Duchenne-Muskeldystrophie und Becker-Muskeldystrophie

(Duchenne-Muskeldystrophie, Becker-Muskeldystrophie)

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Jan. 2022
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Muskeldystrophien sind eine Gruppe von erblichen Muskelerkrankungen, bei denen mindestens ein für den Muskelaufbau und die Muskelfunktion erforderliches Gen defekt ist, sodass es zur Schwächung der Muskeln in unterschiedlichen Schweregraden kommt. Die Duchenne- und die Becker-Muskeldystrophie führen zu einer Schwäche der rumpfnahen Muskeln.

  • Ursache für diese Dystrophien sind Defekte in Genen, die für die Muskelfunktion verantwortlich sind. Die Erkrankungen, die beinahe ausschließlich Jungen betreffen, führen zu einer im Kindes- und Jugendalter entstehenden Muskelschwäche.

  • Beide Arten der Dystrophie sind durch einen körperlich schwachen Zustand der Betroffenen gekennzeichnet.

  • Die Diagnose wird mithilfe der Ergebnisse von Blut- und Muskelgewebetests gestellt.

  • Die Behandlung für beide Dystrophien schließt Physiotherapie und unter Umständen eine Operation ein. Für die Duchenne-Dystrophie werden Prednison oder Deflazacort sowie unter Umständen weitere Medikamente verschrieben.

Die Duchenne-Muskeldystrophie ist die zweithäufigste (fazioskapulohumerale Dystrophie ist die häufigste) und schwerste Art der Muskeldystrophie. Sie beginnt im frühen Kindesalter. Die Becker-Muskeldystrophie hingegen beginnt, obwohl sie eng mit der Duchenne-Muskeldystrophie verwandt ist, später im Jugendalter und ist mit schwächeren Symptome verbunden. Von diesen Dystrophien sind fast ausschließlich Jungen betroffen. Zusammen betreffen die Duchenne-Muskeldystrophie und die Becker-Muskeldystrophie etwa einen von 5000 bis 6000 männlichen Lebendgeborenen. Die meisten Betroffenen haben eine Duchenne-Muskeldystrophie.

Der für die Duchenne-Muskeldystrophie verantwortliche Gendefekt ist nicht derselbe wie jener, der Becker-Muskeldystrophie verursacht. Beide Gendefekte betreffen jedoch dasselbe Dystrophin-Gen. Es handelt sich um ein rezessives Gen, das auf dem X-Chromosom liegt. Frauen können daher das defekte Gen in ihren Erbanlagen tragen, ohne zu erkranken, da das zweite, gesunde X-Chromosom den Defekt auf dem ersten X-Chromosom ausgleicht. Doch jeder Mann, der das defekte X-Chromosom erbt, erkrankt an Muskeldystrophie, da Männer nur ein X-Chromosom haben ( see page X-gebundene Vererbung).

Den an Duchenne-Muskeldystrophie erkrankten Jungen fehlt das Muskelprotein Dystrophin, das wichtig für die Struktur der Muskelzellen ist. Bei der Becker-Muskeldystrophie stellt der Körper der betroffenen Jungen zwar Dystrophin her, aber entweder ist die Menge nicht ausreichend, oder die Proteinstruktur ist verändert, sodass das Dystrophin nicht richtig wirkt.

Symptome

Das Hauptsymptom bei Duchenne-Muskeldystrophie und Becker-Muskeldystrophie ist die Schwäche der Muskeln, auch des Herzmuskels und der Muskeln, die zum Atmen benötigt werden. Nur Jungen entwickeln Symptome.

Duchenne-Muskeldystrophie

Duchenne-Muskeldystrophie beginnt im Alter von 2 bis 3 Jahren. Die ersten Symptome sind Entwicklungsverzögerungen (insbesondere lernen die Kinder erst spät laufen) und Schwierigkeiten beim Gehen, Laufen, Springen oder Treppensteigen. Jungen mit Duchenne-Muskeldystrophie fallen oft hin, was häufig zu Arm- oder Beinbrüchen führt. Sie „watscheln“ beim Gehen, gehen häufig auf den Zehenspitzen und haben Schwierigkeiten, vom Boden aufzustehen.

