Religion und Spiritualität älterer Menschen

VonDaniel B. Kaplan, PhD, LICSW, Adelphi University School of Social Work
Überprüft/überarbeitet Apr. 2023
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Religion und Spiritualität sind ähnliche, jedoch nicht identische Konzepte. Religion wird häufig als institutionell begründet und strukturierter erachtet. Auch gehen oft traditionellere Rituale und Praktiken mit einher. Spiritualität bezieht sich auf das Nicht-Greifbare und Immaterielle und kann somit als allgemeinerer Begriff betrachtet werden, der mit keiner bestimmten Gruppe oder Organisation assoziiert wird. Sie kann sich auf Gefühle, Gedanken, Erfahrungen und Verhaltensweisen beziehen, die mit der Seele oder einer Suche nach etwas Heiligem in Verbindung stehen.

Traditionelle Religion geht mit Verantwortlichkeit und Verantwortung einher. Spiritualität stellt geringere Anforderungen. Menschen können die traditionelle Religion ablehnen, sich aber dennoch selbst als spirituell betrachten. In den USA betrachten sich mehr als 90 % der älteren Menschen als religiös oder spirituell. Ungefähr 6 bis 10 % sind Atheisten und sind nicht von religiösen oder spirituellen Praktiken abhängig, um ihrem Leben einen Sinn zu geben.

Das Ausmaß der religiösen Teilnahme ist unter den älteren Menschen größer als in jeder anderen Altersgruppe. Ungefähr 50 % nehmen wöchentlich oder öfter an Gottesdiensten teil. Ältere Menschen erhalten außerhalb der Familie am häufigsten von ihrer Glaubensgemeinschaft soziale Unterstützung, und die Mitwirkung in religiösen Organisationen ist die häufigste Art der freiwilligen sozialen Aktivität – häufiger als alle anderen Formen freiwilliger sozialer Aktivitäten zusammengenommen.

Vorteile von Religion und Spiritualität

Religiöse Menschen weisen gewöhnlich eine bessere körperliche und psychische Gesundheit auf als nicht religiöse Menschen. Religiöse Menschen glauben womöglich, dass Gottes Eingreifen der Grund für diesen Nutzen ist. Jedoch können Experten nicht feststellen, ob die Partizipation an organisierter Religion zur Gesundheit beträgt oder ob psychologisch oder physisch gesündere Menschen eher religiös sind. Falls Religion hilft, ist der Grund – sei es der religiöse Glaube selbst oder andere Faktoren – nicht eindeutig. Viele solcher Faktoren (z. B. der Nutzen für die mentale Gesundheit, die Ermutigung zur Ausübung gesunder Praktiken und die soziale Unterstützung) wurden bisher vorgeschlagen.

Nutzen für die mentale Gesundheit

Religion kann die folgenden Nutzen für die mentale Gesundheit bringen:

  • Eine positive und hoffnungsvolle Einstellung gegenüber dem Leben und gegenüber Krankheit, was zu besseren gesundheitlichen Ergebnissen führt

  • Sinnhaftigkeit und Lebenszweck, was sich auf gesundheitsbezogene Verhaltensweisen und soziale und familiäre Beziehungen auswirkt

  • Eine bessere Fähigkeit, mit Krankheit und Behinderung zurechtzukommen

Viele ältere Menschen berichten, dass Religion der wichtigste Faktor ist, der es ihnen ermöglicht, mit physischen Gesundheitsproblemen und Belastungen im Leben zurechtzukommen (wie z. B. Verschlechterung der finanziellen Ressourcen oder Verlust des Ehe- oder Lebenspartners). Zum Beispiel hilft Menschen mit physischen Problemen eine hoffnungsvolle, positive Einstellung gegenüber der Zukunft, um in Bezug auf die Genesung oder Erholung weiterhin motiviert zu bleiben.

In einigen Studien wurde herausgefunden, dass ältere Menschen, die sehr religiös sind und religiöse Bewältigungsstrategien anwenden, mit geringerer Wahrscheinlichkeit Depressionen und Angstgefühle entwickeln und psychisch gesünder sind als diejenigen, die dies nicht tun. Sogar die Wahrnehmung einer Behinderung scheint sich durch den Grad der Religiosität zu verändern. In einer Studie mit älteren Frauen mit Hüftfrakturen wurde festgestellt, dass die religiösesten von ihnen die niedrigsten Depressionsraten aufwiesen und nach der Entlassung aus dem Krankenhaus signifikant weitere Distanzen zu Fuß gehen konnten als weniger religiöse Frauen.

Gesundheitsfördernde Praktiken

Menschen, die in einer religiösen Gemeinschaft aktiv sind, neigen dazu, ihre körperliche Funktionsfähigkeit und Gesundheit besser zu erhalten als diejenigen, die dies nicht sind. Einige religiöse Gruppen (wie z. B. die Mormonen oder die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten) befürworten gesundheitsfördernde Verhaltensweisen, wie z. B. der Verzicht auf Tabak und starken Alkoholkonsum. Mitglieder dieser Gruppen entwickeln mit geringerer Wahrscheinlichkeit substanzbezogene Erkrankungen und leben länger als die allgemeine Bevölkerung.

