Medizinische Untersuchung nach Vergewaltigung

VonErin G. Clifton, PhD, University of Michigan
Überprüft/überarbeitet Juli 2022
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Sexuelle Übergriffe bezeichnen jede Art von sexueller Aktivität oder Kontakt, dem eine Person nicht zustimmt. Sexuelle Übergriffe, einschließlich Vergewaltigung, können körperliche Verletzungen, Krankheiten oder psychische Traumata verursachen. Die Überlebenden sollten auf Verletzungen, sexuell übertragbare Infektionen, Schwangerschaft und akute oder posttraumatische Belastungsstörungen untersucht werden; sie werden gebeten, einer Untersuchung zur Beweissicherung zuzustimmen. Die Behandlung umfasst Infektionsprophylaxe und psychologische Betreuung.

Sexuelle Übergriffe umfassen Vergewaltigung und sexuelle Nötigung; dabei kann es sich um körperliche Gewalt oder die Androhung von Gewalt handeln, oder der Angreifer gibt dem Opfer Drogen oder Alkohol.

Obwohl die rechtlichen und medizinischen Definitionen variieren, wird Vergewaltigung in der Regel als Penetration, egal wie gering, der Vagina oder des Anus mit einem beliebigen Körperteil oder Gegenstand oder als orale Penetration durch das Geschlechtsorgan einer anderen Person ohne die Zustimmung des Opfers definiert (1). Personen, die noch nicht volljährig sind, können keine Zustimmung zu sexuellen Handlungen mit einem Erwachsenen geben.

Eine typische Vergewaltigung ist ein Ausdruck von Aggression, Wut oder Machtbedürfnis. Bei der Vergewaltigung von weiblichen Personen kommt es in ca. 50% der Fälle zu nichtgenitalen und genitalen Verletzungen.

Vergewaltigung und andere Formen sexueller Übergriffe, einschließlich sexueller Übergriffe in der Kindheit, sind weit verbreitet; die geschätzte Lebenszeitinzidenz für beide liegt zwischen 2 und 30%, tendiert aber zu 15–20%. Allerdings kann die tatsächliche Inzidenz höher sein, weil Vergewaltigung und sexuelle Nötigung häufig nicht angezeigt werden.

Die höchsten Raten von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen sind bei Frauen zu verzeichnen, wobei jedoch Menschen aller Geschlechter zu den Opfern gehören. Vergewaltigte Männer unterliegen einem höheren Verletzungsrisiko als Frauen und zeigen den Übergriff seltener an; häufig sind mehrere Angreifer beteiligt.

Allgemeiner Hinweis

Symptome und Anzeichen von Vergewaltigung

Eine Vergewaltigung kann zu folgenden Symptomen führen:

  • Verletzungen am Genital

  • Verletzungen außerhalb des Genitalbereichs

  • Psychisches Trauma

  • Hepatitis

  • HIV-Infektion

  • Humane Papillomavirus - Infektion

  • Andere Sexuell übertragbare Infektionen (z. B. Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien-Infektion, Trichomoniasis)

  • Bakterielle Vaginose

  • Schwangerschaft

Obwohl die körperlichen Verletzungen gewöhnlich relativ gering sind, können Risswunden der oberen Vagina schwerwiegend sein. Weitere Verletzungen können durch körperliche Gewalt während des sexuellen Übergriffs entstehen. Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine lebenslange Vergewaltigungserfahrung auch mit langfristigen körperlichen Gesundheitsproblemen zusammenhängt. So ist das Risiko, Asthma, ein Reizdarmsyndrom, häufige Kopfschmerzen oder chronische Schmerzen zu entwickeln, bei Vergewaltigungsopfern höher als bei Menschen, die nicht Opfer einer Vergewaltigung wurden (1).

