One Health verstehen
Kommentar24.01.23 Ernest Yeh, MD; Nicholas J. Roman, DVM, MPH

Dieser Kommentar zu One Health, verfasst von MSD Manuals Physician Editor Ernest Yeh, MD, und MSD Veterinary Manual Editor Nicholas Roman, DVM, MPH, betrachtet One Health aus tierärztlicher und ärztlicher Sicht. Sie behandeln Themen, die von der Verbindung zwischen der Gesundheit von Mensch und Tier bis zur Mensch-Tier-Beziehung reichen, und gehen der Frage nach, was One Health zukünftig sowohl für das medizinische als auch für das veterinärmedizinische Fachgebiet bedeutet.


  1. Was ist One Health?
    1. NR: One Health ist die Idee, dass die Gesundheit von Menschen, anderen Tieren und der Umwelt auf entscheidende Weise miteinander verbunden sind. Daher sollten medizinische und veterinärmedizinische Fachkräfte sowie diejenigen in anderen wissenschaftlichen, Gesundheits- und Umweltdisziplinen kommunizieren und zusammenarbeiten, anstatt isoliert voneinander zu arbeiten.
    2. EY: Ich stimme Nicks Zusammenfassung zu – One Health kann helfen, die Lücke zwischen human- und veterinärmedizinischer Gesundheit zu schließen.
  2. Wie wird One Health sowohl von der Warte der menschlichen Gesundheit als auch von der der veterinärmedizinischen Gesundheit angesehen?
    1. NR: Viele staatliche und internationale Behörden (die CDC, FDA, USDA, AVMA, WHO, FAO und andere) unterstützen One Health. In der Veterinärmedizin ist One Health jedoch nichts, was oft besprochen wird. Ein durchschnittlicher Tierarzt in der klinischen Praxis hat vielleicht nicht unbedingt One Health im Kopf, wenn er seiner täglichen Arbeit nachgeht.
    2. EY: Im Bereich der menschlichen Gesundheit wird One Health nicht oft betont oder diskutiert. In medizinischen Fakultäten wird One Health innerhalb des Lehrplans sehr selten speziell genannt. Sie behandeln Infektionskrankheiten und zoonotische Krankheiten, sprechen aber in der Regel nicht vor dem Hintergrund von One Health darüber. Ich denke, dass medizinische Fakultäten mehr tun könnten, um One Health in den Vordergrund zu rücken, indem sie dessen Bedeutung hervorheben. Ähnlich wie bei Medizinstudenten betrachtet der gewöhnliche Arzt One Health wahrscheinlich nicht als oberste Priorität. Sie betrachten Krankheiten wie die Lyme-Borreliose, die ein One-Health-Problem ist, da sie durch Zecken übertragen wird, aber sie denken nicht über andere Auswirkungen, als die auf den Menschen, nach. Wir könnten mehr tun, um diese Denklücke zu schließen.
  3. Wie haben Human- und Veterinärmedizin zur wechselseitigen Entwicklung beigetragen?
    1. NR: In vielerlei Hinsicht legt die Humanmedizin die Messlatte fest, nach der Tierärzte streben, indem sie etwa daran arbeiten, Tieren das gleiche Maß an Pflege zur Verfügung zu stellen; zum Beispiel sind fortschrittliche Bildgebungsverfahren wie CT und MRT bei Tierärzten immer häufiger verbreitet. Auch Tierärzte legen einen Eid darüber ab, ihre wissenschaftliche Ausbildung für den Fortschritt medizinischer Erkenntnisse einzusetzen. Seit der Genus Salmonella nach Daniel Salmon – dem ersten Tierarzt, der seinen Abschluss in den USA gemacht hat – benannt wurde, hat die veterinäre Forschung viele bahnbrechende Beiträge zur Medizinwissenschaft geleistet, die auf die menschliche Gesundheit angewendet werden.
    2. EY: Viele Entdeckungen in der Humanmedizin werden jetzt in der Veterinärmedizin verwendet, und umgekehrt. Dies ist das Ergebnis der Identifizierung neuer Praktiken und deren Anwendung über Spezies hinweg.
  4. Wie wird das Konzept von One Health derzeit in der Praxis sowohl im veterinärmedizinischen als auch im medizinischen Bereich angewendet?
    1. NR: Ein Zeichen für eine zunehmende Anerkennung der One-Health-Idee ist die Ausweitung der Rollen für Tierärzte, wie z. B. bei der CDC, der FDA und dem NIH. Medizinische Fakultäten und Hochschulen für Veterinärmedizin streben ebenfalls danach, traditionelle Sparten aufzulösen und wissenschaftliche Kooperationen zu fördern. Trotzdem glauben viele einzelne Ärzte unter Umständen, dass One Health nur eine marginale Rolle in ihren Schwerpunkten und Interessenbereichen spielt.
