Vergiftungen mit Acetylsalicylsäure und anderen Salicylaten

(Salicylismus)

VonGerald F. O’Malley, DO, Grand Strand Regional Medical Center;
Rika O’Malley, MD, Grand Strand Medical Center
Überprüft/überarbeitet Juni 2022
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Vergiftungen mit Salicylaten können Erbrechen, Tinnitus, Verwirrtheit, Hyperthermie, respiratorische Alkalose, metabolische Azidose und Multiorganversagen auslösen. Die Diagnose erfolgt klinisch, ergänzt durch die Messung der Anionenlücke, der arteriellen Blutgase und des Salicylatspiegels im Serum. Die Behandlung erfolgt durch die Gabe von Aktivkohle, alkalischer Diurese oder Hämodialyse.

(Siehe auch Allgemeine Grundlagen zu Vergiftungen.)

Die akute Einnahme von > 150 mg/kg Salicylat kann zu schwerer Toxizität führen. Salicylattabletten können zu Verklumpungenund damit zur verzögerten Resorption und Toxizität führen. Chronische Toxizität kann auch mehrere Tage nach der chronischen Einnahme von Dosen im oberen therapeutischen Bereich auftreten; diese Form der Vergiftung kommt häufig vor, bleibt oft unerkannt und ist meist schwerwiegender als akute Salicylatvergiftungen. Chronische Vergiftungen scheinen eher bei älteren Patienten vorzukommen.

Die konzentrierteste und giftigste Form von Salicylat ist Wintergrünöl (Methylsalicylat, ein Bestandteil einiger Einreibemittel und Lösungen, die in Heißverdampfern verwendet werden); die Einnahme von < 5 ml entspricht etwa 7000 Milligramm (zweiundzwanzig 325-mg-Tabletten) Aspirin, das ein kleines Kind töten kann. Jede Exposition muss ernst genommen werden. Basisches Bismutsubsalicylat (8,7 mg Salicylat/ml) ist eine weitere potenziell unerwartete Quelle von großen Mengen an Salicylsäure.

Tipps und Risiken

  • Ein Verschlucken von weniger als 5 ml Wintergrünöl (Methylsalicylat, ein Bestandteil einiger Einreibemittel und Lösungen, die in Heißverdampfern verwendet werden) kann bei kleinen Kindern zum Tod führen.

Pathophysiologie der Salicylatvergiftung

Salicylate hemmen über die Entkoppelung der oxidativen Phosphorylierung die Atmungskette. Sie stimulieren die Atmungszentren im Hirnstamm, was zunächst zur respiratorischen Alkalose führt, die insb. bei kleinen Kindern häufig unerkannt bleibt. Salicylate bewirken gleichzeitig, aber unabhängig davon eine metabolische Azidose. Letztendlich verschwinden die Salicylate aus den Blut und führen intratellulär zu einer Störung der Mitochondrien. Säure-Base Störungen sind dann die einzigen Anzeichen.

Ferner bewirken Salicylatvergiftungen eine Ketonämie, Fieber und auch bei fehlender Hypoglykämie niedrige Gukosespiegel im ZNS. Der Natrium-, Kalium- und Wasserverlust der Nieren und der erhöhte, aber nicht wahrnehmbare Wasserverlust der Atemwege aufgrund von Hyperventilation führen zur Dehydratation.

Salicylate sind schwache Säuren, die die Zellmembranen relativ leicht überwinden; somit sind sie toxischer, wenn der pH-Wert des Blutes erniedrigt ist. Dehydratation, Hyperthermie und chronische Einnahmen erhöhen die Salicylattoxizität, da sie zu einer größere Verteilung der Salicylate im Gewebe führen. Die Ausscheidung von Salicylaten wird durch die Anhebung des Urin-pHs verstärkt.

Symptome und Beschwerden einer Salicylatvergiftung

Bei akuter Überdosierung bestehen frühe Vergiftungszeichen wie Übelkeit, Erbrechen, Tinnitus und Hyperventilation. Spätere Vergiftungszeichen sind Hyperaktivität, Fieber, Verwirrtheit und Krampfanfälle. Schließlich können auch Rhabdomyolyse, akutes Nierenversagen und respiratorisches Versagen auftreten. Eine Hyperaktivität kann schnell in eine Lethargie umschlagen; Hyperventilation (mit respiratorischer Alkalose) geht in Hypoventilation (mit gemischter respiratorischer und metabolischer Azidose) über und führt zur respiratorscher Insuffizienz.

