Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

(Nebenwirkungen von Arzneimitteln)

VonDaphne E. Smith Marsh, PharmD, BC-ADM, CDCES, University of Illinois at Chicago College of Pharmacy
Überprüft/überarbeitet März 2023
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Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) ist ein weit gefasster Begriff, der sich auf unerwünschte, unangenehme oder gefährliche Wirkungen von Arzneimitteln (einschließlich Medikamenten) bezieht.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen können als eine Form von Toxizität betrachtet werden. Der Begriff Toxizität wird jedoch meistens verwendet bei Effekten durch übermäßige Einnahme (ungewollte oder gewollte) oder erhöhten Blutspiegeln oder verstärkten Arzneimittelwirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch (z. B. wenn der Metabolismus des Arzneimittels durch eine Erkrankung oder ein anderes Arzneimittel vorübergehend gehemmt ist). Informationen über die Toxizität bestimmter Substanzen, einschließlich Medikamenten, finden Sie in der Tabelle Symptome und Behandlung bestimmter Gifte. Nebenwirkung ist ein unpräziser Begriff, der auf eine ungewollte Arzneimittelwirkung innerhalb des therapeutischen Bereichs hinweist.

Da alle Arzneimittel potenziell unerwünschte Arzneimittelwirkungen hervorrufen können, muss bei jeder Verschreibung eines Medikaments eine Risiko-Nutzen-Analyse (Wahrscheinlichkeit des Nutzens gegenüber dem Risiko von UAW) durchgeführt werden.

Das National Electronic Injury Surveillance System-Cooperative Adverse Drug Event Surveillance Project (NEISS-CADES) schätzte, dass es im Zeitraum von 2017–2019 auf der Grundlage einer Stichprobe von fast 100.000 Fällen 6 Besuche in der Notaufnahme wegen medikamentöser Schäden pro 1.000 Personen pro Jahr gab (1). Etwa 39% dieser Besuche führten zu einem Krankenhausaufenthalt (1). Nach früheren Schätzungen waren in den Vereinigten Staaten 3–7% aller Krankenhausaufenthalte auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen. Während eines Krankenhausaufenthalts kam es bei 10–20% der Patienten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), von denen 10–20% schwerwiegend waren. Diese Statistiken enthalten nicht die Anzahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), die bei anderen ambulanten und Pflegeheimpatienten auftreten. Obwohl die genaue Anzahl der ADRs nicht sicher ist, stellen ADRs ein erhebliches Gesundheitsproblem dar, das größtenteils vermeidbar ist (2, 3).

Häufigkeit und Schweregrad der unerwünschten Arzneimittelwirkungen variieren stark mit den charakteristischen Merkmalen der Patienten (z. B. Alter, Geschlecht, Rasse, Begleiterkrankungen, genetische oder geographische Faktoren) und denen des Arzneimittels (z. B. Art des Arzneimittels, Art der Anwendung, Behandlungsdauer, Dosierung, Bioverfügbarkeit). Die Inzidenz ist höher mit fortgeschrittenem Alter und Polypharmazie. Nach Angaben des National Electronic Injury Surveillance System führte bei älteren Erwachsenen die therapeutische Einnahme von Antikoagulanzien und Diabetesmedikamenten am häufigsten zu ED-Besuchen. Der nichttherapeutische Gebrauch von Sedativa und Hypnotika wie Benzodiazepinen und Analgetika trug ebenfalls zu medikamentenbedingten Schäden bei. Bei Kindern unter 5 Jahren war die Einnahme von Antibiotika eine häufige Ursache für Besuche in der Notaufnahme wegen medikamentenbedingter Schäden (1).

Der Schweregrad von UAW ist unter Älteren vermutlich höher (siehe Arzneimittelassoziierte Probleme bei Älteren), obwohl das Alter per se keine primäre Ursache hierfür ist. Tödliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen treten laut der Pharmakovigilanz-Datenbank der Weltgesundheitsorganisation (4) vor allem bei Patienten über 75 Jahren auf, wobei der Beitrag von Verschreibungsfehlern und mangelnder Compliance zur Inzidenz von UAW unklar ist.

Tipps und Risiken

  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen treten in 10–20% der Krankenhausaufenthalte auf.

  • Etwa 10–20% dieser unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind schwerwiegend.

Allgemeine Literatur

  1. 1.  Budnitz DS, Shehab N, Lovegrove MC, et al: US emergency department visits attributed to medication harms, 2017-2019. JAMA 326 (13):1-11, 2021. doi: 10.1001/jama.2021.13844

  2. 2. Weiss AJ, Freeman WJ, Heslin KC, et al: Adverse drug events in U.S. hospitals, 2010 versus 2014. Agency for Healthcare Research and Quality. Statistical Brief #234. January 2018. Accessed February 2, 2023.

  3. 3. PSNet (Patient Safety Network), Agency for Healthcare Research and Quality: Medication errors and adverse drug events. Accessed February 2, 2023.

