Zwangsstörung (OCD) und verwandte Störungen im Kindes- und Jugendalter

VonJosephine Elia, MD, Sidney Kimmel Medical College of Thomas Jefferson University
Überprüft/überarbeitet Mai 2023
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Die obsessive Zwangsstörung ist durch Obsessionen und/oder Zwänge gekennzeichnet. Obsessionen sind unwiderstehliche, anhaltende Ideen, Bilder oder Impulse, etwas zu tun. Zwänge sind der pathologische Drang, auf einen Impuls zu reagieren, der, wenn ihm widerstanden wird, zu übermäßiger Angst und Not führt. Zwänge verursachen großes Leid und interferieren mit den Schulleistungen oder der sozialen Interaktion. Die Diagnose wird aufgrund der klinischen Kriterien gestellt. Die Behandlung erfolgt mit Verhaltenstherapie und selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI).

(Siehe auch Zwangsstörung bei Erwachsenen.)

Das mittlere Alter bei Beginn einer Zwangsstörung (OCD) ist 19 bis 20 Jahre; über 21% der Fälle beginnen vor dem Alter von 10 Jahren (1).

Zwangsstörungen umfassen mehrere verwandte Störungen, einschließlich

Einige Kinder, insbesondere Jungen, haben auch eine Ticstörung.

Allgemeiner Hinweis

  1. 1. Kessler RC, Berglund P, Demler O, et al: Lifetime prevalence and age-of-onset distributions of DSM-IV disorders in the National Comorbidity Survey Replication. Arch Gen Psychiatry 62(6):593-602, 2005. doi: 10.1001/archpsyc.62.6.593

Ätiologie

Studien legen nahe, dass es eine familiäre Komponente gibt (1). Die Gennetzwerke der Zwangsstörung sind hochkomplex und umfassen Gene, die an der synaptischen Übertragung, der Neuroentwicklung sowie dem Immun- und Entzündungssystem beteiligt sind (2). Studien zur neurologischen Bildgebung weisen auf ein mögliches Problem mit den kortiko-striatalen-thalamischen Schaltkreisen hin (3).

Es gibt Hinweise darauf, dass einige Fälle mit akutem (über Nacht) Beginn mit einer Infektion in Verbindung gebracht wurden (4, 5). Diejenigen, die mit beta-hämolytischen Streptokokken der Gruppe A assoziiert sind, werden PANDAS ("pediatric autoimmune neuropsychiatric disorder associated with streptococcus") genannt. Diejenigen, die mit anderen Infektionen assoziiert sind, werden PANS ("pediatric acute-onset neuropsychiatric syndrome") genannt. Die Hochregulierung und Vermehrung "unreifer" zirkulierender Monozyten, die in das Gehirn eindringen und die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine erhöhen können, spielen bei pädiatrischen Zwangsstörungen ebenfalls eine Rolle (6–8).

Die Forschung auf diesem Gebiet ist noch nicht abgeschlossen und wird kontrovers diskutiert, und bei Verdacht auf PANDAS oder PANS wird eine Konsultation mit einem Spezialisten für diese Erkrankungen empfohlen.

Literatur zur Ätiologie

  1. 1. Hanna GL, Himle JA, Curtis GC, et al: A family study of obsessive-compulsive disorder with pediatric probands. Am J Med Genet B Neuropsychiatr Gen 2005;134B(1):13-19, 2005. doi: 10.1002/ajmg.b.30138 

  2. 2. Saraiva LC, Cappi C, Simpson HB, et al: Cutting-edge genetics in obsessive-compulsive disorder. Fac Rev 9:30, 2020. doi: 10.12703/r/9-30

  3. 3. Fitzgerald KD, Welsh RC, Stern ER, et al: Developmental alterations of frontal-striatal-thalamic connectivity in obsessive-compulsive disorder. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 50(9):938-948.e3, 2011. doi: 10.1016/j.jaac.2011.06.011

  4. 4. Murphy TK, Kurlan R, Leckman J: The immunobiology of Tourette's disorder, pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with Streptococcus, and related disorders: A way forward. J Child Adolesc Psychopharmacol 20(4):317-331, 2010. doi: 10.1089/cap.2010.0043

  5. 5. Esposito S, Bianchini S, Baggi E, et al: Pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections: An overview. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 33:2105-2109, 2014.

