Untersuchung von Patienten mit Verdacht auf einen Immundefekt

VonJames Fernandez, MD, PhD, Cleveland Clinic Lerner College of Medicine at Case Western Reserve University
Überprüft/überarbeitet Jan. 2023
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Üblicherweise manifestieren sich Immundefekte als rezidivierende Infektionen. Rezidivierende Infektionen haben jedoch häufiger andere Ursachen als eine Immunschwäche (z. B. unzureichende Behandlung, resistente Organismen, andere Erkrankungen, die für Infektion anfällig sind). Für die Diagnose sind sowohl klinische als auch labortechnische Befunde erforderlich.

(Siehe auch Überblick über Immunschwächeerkrankungen.)

Immundefekt kann sein

  • Primär: Genetisch bestimmt, in der Regel während der frühen Kindheit oder in der Kindheit manifestiert

  • Sekundär: Erworben, die häufigste Ursache für Immunschwäche

Es gibt viele Ursachen für sekundäre Immunschwäche, aber die meisten Immunschwächen resultieren aus einer oder mehreren der Folgenden:

  • Systemische Krankheiten (z. B. Diabetes, Unterernährung, HIV-Infektion)

  • Immunsuppressive Behandlungen (z. B. zytotoxische Chemotherapie, Knochenmarksablation vor der Transplantation, Strahlentherapie)

  • Lange schwere Erkrankung (besonders bei kritisch erkrankten, älteren und/oder hospitalisierten Patienten)

Die Klassifikation der primären Immundefekte erfolgt nach der Hauptkomponente des Immunsystems, die einen Mangel aufweist, nicht vorhanden oder defekt ist:

Manifestationen der Immunschwäche

Üblicherweise manifestieren sich Immundefekte als rezidivierende Infektionen. Bei Kindern sind rezidivierende Infektionen wahrscheinlich aber auf wiederholten Kontakt mit anderen Kindern in Kindergarten und Schule zurückzuführen (Kleinkinder und ältere Kinder können normalerweise bis zu 10 Atemwegsinfekte im Jahr entwickeln). Die Ursachen für rezidivierende Infektionen bei Kindern und Erwachsenen liegen jedoch eher in ungenügend langer Antibiotikatherapie, resistenten Organismen und anderen prädisponierenden Krankheiten (z. B. kongenitale Herzvitien, allergische Rhinitis, Harnleiter- oder Harnröhrenstenose, primäre ziliare Dyskinesie, Asthma, zystische Fibrose, schwere Dermatitis).

Der Verdacht auf Immundefekte besteht, wenn rezidivierende Infektionen folgende Eigenschaften aufweisen:

  • Schwer

  • Kompliziert

  • An mehreren Lokationen

  • Refraktär gegenüber der Standardbehandlung, d. h., es sind mehrere orale Antibiotikagaben oder eine intravenöse Antibiotikagabe erforderlich, um die Beschwerden zu beheben

  • Durch ungewöhnliche Organismen ausgelöst

  • Vorliegen bei Familienmitgliedern

Zunächst sind es die typischen Infektionen der oberen und unteren Luftwege (z. B. Sinusitis, Bronchitis, Pneumonie) und Gastroenteritiden, es kann sich aber auch um schwere bakterielle Infektionen handeln (z. B. Meningitis, Sepsis).

Bei Kindern im Säuglingsalter und Kleinkindern mit Entwicklungsstörungen und Diarrhoe (insb. durch ungewöhnliche Viren wie Adenoviren oder Pilze wie Cryptosporidium. verursacht) könnte ein Immundefekt zugrunde liegen. Andere Anzeichen sind Hautläsionen (z. B. Ekzeme, Warzen, Abszesse, Pyodermie, Alopezie), Kandidose der Mund- oder Ösophagusschleimhaut, orale Ulzera und Periodontitis.

Seltenere Manifestationen sind schwere virale Infektionen mit Herpes-simplex- oder Varizella-Zoster-Virus und ZNS-Störungen (z. B. chronische Enzephalitis, verlangsamte Entwicklung, Krampfanfälle auslösende Krankheiten). Häufiger Gebrauch von Antibiotika kann viele der gewöhnlichen Zeichen und Symptome maskieren. An Immundefekte sollte besonders bei Patienten mit Infektionen und einer Autoimmunerkrankung (z. B. hämolytische Anämie, Thrombozytopenie) gedacht werden.

