Klinische Entscheidungsfindung im Überblick

VonBrian F. Mandell, MD, PhD, Cleveland Clinic Lerner College of Medicine at Case Western Reserve University
Überprüft/überarbeitet Mai 2021
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    Ein Arzt muss eine Vielzahl von klinischen Daten bewältigen und ist hohen Erwartungen ausgesetzt: gegenüber den Patienten und ihren Angehörigen und gegenüber dem Krankenhaus und dem Gesundheitssystem. Er muss sich entscheiden, welche Informationen er braucht, welche Untersuchungen gemacht werden sollen, wie deren Ergebnisse zu interpretieren sind und zu diagnostischen Hypothesen zusammenführen lassen und welche Behandlung empfohlen ist – diesen Themenkomplex nennt man „klinische Entscheidungsfindung“.

    Bei der Beurteilung eines Patienten muss der Arzt in der Regel die folgenden Fragen beantworten:

    • Deuten die Anamnese und die körperliche Untersuchung auf bestimmte Diagnosen hin?

    • Gibt es Warnhinweise, die auf ein dringendes medizinisches oder soziales Problem hinweisen, das vor der Bestätigung einer Diagnose behandelt werden muss?

    • Sollten Tests durchgeführt oder Konsultationen eingeholt werden?

    In einfachen oder alltäglichen Situationen entscheiden Ärzte reflexartig; Diagnosen werden durch das Erkennen von typischen Krankheitsbildern gemacht, und die Tests und die Behandlung werden auf der Grundlage gängiger Praxis eingeleitet. Während einer Grippeepidemie zum Beispiel wird ein gesunder Erwachsener, der seit zwei Tagen Fieber, schwere Myalgien, Orbitalschmerzen und starken Husten hat, wahrscheinlich als ein weiterer Fall von Influenza erkannt und nur mit einer angemessenen symptomatischen Behandlung versorgt. Eine solche Erkennung von Krankheitsmustern ist effizient und einfach zu handhaben, kann aber auch falsch sein, weil die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten nicht ernsthaft oder systematisch genug berücksichtigt werden. Ein Patient mit diesem Grippemuster und verminderter Sauerstoffsättigung könnte zum Beispiel stattdessen COVID-19 oder eine bakterielle Lungenentzündung haben und Antibiotika benötigen. Ärzte müssen sich der möglichen Fehlerquellen bewusst sein, die in den Diagnoseprozess einfließen können (1).

    In komplexeren Fällen kann eine strukturierte, quantitative, analytische Methodik ein besserer Ansatz zur Entscheidungsfindung sein. Selbst wenn die Mustererkennung die wahrscheinlichste Diagnosemöglichkeit bietet, wird häufig eine analytische Entscheidungsfindung eingesetzt, um die Diagnose zu bestätigen und potenzielle Krankheitsimitatoren auszuschließen. Analytische Methoden können die Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin, die Verwendung von klinischen Leitlinien und die Verwendung von verschiedenen spezifischen quantitativen Techniken (z. B. Bayes-Theorem) sein.

    Allgemeiner Hinweis

    1. 1. Croskerry P: From mindless to mindful practice—cognitive bias and clinical decision making. N Engl J Med 368(26):2445-8, 2013. doi: 10.1056/NEJMp1303712. PMID: 23802513.