Ein Medikament (oder jede andere medizinische Behandlung) sollte nur dann angewendet werden, wenn es dem Patienten einen Nutzen bringt. Bei der Bewertung des Nutzens wird sowohl berücksichtigt, ob das Medikament die gewünschte Wirkung (Wirksamkeit) erzielt, als auch die Art und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von unerwünschten Wirkungen (Sicherheit). Kosten und Nutzen werden normalerweise gegeneinander abgewogen (siehe Wirtschaftliche Analyse als Teil der klinischen Entscheidungsfindung).
Wenn neue Medikamente entwickelt werden, werden sie in klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft.
Klinische Medikamentenstudien
Vielversprechende Komponenten können durch ein Massenscreening von Hunderten oder Tausenden von Molekülen auf ihre biologische Aktivität hin identifiziert werden. In anderen Fällen erlaubt die Kenntnis der spezifischen molekularen Pathophysiologie einer Zielerkrankung ein rationales Design von Wirkstoffen durch Computermodellierung oder Änderungen bestehender pharmazeutischer Substanzen.
Die Sicherheit neu entwickelter Arzneimittel wird zunächst in der präklinischen Forschung in menschlichen Zellkulturen oder in Tiermodellen in vitro bewertet.
Die klinische Forschung am Menschen zur Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit neuer Medikamente umfasst klinische Studien, die in mehreren Phasen durchgeführt werden (siehe U.S. Food & Drug Administration: Klinische Forschung):
In Phase 1 werden Sicherheit und Dosierung beim Menschen untersucht. Unterschiedliche Mengen der Substanz werden einer kleinen Anzahl (oft 20 bis 100) gesunder Probanden verabreicht, um die Dosis zu bestimmen, bei der erstmals Toxizität auftritt.
In Phase 2 werden die Wirksamkeit bei der Behandlung der Zielkrankheit und die unerwünschten Wirkungen bewertet. Die Substanz wird einer größeren Gruppe von Personen (bis zu mehreren Hundert) zur Behandlung der Zielerkrankung verabreicht. Ein weiteres Ziel ist die Bestimmung des optimalen Dosis-Wirkungs-Bereichs.
Phase 3 bewertet die therapeutische Wirksamkeit des Medikaments in größeren, oft mehrere Hundert bis Tausend Personen umfassenden und heterogeneren Patientengruppen mit der Zielerkrankung, dabei wird das Medikament mit bestehenden Therapien, einem Placebo oder beiden verglichen. Der Zweck ist es, die Wirksamkeit zu überprüfen und unerwünschte Wirkungen zu erkennen, die während der Phasen 1 und 2 möglicherweise nicht beobachtet wurden. In dieser Phase werden die meisten Sicherheitsdaten gewonnen.
Phase 4 (Post-Marketing-Überwachung, Pharmakovigilanz) findet in den Vereinigten Staaten nach der Zulassung des Arzneimittels durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) statt und kann formale Forschungsstudien sowie die fortlaufende Erfassung von unerwünschten Wirkungen umfassen. In Phase-4-Studien können ungewöhnliche oder sich langsam entwickelnde unerwünschte Wirkungen entdeckt werden, die in kleineren, kurzfristigeren Studien, die nur Teilnehmer einschließen, die strenge Einschlusskriterien erfüllen mussten, wahrscheinlich nicht erkannt werden. Häufig werden hier spezielle Subpopulationen (z. B. schwangere Frauen, Kinder, Ältere) untersucht. Einige Medikamente, die nach Abschluss von Phase 3 von der FDA zugelassen wurden, sind später wieder vom Markt genommen worden, nachdem in Phase 4 neu erkannte und schwerwiegende unerwünschte Wirkungen aufgetreten sind.
Wirksamkeit und Effektivität
Wirksamkeit ist die Fähigkeit einer Intervention, unter idealen Bedingungen einen bestimmten Nutzen (z. B. niedrigeren Blutdruck) zu erzielen.
Die Wirksamkeit wird unter fachkundiger Aufsicht in einer Patientengruppe gemessen, bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ansprechen auf das Arzneimittel zu erwarten ist – beispielsweise im Rahmen einer kontrollierten klinischen Studie.
Effektivität ist die Fähigkeit einer Intervention, einen bestimmten Nutzen in einem realen Umfeld zu erzielen.
Ein Medikament, das sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen hat, kann sich in der tatsächlichen Anwendung als weniger effektiv erweisen. Zum Beispiel kann ein Arzneimittel sehr wirksam den Blutdruck senken, könnte aber im Alltag weniger geeignet (effektiv) sein, weil durch die zahlreichen Nebenwirkungen die Patienten das Arzneimittel absetzen.
Patientenzentrierte Endpunkte
Patientenzentrierte (auch patientenrelevante) Endpunkte messen, wie Patienten sich fühlen, funktionieren oder überleben. In klinischen Studien sind sie die interessierenden klinischen Endpunkte, anhand derer Wirksamkeit und Effektivität beurteilt werden sollten. Sie umfassen einen oder mehrere der folgenden Punkte:
Verlängerung der Überlebensdauer
Verbesserung der Funktionen (z. B. Vermeidung einer Behinderung)
Linderung der Symptome
Intermediate- und Surrogatendpunkte
Intermediäre Endpunkte sind Faktoren, die einen Schritt in der Kausalkette zwischen einer Exposition (wie einem Medikament) und einer Krankheit darstellen. Sie können Labortestergebnisse, Ergebnisse von bildgebenden Verfahren oder physiologische Messungen umfassen.
