Unruhe, Bewusstseinsstörungen und neuromuskuläre Blockade bei Intensivpatienten

VonCherisse Berry, MD, New York University School of Medicine
Überprüft/überarbeitet Dez. 2022
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Intensivpatienten sind oftmals agitiert, verwirrt und schwer zu führen. Sie können auch delirant werden (Durchgangssyndrom). Diese klinischen Zeichen sind für die Patienten unangenehm und erschweren zudem oft auch Therapie und Sicherheit. Im schlimmsten Fall können sie sogar vital bedrohlich werden (z. B. wenn Patienten einen endotrachealen Tubus oder intravenösen Katheter eigenmächtig entfernen).

Ätiologie von Unruhe und Verwirrtheit

Bei einem kritisch kranken Patienten kann Unruhe, Verwirrung oder beides durch den ursprünglichen Gesundheitszustand, durch medizinische Komplikationen oder durch die Behandlung oder die Umgebung auf der Intensivstation verursacht werden (siehe Tabelle Ursachen für Unruhe oder Verwirrtheit bei Intensivpatienten). Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass eine neuromuskuläre Blockade Schmerz und Unruhe lediglich maskiert, sie jedoch nicht verhindert. Gelähmte Patienten können erheblich leiden.

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Beurteilung von Unruhe und Verwirrtheit

Vor der Gabe von Sedativa aufgrund einer „Agitation“ sollte der Krankheitsverlauf sorgfältig durchgegangen werden und eine aufmerksame Untersuchung des Patienten erfolgt sein.

Anamnese

Die gegenwärtige Verletzung oder Erkrankung muss zunächst als wahrscheinlichste Ursache angenommen werden. Aufzeichnungen und Beobachtungen des Pflegepersonals können eine rückläufige Entwicklung bei Blutdruck und Urinausscheidung (verdächtig auf ZNS-Hypoperfusion) sowie dysfunktionale Schlafmuster identifizieren. Die Dokumentation der Medikation wird überprüft, um eine unzureichende oder übermäßige Analgesie und Sedierung zu erkennen.

Die Anamnese wird auf mögliche Ursachen überprüft. Die zugrunde liegende Lebererkrankung deutet auf eine mögliche portosystemische Enzephalopathie (hepatische Enzephalopathie) hin. Bekannte Abhängigkeitserkrankungen oder Missbrauchstörungen führen zu Entzugserscheinungen.

Wache, orientierte Patienten werden selbst dazu befragt, was sie beunruhigt. Insbesondere sind sie über Schmerzen, Atemnot und zuvor nicht berichtete Abhängigkeitserkrankungen zu befragen.

Körperliche Untersuchung

Sauerstoffsättigungen < 90% lassen eine hypoxische Ätiologie vermuten. Niedriger Blutdruck und geringe Urinproduktion machen eine ZNS-Perfusionsstörung wahrscheinlich. Fieber und Tachykardie deuten auf Sepsis, Drogenentzug oder Delirium tremens hin. Bei Nackensteifigkeit muss an Meningitis gedacht werden. Allerdings ist dieses klinische Zeichen beim unruhigen Patienten schwer zu differenzieren. Fokalbefunde im Rahmen der neurologischen Untersuchung geben Hinweise auf Apoplexie, intrakranielle Blutungen oder Anstieg des intrakraniellen Drucks.

Die kontinuierliche Bewertung des Erregungsgrads und der Notwendigkeit einer Sedierung sind der Schlüssel zur Vermeidung einer erhöhten Morbidität. Die beiden gängigsten Sedierungsskalen sind die Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS) und die Riker Sedation-Agitation Scale (SAS) (siehe Tabelle Riker Sedation-Agitation Scale). Manchmal wird auch die Ramsay-Sedierungsskala verwendet. Solche Skalierungssysteme ermöglichen eine bessere Vergleichbarkeit der Beobachtungen verschiedener Untersucher, um dann auch Trends besser erkennen zu können. Muskelrelaxierte Patienten lassen sich nur schwer beurteilen. Bei diesen Patienten kann ein hoher Grad an Unruhe und Unbehagen vorliegen, ohne dass dies von außen erkennbar wird. Es ist also notwendig, die Relaxierung intermittierend zu unterbrechen (z. B. für einen Tag), um den Patienten geeignet beurteilen zu können.

Die Confusion-Assessment-Methode (siehe Tabelle Confusion-Assessment-Methode zur Diagnose von Delir) kann zum Screening auf Delir als Ursache von Unruhe verwendet werden.

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Tests

Festgestellte Normabweichungen (z. B. eine Hypoxie, Hypotonie, Fieber) sollten weitergehend geklärt und entsprechend untersucht werden. Ein CT des Schädels ist nicht routinemäßig erforderlich, kann jedoch bei auffälligen Herdbefunden oder bei anhaltend unklarer Ätiologie sinnvoll sein. Der Bispektral-Index (BIS-Index), der auf den Kopf aufgesetzt wird, um die elektrische Aktivität der Großhirnrinde zu erfassen, kann helfen, den Grad der Sedierung oder Unruhe bei Patienten unter neuromuskulärer Blockade zu ermitteln.