Bei chronischen Überdosierung sind die Symptome und Befunde unspezifisch, variieren außerordentlich stark und lassen eher an eine Sepsis denken. Sie können Orientierungslosigkeit, Bewusstseinsstörungen, Fieber, Hypoxie und nichtkardiales Lungenödem, Dehydratation, Laktatazidose und Hypotonie umfassen.

Tipps und Risiken

  • Eine Salicylatvergiftung muss bei älteren Patienten mit unspezifischen oder sepsisähnlichen Befunden (z. B. leichte Verwirrtheit, Veränderung des mentalen Status, Fieber, Hypoxie, kardiogene Lungenödem, Dehydratation, Laktatazidose, Hypotonie) in Betracht gezogen werden.

Diagnose der Salicylatvergiftung

  • Serumsalicylatkonzentratione

  • Arterielles Blutgas (ABGs)

Eine Salicylatvergiftung wird bei Patienten vermutet, wenn eine der folgenden Bedingungen gegeben ist:

  • Vorgeschichte mit einer einzigen akuten Überdosierung

  • Wiederholte Einnahme von therapeutischen Dosen

  • Ungeklärte metabolische Azidose

  • Ungeklärte Verwirrheit und Fieber (bei älteren Patienten)

  • Andere Befunde, die auf eine Sepsis hinweisen (z. B. Fieber, Hypoxie, kardiogenes Lungenödem, Dehydratation, Hypotonie)

Sofern der Vergiftungsverdacht naheliegt, sollten Serumsalicylatkonzentrationen (Entnahme innerhalb weniger Stunden nach Einnahme), Urin-pH, arterielle Blutgase, Serumelektrolyte, Serumkreatinin, Plasmaglucose und Blut-Harnstoff-Stickstoff gemessen werden. Sofern der Verdacht auf eine Rhabdomyolyse besteht, sollten die Serum-Creatinkinase und das Myoglobin im Urin bestimmt werden.

Eine signifikante Salicylattoxizität wird bei Serumkonzentrationen deutlich oberhalb des therapeutischen Bereichs (therapeutischer Bereich: 10–20 mg/dl [0,725 bis 1,45 mmol/l]), v. a. 6 Stunden nach Einnahme (wenn die Resorption üblicherweise nahezu abgeschlossen ist) und bei Azidämie und entsprechenden arteriellen Blutgasveränderungen vermutet, die eine Salicylatvergiftung plausibel erscheinen lassen. Serumkonzentrationen sind hilfreich bei der Bestätigung der Diagnose und können bei der Wahl der Therapie helfen, jedoch können die Werte irreführend sein und müssen zur klinischen Situation passen.

Üblicherweise finden sich in den arteriellen Blutgasanalysen primär respiratorische Alkalosen innerhalb der ersten Stunde nach Ingestion; später finden sich eher eine kompensierte metabolische Azidose oder eine gemischte metabolische Azidose/respiratorische Alkalose. Schließlich, sobald die Salicylatkonzentrationen sinken, ist eine nicht ausreichend kompensierte oder gar dekompensierte metabolische Azidose der Hauptbefund. Wenn ein respiratorisches Versagen auftritt, zeigen die arteriellen Blutgasanalysen eine kombiniert metabolische und respiratorische Azidose; im Röntgenbild finden sich diffuse pulmonale Infiltrate. Die Plasma-Glukosekonzentratione können normal, niedrig oder hoch sein. Wiederholt bestimmte Salicylatkonzentrationne können bei der Entscheidung, ob die Absorption abgeschlossen ist oder noch voranschreitet, hilfreich sein; arterielle Blutgasanalysen und Serumelektrolyte sollten immer parallel zur Serumkonzentration bestimmt werden. Ein Anstieg der Serum-Creatinkinase und Myoglobinspiegel im Urin deuten auf eine Rhabdomyolyse hin.