Die psychischen Symptome stehen nach Vergewaltigung im Vordergrund. Kurzfristig erleben die meisten Vergewaltigungsopfer Angst, Albträume, Schlafstörungen, Wut, Verlegenheit und/oder Schamgefühle. Sie können sich möglicherweise nicht an wichtige Teile des Ereignisses erinnern (dissoziative Amnesie, ein Symptom der akuten Belastungsstörung oder posttraumatischen Belastungsstörung [PTBS]).

Unmittelbar nach einem Übergriff kann das Verhalten des Patienten von Gesprächigkeit, Anspannung, Weinen und Zittern bis hin zu Schock und Ungläubigkeit, begleitet von Gleichmut oder Ruhezustand reichen. Nur selten spiegeln die zuletzt genannten Haltungen einen Mangel an Betroffenheit wider; vielmehr sind sie Ausdruck einer Vermeidungsreaktion, von körperlicher Erschöpfung oder Bewältigungsstrategien, die nach Kontrolle der Emotionen verlangen. Ersatzweise wird die Wut oft an Krankenhausmitarbeitern oder Familienmitgliedern ausgelassen.

Damit eine akute Belastungsstörung diagnostiziert werden kann, müssen die Symptome 3 Tage bis 1 Monat nach dem Überfall vorhanden sein.

Freunde, Familienangehörige und Behördenvertreter können unterstützend, verurteilend oder in anderer negativer Weise reagieren. Negative Reaktionen können die Genesung nach einem Überfall behindern.

Zu den Langzeitfolgen einer Vergewaltigung kann eine PTBS gehören, insbesondere bei Frauen. PTBS ist eine traumabedingte Störung; Symptome der PTBS schließen ein

  • Das Trauma wiedererleben (z. B. Rückblenden, aufdringliche verwirrende Gedanken oder Bilder)

  • Vermeidung (z. B. von trauma-bezogenen Situationen, Gedanken und Gefühlen)

  • Negative Auswirkungen auf Kognition und Stimmung (z. B. anhaltende verzerrte Selbst- oder Fremdschuld, Unfähigkeit, positive Emotionen zu erleben)

  • Veränderte Erregung und Reaktivität (z. B. Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme)

Damit eine PTBS diagnostiziert werden kann, müssen die Symptome > 1 Monat andauern, dürfen nicht auf die physiologischen Wirkungen eines Stoffes oder einer medizinischen Störung zurückzuführen sein und müssen das soziale und berufliche Funktionieren erheblich beeinträchtigen. Patienten mit PTBS haben oft auch eine Depression und/oder andere psychologische Störungen (z. B. eine Substanzgebrauchsstörung).

Hinweise auf Symptome und Zeichen

  1. 1. Basile KC, Smith SG, Chen J, Zwald M: Chronic diseases, health conditions, and other impacts associated with rape victimization of U.S. women. J Interpers Violence 36; 23–24; 2021.

Bewertung des Vergewaltigungsopfers

Ziele der medizinischen Untersuchung nach einer Vergewaltigung sind

  • Medizinische Beurteilung und Behandlung von Verletzungen sowie Beurteilung, Behandlung und Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen und Schwangerschaft

  • Sammlung forensischer Beweise

  • Psychologische Abklärung

  • Empfehlung von Krisenintervention und psychologischer Unterstützung

Wenn Patient(inn)en bereits vor der medizinischen Untersuchung Rat suchen, werden sie darüber aufgeklärt, dass sie ihre Kleidung weder entsorgen noch wechseln, sie sich weder waschen noch duschen noch Scheidenspülungen vornehmen, sich weder die Zähne putzen, ihre Fingernägel schneiden noch Mundwasser verwenden dürfen, weil dadurch Beweismaterial vernichtet werden könnte.

