Medikamentöse Behandlung der bipolaren Störungen

VonWilliam Coryell, MD, University of Iowa Carver College of Medicine
Überprüft/überarbeitet Okt. 2023
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Auswahl und Verwendung von Arzneimitteln

Wahl der pharmakologischen Mittel zur Behandlung von bipolaren Störungen kann schwierig sein, da alle Medikamente erhebliche unerwünschte Wirkungen haben, Arzneimittelwechselwirkungen häufig sind und kein Medikament allgemein wirksam ist. Die Auswahl sollte darauf aufbauen, was bisher bei einem bestimmten Patienten wirksam und gut verträglich war. Liegen keine früheren Erfahrungen vor (oder sind diese nicht bekannt), richtet sich die Wahl nach der Anamnese des Patienten (in Bezug auf die unerwünschten Wirkungen des jeweiligen Stimmungsstabilisators) und dem Schweregrad der Symptome.

(Siehe auch Bipolare Störungen.)

Bei schwerer manischer Psychose, bei der die unmittelbare Patientensicherheit und das Störungsmanagement gefährdet sind, erfordert die akute Verhaltenskontrolle in der Regel ein sedierendes Antipsychotikum der 2. Generation, das manchmal anfänglich durch ein Benzodiazepin wie Lorazepam oder Clonazepam (siehe Tabelle Benzodiazepine).

Bei weniger schweren akuten Episoden bei Patienten ohne Kontraindikationen (z. B. Nierenerkrankungen) ist Lithium eine gute erste Wahl sowohl bei Manie als auch bei depressiven Episoden. Da die Wirkung langsam einsetzt (4–10 Tage), können Patienten mit deutlichen Symptomen auch ein Antikonvulsivum oder ein Antipsychotikum der 2. Generation erhalten.

Bei bipolarer Depressionen, empfehlen die besten Nachweise Quetiapin, Cariprazin, Lumateperon oder Lurasidon allein oder die Kombination von Fluoxetin und Olanzapin (1, 2).

Sobald eine Remission erreicht ist, ist eine vorbeugende Behandlung mit Stimmungsstabilisatoren für alle Patienten mit einer bipolar I-Störung angezeigt (bipolar I ist durch das Vorhandensein von mindestens einer vollwertigen manischen Episode definiert). Wenn Episoden während der Erhaltungstherapie wiederkehren, sollten die Ärzte feststellen, ob die Adhärenz gering ist, und, wenn ja, ob die mangelnde Adhärenz vor oder nach dem Rückfall aufgetreten ist. Die Gründe für mangelnde Adhärenz sollten eruiert werden, um festzustellen, ob sich durch einen Wechsel auf einen anderen Stimmungsstabilisierer oder eine Dosisänderung mehr Akzeptanz für die Behandlung erzielen ließe.

Auswahl der Medikamente und Hinweise zur Verwendung

  1. 1. Bobo WV: The diagnosis and management of bipolar I and II disorders: Clinical practice update. Mayo Clin Proc 92(10):1532-1551, 2017. doi: 10.1016/j.mayocp.2017.06.022

  2. 2. Calabrese JR, Durgam S, Satlin A, et al: Efficacy and safety of lumateperone for major depressive episodes associated with bipolar I or bipolar II disorder: A phase 3 randomized placebo-controlled trial. Am J Psychiatry 178(12):1098-1106, 2021. doi: 10.1176/appi.ajp.2021.20091339

Lithium

Lithium an, das bipolare Stimmungsschwankungen abschwächt, aber keinen Einfluss auf die normale Stimmung hat. Patienten mit einer Familienanamnese typischer bipolarer Störungen sprechen mit größerer Wahrscheinlichkeit auf Lithium an.

Unabhängig davon, ob Lithium oder Stimmungsstabillisierer zum Einsatz kommen, sind Durchbrüche wahrscheinlicher bei Patienten mit gemischten Zustandsbildern, schnell-zyklische Formen der bipolaren Störung (meist definiert als 4 Episoden/Jahr), komorbider Angststörung, Substanzgebrauchsstörung oder einer neurologischen Störung.

Lithium-Karbonat wird in der Regel je nach Blutspiegel, Verträglichkeit und Ansprechen titriert. Höhere Spiegel in der Erhaltungstherapie schützen besser vor manischen (aber nicht depressiven) Episoden, sie haben aber mehr unerwünschte Wirkungen. Heranwachsende mit sehr guter Nierenfunktion benötigen höhere, ältere Patienten niedrigere Dosierungen.