Evaluation of Suspected Immunodeficiency

Anamnese und körperliche Untersuchung sind hilfreich, müssen aber durch einen Immunfunktionstest ergänzt werden. Für viele Krankheiten stehen pränatale Tests zur Verfügung, die indiziert sind, falls ein Immundefekt familienanamnestisch ermittelt und die Mutation bei einigen Familienmitgliedern festgestellt wurde.

Anamnese

Ärzte sollten feststellen, ob Patienten Risikofaktoren für Infektionen besitzen oder es in der Anamnese Symptome für sekundäre Immundeffekte gibt und/oder Risikofaktoren für diese vorliegen. Die Familienanamnese ist sehr wichtig.

Das Alter, in dem die wiederkehrenden Infektionen begannen, ist wichtig:

  • Ein Auftreten vor dem Alter von 6 Monaten deutet auf einen T-Zelldefekt hin, weil mütterliche Antikörper in der Regel während der ersten 6 bis 9 Monate schützend wirken.

  • Das Auftreten im Alter von 6 bis 12 Monaten kann für einen kombinierten B- und T-Zell- oder einen B-Zelldefekt sprechen, die mit dem Verschwinden mütterlicher Antikörper (etwa mit 6 Monaten) evident werden.

  • Das Auftreten viel später als 12 Monate deutet in der Regel auf einen B-Zelldefekt oder eine sekundäre Immunschwächestörung hin.

Im Allgemeinen gilt, dass der Immundefekte umso schwerer ist, je jünger die Kinder beim ersten Auftreten der Störungen sind. Bestimmte Immundefekte, wie z. B. die variable Immundefizienz (CVID), manifestieren sich oft nicht vor dem Erwachsenenalter.

Gewisse Infektionen lassen auf bestimme Immundefekte schließen (siehe Tabelle Einige Hinweise in der Anamnese, um den Immundefekt zu bestimmen); jedoch ist keine Infektion für eine bestimmte Störung spezifisch, und bei vielen Immundefekten können bestimmte allgemeine Infektionen (z. B. virale oder bakterielle Infektionen des Respirationstrakts) auftreten.

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Ärztliche Untersuchung

Patienten mit einem Immundefekt können einen chronisch kranken Eindruck machen oder ganz normal erscheinen. Die Haut kann fleckige Ausschläge, Bläschen, Pyodermie, Ekzeme, Petechien, Alopezie oder Teleangiektasien aufweisen.

Bei X-chromosomal vererbter Agammaglobulinämie, X-chromosomal vererbtem Hyper-IgM-Syndrom, schwerer kombinierter Immundefizienz (SCID) oder anderen T-Zell-Immundefekten sind Halslymphknoten, Gaumen- und Rachenmandeln typischerweise sehr klein oder fehlen, trotz einer Anamnese mit rezidivierenden Infektionen. Bei gewissen anderen Immundefekten (z. B. chronische Granulomatose) können die Halslymphknoten vergrößert oder vereitert sein.

Das Trommelfell ist oft vernarbt oder perforiert, und die Nasenlöcher sind verkrustet, was auf eitrigen Nasenschleim hinweist. Die Nasenlöcher können verkrustet sein, was auf einen eitrigen Nasenausfluss hinweist.

Chronischer Husten und Rasselgeräusche sind häufig, besonders bei Erwachsenen mit CVID.

Leber und Milz sind bei Patienten mit CVID oder chronischer Granulomatose oft vergrößert. Die Muskelmasse und das Depotfett des Gesäßes sind vermindert.

Bei Kleinkindern kann die Haut um den After infolge chronischer Diarrhoe wund sein. Die neurologische Untersuchung kann eine verzögerte Entwicklung oder eine Ataxie aufdecken. Eine verzögerte Nabelschnurablösung kann auf einen Leukozytenadhäsionsmangel hinweisen.

Weitere charakteristische Ergebnisse legen eine vorläufige klinische Diagnose nahe (siehe Tabelle Charakteristische klinische Befunde bei einigen primären Immundefekten).