Wenn möglich, werden alle Vergewaltigungsopfer an ein Vergewaltigungszentrum vor Ort (oftmals in den Krankenhausnotaufnahmen) überwiesen. Derartige Zentren verfügen über speziell ausgebildetes Personal (in den USA z. B. die sog. „sexual assault nurse examiners“ [SANE]). In einigen Gebieten in den USA gibt es ein SART-Team (Sexual Assault Response), zu dem Angehörige des Gesundheitswesens, Forensiker, das lokale Krisenzentrum, Strafverfolgungsbehörden und die Staatsanwaltschaft gehören. Die Vorteile einer Untersuchung nach Vergewaltigung werden erläutert, aber es bleibt den Opfern überlassen, der Untersuchung zuzustimmen oder sie abzulehnen. Wenn die Patient(inn)en zustimmen, wird die Polizei verständigt. Die meisten Patient(inn)en sind stark traumatisiert, und der Umgang mit ihnen erfordert Zartgefühl, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl. Patienten können sich bei einem Arzt gleichen Geschlechts wohler fühlen. Alle Patienten sollten vor der Untersuchung nach ihrer Präferenz gefragt werden. Jeder Arzt, der ein weibliches Opfer untersucht, muss von einer Mitarbeiterin begleitet werden. Wann immer möglich, sollte den Patient(inn)en eine private, ruhige Umgebung zugewiesen werden.

Ein Formular (manchmal Teil eines Vergewaltigungs-Spurensicherungs-Kits) wird verwendet, um rechtliche Beweise und medizinische Befunde festzuhalten (typische Elemente des Formulars siehe Tabelle Typischer Untersuchungsgang bei Verdacht auf Vergewaltigung); es sollte an die lokalen Anforderungen angepasst werden. Da der medizinische Bericht u. U. vor Gericht verwendet wird, müssen die Ergebnisse lesbar und in für Schöffen ggf. verständlichen Formulierungen dargelegt werden.

Tabelle

Anamnese und Untersuchung

Vor Beginn der Untersuchung muss der/die Patient(in) ihr Einverständnis geben. Weil die Wiedergabe der Ereignisse den Betroffenen oft Angst oder Verlegenheit bereitet, muss der Untersucher Ruhe, Mitgefühl und wertfreie Verständnisbereitschaft ausstrahlen und darf nicht zur Eile drängen. Diskretion sollte gewährleistet sein. Der Untersucher eruiert spezifische Detailinformationen, u. a.

  • Art der vorliegenden Verletzungen (v. a. des Mundes, der Brüste, der Vagina und des Rektums)

  • Blutungen oder Abschürfungen am Opfer oder Patient (um das Risiko einer Ansteckung mit HIV oder Hepatitis abschätzen zu helfen)

  • Beschreibung des Angriffs (z. B. welche Körperöffnungen penetriert wurden, ob eine Ejakulation stattgefunden hat oder ein Kondom verwendet wurde)

  • Aggression, Drohungen, Waffengebrauch und Gewalttätigkeit seitens des Angreifers

  • Beschreibung des Angreifers

Die meisten oder alle diese Fragen sind Bestandteil von "Vergewaltigungsformularen" (siehe Tabelle Typischer Untersuchungsgang bei Verdacht auf Vergewaltigung). Der/die Patient/in sollte informiert werden, warum solche Fragen gestellt werden (z. B. dass Angaben über die Anwendung kontrazeptiver Maßnahmen helfen, das Risiko einer Schwangerschaft nach Vergewaltigung abzuschätzen; Informationen über vorausgegangenen Koitus helfen, den Aussagewert von Spermientests zu bestimmen).

Die Untersuchung sollte vor jedem Schritt erklärt werden; der Patient kann jeden Teil der Untersuchung ablehnen. und die Ergebnisse mit dem/der Betroffenen besprochen werden. Wenn möglich, sollte man die Verletzungen fotografieren. Der Mund, die Brüste, das Genitale und das Rektum werden sorgfältig untersucht. Zu den häufigen Verletzungsstellen bei Frauen gehören die kleinen Schamlippen und die hintere Scheidenwand. Beleuchtung mit einer Wood-Lampe weist Spermaspuren oder Fremdmaterial auf der Haut nach. Die Kolposkopie ist eine besonders empfindliche Methode zum Nachweis subtiler Verletzungen am Genitale. Manche Kolposkope haben einen aufgesteckten Fotoapparat, der die Erkennung und das Fotografieren von Verletzungen in einem Arbeitsgang ermöglicht. Ob die Verwendung von Toluidinblau zur Markierung von verletzten Bereichen als Nachweismethode akzeptiert wird, hängt von der Gerichtsbarkeit ab.