  6. 6. Rodriguez N, Morer A, Gonzalez-Navarro EA, et al: Inflammatory dysregulation of monocytes in pediatric patients with obsessive-compulsive disorder. J Neuroinflammation 14(1):261, 2017. doi: 10.1186/s12974-017-1042-z

  7. 7. Wohleb ES, McKim DB, Sheridan JF, et al: Monocyte trafficking to the brain with stress and inflammation: A novel axis of immune-to-brain communication that influences mood and behavior. Front Neurosci 8:447, 2014. doi: 10.3389/fnins.2014.00447

  8. 8. Cosco TD, Pillinger T, Emam H, et al: Immune aberrations in obsessive-compulsive disorder: A systematic review and meta-analysis. Mol Neurobiol 56(7):4751-4759, 2019. doi: 10.1007/s12035-018-1409-x

Symptome und Beschwerden

Die OCD hat typischerweise einen allmählichen, heimtückischen Beginn. Die meisten Kinder verheimlichen ihre Symptome und berichten, dass sie jahrelang mit den Symptomen gekämpft haben, bevor eine endgültige Diagnose gestellt wurde.

Obsessionen werden normalerweise als Sorge und Furcht vor Verletzung erlebt, z. B. die Angst davor, sich eine tödliche Krankheit zuzuziehen, sich zu versündigen und dafür in die Hölle zu kommen oder sich selbst oder anderen Verletzungen zuzufügen. Zwänge sind vorsätzliche, intendierte Handlungen, die normalerweise in der Absicht ausgeführt werden, zwanghafte Ängste zu neutralisieren oder auszugleichen, wie z. B. Kontrollverhalten, exzessives Waschen, Zählen, Ordnen u. v. m. Die Verbindung zwischen Obsession und Zwang kann ein logisches Element beinhalten, z. B. das Händewaschen, um eine Krankheit zu verhüten. In anderen Fällen kann die Verbindung unlogisch und idiosynkratisch sein, z. B. immer wieder bis 50 zu zählen, damit Großvater keinen Herzinfarkt bekommt. Wenn Kinder an der Durchführung ihrer Zwänge gehindert werden, werden sie übermäßig ängstlich und besorgt.

Die meisten Kinder sind sich bewusst, dass ihre Zwänge und ihre Besessenheit nicht normal sind. Viele betroffene Kinder sind verschämt und verschlossen. Häufige Symptome sind

  • Raue, aufgerissene Hände als auffälliges Symptom bei Waschzwang

  • Langandauernde Aufenthalte im Badezimmer

  • Sehr viel Zeit für die Hausaufgaben verbringen (wegen einer Obsession über Fehler)

  • Sehr viele eigene Korrekturen in Schularbeiten

  • Ausführen von repetitiven oder seltsamen Handlungen wie z. B. die Türschlösser kontrollieren, beim Essen eine bestimmte Anzahl von Kaubewegungen pro Bissen ausführen oder bestimmte Gegenstände nicht berühren.

  • Häufiges besorgtes Nachfragen in der Hoffnung auf beruhigende Antworten, z. B. Dutzende oder sogar Hunderte von Malen fragen: Habe ich Fieber? Könnte ein Tornado hierher kommen? Glaubst du, das Auto springt an? Was, wenn wir zu spät kommen? Was, wenn die Milch sauer ist? Was, wenn Einbrecher kommen?“

Diagnose

  • Psychiatrische Beurteilung

  • Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5-TR) Kriterien

Die Diagnose einer OCD wird klinisch gestellt. Sobald eine vertrauensvolle Beziehung mit einem unvoreingenommenen Therapeuten aufgebaut ist, offenbart das betroffene Kind in der Regel viele Obsessionen und damit verbundene Zwänge. Allerdings sind in der Regel mehrere Termine erforderlich, um erst einmal Vertrauen aufzubauen.

Die Diagnose einer Zwangsstörung erfordert, dass die Obsessionen und Zwänge große Belastungen verursachen und das akademische oder soziale Funktionieren beeinträchtigen.

