Kommentar – Kaffee und kardiale Tachyarrhythmien
Kommentar01.09.21 L. Brent Mitchell, MD, Libin Cardiovascular Institute of Alberta, University of Calgary

 

Kim et al. publizierten kürzlich die Ergebnisse einer prospektiven Kohortenstudie zum Zusammenhang zwischen selbst berichtetem Kaffeekonsum bei Baseline und inzidenten kardialen Tachyarrhythmien unter Verwendung einer Stichprobe von 386.253 Patienten aus der Datenbank der UK Biobank.1 Im Gegensatz zu den Erwartungen des konventionellen medizinischen Wissens berichteten sie, dass Patienten, die Kaffee tranken, weniger Tachyarrhythmien aufwiesen als diejenigen, welche dies nicht taten, und zwar in dosisabhängiger Weise. Jede tägliche Tasse Kaffee war mit 3 % weniger Tachyarrhythmien (HR: 0,97; 95 %-KI: 0,96–0,98) über eine Nachbeobachtungszeit von 4,5 ± 3,1 Jahren in einer multivariaten Analyse assoziiert, die um 19 andere potenzielle Störfaktoren bereinigt wurde. Die spezifischen Tachyarrhythmien mit statistisch signifikanten Zusammenhängen waren Vorhofflimmern und/oder Vorhofflattern und supraventrikuläre Tachykardie. Natürlich kann eine Beobachtungsstudie, selbst mit multivariater Analyse, aus vielen Gründen nicht schlüssig beweisen, dass Kaffeekonsum vor Tachyarrhythmien schützt. In diesem Fall umfassen die Gründe eine Verzerrung der Selbsteinschätzung, zeitabhängige Veränderungen des Kaffeekonsums, verbleibende/nicht gemessene Störfaktoren und eine umgekehrte Kausalität. Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass jemals eine randomisierte klinische Studie zum gewohnheitsmäßigen Kaffeekonsum durchgeführt wird. Dementsprechend sind Daten dieser Art das Beste, dass wir haben, um Empfehlungen für unsere Patienten anzuleiten.

Hill schlug neun Merkmale einer Beobachtungsstudie vor, die der Zuschreibung einer Kausalität für einen beobachteten Zusammenhang zwischen einem Umweltfaktor und einer Folgeerkrankung (manchmal als „Bradford-Hill-Kriterien“ bezeichnet) Glaubwürdigkeit verleihen.2 Relativ zur Studie von Kim et al. würde Kausalität in Schutz umgewandelt, und die am besten zutreffenden dieser Merkmale wären biologische Plausibilität, Konsistenz und biologischer Gradient (d. h. Dosis-Wirkungs-Beziehung). In Bezug auf die biologische Plausibilität ist der wichtigste, wenn auch nicht einzige pharmakologisch aktive Bestandteil von Kaffee das Methylxanthin-Koffein. Die direkten Wirkungen von Koffein auf die Arrhythmogenese sind komplex, sowohl mit potenziell arrhythmischen Wirkungen (einschließlich sympathischer Aktivierung) als auch mit potenziell antiarrhythmischen Wirkungen (einschließlich Adenosinrezeptorblockade und antioxidativer Eigenschaften). Betrachtet man außerdem die indirekten Wirkungen von Koffein und die Möglichkeit der Wirkung anderer Wirkstoffe im Kaffee, so zeigt sich schnell, dass eine Vorhersage der Wirkungen des gewohnheitsmäßigen Kaffeekonsums auf die Tendenz zu Tachyarrhythmien in der Allgemeinbevölkerung oder bei einer spezifischen Person nicht möglich ist. Dementsprechend ist jeder Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und Tachyarrhythmien biologisch plausibel. Hinsichtlich der Konsistenz der Ergebnisse wurde in anderen Beobachtungsstudien berichtet, dass Kaffeekonsum mit einer Zunahme, einer Abnahme oder keiner Veränderung der Inzidenz von Tachyarrhythmien assoziiert ist. Dennoch kam eine Metaanalyse3 von sechs prospektiven Studien mit 228.465 Teilnehmern, die vor 2014 veröffentlicht wurden, zu dem Schluss, dass die gewohnheitsmäßige Exposition gegenüber Koffein mit einem Trend zur Reduktion des Auftretens von Vorhofflimmern (RR 0,90; 95 %-KI: 0,81–1,01; p = 0,07) assoziiert war, welche die statistische Signifikanz knapp verfehlte. Diese Konfidenzintervalle umfassen die Punktschätzung des Zusammenhangs zwischen Kaffeekonsum und dem Risiko für Vorhofflimmern und/oder Vorhofflattern in der Studie von Kim et al. (HR 0,97; 95 %-KI: 0,96–0,98, p < 0,001). Wenn die Ergebnisse von Kim et al. allerdings in eine formale Metaanalyse einbezogen würden, wäre der offensichtliche Zusammenhang mit einer geringeren Inzidenz von Vorhofflimmern wahrscheinlich statistisch signifikant. Dementsprechend stimmen die Ergebnisse der Studie von Kim et al. mit früheren Studien überein. Das Vorhandensein eines biologischen Gradienten oder einer Dosisreaktion stärkt die Schlussfolgerung der Kausalität in einer Beobachtungsstudie, da zumindest bis zu einem Punkt das Ausmaß eines Ergebnisses, das mit der Exposition gegenüber einem wirklich ursächlichen Umweltfaktor verknüpft ist, mit dem Ausmaß der Exposition zunimmt. Wie oben angegeben, berichten Kim et al., dass der umgekehrte Zusammenhang zwischen gewohnheitsmäßigem Kaffeekonsum und inzidenten Tachyarrhythmien eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zeigt, wobei jede tägliche Tasse Kaffeekonsum mit 3 % weniger Tachyarrhythmien assoziiert ist (HR: 0,97; 95 %-KI: 0,96–0,98). Diese Beobachtung stimmt auch mit denen der vorherigen Metaanalyse überein,3 die eine Abnahme des Auftretens von Vorhofflimmern um 6 % (RR: 0,94; 95 %-KI: 0,90–0,99) für jeden gewohnheitsmäßigen täglichen 300-mg-Koffeeinkonsum (entspricht etwa 2–3 Tassen Kaffee) feststellte.

