Im Juli 2020 berichteten Griffin et al. (1) im New England Journal of Medicine über die Anwendung von Nirsevimab, einem monoklonalen Antikörper mit verlängerter Halbwertszeit gegen das Respiratory Syncytial Virus (RSV), zur Prävention einer RSV-Infektion. Verglichen mit Placebo wiesen die Patienten nach einer Einzeldosis Nirsevimab weniger RSV-Infektionen der unteren Atemwege (Lower Respiratory Tract Infections, LRTIs) auf, die eine ärztliche Behandlung erforderten, sowie weniger RSV-bedingte Krankenhausaufenthalte im Verlauf der nächsten 150 Tage. Die Studie schloss gesunde Säuglinge mit ein, die am Anfang ihrer ersten RSV-Saison standen, im Alter von < 1 Jahr waren und zwischen der 29. Schwangerschaftswoche plus 0 Tage und der 34. Schwangerschaftswoche plus 6 Tage geboren wurden sowie nicht den Richtlinien der American Academy of Pediatrics (AAP) für eine RSV-Prophylaxe entsprachen (2). Die Inzidenz der ärztlich behandelten RSV-LRTI war bei den mit Nirsevimab behandelten Patienten 70,1 % niedriger als bei den mit Placebo behandelten Patienten, die Inzidenz von Krankenhausaufenthalten war 78,4 % niedriger. Nirsevimab wies ein günstiges Sicherheitsprofil auf.
Vor kurzem veröffentlichten Hammitt et al. die Ergebnisse einer randomisierten klinischen Phase-III-Studie zu Nirsevimab. Diese Studie untersuchte die gleichen Endpunkte wie die Griffin-Studie, wurde jedoch mit Säuglingen durchgeführt, die in der > 35. Schwangerschaftswoche geboren wurden (3). Die Ergebnisse stimmten hinsichtlich der niedrigeren Raten ärztlich behandelter LRTIs in der Nirsevimab-Gruppe und der Aufrechterhaltung der Nirsevimab-Spiegel über 150 Tage hinweg überein. Es wurden keine signifikanten unerwünschten Ereignisse oder Todesfälle berichtet, die auf Nirsevimab oder Placebo zurückzuführen waren. Diese Studie ergab eine relativ geringere Wirksamkeit von Nirsevimab bei Säuglingen, die zum Zeitpunkt der Injektion < 3 Monate alt waren oder < 5 kg wogen.
Jeden Winter werden Hausarztpraxen und Krankenhäuser von RSV-bedingt hustenden und keuchenden Säuglingen überrannt. RSV ist bei Säuglingen im Alter von < 1 Jahr die führende Ursache von LRTIs. Am kränksten sind dabei Kinder mit einer Reife von < 35 Wochen, Kinder mit einer chronischen Lungenerkrankung infolge Frühgeburt (CLDP) und Kinder mit kongenitaler Herzkrankheit (KHK).
In den USA ist Palivizumab, ein monoklonaler Antikörper, der während der RSV-Saison monatlich verabreicht wird, die einzige Immunprophylaxe, die von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) für eine schwere RSV-LRTI bei Säuglingen zugelassen ist, die eine Reife von < 35 Wochen aufweisen, sowie bei den Säuglingen mit CLDP oder hämodynamisch signifikanter KHK. Im Jahr 2014 aktualisierte die AAP ihre Empfehlungen zur Verwendung von Palivizumab und beschränkte die Zielpopulation auf Säuglinge, die mit einer Reife von < 29. Wochen geboren wurden, sowie auf Kinder mit KHK oder CLDP, weil die Kosten hoch, der Nutzen der Palivizumab-Prophylaxe begrenzt und die Krankheitslast in der Gemeinschaft geringer ist (2).
Seit der Veröffentlichung der überarbeiteten AAP-Richtlinien häufen sich die Berichte über vermehrte Krankenhausaufenthalte und einen höheren Schweregrad der Erkrankung bei Säuglingen mit RSV sowie über eine geringere Anwendung von Palivizumab selbst in Bevölkerungsgruppen, für die die AAP die Anwendung weiterhin empfiehlt (4,5). Angesichts dieser erhöhten Belastung durch RSV-Erkrankungen veröffentlichte die National Perinatal Association im Jahr 2018 separate Leitlinien für die Anwendung von Palivizumab, die sich näher an den ursprünglichen FDA-Anwendungsindikationen orientieren (6).
Die erste Prüfung von Nirsevimab durch eine Zulassungsbehörde läuft derzeit bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur, weitere weltweite Zulassungsanträge sind für das Jahr 2022 geplant. Die Verfügbarkeit einer sicheren, wirksamen und kosteneffizienten Alternative zu Palivizumab, die als Einzeldosis verabreicht werden kann und einen Schutz für eine ganze RSV-Saison bietet, würde eine willkommene Intervention für gefährdete Säuglinge und diejenigen darstellen, die diese versorgen. Wir erwarten die Ergebnisse dieser Überprüfungen mit Spannung.
Quellen
- Griffin MP, Yuan Y, Takas T et al.: Single-Dose Nirsevimab for Prevention of RSV in Preterm Infants. N Engl J Med 383(5):415-425, 2020. doi: 10.1056/NEJMoa1913556. Erratum in: N Engl J Med 383(7):698, 2020.
- American Academy of Pediatrics Committee on Infectious Diseases; American Academy of Pediatrics Bronchiolitis Guidelines Committee: Updated guidance for palivizumab prophylaxis among infants and young children at increased risk of hospitalization for respiratory syncytial virus infection. Pediatrics 134(2):415-420, 2014. doi: 10.1542/peds.2014-1665. Erratum in: Pediatrics 134(6):1221, 2014.
- Hammitt LL, Dagan R, Yuan Y et al: Nirsevimab for prevention of RSV in healthy late-preterm and term infants. N Engl J Med 386: 837–846, 2022.
- Domachowske JB, Anderson EJ, Goldstein M: The Future of Respiratory Syncytial Virus Disease Prevention and Treatment. Infect Dis Ther 10: 47–60, 2021. https://doi.org/10.1007/s40121-020-00383-6
- Krilov LR, Anderson EJ: Respiratory syncytial virus hospitalizations in US preterm infants after the 2014 change in immunoprophylaxis guidance by the American Academy of Pediatrics. J Perinatol40(8):1135-1144, 2020. doi:10.1038/s41372-020-0689-j
- Goldstein M, Phillips R, DeVincenzo JP et. al.: National Perinatal Association 2018 respiratory syncytial virus (RSV) prevention clinical practice guideline: an evidence-based interdisciplinary collaboration. Neonatol Today 12(10):1–14, 2017.