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Erste Tests

Bei Verdacht auf einen klinisch relevanten sekundären Immundefekt sollten sich die Untersuchungen auf diesen konzentrieren (z. B. Diabetes, HIV-Infektion, zystische Fibrose, primäre ziliäre Dyskinesie).

Laboruntersuchungen zur Bestätigung der Diagnose sind erforderlich (siehe Tabelle Ursprüngliche und zusätzliche Labortests auf Immunodefizienz). Initiale Screening-Tests

  • Vollständiges manuelles Differenzialblutbild

  • Quantitative Immunglobulin(Ig)-Messungen

  • Antikörpertiter

  • Hauttest für verzögerte Überempfindlichkeit

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Bei normalen Ergebnissen kann ein Immundefekt (besonders Ig-Mangel) ausgeschlossen werden. Bei auffälligen Resultaten werden zur Identifizierung spezifischer Störungen weitere Tests in spezialisierten Laboratorien erforderlich. Sind chronische Infektionen objektiv dokumentiert, sollten Erstuntersuchungen und spezifische Tests simultan durchgeführt werden. Wenn Kliniker vermuten, dass sich die Immunschwächestörung noch in ihrer Entwicklung befinden könnte, könnte es notwendig sein, dass die Tests mit einer Überwachung über einige Zeit wiederholt werden, bevor eine endgültige Diagnose gestellt wird.

Ein komplettes Blutbild kann Anomalien, die für spezifische Störungen charakteristisch sind, in einem oder mehreren Zelltypen aufzeigen (z. B. bei Leukozyten, Thrombozyten), wie in den folgenden Fällen:

  • Eine Neutropenie (absolute Neutrophilenzahl < 1200 Zellen/mcl [1,2 x 109/l]) kann kongenital oder zyklisch sein und bei aplastischer Anämie auftreten.

  • Eine Lymphopenie (Lymphozytenzahl < 2000/Microl [2,0 X 109/l bei der Geburt, < 4500/mcl [4,5 x 109/l] im Alter von 9 Monaten oder < 1000/mcl [4,5 x 109/l] bei älteren Kindern und Erwachsenen) deutet auf einen T-Zell-Defekt hin, da 70% der zirkulierenden Lymphozyten T-Zellen sind.

  • Im Falle eines Leukozytenadhäsionsdefekts kann es zu einer persistierenden Leukozytose kommen.

  • Eine Thrombozytopenie bei männlichen Kleinkindern weist auf das Wiskott-Aldrich-Syndrom hin.

  • Eine Anämie kann durch eine chronische Krankheit bedingt oder eine autoimmunhämolytische Anämie sein, die bei CVID und anderen Immundefekten auftreten kann.

Viele Anomalien stellen jedoch nur vorübergehende Manifestationen von Infektionen, Einnahme von Medikamenten oder anderen Faktoren dar; daher sollten Anomalien bestätigt und kontrolliert werden.

Ausstriche von peripherem Blutsollten auf Howell-Jolly-Körper (Restfragmente des Kerns bei Erythrozyten) und andere ungewöhnliche Erythrozytenformen untersucht werden, die für eine Asplenie oder eine Milzfunktionsstörung sprechen könnten. Granulozyten können morphologische Anomalien aufweisen (z. B. Riesengranula bei Chédiak-Higashi-Syndrom).

Quantitative Serum IgSpiegel werden bestimmt. Niedrige Serumspiegel von IgG, IgM oder IgA sprechen für einen Antikörpermangel. Die Untersuchungsergebnisse müssen jedoch mit Kontrollen gleichaltriger Patienten verglichen werden. Ein IgG-Spiegel < 200 mg/dl (< 2 g/l) weist normalerweise auf einen signifikanten Antikörpermangel hin, obwohl solche Konzentrationen auch bei Enteropathien mit Proteinverlust oder beim nephrotischen Syndrom vorkommen können.

Immunglobulin M (IgM)-Antikörperfunktion kann durch Messung der Iso-Hämagglutinin-Titer (Anti-A, Anti-B) beurteilt werden. Alle Patienten außer Kleinkinder < 6 Monate und Menschen mit der Blutgruppe AB haben natürliche Antikörper mit einem Titer von 1:8 (Anti-A) oder 1:4 (Anti-B). Antikörper gegen Blutgruppen A und B und gegen einige bakterielle Polysaccharide sind bei bestimmten Störungen selektiv defizient (z. B. Wiskott-Aldrich-Syndrom, kompletter IgG2-Mangel).