Die Studie von Kim et al. fügt früheren Studien dieser Art ein neueres Problem hinzu – Mendelsche Randomisierungsanalyse. Eine solche Analyse basiert auf dem Konzept, dass, wenn eine Randomisierung zum gewohnheitsmäßigen Kaffeekonsum nicht möglich ist, das Nächstbeste dann die Verwendung eines anderen willkürlichen Prozesses wäre, der den Kaffeekonsum bestimmt, oder eines anderen willkürlichen Prozesses, der die Koffeinexposition zweitrangig zu Variationen des Koffeinstoffwechsels bestimmt. Genomweite Assoziationsstudien haben Einzelnukleotid-Polymorphismen (Single-Nucleotide Polymorphisms, SNP) identifiziert, die mit Kaffeekonsum und Koffeinstoffwechsel assoziiert sind. Bei Personen, die genetisch für einen stärkeren Kaffeekonsum oder einen langsamen Koffeinstoffwechsel prädisponiert waren, wäre höhere Koffeinkonzentrationen zu erwarten. Angesichts der Tatsache, dass diese SNP zufällig vererbt werden (Mendels Gesetz der Segregation), vorausgesetzt, dass die SNP nicht mit anderen Störfaktoren assoziiert sind, bietet die Natur eine randomisierte Studie zur Koffeinexposition dar, die Hinweise auf eine Kausalität liefert, wenn das Vorhandensein der SNP, die eine höhere Koffeinexposition vorhersagen, mit dem Schutz vor kardialen Tachyarrhythmien assoziiert ist.  Leider ergab die von Kim et al. berichtete Mendelsche Randomisierungsanalyse für die Hypothese keinen Hinweis auf eine Kausalität. Bezüglich des Charakteristikums der Konsistenz von Hill ist es bemerkenswert, dass ein früherer Bericht4 einer Mendelschen Randomisierungsanalyse des Zusammenhangs zwischen Kaffeekonsum und dem Risiko für Vorhofflimmern in einer anderen Probandenpopulation ebenfalls keinen Hinweis auf eine Kausalität ergab.

Die Patientenpopulation von Kim et al. umfasste 1346 Patienten mit bekannten Tachyarrhythmien bei Baseline – 0,3 % der Gesamtstichprobe. Die Analysen in dieser Patientengruppe waren vergleichbar mit den Analysen in der Gesamtgruppe, wobei jede tägliche Tasse Kaffeekonsum mit 7 % weniger Tachyarrhythmien assoziiert war (HR: 0,93; 95 %-KI: 0,90-0,96).

Wie könnten wir diese Beobachtungen in die klinische Praxis integrieren? Zusammen mit bereits vorhandener Literatur sprechen die Daten aus dem Bericht von Kim et al. nicht überzeugend für die Schlussfolgerung, dass der gewohnheitsmäßige Kaffeekonsum kausal mit einer reduzierten Wahrscheinlichkeit für auftretende kardiale Tachyarrhythmien zusammenhängt. Daher wäre es für unsere Patienten nicht ratsam, zu diesem alleinigen Zweck Kaffee zu trinken. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass der gewohnheitsmäßige Kaffeekonsum kausal mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für kardiale Tachyarrhythmien in der Gesamtpopulation zusammenhängt. Dementsprechend erscheint es für unsere Patienten unnötig, aufgrund dieser Bedenken keinen Kaffee zu trinken. Diese Schlussfolgerungen scheinen auch auf Patienten mit bekannten kardialen Tachyarrhythmien zu gelten, wenn auch mit geringerer Gewissheit. Bei Patienten mit bekannten Tachyarrhythmien wäre es angemessen, von der aktuellen Praxis der Empfehlung einer Vermeidung von Kaffee- oder Koffeinkonsum für alle Patienten abzuweichen, um sich diese Empfehlung für diejenigen Patienten vorzubehalten, bei welchen ein Zusammenhang zwischen ihrem Konsum und Tachyarrhythmie-Rezidiven erkannt wurde.

 

 

Quellen

  1. Kim E. J., Hoffman T. J., Nah G., Vittinghoff E., Delling F., Marcus G. M.. Coffee consumption and incident tachyarrhythmias: reported behavior, Mendelian randomization, and their interactions. 19. Juli 2021. JAMA Intern Med doi:10.1001/jamainternmed.2021.3616
  2. Hill A. B.. The environment and disease: association or causation. Proc R Soc Med 58:295–300, 1965.
  3. Cheng M., Hu Z., Lu X., Huang J., Gu D.. Caffeine intake and atrial fibrillation incidence: dose response meta-analysis of prospective studies. Can J Cardiol 30:448–454, 2014.
  4. Yuan S., Larsson S. C.. No association between coffee consumption and risk of atrial fibrillation: a Mendelian randomization study. Nutr Metab Cardiovasc Dis 29:1185–1188, 2019.
L. Brent Mitchell, MD