Darauf folgt meist eine Schwäche der Schultermuskeln, die sich mit der Zeit verschlimmert. Während die Muskeln schwächer werden, werden sie gleichzeitig auch größer, doch dieses anormale Muskelgewebe ist nicht stark. Bei Jungen mit Duchenne-Muskeldystrophie wird allmählich auch der Herzmuskel größer und schwächer, was zu Problemen mit der Herztätigkeit führt. Herzkomplikationen treten etwa bei einem Drittel der Jungen mit Duchenne-Muskeldystrophie im Alter von bis zu 14 Jahren und bei allen Betroffenen über 18 auf. Da diese Jungen keinen Sport treiben können, führt der geschwächte Herzmuskel jedoch erst zu Symptomen, wenn die Krankheit bereits fortgeschritten ist. Etwa ein Drittel der Jungen mit der Krankheit leidet an einer leichten, nicht-progressiven (also sich nicht verschlimmernden) geistigen Behinderung, die zumeist das Sprechen betrifft.

Meist verkürzen sich die Arm- und Beinmuskeln in der Nähe der Gelenke, sodass die Ellenbogen und Knie nicht mehr völlig gestreckt werden können. Im Laufe der Zeit verbiegt sich die Wirbelsäule (Skoliose). Bestimmte vergrößerte Muskelgruppen werden durch Fett- und anderes Gewebe ersetzt, insbesondere an den Waden. Im Alter von 12 Jahren ist die Mehrzahl der betroffenen Jungen auf einen Rollstuhl angewiesen. Die zunehmende Schwäche der Atemmuskulatur macht sie zudem anfällig für Lungenentzündung (Pneumonie) und andere Erkrankungen, und die meisten Menschen sterben, bevor sie 20 sind.

Becker-Muskeldystrophie

Die Symptome der Becker-Muskeldystrophie sind weniger schwer und treten erst später erstmals auf, etwa im Alter von 12 Jahren. Sie können in der Regel noch mindestens, bis sie 15 sind, selbstständig gehen, viele auch noch im Erwachsenenalter. Die Muskelschwäche gleicht jener, die auch bei der Duchenne-Muskeldystrophie auftritt. Jedoch sind nur wenige Jugendliche auf einen Rollstuhl angewiesen. Viele Menschen bleiben bis über ihr 30. oder 40. Lebensjahr hinaus am Leben.

Diagnose

  • Bluttests

  • Gentests

  • Manchmal Muskelbiopsie

Ärzte vermuten eine Muskeldystrophie, wenn typische Symptome darauf hindeuten, etwa wenn ein kleiner Junge immer schwächer wird, besonders wenn es in der Familie auch andere von Muskeldystrophie oder ungeklärter Muskelschwäche betroffene Jungen gibt. Sie führen Bluttests durch, um die Werte des Enzyms Kreatinkinase zu ermitteln. Bei der Muskeldystrophie entweicht die Kreatinkinase aus den Muskelzellen und liegt daher in auffallend hoher Konzentration im Blut vor. Allerdings bedeutet ein hoher Kreatinkinasewert nicht zwangsläufig, dass der Junge an Muskeldystrophie leidet, denn auch andere Muskelerkrankungen lassen den Kreatinkinasespiegel ansteigen. Ärzte führen häufig auch einen Test, die Elektromyografie (EMG) durch, die bei Aufzeichnung der elektrischen Aktivität eines Muskels unterstützt.

Die Duchenne-Muskeldystrophie wird anhand von genetischen Tests (DNA-Tests) in einer Blutprobe diagnostiziert, um Mutationen des Dystrophin-Gens zu identifizieren. Wenn genetische Untersuchungen die Diagnose nicht bestätigen können, führen die Ärzte eine Muskelbiopsie durch (Entnahme von Muskelgewebe zur Untersuchung unter dem Mikroskop), um die Konzentration des Proteins Dystrophin im Muskel zu bestimmen. Unter dem Mikroskop lassen sich abgestorbenes Gewebe und ungewöhnlich große Muskelfasern im Muskelgewebe erkennen. Das Protein Dystrophin kann nicht oder nur in extrem kleinen Mengen bei Menschen mit Duchenne-Muskeldystrophie nachgewiesen werden.

Auf ähnliche Weise wird die Becker-Muskeldystrophie diagnostiziert, wenn genetische Tests Fehlbildungen im Dystrophin-Gen aufzeigen. Bei einer Muskelbiopsie zeigt sich eine niedrige Dystrophin-Konzentration im Muskel, die aber nicht so niedrig ist wie bei der Duchenne-Muskeldystrophie.