Sozialer Nutzen

Religiöser Glaube und religiöse Praktiken fördern häufig die Entwicklung einer Gemeinschaft und umfangreicher unterstützender sozialer Netzwerke. Bei älteren Menschen erhöht vermehrter sozialer Kontakt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Erkrankung frühzeitig erkannt wird und dass die älteren Menschen die Behandlungsschemata einhalten, weil Mitglieder ihrer Gemeinschaft sich mit ihnen auseinandersetzen und Fragen zu ihrer Gesundheit und medizinischen Versorgung stellen. Ältere Menschen, die über solche Gemeinschaftsnetzwerke verfügen, neigen weniger dazu, sich selbst zu vernachlässigen.

Betreuungspersonen

Religiöser Glaube bringt auch den Betreuungspersonen einen Nutzen. In vielen Studien führten religiöse Bewältigungsmechanismen zu einer besseren psychischen Gesundheit für Betreuungspersonen älterer Erwachsener mit Demenz, Krebs oder anderen schweren und/oder unheilbaren Erkrankungen.

Schädliche Auswirkungen von Religion und Spiritualität

Religion bringt nicht immer einen Nutzen. Religiöse Hingabe kann zur Entwicklung von übermäßigen Schuldgefühlen, Engstirnigkeit, mangelnder Flexibilität und Angstgefühl führen. Personen mit Zwangsstörungen, bipolarer Störung, Schizophrenie oder Psychosen können übermäßige religiöse Vertiefung und religiösen Wahn entwickeln. Manche Menschen empfinden ein intensives Gefühl der Ablehnung und eine Existenzkrise, wenn sie von einer Glaubensgemeinschaft zum Beispiel aufgrund von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Identität nicht akzeptiert werden.

Bestimmte religiöse Gruppen raten von notwendiger mentaler und physischer medizinischer Versorgung ab, einschließlich lebenserhaltender Therapien (z. B. Bluttransfusionen, Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen und Insulintherapie) und können diese durch religiöse Rituale ersetzen (z. B. Gebete, Gesänge oder Anzünden von Kerzen). Manche strengeren religiösen Kulte können ältere Menschen von den Familienangehörigen und der breiteren sozialen Gemeinschaft isolieren und entfremden.

Rolle von medizinischen Fachkräften in Religion und Spiritualität

Medizinische Fachkräfte können mit älteren Menschen eventuell über ihren Glauben sprechen, weil sich dieser auf die mentale und physische Gesundheit der Person auswirken kann. Das Wissen über den religiösen Glauben einer Person kann einem Arzt dabei helfen, unter bestimmten Umständen eine bessere Versorgung bereitzustellen:

  • Wenn Menschen schwer krank sind, unter erheblichem Stress leiden oder dem Tod nahestehen und darum bitten oder vorschlagen, dass eine medizinische Fachkraft oder ein Arzt mit ihnen über religiöse Probleme spricht

  • Wenn Menschen einer medizinischen Fachkraft oder einem Arzt erzählen, dass sie religiös sind und dass die Religion ihnen hilft, mit der Krankheit zurechtzukommen

  • Wenn religiöse Bedürfnisse offensichtlich sind und sich auf die Gesundheit oder die gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen der Person auswirken

Wenn medizinische Fachkräfte die spirituellen Bedürfnisse einer Person verstehen, können sie dieser dabei helfen, die notwendige Hilfe zu erhalten (z. B. spirituelle Beratung, Kontakt zu Selbsthilfegruppen, Teilnahme an religiösen Aktivitäten oder soziale Kontakte zu Mitgliedern einer religiösen Gemeinschaft). Ärzte können fragen, ob der spirituelle Glaube eine wichtige Rolle im Leben der Person spielt und inwieweit dieser Glaube die eigene Versorgung beeinflusst. Ärzte können Patienten auch bitten, ihre wichtigsten Bewältigungsmechanismen zu beschreiben. Wenn eine Person Interesse an religiösen oder spirituellen Ressourcen äußert, können Ärzte nachfragen, ob irgendwelche Hürden beim Zugang zu diesen Ressourcen bestehen, und eventuell Alternativen empfehlen. Zum Beispiel können Ärzte Transportdienste für die älteren Menschen vorschlagen, die nicht selbst zum Gottesdienst gehen können.

Manchmal fällt es älteren Menschen leichter, eine Beratung durch einen Geistlichen anzunehmen als eine Beratung durch einen Psychotherapeuten. Geistliche, die gleichzeitig geschulte Berater sind und erkennen, wann Menschen professionelle psychiatrische medizinische Versorgung benötigen, können sehr hilfreich sein. Geistliche können der Person auch dabei helfen, die benötigte Unterstützung durch die Gemeinschaft zu erhalten, z. B. durch Besuche, nachdem eine Person aus dem Krankenhaus entlassen wurde, oder durch die Bereitstellung von Mahlzeiten oder Transportdiensten.

Weitere Informationen

Die folgenden Quellen in englischer Sprache können nützlich sein. Bitte beachten Sie, dass das MANUAL nicht für den Inhalt dieser Quelle verantwortlich ist.

  1. The Age Gap in Religion Around the World, Pew Research Center, Washington, DC: Auf dieser Website werden religiöse Verpflichtungen nach Altersgruppe erklärt. Aufgerufen am 1. April 2023.