Bei immunisierten Patienten können IgG-Antikörpertiter durch Messungen vor und nach der Impfung mit Antigen (Haemophilus influenzae-Typ-B-, Tetanus-, Diphtherie-, konjugierte und nichtkonjugierte Pneumokokken- und Meningokokkenantigene) ermittelt werden. Eine Zunahme des Titers, der nach 2-3 Wochen weniger als zweifach erhöht ist, weist ungeachtet der Ig-Spiegel auf einen Antikörpermangel hin. Natürliche Antikörper können ebenfalls bestimmt werden (z. B. Antistreptolysin O, heterophile Antikörper).

Beim Hauttest reagieren die meisten immunkompetenten Erwachsenen, Kleinkinder und ältere Kinder auf eine intradermale Injektion mit 0,1 ml Candida albicans-Extrakt (1:100 für Kleinkinder und 1:1000 für ältere Kinder und Erwachsene). Eine positive Reaktivität, definiert als Erythem mit einer Induration von > 5 mm nach 24, 48 und 72 Stunden, schließt einen T-Zell-Defekt aus. Das Ausbleiben einer Reaktion bei Patienten ohne früheren Kontakt mit Candida bedeutet nicht, dass ein Immundefekt vorliegt.

Bei Kleinkindern ist eine Röntgenaufnahme des Thorax von Nutzen. Ein fehlender Thymusschatten legt den Verdacht auf einen T-Zell-Defekt nahe, besonders, wenn die Röntgenaufnahme vor dem Auftreten einer Infektion oder anderen Stressfaktoren, die den Thymus schrumpfen lassen können, durchgeführt wurde. Laterale Aufnahmen des Pharynx können fehlende Gaumenmandeln anzeigen.

Klinischer Rechner

Zusätzliche Laboruntersuchungen

Weitere Tests sind indiziert, wenn klinische Befunde oder erste Laboruntersuchungen den Verdacht einer spezifischen Störung von Immunzellen oder Komplementfunktionen nahelegen.

Bei Patienten mit rezidivierenden Infektionen und Lymphopenie ist zur Feststellung von Lymphozytenmängeln die Phänotypisierung der Lymphozyten mittels Durchflusszytometrie und mit monoklonalen Antikörpern gegen T-, B- und natürlichen Killerzellen (NK) indiziert.

Wenn eine zelluläre Immunschwächestörung vermutet wird, kann ein komplettes Blutbild mit Differenzialdiagnose durchgeführt werden, um Säuglinge mit niedriger Anzahl von T-Zellen zu identifizieren. Zeigen die Tests, dass die Anzahl der Lymphozyten gering oder nicht vorhanden ist, wird ein Durchflusszytometertest mit anschließender In-vitro-Mitogenstimulation durchgeführt, um die Anzahl und Funktion der T-Zellen zu beurteilen. Bei Verdacht auf einen Haupthistokompatibilitätskomplexes-Antigen-Mangel ist die serologische (keine molekulare) Typisierung von humanem Leukozytenantigen angezeigt.

Alle US-Bundesstaaten screenen jetzt Neugeborene mit T-Zell-Rezeptor-Exzisionszirkeln (TREC), um fehlende oder dysfunktionale T-Zellen festzustellen. Normalerweise entstehen DNA-Kreise, wenn T-Zellen den Thymus durchlaufen und ihre Rezeptorgene neu anordnen. Das Vorhandensein dieser Kreise in der TREC-Analyse ist ein Maß für die Reifung der T-Zellen. Das Fehlen dieser Kreise beim Screening der TREC-Analyse ist ein Merkmal von SCID.

Wenn eine humorale Immunschwächestörung vermutet wird, können die Patienten auf spezifische Mutationen getestet werden—z. B. in den Genen, die für Bruton-Tyrosinkinase enkodieren (BTK), CD40 und CD40-Ligand sowie den nukleären Faktor-Kappa-B Hauptmodulator (NEMO). Ein Schweißtest wird in der Regel während der Evaluation durchgeführt, um eine Mukoviszidose auszuschließen.