Tests und Sammeln von Beweismaterial

Routinemäßig werden ein Schwangerschaftstest und serologische Tests auf Syphilis, Hepatitis B und HIV vorgenommen. Innerhalb weniger Stunden nach einer Vergewaltigung durchgeführt, geben diese Tests Aufschluss über Schwangerschaft oder Infektionen, die vor der Vergewaltigung vorlagen, aber nicht über solche, die sich nach der Vergewaltigung entwickeln. Vaginalsekret oder Urin wird auf trichomonale Vaginitis und bakterielle Vaginose getestet; Proben von jeder penetrierten Körperöffnung (vaginal, oral oder rektal) werden für Gonorrhöe- und Chlamydientests entnommen (1). Die Patienten lehnen möglicherweise STI-Tests ab, weil sie in der Regel eine empirische Therapie erhalten.

Im Anschluss daran werden Tests zur Feststellung von Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten durchgeführt:

  • Nach 1 Woche: Gonorrhö, Chlamydien-Infektion und Trichomoniasis bei Patienten, die eine prophylaktische Behandlung ablehnten

  • Nach 2 Wochen: Schwangerschaft

  • Nach 4–6 Wochen: Syphilis und HIV-Infektion

  • Nach 3 Monaten: Syphilis, Hepatitis und HIV-Infektion

Wenn der/die Patient/in hinsichtlich der Ereignisse im Zeitraum der Vergewaltigung Gedächtnislücken aufweist, sollte ein Drogenscreening auf Flunitrazepam (sog. Date-Rape-Droge oder K.-o.-Tropfen) und Gamma-Hydroxybutyrat (GHB) erwogen werden. Tests auf Drogen und Alkohol sind umstritten, weil Hinweise auf eine Intoxikation dazu verwendet werden können, das Opfer vor Gericht zu diskreditieren.

Bei Patientinnen mit schweren Risswunden der oberen Vagina, v. a. bei Kindern, kann eine Laparoskopie erforderlich werden, um das Ausmaß der Verletzung erkennen zu können.

Es werden Beweise gesammelt, die den Nachweis einer Vergewaltigung erbringen können (siehe Tabelle Typischer Untersuchungsgang bei Verdacht auf Vergewaltigung); dazu gehören normalerweise

  • Kleidung

  • Abstriche der bukkalen, vaginalen und rektalen Schleimhaut

  • Gekämmte Proben von Kopfhaut und Schamhaaren sowie Kontrollproben (aus dem Patienten gezogen)

  • Abgeschnittene und abgeschabte Fingernagelproben

  • Blut- und Speichelproben

  • Wenn verfügbar, Samen

Zahlreiche Nachweiskits sind kommerziell erhältlich, wobei einige Staaten spezielle Kits empfehlen. Oft fehlt das Beweismaterial oder ist nach dem Duschen, Kleiderwechsel oder Aktivitäten, die die Stelle der Penetration betreffen, wie z. B. Scheidenspülungen, nicht mehr aussagekräftig. Im Laufe der Zeit (v. a. nach > 36 Stunden) reduziert sich oder verschwindet die Aussagekraft des Beweismaterials; abhängig von der zuständigen Gerichtsbarkeit können Beweismittel bis zu 7 Tage nach einer Vergewaltigung genommen werden.