Surrogat-Endpunkte sind intermediäre Endpunkte, die als Ersatz für klinische Endpunkte von Interesse verwendet werden, oft weil patientenzentrierte Endpunkte schwierig zu messen sein können (1).
Surrogatendpunkte sollen tatsächliche patientenzentrierte Endpunkte vorhersagen. Zum Beispiel gehen Kliniker in der Regel davon aus, dass die Senkung des Blutdrucks den patientenrelevanten Endpunkt Tod infolge von Komplikationen einer unbehandelten Hypertonie (z. B. durch Myokardinfarkt oder Schlaganfall) verhindern kann. Es ist jedoch vorstellbar, dass ein Medikament den Blutdruck senkt, aber nicht die Mortalität verringert. Somit sind Surrogatendpunkte weniger wünschenswerte Wirksamkeitsmaße als patientenzentrierte Endpunkte, jedoch in der Anwendung häufig praktikabler.
Surrogatendpunkte sollten idealerweise eine nachgewiesene Korrelation mit patientenrelevanten Endpunkten aufweisen. Es gibt zahlreiche Studien, bei denen eine solche Korrelation scheinbar gegeben ist, aber nicht wirklich vorhanden war. Beispielsweise führte die Behandlung postmenopausaler Frauen mit Östrogen und Progesteron zwar zu einem günstigeren Lipidprofil, erreichte jedoch nicht die hypothetische Reduktion von Myokardinfarkten oder kardialen Todesfällen. Ein weiteres Beispiel sind orale Antihyperglykämika, die zwar Blutglukose- und HbA1C-Konzentrationen senken, aber nicht das Risiko kardialer Ereignisse reduzieren. Manche Antihypertensiva senken zwar den Blutdruck, verringern aber nicht das Risiko für einen Schlaganfall.
Literatur zur Wirksamkeit und Effektivität
1. Christensen R, Ciani O, Manyara AM, Taylor RS. Surrogate endpoints: a key concept in clinical epidemiology. J Clin Epidemiol. 2024;167:111242. doi:10.1016/j.jclinepi.2023.111242
2. Califf RM. Biomarker definitions and their applications. Exp Biol Med. (Maywood). 2018;243(3):213-221. doi:10.1177/1535370217750088
Plazebos
Der Begriff Plazebo (lateinisch für "ich werde gefallen") bezog sich zunächst auf eine inaktive, unschädliche Substanz, die Patienten gegeben wird, damit sie sich durch die Kraft der Suggestion besser fühlen.
Ein Placebo wird in einer klinischen Studie als Vergleichssubstanz zur aktiven Behandlung verwendet. „Placebo“ bezieht sich in der Regel auf eine Substanz, die als Vergleichssubstanz zu dem untersuchten Medikament verwendet wird, kann sich aber auch auf die Verwendung einer Scheinintervention in Studien zu medizinischen Verfahren beziehen (z. B. simulierte elektrische Stimulation, simulierte chirurgische Eingriffe).
Placebo-Präparate können, auch wenn sie als inaktive Substanzen gedacht sind, dennoch Wirkungen haben und werden in der klinischen Praxis manchmal als Therapie eingesetzt.
Placebo-Effekte
Placebos, obwohl physiologisch inaktiv, können mit Nutzen oder Schäden verbunden sein. Diese Wirkungen scheinen mit der Erwartung verbunden zu sein, dass die Intervention wirksam ist; die Erwartung unerwünschter Wirkungen wird manchmal als Nocebo-Effekt bezeichnet. Der Plazebo-Effekt zeigt sich in der Regel mehr durch subjektive (z. B. Schmerzen, Übelkeit) und weniger durch objektive Reaktionen (z. B. Geschwindigkeit der Heilung eines Beingeschwürs, Infektionsrate von Brandwunden).
Das Ausmaß der Reaktion auf ein Placebo variiert in Abhängigkeit von zahlreichen Faktoren, darunter:
dem durch den Arzt vermittelten Vertrauen ("Sie werden sich dadurch viel besser fühlen" gegenüber "Es gibt die Möglichkeit, dass Ihnen das helfen könnte")
die Überzeugung des Patienten (der Effekt ist größer, wenn die Patienten überzeugt sind, dass sie ein wirksames Arzneimittel erhalten, als wenn sie wissen, dass sie eventuell ein Plazebo bekommen)
Art des Placebos (z. B. haben injizierte Substanzen einen größeren Placebo-Effekt als orale).
Individuelle Merkmale oder Merkmale der Studienteilnehmerpopulation können die Tendenz zum Ansprechen auf Placebos beeinflussen (1, 2).