Behandlung der Salicylatvergiftung

  • Aktivkohle

  • Alkalische Diurese mit zusätzlichem Kaliumchlorid

Die Gabe von Aktivkohle sollte, wenn nicht kontraindiziert (z. B. bei verändertem mentalem Status), so bald wie möglich erfolgen. Sind Darmgeräusche vorhanden, kann die Kohle alle vier Stunden verabreicht werden, bis sie im Stuhl erschein.

Nach Korrektur von Volumen- und Elektrolytveränderungen kann die alkalische Diurese zur Anhebung des Urin-pH, idealerweise auf einen pH-Wert im Urin von maximal 8, benutzt werden. Liegen Symptome einer Vergiftung vor, sollte mit der alkalischen Diurese begonnen werden, auch wenn die Salicylat-Serumkonzentration noch nicht vorliegt. Diese Maßnahme ist normalerweise sicher und führt zu einer nenneswerten Erhöhung der Salicylatausscheidung im Urin. Da bei der Durchführung der alkalischen Diurese eine Hypokaliämie auftreten kann, sollte den betroffenen Patienten eine Lösung aus 1000 ml 5% Glukose, 3 Ampullen à 50 mEq 50-mmol) NaHCO3 und 40 mEq (40 mmol) Kaliumchlorid mit einer Infusionsgeschwindigkeit vom 1,5- bis 2-Fachen des notwendigen Flüssigkeitsersatzes (150–200 ml/h) als intravenöse Infusion verabreicht werden. Das Serumkalium wird überwacht. Weil eine Überlastung mit Flüssigkeit zum Lungenödem führen kann, müssen die Patienten entsprechend überwacht werden.

Auf Medikamente, die die renale Bikarbonat-Sekretion erhöhen (z. B. Acetazolamid), sollte verzichtet werden, da sie die metabolische Azidose verschlechtern können und den pH-Wert im Blut reduzieren. Medikamente, die den Atemantrieb reduzieren, sollten möglichst vermieden werden, da sie die Hyperventilation und damit die respiratorische Alkalose einschränken und zu einem Abfall des Blut-pH-Wertes führen.

Fieber kann durch physikalische Maßnahmen wie externe Kühlung behandelt werden. Krampfanfälle werden mit Benzodiazepinen behandelt. Bei Patienten mit Rhabdomyolyse ist eine angemessene Hydratation und ausreichende Diurese entscheidend. Eine alkalische Diurese kann ein Nierenversagen verhindern helfen.

Bei Patienten mit schwerwiegenden neurologischen Ausfällen, Nieren- oder respiratorischer Insuffizienz, trotz entsprechender Maßnahmen persistierender Azidose oder sehr hohen Serumsalicylatkonzentrationen (> 100 mg/dl [> 7,25 mmol/l] nach akuter Überdosierung bzw. > 60 mg/dl [> 4,35 mmol/l] bei chronischen Überdosen) kann eine Hämodialyse erforderlich werden.

Die Behandlung von Säure-Basen-Veränderungen bei Patienten mit einer Salicylatvergiftung, die zum Schutz der Atemwege oder um eine ausreichende Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, intubiert und beatmet werden, kann extrem schwierig sein. Im Allgemeinen sollten intubierte Patienten in der Intensivstation dialysiert und streng überwacht werden.

Wichtige Punkte

  • Eine Salicylatvergiftung verursacht respiratorische Alkalose und, durch einen unabhängigen Mechanismus, eine metabolische Azidose.

  • An eine Salicylatvergiftung sollte bei Patienten mit unspezifischen Befunden (z. B. Veränderung des mentalen Status, metabolische Azidose, kardiogenes Lungenödem, Fieber) gedacht werden, auch wenn nichts über eine entsprechende Einnahme bekannt ist.

  • Der Grad der Vergiftung kann durch die Serum-Salicylsäurekonzentration und ABGA beurteilt werden.

  • Die Behandlung erfolgt durch die Gabe von Aktivkohle, Alkalisierung des Urins und zusätzlichem Kaliumchlorid.

  • Bei einer schweren Vergiftung sollte eine Hämodialyse in Betracht gezogen werden.