Zur Asservierung der Beweismittel ist eine Kette von Maßnahmen einzuhalten, wobei das Beweismaterial die ganze Zeit über von einer dazu legitimierten Person aufbewahrt werden muss. Dazu werden die Proben einzeln verpackt, etikettiert, datiert, versiegelt und aufbewahrt, bis sie gegen eine Empfangsbescheinigung an eine dritte Person (gewöhnlich Polizei- oder Laborpersonal) ausgehändigt werden. Zur Identifizierung des Angreifers werden in einigen Gerichtsbarkeiten Proben für eine DNA-Untersuchung entnommen (so auch in Deutschland).

Ärzte sollten die Patienten ermutigen, Hilfe bei der Bewältigung der Traumafolgen und der Wiederherstellung ihrer Funktionsfähigkeit (Krisenintervention) zu suchen und psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Evaluationshinweis

  1. 1. Centers for Disease Control and Prevention: Sexual assault and abuse and STIs – adolescents and adults. Aufgerufen am 16.06.22.

Behandlung des Vergewaltigungsopfers

  • Psychologische Unterstützung und/oder Intervention

  • Wenn indiziert, Postexpositionsimpfung gegen Hepatitis B und humane Papillomaviren (HPV)

  • Möglicherweise HIV-Postexpositionsprophylaxe

  • Möglicherweise Notfallkontrazeption

Nach der Untersuchung erhält das Opfer Gelegenheit, sich zu waschen und umzuziehen, den Mund zu spülen und ggf. die Toilette aufzusuchen. Im Rahmen des lokalen Krisenmanagements für Vergewaltigungsopfer können Überweisungen an medizinische und psychologische Dienste ausgestellt und Rechtsanwälte vermittelt werden.

Körperliche Verletzungen werden konservativ behandelt.

Prophylaxe von sexuell übertragbaren Krankheiten nach Bedarf. Bei Risswunden der Scheide kann eine operative Versorgung erforderlich sein.

Psychologische Unterstützung

Manchmal gelingt es dem Untersucher, starke Schuld- oder Angstgefühle durch „gesunden Menschenverstand“ (z. B. Beruhigung, Verständnis, werturteilsfreies Verhalten) abzubauen. Mögliche psychische und soziale Auswirkungen einer Vergewaltigung werden erklärt, und das Opfer wird einem im Vergewaltigungs-Krisenmanagement geschulten Spezialisten vorgestellt. Weil sich das volle Ausmaß der psychischen Auswirkungen nicht immer bei der ersten Untersuchung feststellen lässt, sind in 2-wöchigen Abständen weitere Konsultationen vorgesehen. Schwerwiegende psychische Auswirkungen (z. B. wiederkehrende Rückblenden, erhebliche Schlafstörungen, Angst mit signifikantem Vermeidungsverhalten) oder solche, die bis zu den nachfolgenden Untersuchungsterminen nicht abgeklungen sind, stellen eine Indikation zur Überweisung an einen Psychiater oder Psychologen dar.

Familienmitglieder und Freunde können wichtige Unterstützung bieten (z. B. sanfte Ermutigung, Ermahnung, dass die Vergewaltigung nicht ihre Schuld war), aber auch sie brauchen manchmal Hilfe von Fachleuten im Vergewaltigungs-Krisenmanagement, um mit ihren eigenen negativen Reaktionen zurechtzukommen.

PTSD kann mit Psychotherapie und medikamentöser Behandlung wirksam behandelt werden.

Prävention oder Behandlung von Infektionen

Die Routinemäßige empirische Prophylaxe von STI für Erwachsene und Jugendliche besteht aus folgenden Maßnahmen:

  • Ceftriaxon 500 mg i.m. in einer Einzeldosis oder bei Patienten mit einem Körpergewicht ≥ 150 kg 1 g Ceftriaxon (bei Gonorrhö- und Chlamydieninfektionen) UND

  • Doxycyclin 100 mg oral 2-mal täglich für 7 Tage (bei Chlamydieninfektion)

  • Für Frauen: Metronidazol 500 mg oral 2-mal täglich für 7 Tage (für Trichomoniasis und bakterielle Vaginose)

Bezüglich Hepatitis B empfehlen die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) eine entsprechende Impfung, falls das Opfer nicht schon geimpft und seine Immunität dokumentiert ist. Die Impfung wird nach 1 und 6 Monaten wiederholt. Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIG) wird nicht verabreicht.

