Aplastische Anämie

(Hypoplastische Anämie)

VonGloria F. Gerber, MD, Johns Hopkins School of Medicine, Division of Hematology
Überprüft/überarbeitet Juni 2023
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Aplastische Anämie ist eine Störung der hämatopoetischen Stammzelle, die zu einem Verlust von Blutzellenvorläufern, Hypoplasie oder Aplasie des Knochenmarks und Zytopenie in zwei oder mehr Zelllinien (Erythrozyten, Leukozyten und/oder Thrombozyten) führt. Die Symptome sind Ausdruck der Anämie, der Thrombozytopenie (Petechien, Blutungen) oder der Leukopenie (Infektionen). Die Diagnose erfordert den Nachweis einer peripheren Panzytopenie und eine Knochenmarkbiopsie, die ein hypozelluläres Mark enthüllt. Die Behandlung umfasst üblicherweise eine Immunsuppression mit Pferde-Antithymozytenglobulin und Cyclosporin oder eine Knochenmarktransplantation.

(Siehe auch Übersicht über verminderte Erythropoeisis.)

Der Begriff aplastische Anämie impliziert häufig eine Panhypoplasie des Knochenmarks mit Zytopenien in mindestens zwei hämatopoetischen Linien. Im Gegensatz dazu betrifft die isolierte aplastische Anämie (Pure Red Cell Aplasia = PRCA) ausschließlich die rote Zellreihe.

Ätiologie der aplastischen Anämie

Ungefähr die Hälfte der Fälle von aplastischer Anämie (am häufigsten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen) ist idiopathisch. Anerkannte Ursachen sind

  • Chemikalien (z. B. Benzol, anorganisches Arsen)

  • Arzneimittel (z. B. antineoplastische Medikamente, Antibiotika, nichtsteroidale Antiphlogistika, Antiepileptika, Acetazolamid, Goldsalze, Penicillamin, Chinacrin) oder Toxine

  • Hepatitis (seronegativ bei Hepatitis-Viren)

  • Schwangerschaft

  • Bestrahlung

  • Viren (Epstein-Barr-Virus und Cytomegalovirus)

  • Vererbte Störungen des Knochenmarkversagens aufgrund von Genmutationen (z. B. Fanconi-Anämie, Shwachman-Diamond-Syndrom, Dyskeratosis congenita)

Der genaue Mechanismus ist nach wie vor unklar, aber in der Mehrzahl der erworbenen Fälle handelt es sich um einen Immunangriff auf die hämatopoetische Stammzelle. Häufig ist eine klonale Hämatopoese vorhanden, und es besteht die Gefahr des Fortschreitens zu myeloischen Malignitäten.

Symptome und Beschwerden der aplastischen Anämie

Der Auftritt der aplastischen Anämie ist in der Regel schleichend und tritt oft über Wochen oder Monate nach der Exposition gegenüber einem Virus, einem Arzneimittel oder einem Toxin (z. B. Insektizide, Benzol) auf, kann aber gelegentlich auch akut sein.

In der aplastischen Anämie kann Anämie Schwäche und leichte Ermüdung verursachen, während schwere Thrombozytopenie Petechien, Ekchymose und Blutungen aus dem Zahnfleisch, in die Bindehaut oder andere Gewebe verursachen kann. Die Agranulozytose verursacht häufig lebensbedrohliche Infektionen. Eine Splenomegalie liegt meist nicht vor, sofern sie nicht durch eine transfusionsbedingte Hämochromatose hervorgerufen wird.

Diagnose der aplastischen Anämie

  • Komplettes Blutbild und Retikulozytenzahl

  • Knochenmarkuntersuchung mit zytogenetischen und molekularen Tests

  • Durchflusszytometrie für den Klon der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH)

  • Erwägen von Gentests, insbesondere bei jungen Patienten oder solchen mit suggestiver Familienanamnese oder charakteristischen Dysmorphien

Der Nachweis eines PNH-Klons kann ein vererbtes Syndrom ausschließen (1).