    2. EY: Ich glaube nicht, dass One Health derzeit im medizinischen Bereich in der Praxis verwendet wird – zumindest nicht direkt. Wir verwenden es möglicherweise (z. B. bei der Behandlung von Krankheiten, die vom Tier übertragen werden oder wenn wir jemandem raten, ein Therapietier zu verwenden), aber uns ist dabei nicht unbedingt klar, dass wir One-Health-Konzepte verwenden.
  5. Wie wirkt sich die Mensch-Tier-Bindung auf die menschliche Gesundheit aus?
    1. NR: Die Mensch-Tier-Interaktion fördert die Gesundheit auf viele Arten, wie z. B. durch vermehrte körperliche und soziale Aktivität (wie etwa ein Ausflug in den Hundepark). Die physiologischen Vorteile, die das Besitzen eines Haustieres mit sich bringt oder auch nur eine regelmäßige kurze Interaktion mit Tieren wurden gut dokumentiert. Beim Verlust eines Haustieres erleben Haustierbesitzer oft starke Trauer mit begleitenden physiologischen Auswirkungen wie Schlafstörungen – ein Zeugnis der Realität und Stärke der Bindung von Mensch und Tier.
    2. EY: Wie Nick bereits erwähnte, kann eine Mensch-Tier-Interaktion die Gesundheit auf vielerlei Weise fördern. Viele Menschen sehen ihre Haustiere als ein Familienmitglied an, das eine große Rolle bei der Förderung der psychischen Gesundheit spielen kann.
  6. Genauer gesagt, wie wirkt sich die Bindung von Mensch und Tier auf die psychische Gesundheit aus?
    1. NR: Eine tierische Kameradschaft bereichert unser Leben und verbessert unser psychisches und emotionales Wohlbefinden. Eine tiergestützte Therapie ist hilfreich bei einer Vielzahl von psychischen Gesundheitsproblemen, einschließlich posttraumatischer Belastung, affektive und Zwangsstörungen. Am negativen Ende des Spektrums tragen psychische Gesundheitsprobleme zum Horten von Tieren bei, und die grausame und missbräuchliche Haltung von Tieren ist mit Gewalt gegen Menschen verknüpft.
    2. EY: Wie Nick bereits sagte, kann die Kameradschaft eines Tieres für die menschliche Gesundheit von Vorteil sein. Andererseits kann es negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben, wenn wir ein Haustier verlieren. Ähnlich wie beim Verlust eines Familienmitglieds oder Freundes durchlaufen wir die Phasen der Trauer.
  7. Wie tragen Service- und Therapietiere zur menschlichen Gesundheit bei?
    1. NR: Servicetiere bieten Komfort, Begleitung und eine gesunde Ablenkung in Umgebungen wie Pflegeheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen. Assistenztiere werden geschult, um Personen mit sensorischen und anderen Beeinträchtigungen zu helfen. Einige Servicehunde können ihre Besitzer sogar auf bevorstehende Krampfanfälle aufmerksam machen.
    2. EY: Servicetiere werden geschult, um eine konkrete Aufgabe für Menschen mit bestimmten Erkrankungen auszuführen. Zum Beispiel kann eine Person mit Krampfanfällen über ein Servicetier verfügen, das geschult ist, um zu erkennen, dass die Person kurz vor einem Krampfanfall steht, und die Person (oder eine andere Person in der Nähe) warnen, dass gleich ein Krampfanfall einsetzen wird. Der Patient kann sich dann hinsetzen oder hinlegen, um Verletzungen durch Stürze während eines Krampfanfalls zu vermeiden. Das Servicetier kann auch versuchen, den Kopf der Person zu schützen, um dadurch zusätzliche Verletzungen zu verhindern. Auf der anderen Seite bieten Therapiehunde die Möglichkeit, in einer Vielzahl von Umgebungen wie Krankenhäusern, Pflegeheimen und betreuten Wohnzentren Stress zu lindern (durch Streicheln, spielerische Interaktionen). Therapiehunde erhalten eine Schulung, um sicherzustellen, dass sie in den für sie vorgesehenen Umgebungen angemessen und sicher interagieren können.