  4. 4. Montastruc J-L, Lafaurie M, de Canecaude C, et al: Fatal adverse drug reactions: A worldwide perspective in the World Health Organization pharmacovigilance database. Br J Clin Pharmacol 87(11):4334-4340, 2021. doi: 10.1111/bcp.14851

Ätiologie unerwünschter Arzneimittelwirkungen

Die meisten unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind dosisabhängig. Andere sind allergisch bedingt oder idiosynkratisch. Dosisabhängige UAW sind üblicherweise vorhersehbar. Dosisunabhängige UAW sind üblicherweise nicht vorhersehbar.

Dosisabhängige UAW sind von besonderer Bedeutung, wenn Arzneimittel eine geringe therapeutische Breite haben (z. B. Blutung bei oralen Antikoagulanzien). UAW können das Ergebnis einer reduzierten Arzneimittelclearance bei verminderter Nieren- oder Leberfunktion sein oder auf einer Arzneimittelwechselwirkung beruhen.

Allergische UAW sind nicht dosisabhängig und setzen eine frühere Exposition voraus. Allergien entwickeln sich, wenn ein Arzneimittel als Antigen oder Allergen wirkt. Nachdem der Patient sensibilisiert ist, bewirkt eine nachfolgende Arzneimittelexposition eine oder mehrere verschiedene Arten von allergischen Reaktionen. Anamnese und geeignete Hauttests können manchmal bei der Vorhersage einer allergischen Reaktion hilfreich sein.

Idiosynkratische ADRs sind unerwartete ADRs, die dosisunabhängige und nicht-allergiebedingt sind. Diese treten nur bei einem kleinen Anteil der Patienten auf, die ein Arzneimittel erhalten haben. Idiosynkratisch ist ein unpräziser Ausdruck, der als genetisch determinierte abnormale Reaktion auf ein Arzneimittel definiert wurde, aber nicht alle idiosynkratischen Reaktionen haben eine pharmakogenetische Ursache. Dieser Begriff kann hinfällig werden, sobald spezifische Mechanismen der UAW bekannt sind.

Symptome und Anzeichen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen werden normalerweise als leicht, mittel, schwer und tödlich klassifiziert (siehe Tabelle Klassifikation von unerwünschten Arzneimittelwirkungen [UAW]). Schwerwiegende oder tödliche UAW können besonders in Black-Box-Warnungen auf den Verschreibungsinformation des Herstellers erwähnt werden.

Symptome und Beschwerden können sich nach einer ersten Gabe oder nur bei chronischer Anwendung zeigen. Sie können offensichtlich auf den Konsum von Drogen oder Medikamenten zurückzuführen sein, oder sie sind zu subtil, als dass man einen Zusammenhang mit dieser Droge oder diesem Medikament erkennen könnte. Bei Älteren können subtile UAW eine funktionelle Verschlechterung, Veränderungen des mentalen Status, Schwäche, Appetitlosigkeit, Verwirrung und Depression hervorrufen.

Tabelle

Allergische UAW treten typischerweise kurz nach Einnahme des Arzneimittels auf, jedoch nie nach der ersten Dosis. In der Regel treten allergische UAW auf, wenn das Arzneimittel nach einer initialen Gabe erneut angewendet wird. Die Symptome können Juckreiz, Rötung, Exanthem, Ödeme der oberen oder unteren Atemwege mit Atemproblemen und Hypotonie umfassen.

Idiosynkratische UAW können nahezu alle Symptome und Zeichen hervorrufen und können gewöhnlich nicht vorhergesehen werden.

Diagnose von unerwünschten Arzneimittelwirkungen

  • Erneute Exposition in Betracht ziehen

  • Meldung vermuteter UAW in Deutschland z. B. an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft AKdÄ

Symptome, die direkt im Anschluss an die Einnahme des Arzneimittels auftreten, können oftmals leicht in Zusammenhang mit der Anwendung des Arzneimittels gebracht werden. Die Diagnose von Symptomen, die auf den chronischen Konsum einer Substanz oder eines Arzneimittels zurückzuführen sind, erfordert jedoch ein hohes Maß an Verdacht und ist oft kompliziert. Manchmal ist das Absetzen des Arzneimittels notwendig, was aber schwierig ist, wenn das Arzneimittel essenziell ist und es hierfür keinen akzeptablen Ersatz gibt. Wenn der Nachweis des Zusammenhangs zwischen den Symptomen und dem Arzneimittel wichtig ist, sollte eine erneute Exposition erwogen werden, mit der Ausnahme, wenn schwerwiegende allergische Reaktionen bestehen.

Ärzte sollten die am meisten vermuteten Reaktionen von UAWs in Deutschland z. B. an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft AKdÄ (www.akdae.de – über die Internetadresse ist auch ein Meldebogen erhältlich) melden, eine Art Frühwarnsystem. Nur dadurch können UAW erkannt und untersucht werden. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft überwacht auch Veränderungen in der Art und Häufigkeit der UAW. Die Online-Meldung von UAW wird empfohlen. Formulare und Informationen zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind in der Physicians’ Desk Reference und im FDA News Daily Drug Bulletin sowie im FDA Adverse Event Reporting System (FAERS; MedWatch: The FDA Safety Information and Adverse Event Reporting Program ) verfügbar. Krankenschwestern, Apotheker und andere medizinische Fachkräfte sollten auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) über FDA's Adverse Event Reporting System (FAERS) melden, das auch als Suchwerkzeug dient, das den Zugang zu Daten über unerwünschte Arzneimittelwirkungen verbessert (1).