Wenn eine kombinierte zelluläre und humorale Immunschwächestörung und SCID vermutet werden, können die Patienten auf bestimmte typische Mutationen getestet werden (z. B. im Interleukin-2-Rezeptor-gamma-[IL-2RG oder IL-2Rγ]-Gen).

Wenn Phagozytendefekte vermutet werden, werden CD15 und CD18 mittels Durchflusszytometrie gemessen und die Neutrophilenchemotaxis wird getestet. Ein Durchflusszytometrie-Oxidativ-(Respiratory)- Burst-Assay (gemessen über Dihydrorhodamin 123 [DHR] oder Nitroblue-Tetrazolium [NBT]) kann feststellen, ob während der Phagozytose O2-Radikale produziert werden; ihr Fehlen ist charakteristisch für eine chronische Granulomatose.

Wenn Art oder Verlauf der Infektion auf einen Komplementdefekt hindeuten, wird die erforderliche Verdünnung des Serums bestimmt, die 50% der mit Antikörper beladenen Erythrozyten lysiert. Mit diesem Test (CH50 genannt) lassen sich Defekte der Komplementkomponenten beim klassischen Komplementweg nachweisen. Welche Komponente abnormal ist, wird jedoch nicht angezeigt. Ein ähnlicher Test (AH50) kann durchgeführt werden, um Komplementdefekte auf dem alternativen Weg anzuzeigen.

Sollten bei der Untersuchung oder bei Vortests Anomalien festgestellt werden, die auf Lymphozyten- oder Phagozytendefekte schließen lassen, werden zur genaueren Charakterisierung spezifischer Störungen weitere Tests notwendig (siehe Tabelle Spezifische und erweiterte Labortests bei Immunodefizienz).

Gensequenzierungstechniken werden zunehmend zur Aufklärung von Störungen der Immunschwäche mit ungewöhnlichen Merkmalen eingesetzt. Die Identifizierung monogenetischer Defekte im Zusammenhang mit primärer Immunschwäche ist inzwischen robust, und Verbesserungen verändern allmählich die Art und Weise, wie wir an die Diagnose und Behandlung dieser Krankheiten herangehen (1).

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Pränatale und neonatale Diagnostik

Immer mehr primäre Immundefekte können pränatal anhand von Chorionzotten, amniotischen Zellkulturen oder fetalen Blutproben diagnostiziert werden. Diese Tests werden aber nur durchgeführt, wenn bei einigen Familienmitgliedern bereits Mutationen identifiziert wurden.

Nachweisbar sind X-chromosomal vererbte Agammaglobulinämie, Wiskott-Aldrich-Syndrom, Ataxia teleangiectatica, X-chromosomal vererbtes lymphoproliferatives Syndrom, alle SCID-Formen (TREC-Test wird verwendet, der jetzt zum Screening aller Neugeborenen in den USA durchgeführt wird) und sämtliche Formen der chronischen Granulomatose.

X-chromosomal vererbte Störungen können durch sonographische Geschlechtsbestimmung ausgeschlossen werden.

Evaluationshinweis

  1. 1. Chinn IK, Orange JS: A 2020 update on the use of genetic testing for patients with primary immunodeficiency. Expert Rev Clin Immunol 16(9):897–909, 2020. doi: 10.1080/1744666X.2020.1814145

Prognose für vermutete Immunschwäche

Die Prognose hängt vom primären Immundefektsyndrom ab.

Die meisten Patienten mit einem Ig- oder Komplementmangel haben eine gute Prognose bei einer nahezu normalen Lebenserwartung, wenn die Krankheit frühzeitig diagnostiziert und entsprechend therapiert wird und keine chronischen Begleiterkrankungen existieren (z. B. Lungenkrankheiten wie die Bronchiektasie).

Bei Patienten mit Immundefekten (z. B. jene mit Phagozytendefekt oder kombinierten Immundefekten wie Wiskott-Aldrich-Syndrom oder Ataxia teleangiectatica) wird eine zurückhaltende Prognose gestellt; die meisten benötigen eine intensive und regelmäßige Therapie.