  8. Wie wirkt sich die Umweltgesundheit auf die Gesundheit von Mensch und Tier aus?
    1. NR: Umweltfaktoren fördern Krankheitsausbrüche bei Wildtieren, Haustieren und Menschen, und Umweltveränderungen beeinflussen das Krankheitsrisiko für Tiere und Menschen gleichermaßen. Landwirte, die Tiere in größerer Anzahl und Dichte als je zuvor aufziehen, um eine wachsende Bevölkerung zu ernähren… Naturschützer, die daran arbeiten, gefährdete Spezies und Ökosysteme zu retten… eine Hunderettung, die nach einem Hurrikan bemüht ist, streunende Hunde zu vermitteln…diese Szenarien illustrieren, wie Umwelt, Mensch und Tier miteinander verbunden sind. Um es mit einem Zitat aus „Der König der Löwen“ zu sagen: „Alles [...] existiert zusammen in einem empfindlichen Gleichgewicht. [...] Wir sind alle im großen Kreis des Lebens miteinander verbunden.“
    2. EY: Mit zunehmender Bevölkerungsdichte stoßen wir in wilde, unbewohnte Bereiche vor. Dies kann zu Interaktionen mit Wildtieren führen, die für die Gesundheit von Umwelt, Mensch und Tier von entscheidender Bedeutung sein könnten. Unsere wachsende Bevölkerung hat auch Auswirkungen auf unsere Nahrungsmittelversorgung, die derzeit größtenteils von Tieren abhängig ist. Dies sind nur einige Beispiele für die Zusammenhänge von Human-, Tier- und Umweltgesundheit.
  9. Wie wirkt sich One Health auf unser Verständnis von Krankheiten wie COVID-19 und Affenpocken (Mpox) aus?
    1. NR: Die meisten neu auftretenden Infektionskrankheiten sind zoonotisch (Übertragung zwischen Mensch und Tier). Nicht-humane Tiere können Infektionsreservoirs in der Natur sein; Krankheiten bei Tieren können ein Warnhinweis sein, dass diese beim Menschen auftreten könnten. Die Anerkennung des Zusammenhangs zwischen dem Einfluss des Menschen auf die Umwelt (Klimaveränderung, Verlust von Lebensraum für Wildtiere) und der Art und Weise, wie sich dies wiederum auf die menschliche Gesundheit auswirkt, ist ein Eckpfeiler des One-Health-Konzepts. Interdisziplinäre, wissenschaftsbasierte Kooperationen werden erforderlich sein, um diese Arten von Problemen anzugehen.
    2. EY: Wir sind uns bewusst, dass es eine immense Wechselwirkung zwischen der Tier- und der Menschenpopulation gibt. Im Zuge der andauernden Beobachtung und Forschung werden wir mehr über die Interaktion und Verbindung zwischen den beiden herausfinden.
  10. Wie wirkt sich der One-Health-Ansatz auf das langfristige Potenzial für medizinische und veterinärmedizinische Fortschritte aus?
    1. NR: Eine Anwendung des One-Health-Konzepts ist die biomedizinische Forschung, die die Gesundheit von Menschen und Tieren verbindet. Der vergleichende medizinische Ansatz hat sich als sehr produktiv erwiesen und verspricht große Fortschritte in der medizinischen und veterinärmedizinischen Wissenschaft. Erhöhte veterinärmedizinische Kreuzinteraktionen haben das Potenzial, die Entwicklung neuer Therapeutika voranzutreiben.
    2. EY: Ich glaube, One Health hat das Potenzial, die menschliche und veterinärmedizinische Gesundheit besser zu verbinden und wie wir uns gegenseitig verstehen. Einige Arbeiten müssen im humanmedizinischen Bereich, insbesondere in medizinischen Fakultäten, durchgeführt werden, um One Health besser hervorzuheben.
  11. Wie steht One Medicine mit One Health in Zusammenhang?
    1. NR: One Medicine ist die gemeinsame Arbeit von Veterinär- und Humanmedizinern in der Bekämpfung gemeinsamer Krankheiten. One Health baut auf diesem Konzept auf, indem es die Gesundheit der Umwelt mit einbezieht. Die Prävention und Beseitigung von Bleikontamination in der Umwelt ist ein Beispiel, das sowohl Menschen als auch Tiere betrifft und mehr als die medizinische Praxis umfasst, nämlich auch die Gesundheit der Umwelt.
    2. EY: Ich stimme Nicks Zusammenfassung von One Medicine zu und wie sie sich auf unser Verständnis von One Health auswirkt.
  12. Wie kann der gewöhnliche Arzt oder Tierarzt One Health in seine Praxis einbringen?
    1. NR: Viele betrachten One Health möglicherweise nur als auf große, komplexe, grenzübergreifende Probleme anwendbar, wie etwa eine globale Pandemie. Die Verabreichung von Impfstoffen, die Verschreibung von Parasitenpräventionsmitteln oder antimikrobiellen Mitteln, das Gespräch mit einem Besitzer über die Vorbeugung von Hundebissen bei Kindern oder das Sterilisieren einer Katze, die ins Freie gelassen wird, – dies sind alles Aktivitäten im Bereich One Health. Jeder Tierarzt hat unzählige Möglichkeiten, die öffentliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen.
    2. EY: Da One-Health-Botschafter ihre Reichweite kontinuierlich ausbauen, wird dies den gewöhnlichen Arzt stärker beeinflussen. Dies kann zu einem breiteren Verständnis von One Health beitragen und dabei helfen, eine Brücke zwischen Disziplinen der Human- und Tiergesundheit zu schlagen. Dies könnte zu mehr Verständnis und Zusammenarbeit führen.