Der Verdacht auf eine aplastische Anämie muss bei Patienten, insbesondere jungen Patienten mit Panzytopenie. Eine schwere aplastische Anämie ist definiert durch ein Knochenmark mit < 25% Zellularität (Hypozellularität) und das Vorhandensein von ≥ 2 der folgenden Punkte:

  • Absolute Neutrophilenzahl < 500/Mikroliter (< 0,5 x 109/l)

  • Absolute Retikulozytenzahl < 60.000/Mikroliter (< 60 x 109/l)

  • Thrombozytenzahl < 20.000/microl (< 20 × 109/l)

Eine sehr schwere aplastische Anämie wird definiert als absolute Neutrophilenzahl < 200/μl (< 0,2 x 109/l).

Diagnosehinweis

  1. 1. DeZern AE, Symons HJ, Resar LS, Borowitz MJ, Armanios MY, Brodsky RA. Detection of paroxysmal nocturnal hemoglobinuria clones to exclude inherited bone marrow failure syndromes. Eur J Haematol 2014;92(6):467-470. doi:10.1111/ejh.12299

Behandlung der aplastischen Anämie

  • Die hämatopoetische Stammzellentransplantation

  • Wenn eine Transplantation nicht in Frage kommt, wird eine Immunsuppression mit equinem Antithymozytenglobulin und Cyclosporin und gegebenenfalls Eltrombopag

Bei der aplastischen Anämie kann die hämatopoetische Stammzelltransplantation kurativ sein und ist die Behandlung der Wahl, insbesondere bei jüngeren Patienten mit einem passenden Spender. Daher werden bereits bei Diagnosestellung Geschwister hinsichtlich ihrer Kompatibilität des humanen Leukozytenantigens untersucht.

Bei diesen Patienten, die nicht für eine Transplantation geeignet sind oder denen ein Spender fehlt, ergibt die immunsuppressive Behandlung mit Pferde-Antithymocytenglobulin (ATG) in Kombination mit Cyclosporin Gesamtansprechraten von etwa 60 bis 80%. Allergische Reaktionen und Serumkrankheit können auftreten. Bei bis zur Hälfte der Patienten kommt es zu einem langfristigen Rezidiv oder einer klonalen Entwicklung zu einer myeloischen Malignität.

Eltrombopag, ein Thrombopoietin-Rezeptor-Agonist, hat sich in klinischen Studien als potenziell wirksam erwiesen, und haploidentische Knochenmarktransplantationen sind vielversprechend, um den Zugang zur hämatopoetischen Stammzelltransplantation zu erweitern (1, 2, 3).

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Peffault de Latour R, Kulasekararaj A, Iacobelli S, et al. Eltrombopag Added to Immunosuppression in Severe Aplastic Anemia. N Engl J Med 2022;386(1):11-23. doi:10.1056/NEJMoa2109965

  2. 2. DeZern A, Zahurak ML, Symons HJ, et al. Alternative donor BMT with post-transplant cyclophosphamide as initial therapy for acquired severe aplastic anemia [published online ahead of print, 2023 Apr 21]. Blood 2023;blood.2023020435. doi:10.1182/blood.2023020435

  3. 3. Winkler T, Fan X, Cooper J, et al: Treatment optimization and genomic outcomes in refractory severe aplastic anemia treated with eltrombopag. Blood 133(24):2575–2585, 2019. doi: 10.1182/blood.2019000478

Wichtige Punkte

  • Aplastische Anämie beinhaltet eine panhypoplastische Knochenmarkinsuffizienz mit Anämie, Leukopenie und Thrombozytopenie.

  • Zahlreiche Fälle sind idiopathisch, Gründe können aber auch Chemikalien, Arzneimittel oder ionisierende Strahlung sein.

  • Die Knochenmarkuntersuchung zeigt einen variablen Grad der Hypozellularität.

  • Die Behandlung erfolgt mit Stammzelltransplantation oder Immunsuppression mit Pferde-Antithymozyten-Globulin und Cyclosporin.