Die HPV-Impfung wird Frauen und Männern im Alter von 9 bis 26 Jahren verabreicht, wenn sie ungeimpft oder unvollständig geimpft sind. Die Impfung wird nach 1 und 6 Monaten wiederholt. Für ungeimpfte Patienten, die vor dem Alter von 15 Jahren mit der HPV-Impfung beginnen, wird ein 2-Dosis-Schema (mit 0 und 6–12 Monaten) empfohlen.

Eine Beratung über die empirische Postexpositionsprophylaxe der HIV-Infektion wird empfohlen. Die meisten Behörden empfehlen, eine Prophylaxe anzubieten; dabei sollten jedoch die Risikofaktoren berücksichtigt und die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass das Risiko einer HIV-Infektion nach einer Vergewaltigung durch einen unbekannten Angreifer im Durchschnitt gering ist (1). Das Risiko kann unter folgenden Bedingungen höher sein:

  • Anale Penetration

  • Blutung (des Angreifers oder Opfers)

  • Vergewaltigung eines Mannes durch einen Mann

  • Vergewaltigung durch mehrere Angreifer (z. B. männliche Opfer in Gefängnissen)

  • Vergewaltigung in Gebieten mit einer hohen Prävalenz für eine HIV-Infektion

Die Prophylaxe einer HIV-Infektion wird am besten < 4 Stunden nach der Penetration eingeleitet, nach > 72 Stunden jedoch nicht mehr begonnen.

Schwangerschaftsverhütung

Notfallkontrazeption sollte allen Frauen mit negativem Schwangerschaftstest angeboten werden. In der Regel werden orale Medikamente verwendet; wenn sie > 72 Stunden nach der Vergewaltigung eingenommen werden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wirksam sind, deutlich geringer. Ein Antiemetikum kann bei Übelkeit hilfreich sein. Ein Intrauterinpessar kann erfolgreich sein, wenn es < 5 Tagen nach der Vergewaltigung eingesetzt wird.

Ist die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen, sollte die Patientin über die Möglichkeiten der geburtshilflichen Versorgung und des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs beraten werden.

Literatur zur Therapie

  1. 1. Welch J, Mason F: Rape and sexual assault. BMJ 334 (7604): 1154–1158, 2017. doi: 10.1136/bmj.39211.403970.BE

Wichtige Punkte

  • Sexuelle Übergriffe bezeichnen jede Art von sexueller Aktivität oder Kontakt, dem eine Person nicht zustimmt.

  • Nichtgenitale oder genitale Verletzungen, sexuell übertragbare Infektionen und Schwangerschaft können auftreten.

  • Kurzfristig erleben die meisten Patienten Angst, Alpträume, Schlafprobleme, Wut, Verlegenheit und andere psychologische Symptome; obwohl sich die meisten Patienten schließlich erholen; einige entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).

  • Erklären Sie die Vorteile einer Vergewaltigungsbewertung, der der Patient zustimmen oder sie ablehnen kann; fragen Sie den Patienten vor jedem Schritt der Bewertung um sein Einverständnis und erklären Sie, was jeder Schritt beinhaltet und warum er durchgeführt wird.

  • Überprüfen Sie auf Verletzungen, testen Sie auf Schwangerschaft und sexuell übertragbare Infektion, sammeln Sie Beweise, die einen Beweis für eine Vergewaltigung erbringen können (z. B. Abstriche der Mund-, Vaginal- und Mastdarmschleimhaut) und bewahren Sie die Kontrollkette auf.

  • Bereitstellung psychologischer Unterstützung für den Patienten und die Familie des Patienten, Bereitstellung von Prophylaxe für sexuell übertragbare Infektionen und Verhütung von Notfällen.