Die Inzidenz von schwerwiegenden oder tödlichen unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen ist sehr gering (normalerweise unter 1 pro 1000); sie dürften nicht in klinischen Studien auftreten, da sie in der Regel nicht so konzipiert sind, dass UAW mit niedriger Inzidenz erfasst werden. Somit können diese UAW erst festgestellt werden, wenn ein Arzneimittel für die breite Öffentlichkeit zugelassen wurde und häufig verwendet wird. Ärzte sollten nicht davon ausgehen, dass bei einem zugelassenen Arzneimittel auch alle UAW bekannt sind. Die Überwachung nach Markteinführung ist für das Aufdecken von UAW mit geringer Inzidenz sehr wichtig.

Diagnosehinweis

  1. 1. FDA Adverse Event Reporting System (FAERS): Questions and Answers on FDA's Adverse Event Reporting System (FAERS). Accessed February 2, 2023.

Behandlung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen

  • Änderung der Dosierung

  • Absetzen des Medikaments oder der Medikation, falls erforderlich

  • Umstellung auf ein anderes Arzneimittel

Bei dosisabhängigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) kann es ausreichen, die Dosis zu ändern oder die auslösenden Faktoren zu beseitigen oder zu verringern. Ein Heraufsetzen der Arzneimitteleliminationsrate ist selten notwendig. Bei allergischen oder idiosynkratischen UAW sollte das Arzneimittel abgesetzt und nicht wieder eingesetzt werden. Häufig muss bei allergischen UAW und manchmal auch bei dosisabhängigen UAW zu einer anderen Arzneimittelklasse gewechselt werden. So kann beispielsweise eine durch Opioide verursachte Obstipation durch die Einnahme eines Opioidrezeptor-Antagonisten wie Lubiproston verbessert werden.

Prävention unerwünschter Arzneimittelwirkungen

Die Vorbeugung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen setzt die genaue Kenntnis des Arzneimittels und seiner potenziellen Reaktionen voraus. Computergestützte Analysen sollten angewendet werden, um potenzielle Arzneimittelwechselwirkungen zu überprüfen. Die Analyse sollte immer dann wiederholt werden, wenn Arzneimittel verändert werden oder neu hinzukommen. Für Ältere müssen Arzneimittel und die initiale Dosierung sorgfältig gewählt werden (1). (Siehe Gründe für arzneimittelassoziierte Probleme.) Beim Auftreten unspezifischer Symptome sollten vor Beginn einer symptomatischen Behandlung immer UAW in Betracht gezogen werden.

Es wurden verschiedene Gene identifiziert, die mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen assoziiert sind. So wurden beispielsweise mehrere Leberenzyme, die den Leberstoffwechsel von Cytochrom P450 beeinflussen, charakterisiert, und viele werden durch Einzelnukleotid-Polymorphismen beeinflusst, was zu klinisch bedeutsamen Auswirkungen auf ein breites Spektrum häufig verschriebener Arzneimittel führt. Daher kann die Pharmakogenomik helfen, unerwünschte Arzneimittelwirkungen vorherzusagen, zu reduzieren und zu minimieren (2, 3, 4). Allerdings wird nur eine begrenzte Anzahl solcher Tests in der klinischen Routinepraxis eingesetzt (z. B. genotypgesteuerte Warfarintherapie [5]).

Literatur zur Prävention

  1. 1. 2019 American Geriatrics Society Beers Criteria® Update Expert Panel: American Geriatrics Society 2019 updated AGS Beers Criteria® for potentially inappropriate dedication use in older adults. J Am Geriatr Soc 2019, 67(4):674-694. doi: 10.1111/jgs.15767

  2. 2. Zhou Z-W, Chen X-W, Sneed KB, et al: Clinical association between pharmacogenomics and adverse drug reactions. Drugs 75:589-631, 2015. doi: 10.1007/s40265-015-0375-0

  3. 3. Gerogianni K, Tsezou A, Dimas K: Drug-induced skin adverse reactions: The role of pharmacogenomics in their prevention. Mol Diagn Ther 22(3): 297-314, 2018. doi: 10.1007/s40291-018-0330-3

  4. 4. Micaglio E, Locati ET, Monasky MM, et al. Role of pharmacogenetics in adverse drug reactions: An update towards personalized medicine. Front Pharmacol 12:651720, 2021 https://doi.org/10.3389/fphar.2021.651720

  5. 5. Bardolia C, Matos A, Michaud V, et al: Utilizing pharmacogenomics to educe adverse drug events. Am J Biomed Sci & Res 11(3). doi: 10.34297/AJBSR.2020.11.00163