Vorgehen bei einem Patienten mit Verdacht auf eine angeborene Stoffwechselstörung

VonMatt Demczko, MD, Mitochondrial Medicine, Children's Hospital of Philadelphia
Überprüft/überarbeitet Okt. 2021
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Die meisten vererbten Stoffwechselstörungen (angeborene Stoffwechselstörungen) sind selten und erfordern daher einen hohen Verdachtsmoment. Frühzeitige Diagnosen führen zu frühzeitiger Behandlung und können akute und chronische Komplikationen, Beeinträchtigungen in der Entwicklung und auch Tod vermeiden.

Abklärung

Symptome und Beschwerden sind oft unspezifisch und meistens durch etwas anderes als die angeborene Stoffwechselstörung verursacht (z. B. Infektion); diese ähnlichen Ursachen müssen auch untersucht werden.

Anamnese und körperliche Untersuchung

Erkrankungen, die sich in der Neugeborenenperiode manifestieren, sind in der Regel schwerwiegender; zu den typischen Erscheinungsformen vieler dieser Erkrankungen gehören

  • Lethargie

  • Schlechte Ernährung

  • Erbrechen

  • Krampfanfälle

Die Störungen mit einer Spätmanifestation betreffen eher Wachstum und Entwicklung, aber Erbrechen, Krampfanfälle und Schwäche können ebenso vorkommen.

Wachstumsverzögerungen deuten mehr auf einen verminderten Anabolismus oder erhöhten Katabolismus hin und können ihre Ursache in einer verminderten Verfügbarkeit von Energie liefernden Substraten (z. B. Glykogenspeicherkrankheiten [GSE]) oder einem insuffizienten Energie- oder Proteinverbrauch haben (z. B. organische Übersäuerung oder Harnstoffzyklusstörungen).

Entwicklungsverzögerungen können einen chronischen Energiemangel im Gehirn widerspiegeln (z. B. Störungen der oxidativen Phosphorylierung); eine verminderte Zufuhr von benötigten Kohlenhydraten, die keine Energielieferanten für das Gehirn darstellen (z. B. Fehlen der Uridin-5-Diphesphat-Galaktose bei einer unbehandelten Galaktosämie) oder einen chronischen Aminosäuremangel im Gehirn (z. B. Tyrosinmangel bei der Phenylketonurie).

Neuromuskuläre Symptome wie Krampfanfälle, Muskelschwäche, Hypotonie, Myoklonie, Muskelschmerzen, Schlaganfälle oder Koma deuten auf einen akuten Energiemangel im Gehirn (z. B. hypoglykämische Anfälle bei GSE Typ I, Schlaganfälle bei einer Störung der mitochondrialen, oxidativen Phosphorylierung) oder in den Muskeln (z. B. Muskelschwäche bei Muskelformen der GSE) hin. Die neuromuskulären Symptome können ebenso auf eine Akkumulation von toxischen Bestandteilen im Gehirn hinweisen (z. B. hyperammonämisches Koma bei Harnstoffzyklusdefekten) oder Gewebeuntergang (z. B. Rhabdomyolyse und Myoglobinurie bei Patienten mit einem Mangel an langkettigen Hydroxyacyldehydrogenasen oder Muskelformen der GSE).

Angeborene Fehlbildungen des Gehirns können während der fetalen Entwicklung eine verringerte Verfügbarkeit von Energie reflektieren (z. B. verminderter ATP-Ausgang bei Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel) oder kritische Vorstufen (z. B. verringertes Cholesterin bei 7-Dehydrocholestrol-Reduktasemangel oder Smith-Lemli-Opitz-Syndrom).