Einige der immundefizienten Patienten (z. B. mit schwerem kombinierten Immundefekt (SCID) versterben bereits im Kleinkindalter, wenn ihre Immunität nicht durch eine Stammzelltransplantation wiederhergestellt wird. Alle Formen von SCID könnten bei der Geburt diagnostiziert werden, wenn ein T-Zell-Rezeptor-Exzisionskreis (TREC) Test routinemäßig bei Neugeborenen durchgeführt würde. Der Verdacht auf SCID, eine ernstzunehmende pädiatrische Notsituation, muss erhärtet sein, da eine sofortige Diagnose lebenswichtig ist. Eine Stammzelltransplantation mit passenden oder zur Hälfte identischen Zellen eines Verwandten, die vor Erreichen des 3. Lebensmonats durchgeführt wird, wenn SCID diagnostiziert wird, kann in 95% der Fälle lebensrettend sein.

Tipps und Risiken

  • Um einen frühen Tod zu verhindern, wird das Screening aller Neugeborenen für SCID mit einem T-Zell-Rezeptor-Exzisionskreis-(TREC)-Test in Erwägung gezogen.

Behandlung der vermuteten Immunschwäche

  • Vermeidung von Lebendimpfungen und Exposition gegenüber Infektionen

  • Antibiotika und manchmal Operation

  • Ersatz von fehlenden Immunkomponenten

Die Behandlung von Immunschwäche besteht in der Prävention von Infektionen, der Behandlung akuter Infektionen und, sofern möglich, im Ersatz fehlender Immunkomponenten.

Infektionsprävention

Die Infektionsprophylaxe besteht in der Aufklärung der Patienten, Umweltkontakte zu vermeiden, und darin, keine virale Lebendimpfungen zu verabreichen (z. B. Varizella, Rotavirus, Masern, Mumps, Röteln, Herpes zoster, Gelbfieber, orale Polio, intranasale Grippeimpfstoffe) oder Bacille Calmette-Guérin (BCG). Pneumokokken, Meningokokken, Diphtherie-Tetanus-Pertussis (DTaP), Hepatitis B und Haemophilus influenzae-Impfstoffe vom Typ b (Hib) sind die empfohlenen risikospezifischen Impfstoffe, deren Wirksamkeit jedoch vom Grad der Immunschwäche abhängt (1).

Impfstoffe auf der Basis von Messenger-RNA und Adenoviren zur Vorbeugung von COVID scheinen bei Patienten mit einer primären Immunschwäche sicher zu sein. Es ist jedoch noch unklar, wie stark diese Impfstoffe die Antikörpertiter erhöhen und wie lange sie noch schützen. Es ist wahrscheinlich, dass Patienten mit humoralen und B-Zell-Defiziten ein geringeres Ansprechen haben werden.

Die Prophylaxe einer Reaktivierung von Hepatitis B oder C bei immunsupprimierten Patienten mit serologischem Nachweis einer Exposition kann durch antivirale Medikamente wie Lamivudin oder Entecavir erfolgen.

Bei Patienten mit einem Risiko für schwere Infektionen (z. B. jene mit SCID, chronischer Granulomatose, Wiskott-Aldrich-Syndrom oder Asplenie) oder spezifische Infektionen (z. B. mit Pneumocystis jirovecii bei Patienten mit T-Zell-Defekten) ist eine Antibiotikaprophylaxe (z. B. 5 mg/kg Trimethoprim-Sulfamethoxazol p.o. 2 mal täglich) sinnvoll.

Um Graft-versus-Hoste-Erkrankungen nach Transfusionen zu vermeiden, sollten Blutprodukte von CMV-negativen Spendern verwendet werden; die Produkte sollten gefiltert, um Leukozyten zu entfernen, und bestrahlt (15 bis 30 Gy) werden.

Die Behandlung einer akuten Infektion

Nachdem entsprechende Kulturen angelegt wurden, sollten möglichst schnell solche Antibiotika gegeben werden, die die Ursache am wahrscheinlichsten angreifen. Manchmal ist eine Operation (z. B. Drainage von Abszessen) nötig.