Kinder mit einer Zwangsstörung haben oft Symptome von anderen Angststörungen, einschließlich Panikattacken, Trennungsangst und besondere Phobien. Diese Symptome können sich manchmal überlagern und damit die Diagnose verkomplizieren. Die Differenzialdiagnose kann in den folgenden Fällen schwierig sein:

  • Früh einsetzende Psychose: Im Gegensatz zu Erwachsenen erkennen Kinder nicht immer den irrealen Charakter von Symptomen einer Zwangsstörung.

  • Autismus-Spektrum-Störung: Intensive Interessen und Zwänge können bei Autismus auftreten. Anders als bei einer Zwangsstörung, bei der diese Aktivitäten als aufdringlich und problematisch empfunden werden können, bevorzugen Kinder mit Autismus diese Aktivitäten.

  • Komplexe Ticstörungen: Komplexe Tics können schwierig von Zwängen zu unterscheiden sein.

Diagnostische Kriterien für PANDAS und PANS wurden entwickelt (1, 2).

Literatur zur Diagnose

  1. 1. Chang K, Frankovich J, Cooperstock M, et al: Clinical evaluation of youth with pediatric acute-onset neuropsychiatric syndrome (PANS): Recommendations from the 2013 PANS Consensus Conference. J Child Adolesc Psychopharmacol 25(1):3-13, 2015. doi: 10.1089/cap.2014.0084

  2. 2. Swedo SE, Leckman JF, Rose NR: From research subgroup to clinical syndrome: Modifying the PANDAS criteria to describe PANS (pediatric acute-onset neuropsychiatric syndrome). Pediatr Therapeutics 2:1-8, 2012. doi: 10.4172/2161-0665.1000113 

Therapie

  • Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Graded Exposure and Response Prevention (1)

  • In der Regel selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs; [2])

Kognitive Verhaltenstherapie ist hilfreich, wenn Kinder motiviert sind und die Aufgaben ausführen können, und sollten die Behandlung erster Wahl sein.

SSRI sind die wirksamsten Medikamente und werden in der Regel gut vertragen (siehe Tabelle Medikamente für die Langzeitbehandlung von Angst und verwandten Störungen); alle sind gleich wirksam.

Bei schweren Zwangsstörungen wird eine Kombination aus SSRI und CBT empfohlen (3).

Bei therapierefraktärer OCD könnten die folgenden Strategien in Betracht gezogen werden:

  • Versuch mit einem anderen SSRI

  • Ergänzung des SSRI mit einem atypischen Antipsychotikum (4–6) oder seltener Lithium (7), Riluzol (8), N-Acetylcystein (9, 10)

  • Clomipramin

Clomipramin (11) kann bei Kindern, nicht aber bei Erwachsenen, wirksamer sein und eine bessere Ansprechrate haben als SSRI (12). Clomipramin kann ein höheres Risiko für unerwünschte Wirkungen haben, einschließlich anticholinerger und kardialer Wirkungen sowie Krampfanfälle.

Die transkranielle Magnetstimulation ist von der U.S. Food and Drug Administration für Erwachsene zugelassen, und es werden Tests zur Anwendung bei Kindern durchgeführt.

Wenn die Kriterien für PANS/PANDAS erfüllt sind, können Kliniker Antibiotika versuchen (wie Beta-Lactame, die die glutamaterge Aktivität reduzieren). Wenn jedoch die Symptome anhalten, sind die typischen Behandlungen für Zwangsstörungen hilfreich und sollten umgesetzt werden.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Uhre CF, Uhre VF, Lonfeldt NN, et al: Systematic review and meta-analysis: Cognitive-behavioral therapy for obsessive-compulsive disorder in children and adolescents. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 59(1)59:64-77, 2020. doi: 10.1016/j.jaac.2019.08.480

  2. 2. Geller DA, Biederman J, Stewart SE, et al: Which SSRI? A meta-analysis of pharmacotherapy trials in pediatric obsessive-compulsive disorder. Am J Psychiatry 160(11):1919-1928, 2003. doi: 10.1176/appi.ajp.160.11.1919

  3. 3. Sanchez-Meca J, Rosa-Alcazar AI, Iniesta-Sepulveda M, et al: Differential efficacy of cognitive-behavioral therapy and pharmacological treatments for pediatric obsessive-compulsive disorder: A meta-analysis. J Anxiety Disord 28(1):31-44. doi: 10.1016/j.janxdis.2013.10.007