Autonome Symptome können von einer Hypoglykämie durch einen erhöhten Verbrauch oder verminderte Glucoseproduktion (z. B. Erbrechen, Diaphorese, Blässe und Tachykardie bei Glykogenspeicherkrankheiten [GSE] oder hereditärer Fruktoseintoleranz) oder von einer metabolischen Azidose (z. B. Erbrechen und Kussmaul-Atmung bei organischer Übersäuerung) herrühren. Einige Krankheiten verursachen Beides, so verursacht z. B. bei der Propionazidämie eine Akkumulation von Acyl-CoA eine metabolische Azidose und hemmt die Glukoneogenese, was wiederum eine Hypoglykämie verursacht.

Nichtphysiologische Gelbsucht nach der Neugeborenenperiode deutet auf eine intrinsische Leberkrankheit hin, besonders wenn sie von einer Erhöhung der Leberenzyme begleitet wird, kann aber auch durch angeborene Stoffwechselstörungen bedingt sein (z. B. unbehandelte Galactosämie, vererbte Fruktoseintoleranz, Tyrosinämie Typ 1).

Ungewöhnlicher Geruch von Körperflüssigkeiten kann auf die Anhäufung von spezifischen Bestandteilen hindeuten wie z. B. süßer Fettgeruch bei Isovalerianazidämie, süßer Rauchgeruch bei Ahornsirupsyndrom, Mäusegeruch bei Phenylketonurie, gekochter Kohlgeruch bei Tyrosinämie.

Farbveränderungen des Urins bei Luftexposition können bei einigen Störungen vorkommen (z. B. dunkelbraun bei Alkaptonurie, violettbraun bei der Porphyrie).

Organvergrößerungen können einen Hinweis darauf geben, dass bestimmte Substrate, die nicht abgebaut werden können, sich in den Organzellen ablagern (z. B. Hepatomegalie bei hepatischen Formen der GSE und vielen lysosomalen Speicherkrankheiten, Kardiomegalie bei GSE Typ II).

Augenveränderungen mit Katarakt gibt es bei einem Galaktokinasemangel oder der klassischen Galaktosämie, und eine Ophthalmoplegie und Retinadegeneration bei Defekten der oxidativen Phosphorylierung.

Erste Tests

Wenn eine angeborene Stoffwechselkrankheit vermutet wird, beginnt die Untersuchung zuerst mit einer Überprüfung der Ergebnisse der neonatalen Screeninguntersuchung und ordnet dann einfachen Screeningmethoden an, die normalerweise Folgendes umfassen:

  • Glukose

  • Elektrolyte mit Berechnung der Anionenlücke

  • Blutbild und peripherer Blutausstrich

  • Leberwerte

  • Ammoniakspiegel

  • Serum-Aminosäurespiegel

  • Urinanalyse

  • organische Harnsäuren

Die Glukosemessungen decken Hyperglykämie und Hypoglykämie auf, die Messungen müssen in Relation zu den Mahlzeiten gesetzt werden (z. B. Nüchternhypoglykämie bei GSE).

Die Elektrolytmessungen können eine metabolische Azidose und die Anwesenheit oder Abwesenheit einer Anionenlücke aufdecken; eine metabolische Azidose bedarf der gleichzeitigen Messung von Blutgasen. Eine Azidose ohne Anionenlücke tritt bei angeborenen Störungen auf, die einen tubulären Schaden verursachen (z. B. Galaktosämie, Tyrosinämie Typ I). Eine Azidose mit Anionenlücke kommt bei angeborenen Störungen mit einer Anhäufung von titrierbaren Säuren vor, wie die Methylmalonzidämie und Propionazidämie, sie kann ebenso durch eine Laktatazidose (z. B. bei einem Pyruvatdecarboxylasemangel oder Defekten der mitochondrialen, oxidativen Phosphorylierung) auftreten. Wenn die Anionenlücke erhöht ist, sollten Laktat- und Pyruvatspiegel bestimmt werden. Eine Erhöhung des Laktat-/Pyruvat-Verhältnisses kann Defekte in der oxidativen Phosphorylierung von denen des Pyruvatstoffwechsels unterscheiden, bei denen das Laktat-/Pyruvat-Verhältnis normal bleibt.