Lithium kann direkt oder indirekt (indem es eine Hypothyreose verursacht) zu Sedierung und kognitiver Beeinträchtigung führen und verschlimmtert häufig Akne und Psoriasis. Die häufigsten akuten leichten Nebenwirkungen sind: feinschlägiger Tremor, Faszikulationen, Übelkeit, Diarrhö, Polyurie, Polydipsie und Gewichtszunahme (die teilweise dem Konsum kalorienreicher Getränke zuzuschreiben ist). Diese Wirkungen sind i. Allg. vorübergehender Natur und sprechen oft auf eine leichte Dosisreduktion, die Aufteilung der Dosis (z. B. 3-mal/Tag) oder den Einsatz von Retardpräparaten an. Sobald die Dosierung feststeht, sollte die gesamte Dosis nach der Abendmahlzeit eingenommen werden. Diese einmal tägliche Verabreichung kann die Adhärenz verbessern und möglicherweise die Nierentoxizität verringern. Ein Betarezeptorenblocker (z. B. Atenolol 25–50 mg p.o. einmal täglich) kann heftigen Tremor kontrollieren; einige Betaezeptorenblocker (z. B. Propranolol) jedoch können die Depression verschlechtern.

Erste Anzeichen einer akuten Lithiumintoxikation sind grobschlägiger Tremor, gesteigerte tiefe Sehnenreflexe, anhaltende Kopfschmerzen, Erbrechen und Verwirrtheit; sie können sich weiterentwickeln zu Stupor, Krampfanfällen und Arrhythmien. Toxizität tritt wahrscheinlicher bei Folgenden auf:

  • Ältere Patienten

  • Patienten mit verringerter Kreatinin-Clearance

  • Diejenigen mit Natriumverlust (beispielsweise aufgrund von Fieber, Erbrechen, Durchfall, oder die Verwendung von Diuretika)

Thiaziddiuretika, ACE-Hemmer und nichtsteroidale Antiphlogistika mit Ausnahme von Aspirin können zu einer Hyperlithämie beitragen. Die Lithium-Blutspiegel sollten alle 6 Monate und bei Dosisänderungen bestimmt werden.

Unerwünsche Langzeitwirkungen von Lithium umfassen

Daher sollte der TSH-Spiegel (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) zu Beginn der Behandlung mit Lithium und danach jährlich überwacht werden, wenn in der Familie eine Schilddrüsenfehlfunktion bekannt ist, bzw. alle 2 Jahre bei allen anderen Patienten. Die Spiegel sollten auch immer dann bestimmt werden, wenn Symptome auf Funktionsstörungen der Schilddrüse hinweisen (und auch bei Wiederauftreten der Manie), weil Hypothyreose die Wirkung der Stimmungsstabilisierer abschwächt. Blut-Harnstoff-Stickstoff und Kreatinin sollten als Basiswert, 2- oder 3-mal während der ersten 6 Monate und dann ein- oder 2-mal jährlich bestimmt werden. Serumkalzium und Parathormon sollten jährlich gemessen werden. Die kumulative Dosis ist ein Risikofaktor für Nierenschaden, daher sollte die minimale wirksame Dosis für eine wirksame Prophylaxe verwendet werden (1, 2, 3).

Literatur zu Lithium

  1. 1. Presne C, Fakhouri F, Noël LH, et al: Lithium-induced nephropathy: Rate of progression and prognostic factors. Kidney Int 64 (2):585-592, 2003. doi: 10.1046/j.1523-1755.2003.00096.x

  2. 2. Pawar AS, Kattah AG: Lithium-induced nephropathy. N Engl J Med 378 (11):1042, 2018. doi: 10.1056/NEJMicm1709438

  3. 3. McKnight RF, Adida M, Stockton S, et al: Lithium toxicity profile: A systematic review and meta-analysis. Lancet 379 (9817):721-728, 2012. doi: 10.1016/S0140-6736(11)61516-X

Antiepileptika

Antikonvulsiva, die als Stimmungsstabisierer wirken, insbesondere Valproat und Carbamazepin, werden häufig bei akuter Manie und gemischten Zuständen (Manie und Depression) eingesetzt. Lamotrigin ist wirksam bei Stimmungsschwankungen und Depression. Der genaue Wirkungsmechanismus von Antikonvulsiva bei bipolaren Störungen ist unbekannt, könnte jedoch gamma-Aminobuttersäure-Mechanismen und letztendlich G-Protein-Signalisierungssysteme umfassen. Ihre wichtigsten Vorteile gegenüber Lithium sind eine größere therapeutische Breite und die fehlende Nierentoxizität.

