Aberrationen der Geschlechtschromosomen im Überblick

VonNina N. Powell-Hamilton, MD, Sidney Kimmel Medical College at Thomas Jefferson University
Überprüft/überarbeitet Okt. 2023
Aussicht hier klicken.

    Bei Aberrationen der Geschlechtschromosomen kann man eine Aneuploidie, partielle Deletionen oder Duplikationen der Geschlechtschromosomen oder ein Mosaik finden.

    (Siehe auch Chromosomenanomalien im Überblick.)

    Aberrationen der Geschlechtschromosomen sind häufig und verursachen Syndrome, die mit einer Reihe von angeborenen und Entwicklungsanomalien verbunden sind. Sie werden selten pränatal vermutet, aber können zufällig bei einer aus anderen Gründen durchgeführten Karyotypisierung entdeckt werden, etwa bei fortgeschrittenem Alter der Mutter. Die Anomalien sind bei Geburt oft schwer zu erkennen und können manchmal bis zur Pubertät nicht diagnostiziert werden.

    Die Auswirkungen von Aberrationen der Geschlechtschromosomen sind nicht so schwerwiegend wie die von analogen autosomalen Anomalien. Frauen mit 3 X-Chromosomen erscheinen oft körperlich und geistig normal und fruchtbar. Im Gegensatz dazu haben alle bekannten autosomalen Trisomien (z. B. Trisomie 13) klinisch signifikante und oft verheerende Auswirkungen. Ähnlich verhält es sich mit dem Fehlen eines Geschlechtschromosoms (Monosomie X), das in den meisten Fällen ein spezifisches Syndrom verursacht (Turner-Syndrom [Monosomie X], während das Fehlen eines Autosoms in jedem Fall tödlich ist. Es ist wichtig zu beachten, dass Menschen mit einem X-Chromosom, die ein Mosaik mit einem Y-Chromosom haben (d. H. Einige Zellen mit 46, XY), einen männlichen oder weiblichen Phänotyp haben können (1).

    Lyon-Hypothese (X-Inaktivierung)

    Mit 2 X-Chromosomen haben Frauen 2 Orte für jedes X-chromosomale Gen, verglichen mit einem einzigen Ort bei Männern. Dieses Ungleichgewicht scheint ein genetisches „Dosierungs“-Problem zu bedingen. Nach der Lyon-Hypothese wird während der frühen embryonalen Entwicklung (um den 16. Tag) in jeder Körperzelle eines der beiden X-Chromosomen der Frau genetisch inaktiviert. In der Tat werden, egal wie viele X-Chromosomen vorhanden sind, alle bis auf eines inaktiviert. Molekulargenetische Forschungen haben aber ergeben, dass einige Gene auf dem inaktivierten X-Chromosom (bzw. Chromosomen) noch eine Funktion haben. Diese wenigen sind für eine normale weibliche Entwicklung wichtig. Das für die Inaktivierung der Gene auf dem X-Chromosom verantwortliche Gen ist XIST. Es produziert RNA, die eine Inaktivierung auslöst.

    Ob das mütterliche oder das väterliche X-Chromosom inaktiviert wird, erfolgt normalerweise in jeder Zelle zur Zeit der Inaktivierung rein zufällig, und dasselbe X bleibt dann für alle abstammenden Zellen inaktiviert. Somit sind alle Frauen im Wesentlichen mosaikartig, wobei einige Zellen ein aktives mütterliches X-Geschlechtschromosom und andere ein aktives väterliches X-Geschlechtschromosom haben.

    Tipps und Risiken

    • Aufgrund der zufälligen X-Inaktivierung sind alle Frauen Mosaike, wobei einige Zellen ein aktives mütterliches X und andere ein aktives mütterliches X haben.

    Manchmal führt die nach dem Zufallsprinzip ablaufende Inaktivierung der relativ kleinen Anzahl von Zellen, die zur Zeit der Inaktivierung vorhanden sind, dazu, dass in einem spezifischen daraus entstehenden Gewebe aktive männliche oder aktive weibliche X-Chromosomen überwiegen (sog. schiefe X-Inaktivierung). Diese „schiefe“ X-Inaktivierung kann dafür verantwortlich sein, dass sich X-chromosomale Erkrankungen wie die Hämophilie und Muskeldystrophie bei heterozygoten Frauen gelegentlich mit schwachen Symptomen manifestieren (wenn es eine 50:50-Verteilung der aktiven X-Chromosomen gäbe, wären vermutlich alle asymptomatisch). Zu einer solchen schiefen Inaktivierung kann es auch durch nach der Inaktivierung stattfindende Selektion kommen.

    Hinweis

    1. 1. Guzewicz L, Howell S, Crerand CE, et al: Clinical phenotype and management of individuals with mosaic monosomy X with Y chromosome material stratified by genital phenotype. Am J Med Genet A 185(5):1437-1447, 2021. doi: 10.1002/ajmg.a.62127