Kinder, die von Duchenne-Muskeldystrophie betroffen sind, müssen sich Untersuchungen mit EKG und Echokardiografie unterziehen, bei denen Herzprobleme erkannt werden können. Diese Tests werden durchgeführt, sobald die Diagnose feststeht, oder wenn der Junge 6 Jahre alt ist.

Nahe Verwandte von Kindern mit Duchenne- oder Becker-Muskeldystrophie können ihre DNS anhand von Blut testen lassen, um das Gen zu identifizieren. Mithilfe von pränatalen Untersuchungen an ungeborenen Kindern kann festgestellt werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Kind betroffen sein wird.

Behandlung

  • Physiotherapie und Schienen für Fußgelenk oder Bein

  • Manchmal Hemmstoffe des Angiotensin-konvertierenden Enzyms und Betablocker

  • Manchmal operative Eingriffe

  • Für die Duchenne-Dystrophie: Prednison oder Deflazacort

  • Für die Duchenne-Dystrophie: Manchmal Medikamente, welche die Produktion des Proteins Dystrophin erhöhen

Weder die Duchenne- noch die Becker-Muskeldystrophie sind heilbar.

Physiotherapie, leichte sportliche Betätigung und manchmal auch das Tragen von Knöchelstützen während der Nachtstunden können helfen, die ständige Verkürzung der Muskeln an den Gelenken zu verhindern. Beinschienen können vorübergehend helfen, die Fähigkeit zu stehen oder zu laufen zu erhalten. Manchmal ist eine Operation erforderlich, um steife, schmerzende Muskeln zu entlasten oder Skoliose zu korrigieren. Betroffene Jungen benötigen weniger Kalorien, da sie weniger aktiv sind. Sie sollten deshalb darauf achten, nicht zu viel zu essen.

Kinder mit Atemproblemen können spezielle Masken tragen, die sie beim Atmen unterstützen. Wenn die Maske nicht ausreicht, kann der Arzt durch einen schmalen Eingang im vorderen Halsbereich einen Plastikschlauch direkt in die Luftröhre einführen (diesen Eingriff nennt man Tracheotomie). Der Schlauch ist an ein Gerät angeschlossen, das dabei hilft, Luft in die Lunge und wieder herauszubefördern (Beatmungsgerät). Mit einer Tracheotomie können Kinder mit Duchenne-Dystrophie in manchen Fällen auch über ihren 20. Geburtstag hinaus überleben. Kindern mit Herzproblemen können Medikamente wie ACE-Hemmer und Betablocker verabreicht werden.

Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie, die über 5 Jahre alt sind und an ausgeprägter Muskelschwäche leiden, wird Prednison oder Deflazacort verabreicht (beides sind Kortikosteroide). Prednison oder Deflazacort wird täglich oral eingenommen. Nach längerer Einnahme haben diese Medikamente viele Vorteile: Sie verbessern die Körperkraft, Kinder können ein paar Jahre länger gehen, die Herz- und Lungenfunktion wird erhalten und das Überleben um 5 bis 15 Jahre verlängert. Die Langzeitanwendung dieser Medikamente verursacht jedoch viele Nebenwirkungen, wie Gewichtszunahme, aufgeschwemmtes Gesicht und erhöhtes Risiko für Wirbelsäulen- und Knochenprobleme ( see sidebar Kortikosteroide: Einsatz und Nebenwirkungen). Ein möglicher Einsatz von Prednison und Deflazacort mit Becker-Muskeldystrophie wurde bislang noch nicht ausreichend untersucht.

Manchen Menschen mit Duchenne-Muskeldystrophie und bestimmten Mutationen des Dystrophin-Gens können die Medikamente Eteplirsen, Golodirsen oder Viltolarsen verabreicht werden. Diese Medikamente regen die Produktion des Proteins Dystrophin an. Obwohl das so produzierte Dystrophin nicht normal ist, funktioniert es in der Regel und kann die Symptome lindern.

Paare mit Kinderwunsch sollten sich an einen Genberater wenden, um herauszufinden, wie hoch das Risiko ist, dass sie den Muskeldystrophie-Gendefekt an ihre Kinder weitergeben.

Weitere Informationen

Bei dem Folgenden handelt es sich um ein englischsprachiges Hilfsmittel, das nützlich sein kann. Bitte beachten Sie, dass das MANUAL nicht für den Inhalt dieser Quelle verantwortlich ist.

  1. Muscular Dystrophy Association: Information on research, treatment, technology, and support for people living with Duchenne muscular dystrophy and Becker muscular dystrophy