Anwendung von Placebos in klinischen Studien
In vielen klinischen Studien werden Teilnehmer randomisiert einer Behandlung mit Medikament oder Placebo zugeteilt, um den Behandlungseffekt zu ermitteln; für eine aussagekräftige Bewertung ist ein klinisch und statistisch signifikanter Unterschied im Endpunkt zwischen beiden Gruppen erforderlich. In einigen Studien verbesserten sich die Endpunkte sowohl in der Behandlungs- als auch der Placebogruppe, was den Nachweis der Wirksamkeit der aktiven Behandlung erschwert.
Anwendung von Placebos in der klinischen Praxis
Es kommt heute zwar selten vor, aber wenn es für die Behandlung einer leichten, spontan heilenden Erkrankung eines Patienten (z. B. bei unspezifischem Unwohlsein oder Müdigkeit) kein aktives Arzneimittel gibt oder nicht indiziert ist, kann ein Plazebo verordnet werden. Der Grund dafür ist zum einen, dass dem Wunsch des Patienten nach einer Behandlung durch die Gabe eines Plazebos entgegengekommen wird, ohne ihn etwaigen Nebenwirkungen auszusetzen. Zum anderen erfährt er eine Linderung, entweder aufgrund des Plazebo-Effekts oder einer spontanen Heilung.
Placebos und ethische Überlegungen
Die Teilnehmer an klinischen Studien werden im Rahmen des Verfahrens der informierten Zustimmung darüber informiert, dass sie die Behandlung oder ein Placebo erhalten können.
Manchmal stellt sich die ethische Frage, ob überhaupt ein Placebo verabreicht werden sollte. Wenn eine wirksame Behandlung verfügbar ist (z.B. Opioidanalgetika bei starken Schmerzen), gilt es generell als unethisch, Studienteilnehmer durch Placebogabe eine Therapie vorzuenthalten; in solchen Fällen wird eine etablierte Behandlung als Vergleichsintervention verwendet.
Wenn den Patienten jedoch ein Placebo im klinischen Alltag verabreicht wird, wird ihnen nicht gesagt, dass sie eine inaktive Substanz erhalten. Die Behandlung wird unterschiedlich beurteilt. Manche Ärzte betrachten es prima facie (lat. "auf den ersten Blick") als unethisch und sehen das Arzt-Patienten-Verhältnis als gefährdet an, wenn der Patient von der Plazebo-Behandlung erfährt. Andere empfinden es als unethischer, einem Patienten etwas vorzuenthalten, was ihm helfen könnte. Darüber hinaus kann es als unethisch betrachtet werden, wenn ein aktives Arzneimittel nur aufgrund eines Plazebo-Effekts gegeben wird, weil der Patient dadurch tatsächlichen Nebenwirkungen ausgesetzt wird (im Gegensatz zu den Nozebo-Nebenwirkungen).
Literatur zu Placebos
1. Hafliðadóttir SH, Juhl CB, Nielsen SM, et al. Placebo response and effect in randomized clinical trials: meta-research with focus on contextual effects. Trials. 2021;22(1):493. Published 2021 Jul 26. doi:10.1186/s13063-021-05454-8
2. Kern A, Kramm C, Witt CM, Barth J. The influence of personality traits on the placebo/nocebo response: A systematic review. J Psychosom Res. 2020;128:109866. doi:10.1016/j.jpsychores.2019.109866
Arzneimittelsicherheit
Unerwünschte Arzneimittelreaktion (auch als unerwünschte Arzneimittelwirkung bezeichnet) ist ein breiter Begriff, der sich auf eine unbeabsichtigte Wirkung eines Medikaments bezieht, die unerwünscht, unangenehm oder schädlich ist. Zu den schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen gehören solche, die lebensbedrohlich sind oder zu Krankenhausaufenthalten, Behinderungen oder angeborenen Anomalien führen.
Die Sicherheit von Arzneimitteln wird durch patientenzentrierte Endpunkte definiert. Surrogatparameter für unerwünschte Wirkungen (z.B. Veränderungen von Serummarkerkonzentrationen) werden häufig in klinischen Studien verwendet, sollten jedoch idealerweise mit patientenrelevanten Nebenwirkungen korrelieren.
Sorgfältig konzipierte klinische Studien zum Wirksamkeitsnachweis können unerwünschte Wirkungen nicht identifizieren, wenn die Zeit, die benötigt wird, um eine unerwünschte Wirkung zu entwickeln, länger ist als die Zeit, die benötigt wird, um einen Nutzen zu zeigen, oder wenn die unerwünschte Wirkung selten ist. Zum Beispiel können Protonenpumpenhemmer die Symptome der gastroösophagealen Refluxkrankheit innerhalb weniger Tage lindern, und so kann ihre Wirksamkeit in einer vergleichsweise kurzen Studie gezeigt werden. Die Langzeiteinnahme wurde jedoch mit einer Vitamin-B12-Malabsorption assoziiert, die in Kurzzeitstudien nicht nachweisbar war. Aus diesem Grund und weil klinische Studien bestimmte Patientengruppen und Hochrisikopatienten ausschließen können, sind unerwünschte Wirkungen oft erst nach jahrelangem breiten klinischen Einsatz eines Medikaments vollständig bekannt.
