l) und einem hohen Chlorid (Cl−)-Wert im Serum deutet auf eine hyperchlorämische metabolische Azidose (mit normaler Anionenlücke) hin. Falls eine metabolische Azidose besteht, wird eine Deltalücke errechnet, um eine gleichzeitige metabolische Alkalose zu erfassen. Zudem wird mittels Winters Formel ermittelt, ob die respiratorische Kompensation ausreicht oder eine zweite Säure-Basen-Störung vorliegt (vorhergesagter PCO2 = 1,5 [HCO3−] + 8 ± 2; falls der PCO2 höher liegt, besteht auch eine primäre respiratorische Azidose - falls er niedriger ist, existiert eine respiratorische Alkalose).
Eine respiratorische Azidose kann bei einem PCO2> 40 mmHg angenommen werden; HCO3−sollte durch Anstieg um 3–4 mEq/l pro Erhöhung des PCO2 um 10 mmHg, die 4–12 h fortbesteht, akut kompensieren (alternativ kann der Anstieg ausbleiben oder nur 1–2 mEq/l betragen und über mehrere Tage langsam auf 3–4 mEq/l ansteigen). Ein höherer Anstieg des HCO3− deutet auf eine primäre metabolische Alkalose hin; geringere Erhöhungen weisen auf eine aufgrund der Kürze des Bestehens noch fehlende Kompensation oder eine koexistente primäre metabolische Azidose hin.
Eine metabolische Alkalose kann angenommen werden, wenn das HCO3−> 28 mEq/l ist. Der PCO2 sollte gegenregulatorisch wirken, indem er um etwa 0,6–0,75 mmHg pro Erhöhung des HCO3− um 1 mEq/l ansteigt (bis maximal etwa 55 mmHg). Eine stärkere Erhöhung impliziert eine gleichzeitige respiratorische Azidose; ein weniger starker Anstieg hingegen eine respiratorische Alkalose.
Eine respiratorische Alkalose kann vermutet werden, wenn der PCO2< 38 mmHg beträgt. Das HCO3− sollte über 4–12 h durch einen Abfall um 5 mEq/l pro PCO2- Abfall um 10 mmHg kompensieren. Ein schwächerer Abfall erklärt sich durch fehlende Zeit zur Kompensation oder das gleichzeitige Bestehen einer primären metabolischen Alkalose. Ein stärkerer Abfall erfolgt bei einer primären metabolischen Azidose.
NomogramsNomogramme (Säure-Basen-Diagramme) sind eine Alternative zur Diagnostik gemischter Störungen, indem sie eine synchrone Auftragung von pH, HCO3−, und PCO2erlauben.
Berechnung der Anionenlücke
Die Anionenlücke ist als Natriumkonzentration im Serum minus der Summe von Chlorid (Cl−)- und Bicarbonat (HCO3−)-Konzentrationen definiert.
Na+− (Cl−+ HCO3−)
Der Begriff "Lücke" ist irreführend, weil das Gesetz der Elektroneutralität die gleiche Anzahl von positiven und negativen Ladungen in einem offenen System voraussetzt; die Lücke erscheint bei Labortests, weil bestimmte Kationen (+) und Anionen (−) nicht bei im Labor routinemäßig durchgeführten Blut-Chemie-Tests gemessen werden. Daher.
Na++ nicht gemessene Kationen (UC) = Cl−+HCO3−+ nicht gemessene Anionen (UA)
und
die Anionenlücke
N/a+ − (Cl−+ HCO3−) = UA − UC
Die vorherrschenden "nicht gemessenen" Anionen sind Phosphat (PO43−), Sulfat (SO4−), verschiedene negativ geladene Proteine und einige organische Säuren, die 20–24 mEq/l ausmachen.
Die vorherrschenden "gemessenen" extrazellulären Kationen sind Kalium (K+), Kalzium (Ca++) und Magnesium (Mg++), die etwa 11 mEq/l ausmachen.
Daher ist die typische Anionenlücke 23 − 11 = 12 mEq/l. Die Anionenlücke kann durch Erhöhungen oder Verminderungen der UC oder der UA betroffen sein.
Eine erhöhte Anionenlücke wird am häufigsten durch metabolische Azidose verursacht, bei der negativ geladene Säuren - zumeist Ketone, Laktate, Sulfate oder Metaboliten von Methanol, Ethylenglykol oder Salicylaten - HCO3− konsumieren (sprich, dadurch gepuffert werden). Andere Ursachen für eine erhöhte Anionenlücke umfassen Hyperalbuminämie und Urämie (erhöhte Anionen) und Hypokalzämie oder Hypomagnesiämie (verminderte Kationen).