Bei Valproat können die Anfangsdosis und die Art der Verabreichung variieren, sie muss jedoch auf der Grundlage der Zielserumspiegel angepasst werden. Ein gewichtsabhängiges Dosierungsprotokoll kann zu einer früheren Verbesserung der Symptome führen. Unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Kopfschmerzen, Sedierung, Schwindel und Gewichtszunahme; seltene schwere Nebenwirkungen sind Hepatotoxizität und Pankreatitis.

Carbamazepin sollte nicht überdosiert werden; es sollte schrittweise erhöht werden, um einen Zielserumspiegel zu erreichen. Unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Schwindel, Sedierung, und Unstetigkeit. Sehr schwere unerwünschte Wirkungen sind aplastische Anämie und Agranulozytose.

Bei Lamotrigin variieren die Anfangsdosis und die Titration in Abhängigkeit von möglichen Wechselwirkungen mit gleichzeitig eingenommenen Medikamenten. Die Dosierung ist niedriger für Patienten, die Valproat einnehmen, und höher für Patienten unter Carbamazepin. Lamotrigin kann einen Hautausschlag und selten das lebensbedrohliche Stevens-Johnson-Syndrom verursachen, insbesondere dann, wenn die Dosierung schneller erhöht wird als empfohlen. Während der Einnahme von Lamotrigin sollten die Patienten aufgefordert werden, jeden neuen Hautausschlag, Nesselsucht, Fieber, geschwollene Drüsen, wunde Stellen im Mund und an den Augen und Schwellungen von Lippen oder der Zunge zu berichten.

Antipsychotika

Akute manische Psychose wird zunehmend mit Antipsychotika der zweiten Generation, behandelt, wie

  • Aripiprazol

  • Cariprazine

  • Lurasidone

  • Olanzapin

  • Quetiapin

  • Risperidon

  • Ziprasidon

Zudem deutet einiges darauf hin, dass diese Arzneimittel nach der akuten Phase die Wirkung von Stimmungsstabilisierern verstärken können (1).

Obwohl jedes dieser Medikamente extrapyramidale Nebenwirkungen haben und Akathisie verursachen kann, ist das Risiko niedriger mit eher sedierenden Wirkstoffen wie Quetiapin und Olanzapin. Zu den weniger unmittelbaren unerwünschten Wirkungen gehören eine erhebliche Gewichtszunahme und die Entwicklung des metabolischen Syndroms (einschließlich Gewichtszunahme, überschüssiges Bauchfett, Insulin-Resistenz und Dyslipidämie); das Risiko kann bei den am wenigsten sedierenden Antipsychotika der zweiten Generation, Lurasidon, Ziprasidon und Aripiprazol, geringer sein.

Bei extrem hyperaktiven psychotischen Patienten mit geringer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr können zusätzlich zur Therapie mit Lithium oder einem Antikonvulsivum ein Antipsychotikum i.m. plus unterstützende Pflege angebracht sein.

Literatur zu Antipsychotika

  1. 1. Bowden CL: Atypical antipsychotic augmentation of mood stabilizer therapy in bipolar disorder. J Clin Psychiatry 66 Suppl 3:12-19, 2005. PMID: 15762830

Antidepressiva

Spezifische Antidepressiva (z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI]) werden manchmal bei schweren Depressionen eingesetzt, aber ihre Wirksamkeit ist umstritten; sie werden im Allgemeinen nicht als Monotherapie für depressive Episoden empfohlen, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass ein SSRI (insbesondere Sertralin) als Monotherapie bei bipolarer II-Depression sicher und wirksam sein kann (1). Eine Reihe kleinerer Studien deutet darauf hin, dass Tranylcypromin bei der Behandlung der bipolaren Depression wirksamer sein könnte als andere Antidepressiva (2).

Literatur zu Antidepressiva

  1. 1. Gitlin MJ: Antidepressants in bipolar depression: An enduring controversy. Int J Bipolar Disord 6:25, 2018. doi: 10.1186/s40345-018-0133-9

  2. 2. Heijnen WT, De Fruit J, Wiersma AI, et al: Efficacy of tranylcypromine in bipolar depression: A systematic review. J Clin Psychopharmacol 35: 700-705, 2015. doi: 10.1097/JCP.0000000000000409

Vorsichtsmaßnahmen während der Schwangerschaft

Lithiumgebrauch während der Schwangerschaft ist mit einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Fehlbildungen (insbesondere Ebstein-Anomalie) verbunden. Jedoch ist das absolute Risiko für diese besondere Fehlbildung recht niedrig (1). Die Einnahme von Lithium während der Schwangerschaft scheint das relative Risiko von angeborenen Anomalien ca. um das 2-Fache zu erhöhen; dieses Risiko ist ähnlich dem 2- bis 3-fach erhöhten Risiko für angeborene Fehlbildungen in Verbindung mit der Verwendung von Carbamazepin oder Lamotrigin und wesentlich geringer als das Risiko im Zusammenhang mit dem Einsatz von Valproat.

