Ingestion von ätzenden Substanzen

VonGerald F. O’Malley, DO, Grand Strand Regional Medical Center;
Rika O’Malley, MD, Grand Strand Medical Center
Überprüft/überarbeitet Juni 2022
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Starke Säuren und Basen führen, wenn sie oral eingenommen werden, zur Verätzung von Geweben des oberen Gastrointestinaltrakts und gelegentlich zur Ösophagus- oder Magenperforation. Symptome können Speichelfluss, Schluckbeschwerden und Schmerzen im Mund, in der Brust oder im Epigastrium umfassen; Strikturen können sich später entwickeln. Eine diagnostische Endoskopie ist ggf. erforderlich. Die Therapie ist unterstützend. Magenentleerung sowie die Gabe von Aktivkohle sind kontraindiziert. Eine Perforation wird chirurgisch behandelt.

(Siehe auch Allgemeine Grundlagen zu Vergiftungen.)

Weltweit sind 80% der Ingestionen von ätzenden Substanzen bei Kleinkindern zu verzeichnen; dabei handelt es sich in der Regel um die versehentliche Aufnahme kleiner Mengen, die häufig harmlos sind. Bei Erwachsenen sind Ingestionen von ätzenden Substanzen häufig vorsätzlich und erfolgen in großen Mengen bei suizidalen Menschen und sind lebensbedrohlich. Häufige Quellen von Säuren und Laugen sind flüssige Toiletten- oder Rohrreiniger. Industrieprodukte sind üblicherweise höher konzentriert als Haushaltsprodukte und führen daher zu schwerwiegenderen Schäden.

Pathophysiologie der Verätzungen

Säuren bewirken Koagulationsnekrosen; die Schorfbildung verhindert tiefere Schäden. Säuren scheinen den Magen mehr als den Ösophagus zu schädigen.

Basen führen zu raschen Kolliquationsnekrosen; es erfolgt nicht die Ausbildung einer Schorfbarriere, sodass die Schäden so lange weiter in die Tiefe vordringen können, bis die Lauge neutralisiert oder verdünnt wird. Laugen scheinen den Ösophagus stärker zu schädigen als den Magen, große Einnahmemengen schädigen beide jedoch gleichermaßen

Feste Produkte hinterlassen häufig Partikel, die am Gewebe festhaften und lokale Schäden bewirken; sie verhindern eine weitere Einnahme. Da flüssige Zubereitungen nicht haften, können ohne weiteres größere Mengen ingestiert werden und zu ausgeprägten Schäden führen. Flüssigkeiten können auch aspiriert werden, was die Schädigung der oberen Atemwege zur Folge haben kann.

Symptome und Anzeichen von Verätzungen

Die initiale Symptomatik bei Ingestion ätzender Substanzen manifestiert sich in Speichelfluss und Schluckbeschwerden. In schweren Fällen kommt es, verbunden mit Blutungen und Erbrechen, zu einem sofort einsetzenden Schmerz in Mund, Kehle, Brust und/oder Abdomen. Die Schädigung der Luftwege kann zu Husten, Tachypnoe und Stridor führen.

In der Mundhöhle kann geschwollenes und gerötetes Gewebe sichtbar werden; allerdings rufen flüssige Säuren und Laugen nicht unbedingt sichtbare Schädigungen im Mund-Rachen-Raum hervor, obwohl es im weiteren Verlauf des Gastrointestinaltrakts zu schweren Schäden kommen kann.

Eine Ösophagusperforation kann zur Mediastinitis mit schwerem Brustschmerz, Tachykardie, Fieber, Atemnot und Schock führen. Eine Magenperforation führt in aller Regel zu einer Peritonitis. Eine Perforation von Ösophagus oder Magen kann innerhalb von Stunden aber auch erst nach Wochen eintreten.

Ösophageale Strikturen können sich nach Wochen entwicklen, selbst wenn die initiale Symptomatik leicht und die Behandlung adäquat war. Strikturen können zu einer Verkürzung oder Verengung des Ösophagus sowie zu Schluckbeschwerden und Motilitätsstörungen führen.