Eine verminderte Anionenlücke steht nicht im Zusammenhang mit metabolischer Azidose, wird aber von Hypoalbuminämie (verminderte Anionen), Hyperkalzämie, Hypergammaglobulinämie, wie sie bei Myelomen vorkommt, Hypermagnesiämie und Lithiumvergiftung (erhöhte Kationen), Hyperviskosität oder Halogenidvergiftung (Bromid oder Iodid) verursacht. Der Effekt von geringem Albumin kann dadurch berücksichtigt werden, dass das normale Intervall für die Anionenlücke pro Rückgang des Albumins um 1-g/dl um 2,5 mEq/l nach unten verschoben wird.
Eine negative Anionenlücke tritt selten als Laborartefakt in schweren Fällen von Hypernatriämie, Hyperlipidämie und Bromidvergiftung auf.
Die Deltalücke: Die Differenz zwischen der Anionenlücke des Patienten und der normalen Anionenlücke wird als Deltalücke bezeichnet. Dieser Wert wird als ein HCO3− Äquivalent angesehen, da sich für den Anstieg jeder Einheit der Anionenlücke das HCO3− um 1 senken sollte (durch Pufferung). Wenn also die Deltalücke zum gemessenen HCO3− hinzugefügt wird, sollte das Ergebnis im normalen Bereich für HCO3− sein; ein erhöhter Wert deutet auf das zusätzliche Vorkommen einer metabolischen Alkalose hin.
Beispiel: Die Laborwerte eines sich erbrechenden, krank aussehenden, alkoholisierten Patienten zeigen
Auf den ersten Blick erscheinen die Ergebnisse unauffällig. Allerdings zeigen Berechnungen eine Erhöhung der Anionenlücke:
137 − (90 + 22) = 25 (normal, 10 bis 12)
was auf eine metabolische Azidose hinweist. Respiratorische Kompensation wird anhand von Winters Formel berechnet:
Vorhergesagter PCO2= 1,5 (22) + 8 ± 2 = 41 ± 2
Vorhergesagt = gemessen, sodass die respiratorische Kompensation angemessen ist.
Da eine metabolische Azidose vorliegt, wird die Deltalücke berechnet und das Ergebnis wird zu dem gemessenen HCO3− hinzugefügt:
25 − 10 = 15
15 + 22 = 37
Der resultierende, korrigierte HCO3−-Wert liegt über dem Normbereich für HCO3−, was anzeigt, dass ebenfalls eine primäre metabolische Alkalose vorhanden ist. Somit hat der Patient eine gemischte Säure-Basen-Störung.
Mit klinischen Informationen könnte man eine metabolische Azidose verursacht durch eine alkoholische Ketoazidose in Kombination mit einer metabolischen Alkalose durch wiederholtes Erbrechen mit Verlust von Säure (HCl)– und Volumen vermuten.
Wichtige Punkte
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Azidose und Alkalose beziehen sich auf physiologische Prozesse, die eine Anhäufung oder einen Verlust von Säure und/oder Alkali verursachen; der Blut-pH-Wert kann anormal sein oder nicht.
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Azidämie und Alkalämie beziehen sich auf einen anormal sauren (pH < 7,35) oder alkalotischen (pH > 7,45) Serum-pH-Wert.
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Säure-Basen-Störungen werden als metabolisch klassifiziert, wenn die Änderung des pH-Wertes primär durch eine Änderung des HCO3−-Wertes im Serumbicarbonat erfolgt, respiratorisch, wenn die Änderung primär durch eine Änderung des PCO2 bedingt ist (Zunahme oder Abnahme bei der Ventilation).
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Mittels pH-Wert lässt sich der primäre Prozess (Azidose oder Alkalose) festlegen. PCO2 Veränderungen spiegeln die respiratorische Komponente wider, Veränderungen des HCO3− zeigen die metabolische Komponente.
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Alle Säure-Basen-Störungen führen zu Kompensationen, die dazu neigen, den pH-Wert zu normalisieren. Metabolische Säure-Basen-Störungen führen zu respiratorischer Kompensation (Änderung des Pco2); respiratorische Säure-Basen-Störungen führen zur metabolischen Kompensation (Änderung des HCO3−).
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Es kann gleichzeitig mehr als eine primäre Säure-Basen-Störung vorhanden sein. Es ist wichtig, jede primäre Säure-Basen-Störung zu identifizieren und zu behandeln.
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Erste Laboruntersuchungen von Säure-Basen-Störungen umfassen Messung von arteriellen Blutgasen, Serumelektrolyte und die Berechnung der Anionenlücke.
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Verwenden Sie eine von mehreren Formeln, Faustregeln oder Säure-Basen-Nomogramme, um festzustellen, ob Laborwerte im Einklang mit einer einzelnen Säure-Basen-Störung (und -Kompensation) sind oder ob noch eine zweite primäre Säure-Basen-Störung vorhanden ist.
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Behandeln Sie jede primäre Säure-Basen-Störung.