örtliche Selektivität

VonAbimbola Farinde, PhD, PharmD, Columbia Southern University, Orange Beach, AL
Überprüft/überarbeitet Juni 2021
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Nach ihrer Anwendung (oral, injiziert, inhaliert oder über die Haut oder die Schleimhaut unter der Zunge oder der Wangeninnenseite aufgenommen) gelangen die meisten Arzneimittel ins Blut und zirkulieren durch den Körper. (Siehe auch Definition von Pharmakodynamik.) Manche Medikamente werden direkt am gewünschten Wirkungsort verabreicht, beispielsweise Augentropfen in die Augen. Das Medikament wechselwirkt dann mit Zellen oder Geweben, wo es seine gewünschte Wirkung erzielt (Wirkungsort). Diese Wechselwirkung wird als Selektivität bezeichnet.

Selektivität ist der Grad der Wirksamkeit eines Medikaments an einer bestimmten Stelle relativ zu anderen Stellen.

Relativ unselektive Arzneimittel wirken sich auf viele unterschiedliche Gewebe und Organe aus. So zeigt sich die entspannende Wirkung von Atropin, mit dem Krämpfe im Verdauungsapparat gelöst werden sollen, auch an den Muskeln von Augen und Atemwegen.

Relativ selektive Arzneimittel, zum Beispiel nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAR) wie Aspirin und Ibuprofen (siehe Nicht-opioide Analgetika), zielen bevorzugt auf Entzündungsstellen ab.

Hochselektive Arzneimittel wirken sich hauptsächlich auf einzelne Organe oder Systeme aus. Das Herzmittel Digoxin, das bei Herzinsuffizienz verordnet wird, erhöht hauptsächlich die Pumpleistung des Herzens. Schlafmittel wirken an bestimmten Nervenzellen des Gehirns.

Woher wissen diese Medikamente, wo sie wirken sollen? Hierbei ist die Frage zu berücksichtigen, wie sie mit Zellen oder Substanzen wie Enzymen interagieren.

Rezeptoren an Zellen

Die meisten Zellen haben auf ihrer Oberfläche viele verschiedene Rezeptoren. Ein Rezeptor ist ein Molekül mit einer bestimmten 3-dimensionalen Struktur, die nur mit exakt passenden Substanzen, ähnlich wie das Schlüssel-Schloss-Prinzip, wechselwirkt.

Rezeptoren erlauben es körpereigenen Substanzen, die Aktivität der Zelle von außen zu beeinflussen. Beispiele für solche Substanzen sind Neurotransmitter (chemische Botenstoffe von Zellen im Nervensystem) und Hormone (chemische Stoffe, die von einem Organ ins Blut abgegeben werden, um ein anderes Organ zu beeinflussen). Dieser Einfluss kann darin bestehen, einen Prozess in der Zelle zu stimulieren oder zu hemmen. Arzneimittel ahmen häufig diese körpereigenen Substanzen nach und benutzen die Rezeptoren auf dieselbe Weise. Beispielsweise nutzen Morphin und ähnliche Schmerzmittel dieselben Rezeptoren im Gehirn wie Endorphine, körpereigene Substanzen, die die Schmerzempfindlichkeit regeln.

Manche Medikamente binden nur an eine Art von Rezeptor. Andere können wie ein Generalschlüssel an unterschiedliche Arten von Rezeptoren im ganzen Körper binden. Die Selektivität eines Arzneimittels lässt sich häufig damit erklären, wie gezielt es an bestimmte Rezeptoren bindet.

Perfekte Passform

Ein Rezeptor auf der Zelloberfläche hat eine 3-dimensionale Struktur, die es einer bestimmten Substanz wie zum Beispiel einem Medikament, einem Hormon oder einem Neurotransmitter erlaubt, an sie zu binden, weil sie perfekt zu diesem Rezeptor passt, so wie ein Schlüssel in ein Schloss.

Agonisten und Antagonisten

Medikamente, die an Rezeptoren binden, werden in Agonisten und Antagonisten unterteilt. Agonisten aktivieren bzw. stimulieren ihre Rezeptoren, wodurch sie eine Reaktion auslösen, welche die Zellaktivität entweder verstärkt oder herabsetzt. Antagonisten blockieren den Zugang oder das Anheften von körpereigenen Agonisten, gewöhnlich Neurotransmitter, an deren Rezeptoren.

Agonisten und Antagonisten können gemeinsam bei Personen mit Asthma eingesetzt werden. Beispielsweise lässt sich Salbutamol zusammen mit Ipratropium verwenden. Salbutamol bindet als Agonist an spezifische, adrenerge Rezeptoren an Zellen in den Atemwegen, wo es die glatte Muskulatur entspannt und damit die Atemwege erweitert (Bronchodilatation). Der Antagonist Ipratropium bindet an andere (cholinerge) Rezeptoren und blockiert das Anheften von Acetylcholin, einem Neurotransmitter, der die Kontraktion der glatten Muskulatur und damit eine Verengung der Luftwege verursacht (Bronchokonstriktion). Somit weiten beide Arzneimittel auf verschiedene Weise die Luftwege und erleichtern das Atmen.

Betablocker wie Propranolol sind eine weit verbreitete Gruppe von Antagonisten. Mit diesen Mitteln werden Bluthochdruck, Angina pectoris (Schmerzen im Brustkorb aufgrund einer Unterversorgung des Herzmuskels mit Blut) und bestimmte Herzrhythmusstörungen behandelt sowie einer Migräne vorgebeugt. Sie blockieren oder verringern die Stimulation des Herzens durch die agonistischen Neurotransmitter Epinephrin (Adrenalin) und Norepinephrin (Noradrenalin), die bei Stress freigesetzt werden. Antagonisten wie Betablocker sind am wirksamsten, wenn ihre Konzentration in einem bestimmten Teil des Körpers hoch ist. So wie eine Straßensperre im Berufsverkehr um 17 Uhr nachmittags mehr Fahrzeuge zum Stocken bringt als um 3 Uhr morgens, können Betablocker, die bei entsprechender Dosierung bei normaler Herzfunktion wenig Wirkung zeigen, bei einem abrupten Anstieg der Stresshormone stärker wirken und dadurch das Herz vor übermäßiger Stimulation schützen.

Tabelle

Enzyme

Manche Arzneimittel haben keinen Einfluss auf Rezeptoren, sondern auf Enzyme, die die Rate chemischer Reaktionen regulieren. Diese Mittel werden in Inhibitoren oder Aktivatoren unterschieden. Zum Beispiel hemmt das cholesterinsenkende Mittel Lovastatin das Enzym HMG-CoA-Reduktase, das bei der körpereigenen Cholesterinproduktion eine entscheidende Rolle spielt. Das Antibiotikum Rifampicin hingegen aktiviert Enzyme, die die Hormone verstoffwechseln, die in oralen Verhütungsmitteln enthalten sind, was als ungewollte Nebenwirkung eingestuft wird. Wenn Frauen, die die »Pille« einnehmen, mit Rifampicin behandelt werden, kann das Verhütungsmittel rascher verstoffwechselt und ausgeschieden werden als gewöhnlich und somit wirkungslos sein.

Chemische Wechselwirkungen

Manche Medikamente wirken, ohne die Funktion einer Zelle zu verändern und ohne an einen Rezeptor zu binden. So reduzieren die meisten Antazida die Magensäure durch einfache chemische Reaktionen. Antazida sind Basen, die chemisch mit Säuren reagieren, um die Magensäure zu neutralisieren.