Überlebende von Verätzungen haben ein höheres Risiko für die Entwicklung eines Ösophaguskarzinoms.

Diagnose von Verätzungen

  • Endoskopie

Weil das Vorliegen oder Fehlen von Schäden innerhalb der Mundhöhle nicht zuverlässig Auskunft gibt, ob Schäden im Bereich der Speiseröhre oder des Magens vorliegen, sollte eine frühzeitige Endoskopie zur Überprüfung auf Schäden im Ösophagus oder am Magen erfolgen, sofern die Symptomatik oder die Anamnese eine relevante Einnahme vermuten lassen. Eine Endoskopie muss nicht sofort durchgeführt werden; der Patient sollte stabilisiert werden, bevor er für eine Endoskopie in Frage kommt.

Röntgenaufnahmen des Thorax haben eine begrenzte Sensitivität für die Beurteilung einer Ösophagusperforation, daher sollte bei Verdacht auf eine Perforation eine CT-Untersuchung des Thorax und des Abdomens durchgeführt werden.

Behandlung von Verätzungen

  • Keine Magenentleerung

  • Manchmal Verdünnung mit Mundflüssigkeiten

Im Allgemeinen werden Säure- und Laugenintoxikationen ähnlich behandelt, mit unterstützender Pflege. (CAVE: Eine Magenentleerung durch Erbrechen oder eine Magenspülung ist kontraindiziert, weil es den oberen Magen-Darm-Trakt erneut mit der ätzenden Säure in Kontakt bringt. Versuche, den pH-Wert einer ätzenden Säure durch eine alkalische Substanz zu korrigieren [und umgekehrt] sind kontraindiziert, da dies zu schweren exothermen Reaktionen führen kann. Auch Aktivkohle ist kontraindiziert, weil sie das verbrannte Gewebe infiltrieren und die endoskopische Beurteilung stören kann.)

Tipps und Risiken

  • Eine Magenentleerung durch induziertes Erbrechen oder eine Magenspülung nach Ingestion einer ätzenden Substanz ist kontraindiziert, da dadurch der obere Gastrointestinaltrakt erneut der ätzenden Substanz ausgesetzt wird.

  • Versuchen sollten unterbleiben, eine ätzende Säure mit einer alkalischen Substanz (und umgekehrt) zu neutralisieren, weil es zu einer thermischen Reaktion kommt, die die Gewebeschäden verschimmern kann.

Verdünnung mit Milch oder Wasser ist nur in den ersten Minuten nach der Einnahme einer ätzenden Flüssigkeit sinnvoll, aber eine verzögerte Verdünnung kann nach der Einnahme einer soliden ätzenden Substanz nützlich sein. Eine Verdünnung sollte vermieden werden, wenn Patienten unter Übelkeit, Speichelfluss, Stridor oder Auftreibung des Abdomens leiden.

Die Ösophagus- oder Magenperforation wird mit Antibiotika und chirurgischen Maßnahmen behandelt (siehe Akute Perforation). Die prophylaktische Gabe von Antibiotika oder intravenösen Kortikosteroiden wird nicht empfohlen. Strikturen können mit Bougies behandelt oder, sofern sie besonders schwerwiegend oder einer Behandlung nicht zugänglich sind, durch Ersatz des Ösophagus mittels Koloninterponat therapiert werden.

Wichtige Punkte

  • Schwerwiegende Folgen sind zu erwarten, wenn eine große Menge einer ätzenden Flüssigkeit eingenommen wurde.

  • Laugen können Schäden durch Gewebsverflüssigung verursachen, es sei denn, sie wurden ausreichend verdünnt.

  • Eine Magenspülung sollte nicht vorgenommen werden, ebens wenig die Gabe von Aktivkohle oder die Neutralisation einer Säure oder Lauge.

  • Verätzungen von Speiseröhre und Magen sollten angenommen werden, auch wenn intraorale Verätzungen fehlen. Eine Endoskopie sollte veranlasst werden.

  • Behandeln Sie Perforation mit Gabe von Antibiotika und chirurgischer Intervention.