Virusinfektionen, die in der Regel selbstlimitierend sind, können bei immunsupprimierten Patienten zu schweren persistierenden Erkrankungen führen. Antivirale Substanzen (z. B. Oseltamivir, Peramivir, Zanamivir gegen Influenza, Aciclovir gegen Herpes simplex- und Varicella zoster-Infektionen; Ribavirin gegen RSV- oder Parainfluenza-3-Virusinfektionen) können lebensrettend sein.

Ersatz von fehlenden Immunkomponenten

Ein Ersatz verhindert Infektionen. Zu den Therapien, die bei mehr als einer primären Immunschwächekrankheit verwendet werden, gehören folgende:

  • Behandlung mit IV Immunglobulinen (IVIG) ist bei den meisten Antikörpermangelsyndromen als Ersatztherapie wirksam. Die übliche Dosis beträgt 400 mg/kg einmal pro Monat; die Behandlung beginnt mit einer niedrigen Infusionsrate. Einige Patienten benötigen höhere Dosen oder häufigere Gaben. Von hochdosiertem IVIG (800 mg/kg einmal pro Monat) können Patienten mit Antikörpermangel profitieren, die auf die üblichen Dosen nicht gut ansprechen; das gilt besonders für Patienten mit einer chronischen Lungenerkrankung. Das therapeutische Ziel bei der Gabe von hochdosiertem IVIG ist das Erreichen von IgG-Talspiegeln im normalen Bereich (> 600 mg/dl [> 6 g/l]).

  • Subkutanes Immunglobulin (SCIG) kann anstelle von IVIG verabreicht werden. SCIG kann zu Hause verabreicht werden, in der Regel vom Patienten selbst. Die übliche Dosis beträgt 100 bis 150 mg/kg einmal/Woche Weil sich SCIG und IVIG in der Bioverfügbarkeit unterscheiden, muss die Dosis von SCIG möglicherweise angepasst werden, wenn Patienten auf IVIG umsteigen. Mit SCIG sind lokale Reaktionen an ein Risiko, aber SCIG scheint weniger systemische Nebenwirkungen haben.

  • Die hämatopoetische Stammzelltransplantation mit Knochenmark, Nabelschnurblut oder adulten peripheren Blutstammzellen kann sich bei tödlichen T-Zell- oder anderen Immundefekten als wirksame Therapie erweisen. Für Patienten ohne T-Zellen (z. B. jene mit SCID) ist eine Chemotherapie vor der Transplantation überflüssig. Bei Patienten mit intakter oder nur partiell defizienter T-Zellfunktion (z. B. Wiskott-Aldrich-Syndrom, kombiniertem Immundefekt mit unzureichender, aber nicht fehlender T-Zellfunktion) muss erst eine Chemotherapie durchgeführt werden, um die Akzeptanz des Transplantats sicherzustellen. Steht ein passendes Geschwister nicht als Spender zur Verfügung, kann halbidentisches Knochenmark eines Elternteils transplantiert werden. In diesen Fällen müssen reife T-Zellen, die zu einer Graft-versus-host-Reaktion führen, vor der Transplantation vollständig aus dem elterlichen Knochenmark entfernt werden. Auch Nabelschnurblut eines humanen Leukozytenantigens-kompatiblen Geschwisters kann als Quelle von Stammzellen verwendet werden. In einigen Fällen eignet sich auch das Knochenmark oder das Nabelschnurblut eines Nichtverwandten, aber passenden Spenders. In diesem Fall ist allerdings nach der Transplantation die Gabe von Immunsuppressiva erforderlich, um eine Graft-versus-host-Reaktion zu verhindern, die andererseits die Wiederherstellung der Immunität aber auch verzögert. Die Überlebensrate von Patienten nach einer Stammzelltransplantation liegt heute bei 80% (2).

Therapie in der Erprobung

Gentherapie bezieht sich auf die Einführung eines exogenen Gens (Transgens) in einen oder mehrere Zelltypen mit der Hoffnung, ein fehlendes oder schlecht funktionierendes Gen zu korrigieren, das bekanntermaßen eine Krankheit verursacht.

Die Gentherapie unter Verwendung von gamma-retroviralen Vektoren wurde bei Adenosin-Deaminase (ADA)-Mangel (eine Art von SCID) eingesetzt und führte zur Vektor-Insertion in Onkogenen, mit einigen Heilungen; Leukämien sind bisher nicht aufgetreten.