  4. 4. Fitzgerald KD, Stewart CM, Tawile V, et al: Risperidone augmentation of serotonin reuptake inhibitor treatment of pediatric obsessive compulsive disorder. J Child Adolesc Psychopharm 9(2):115-123, 1999. doi: 10.1089/cap.1999.9.115

  5. 5. Figueroa Y, Rosenberg DR, Birmaher B, et al: Combination treatment with clomipramine and selective serotonin reuptake inhibitors for obsessive-compulsive disorder in children and adolescents. J Child Adolesc Psychopharmacol 8(1):61-67, 1998. doi: 10.1089/cap.1998.8.61

  6. 6. Simeon JG, Thatte S, Wiggins D: Treatment of adolescent obsessive-compulsive disorder with a clomipramine-fluoxetine combination. Psychopharmacol Bull 26(3):285-290, 1990.

  7. 7. McDougle CJ, Price LH, Goodman WK, et al: A controlled trial of lithium augmentation in fluvoxamine-refractory obsessive-compulsive disorder: Lack of efficacy. J Clin Psychopharmacol 11(3):175-184, 1991.

  8. 8. Grant PJ, Joseph LA, Farmer CA, et al: 12-week, placebo-controlled trial of add-on riluzole in the treatment of childhood-onset obsessive-compulsive disorder. Neuropsychopharmacology 39(6):1453-1459, 2013. doi: 10.1038/npp.2013.343

  9. 9. Afshar H, Roohafza H, Mohammad-Beigi HM, et al: N-acetylcysteine add-on treatment in refractory obsessive-compulsive disorder: A randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Clin Psychopharmacol 32(6):797-803, 2012. doi: 10.1097/JCP.0b013e318272677d

  10. 10. Sarris J, Oliver G, Camfield DA, et al: N-acetyl cysteine (NAC) in the treatment of obsessive-compulsive disorder: A 16-week, double-blind, randomised, placebo-controlled study. CNS Drugs 29(9):801-809, 2015. doi: 10.1007/s40263-015-0272-9

  11. 11. DeVeaugh-Geiss J, Moroz G, Beiderman J, et al: Clomipramine hydrochloride in childhood and adolescent obsessive-compulsive disorder—A multicenter trial. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 31(1):45-49, 1992. doi: 10.1097/00004583-199201000-00008

  12. 12. Mundo E, Maina G, Uslenghi C: Multicentre, double-blind, comparison of fluvoxamine and clomipramine in the treatment of obsessive-compulsive disorder. Int Clin Psychopharmacol 15(2):69-76, 2000. doi: 10.1097/00004850-200015020-00002

Prognose

Bei 5% der Fälle ist die Störung nach einigen Jahren überwunden und bei etwa 40% wird sie vor dem jungen Erwachsenenalter überwunden. Die Behandlung kann dann gestoppt werden. Bei anderen Kindern neigt die Störung dazu, chronisch zu sein, das Alltagsleben kann aber mit einer begleitenden Behandlung in der Regel bewältigt werden. Ungefähr 5% der Kinder sind nicht behandelbar und bleiben massiv beeinträchtigt.

Wichtige Punkte

  • Kinder erleben in der Regel Besessenheit als Sorge oder Angst vor Schaden (z. B. eine tödliche Krankheit, Sünde und Höllenfahrt, Selbstverletzung).

  • Zwänge (z. B. exzessives Waschen, Zählen, Arrangieren) werden bewusst durchgeführt, um normalerweise zwanghafte Ängste zu neutralisieren oder auszugleichen.

  • Nicht in der Lage zu sein, ihre Zwänge auszuführen, macht Kinder übermäßig ängstlich und besorgt.

  • Stellen Sie eine angenehme Beziehung zum Kind her und halten Sie eine unvoreingenommene Haltung ein, sodass sich das Kind in der Lage fühlt, Obsessionen und damit verbundene Zwänge offenzulegen.

  • Versuchen Sie eine kognitive Verhaltenstherapie, wenn Kinder motiviert sind und die Aufgaben ausführen können, aber Medikamente (in der Regel SSRIs) benötigt werden.