Blutbild und peripherer Ausstrich können eine Hämolyse durch einen Mangel an Energie bei den roten Blutkörperchen oder Defekten der weißen Blutkörperchen (z. B. bei manchen Störungen des Pentosephosphatstoffwechsels oder GSE Typ II) und eine Zytopenie aufdecken, die durch Anhäufung von Metaboliten (z. B. Neutropenie bei Propionazidämie durch die Anhäufung von Propionyl-CoA) verursacht wird.

Lebertests können einen hepatozellulären Schaden, Dysfunktion oder beides aufdecken (z. B. eine unbehandelte Galaktosämie, eine hereditäre Fruktoseintoleranz oder eine Tyrosinämie Typ I).

Erhöhte Ammoniakspiegel weisen auf Harnstoffzyklusdefekte, organische Azidämien und Störungen der Fettsäureoxidation hin.

Die Urinanalyse erkennt Ketonurie (in einigen GSDs und vielen organischen Azidämiefällen vorhanden); das Fehlen von Ketonen in Gegenwart von Hypoglykämie mit oder ohne Azidose deutet auf einen Fettsäureoxidationsdefekt oder Hyperinsulinismus hin.

Klinischer Rechner

Spezifische und bestätigende Tests

Weitere spezifische Tests können sinnvoll sein, wenn 1 der zuvor beschriebenen einfachen Screening-Tests eine erbliche Störung des Stoffwechsels vermuten lassen. Kohlenhydratmetabolite, Mukopolysaccharide und Amino- oder organische Säuren können direkt chromatographisch und massenspektroskopisch gemessen werden. Quantitative Plasmaaminosäure-Tests sollten ein Plasma-Acylcarnitin-Profil umfassen. Tests auf organische Säuren im Urin sollten ein Urin-Acylglycin-Profil umfassen.

Nach dem Screening und ersten Tests kann auf eine Störung oder Gruppe von Störungen hingewiesen werden, Bestätigungstest beginnt typischerweise mit der Gensequenzierung, um eine der Hunderten bekannten Mutationen zu erkennen. Andere Bestätigungstests, die seltener verwendet werden, sind Biopsie (z. B. Leberbiopsie zur Unterscheidung von Leberformen von GSDs von anderen Erkrankungen im Zusammenhang mit Hepatomegalie, Muskelbiopsie zur Erkennung zerklüfteter roter Fasern bei mitochondrialer Myopathie) und Enzymstudien (z. B. mit Blut- und Hautzellen zur Diagnose lysosomaler Speicherkrankheiten).

Provokationstests werden benützt, um Symptome, Befunde und messbare biochemische pathologische Werte, die im Normalstatus nicht entdeckt werden können, aufzudecken. Der Gebrauch von Provokationstests ist zurückgegangen, seitdem es hochsensitive Methoden zur Bestimmung von Metaboliten gibt, aber manchmal werden sie noch eingesetzt. Beispiele sind der Fastentest (z. B. Provokation einer Hypoglykämie bei der hepatischen Form der GSE), der Provokationstest (z. B. Fruktosetest, um die Symptome bei einer hereditären Fruktoseintoleranz zu triggern, Glukagontest bei hepatischen Formen der GSE [das Fehlen einer Hyperglykämie deutet auf eine Krankheit hin]) und die physiologische Provokation (z. B. Ergometrie, um eine Laktatsäureproduktion zu beleuchten und andere Störungen bei der muskulären Form der GSE). Da die Provokationstests oft mit einem Risiko assoziiert sind, müssen sie unter gut kontrollierten Bedingungen und mit einem sorgfältigen Plan beim Auftreten von Nebenwirkungen stattfinden.

Weitere Informationen

Im Folgenden finden Sie eine englischsprachige Quelle, die nützlich sein könnte. Bitte beachten Sie, dass das MSD-Manual nicht für den Inhalt dieser Quellen verantwortlich ist.

  1. Online Mendelian Inheritance in Man® (OMIM®) database: Vollständige Informationen zu Genen, molekularen und chromosomalen Positionen