Mit Valproatel scheint das Risiko von Neuralrohrdefekten und anderen kongenitalen Missbildungen 2- bis 7-mal höher zu sein als bei anderen gewöhnlich verwendeten Antikonvulsiva und sollte während der Schwangerschaft nicht verwendet werden (2). Valproat erhöht das Risiko von Neuralrohrdefekten, angeborenen Herzfehlern, urogenitalen Anomalien, Muskel-Skelett-Anomalien und Lippen- oder Gaumenspalte. Auch kognitive Ergebnisse (z. B. IQ-Werte) bei Kindern von Frauen, die während der Schwangerschaft Valproat eingenommen haben, sind schlechter als die mit anderen Antiepileptika; das Risiko scheint dosisabhängig zu sein. Valproat scheint auch das Risiko für eine Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung und Autismus-Spektrum-Störungen zu erhöhen (3).

Umfangreiche Untersuchungen über den Einsatz von Antipsychotika der 1. Generation und trizyklischen Antidepressiva während der Frühschwangerschaft ergaben keinen Anlass zur Sorge. Es gibt Hinweise darauf, dass Antipsychotika der 2. Generation ebenfalls sicher sind, möglicherweise mit Ausnahme von Risperidon (4). Das Risiko für Teratogenität scheint auch gering zu sein selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRIs) (5). Einige Studien deuten darauf hin, dass unter Paroxetin ein geringes absolutes Risiko für angeborene Herzfehler besteht (6), aber die Daten sind inkonsistent. Daten über die Risiken von Antipsychotika der 2. Generation für den Feten sind bislang spärlich, obwohl diese Medikamente für alle Phasen der bipolaren Störung immer häufiger eingesetzt werden.

Medikamenteneinsatz (insbesondere Lithium und SSRI) vor der Geburt kann Postparteffekte auf das Neugeborene haben.

Behandlungsentscheidungen werden durch die Tatsache kompliziert, dass bei einer ungeplanten Schwangerschaft bereits teratogene Effekte erfolgt sein können, bis die Ärzte auf das Problem aufmerksam werden. Die Konsultation eines Perinatal-Psychiaters sollte in Betracht gezogen werden. In jedem Fall ist die Erörterung von Risiken und Nutzen der Behandlung mit den Patienten wichtig. (See auch Antidepressiva während der Schwangerschaft.)

Vorsichtsmaßnahmen während der Schwangerschaft-Referenzen

  1. 1. Fornaro M, Maritan E, Ferranti R, et al: Lithium exposure during pregnancy and the postpartum period: A systematic review and meta-analysis of safety and efficacy outcomes. Am J Psychiatry 177(1):76-92,2020. doi: 10.1176/appi.ajp.2019.19030228

  2. 2. Andrade C: Valproate in pregnancy: Recent research and regulatory responses. J Clin Psychiatry 79(3):18f12351, 2018. doi: 10.4088/JCP.18f12351

  3. 3. Tomson T, Battino D, Perucca E: Valproic acid after five decades of use in epilepsy: Time to reconsider the indications of a time-honoured drug. Lancet Neurol 15 (2): 210-218, 2016. doi: 10.1016/S1474-4422(15)00314-2

  4. 4. Huybrechts KF, Hernandez-Diaz S, Patorno E, et al: Antipsychotic use in pregnancy and the risk for congenital malformations. JAMA Psychiatry 73(9):938-946, 2016. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.1520

  5. 5. Siegfried J, Rea GL: Intrathecal application of drugs for muscle hypertonia. Scand J Rehabil Med Suppl 1988;17:145-148. PMID: 3041564.

  6. 6. Bérard A, Iessa N, Chaabane S, et al: The risk of major cardiac malformations associated with paroxetine use during the first trimester of pregnancy: A systematic review and meta-analysis. Br J Clin Pharmacol 81(4):589-604, 2016. doi: 10.1111/bcp.12849