In Mausmodellen der chronischen granulomatösen Erkrankung wurde die CRISPR/Cas9-Technologie (Clustered Regular Interspaced Short Palindromic Repeats und CRISPR-assoziiertes Protein 9) zur Korrektur der CYBB-Mutation eingesetzt.

In präklinischen Studien mit menschlichen und Mausmodellen von Artemis-defizienten Stammzellen wurde ein lentiviraler Vektor, der die menschliche Artemis-DCLRE1C-cDNA unter Transkriptionsregulation des eigenen menschlichen Artemis-Promotors trägt, zur Korrektur schwerer kombinierter Immundefekte verwendet (3).

Andere Gentherapien werden zur Behandlung von X-chromosomalem SCID, Hyper-IgM-Syndrom, chronischer Granulomatose und X-chromosomaler Agammaglobulinämie untersucht. Die T-Zell-Gentherapie (CAR-T) wird auch zur Korrektur von T-Zell-immanenten Defekten bei IPEX-Syndrom, Hyper-IgM-Syndrom, X-chromosomaler lymphoproliferativer Erkrankung, Munc 13-4-Mangel und Perforin-Mangel untersucht (4). Die Wirksamkeit der Gentherapie im Vergleich zur Substitutionstherapie und zur Transplantation hämatopoetischer Stammzellen bei bestimmten Erkrankungen ist nach wie vor unklar.

Literatur zur Behandlung

  1. 1. Shearer WT,  Fleisher TA, Sullivan K, et al: Recommendations for live viral and bacterial vaccines in immunodeficient patients and their close contacts. J Allergy Clin Immunol 133 (4): 961–966, 2014.

  2. 2. Marsh RA, Hebert KM, Keesler D, et al: Practice pattern changes and improvements in hematopoietic cell transplantation for primary immunodeficiencies. J Allergy Clin Immunol 142(6): 2004–2007, 2018.

  3. 3. Punwani D, Kawahara M, Sanford U, et al: Lentivirus mediated correction of Artemis-deficient severe combined immunodeficiency. Hum Gene Ther 28: 112–124, 2017.  doi: 10.1089/hum.2016.064

  4. 4. Ferreira LMR, Muller YD, Bluestone JA, et al: Next-generation regulatory T cell therapy. Nat Rev Drug Discov 18(10): 749–769, 2019. doi: 10.1038/s41573-019-0041-4

Wichtige Punkte

  • Eine primäre Immunschwächestörung wird in Erwägung gezogen, wenn die Infektionen ungewöhnlich häufig auftreten oder schwer sind, insbesondere dann, wenn sie bei Familienmitgliedern vorliegen oder wenn die Patienten Soor, Mundgeschwüre, Parodontitis oder bestimmte Hautläsionen haben.

  • Eine vollständige körperliche Untersuchung, die Haut, Schleimhäute, Lymphknoten, Milz und Rektum umfasst, wird durchgeführt.

  • Beginnen Sie die Untersuchung mit einem vollständigen manuellen Differenzialblutbild, quantitativen Immunglobulinwerten, Antikörpertitern und Hauttests auf verzögerte Überempfindlichkeit.

  • Die Auswahl weiterer Tests hängt davon ab, welche Art von Immundefekt vermutet wird (humoral, zellulär, Phagozytischen oder Komplement).

  • Der Fetus wird getestet (z. B. unter Verwendung von fetalem Blut, Chorionzottenbiopsie oder kultivierten Fruchtzellen), wenn bekannt ist, dass Familienmitglieder eine Immunschwächekrankheit haben.

  • Aufklärung der Patienten über die Vermeidung von Infektionen, Verabreichung indizierter Impfstoffe, Vermeidung von Lebendimpfstoffen und Verschreibung prophylaktischer Antibiotika für Patienten mit bestimmten Erkrankungen.

  • Anhaltender Immunglobulinersatz bei Antikörpermangel und hämatopoetische Stammzelltransplantation bei schweren Immundefekten, insbesondere T-Zell-Immundefekten, werden in Erwägung gezogen.

  • Obwohl sich die Gentherapie noch in der Erprobungsphase befindet, könnte sie durch Fortschritte in der Zukunft zu einer praktikablen Option werden.