Behandlung von Unruhe und Verwirrtheit

Die zugrundeliegenden Bedingungen (z. B. Hypoxie, Schock, Sepsis, Medikamente, Fortschreiten einer traumatischen Hirnverletzung) sollten berücksichtigt werden. Die Umgebungsbedingungen sollten, so weit wie es der Gesamtbehandlungsplan zulässt, optimiert werden (Beleuchtung, Lautstärke, kleinstmögliche nächtliche Schlafunterbrechungen). Uhren, Kalender, Fenster mit Blick nach draußen, Fernseh- oder Radiosendungen können dem Patienten dabei helfen, die Verbindung zur Außenwelt aufrechtzuerhalten, und somit das Maß an Verwirrung begrenzen. Die Anwesenheit der Familie sowie Regelmäßigkeit in der pflegerischen Versorgung kann beruhigend wirken.

Die medikamentöse Therapie richtet sich an dem vorrangig irritierenden Symptom aus. Schmerzen erfordern Analgetika, Angst und Schlaflosigkeit werden mit Sedativa, Psychose und Delir mit kleineren Dosen Psychopharmaka behandelt. Intubation kann dann erforderlich werden, wenn der Bedarf an Sedativa und Analgetika so hoch ist, dass die Sicherheit der Atemwege oder der Atemantrieb in Gefahr gerät. Es sind hier zahlreiche Substanzen verfügbar. Grundsätzlich sollten jedoch kurzwirksame Präparate bevorzugt werden. Dies gilt vor allem für solche Patienten, die eine häufige neurologische Begutachtung benötigen, oder solche, die in nächster Zeit vom Respirator entwöhnt und extubiert werden sollen.

Analgesie

Schmerzen müssen mit adäquater Dosierung intravenöser Opioide behandelt werden. Bei bewusstseinsklaren Patienten mit schmerzhaften Störungen (Frakturen, chirurgischen Eingriffen), die aber nicht geeignet kommunizieren können, muss im Zweifelsfall Schmerz als Ursache der Unruhe angenommen und entsprechend mit Analgetika angegangen werden. Maschinelle Beatmung ist eine für den Patienten unangenehme Maßnahme. Daher sollten Beatmungspatienten eine Kombination aus Opioiden und amnestisch wirksamen Sedativa bekommen. Fentanyl ist aufgrund seiner Wirkungsstärke, kurzen Wirkdauer und geringfügigen kardiovaskulären Nebenwirkungen das Opioid der Wahl bei kurzzeitiger Behandlung. Ein übliches Behandlungsregime kann aus Fentanyl 30–100 mcg/h bestehen. Der individuelle Bedarf kann dabei sehr unterschiedlich sein.

Sedierung

Trotz der Analgesie sind viele Patienten weiterhin so aufgeregt, dass sie sediert werden müssen. Sedativa können schon bei geringerer Dosierung als Analgetika für den Patienten hilfreich sein. Am häufigsten werden Benzodiazepine (z. B. Lorazepam, Midazolam) eingesetzt. Üblicherweise werden zur Sedierung 1–2 mg Lorazepam IV jeweils 1- bis 2-stündlich oder als kontinuierliche Infusion mit 1–2 mg/h eingesetzt, wenn der Patient intubiert ist. Der Gebrauch dieser Substanzen birgt bei einigen Patienten das Risiko von respiratorischer Depression, Hypotonie, Delir und verlängerter Wirkdauer. Langwirksame Benzodiazepine wie Diazepam, Flurazepam und Chlordiazepoxid sollten bei älteren Patienten vermieden werden. Psychopharmaka mit geringem anticholinergem Effekt wie Haloperidol (1–3 mg IV) wirken am besten, wenn sie mit Benzodiazepinen kombiniert werden.

Bei kurzfristiger Sedierung kann Propofol (z. B. 5–50 mcg/kg pro Minute bei jungen, gesunden Patienten), ein sedierendes-hypnotisches Medikament, verwendet werden. Die Langzeitanwendung (> 3 Tage) von hochdosiertem Propofol erhöht das Risiko eines Propofol-Infusionssyndroms (PRIS), das durch metabolische Azidose, Rhabdomyolyse, Hyperlipidämie, akute Nierenschädigung, Herzversagen und Pankreatitis gekennzeichnet ist und häufig tödlich verläuft. Da erhöhte Triglyceridwerte (z. B. > 400 mg/dl) auf PRIS (1) hinweisen können, müssen die Triglyzeridwerte nach 2–3 Tagen hochdosierter Propofolanwendung gemessen werden.

Dexmedetomidin weist anxiolytische, sedierende und einige schmerzstillende Eigenschaften auf und hat keinen Einfluss auf den Atemantrieb. Das Risiko eines Deliriums ist geringer als mit Benzodiazepinen. Aufgrund dieses geringeren Risikos wird Dexmedetomidin zunehmend als Alternative zu Benzodiazepinen bei Patienten, die eine künstliche Beatmung benötigen, eingesetzt. Der Charakter und die Tiefe der Sedierung, die mit Dexmedetomidin bewirkt wird, kann es künstlich beatmeten beatmeten Patienten gestatten, zu interagieren oder leicht geweckt zu werden, ohne dass eine unangenehme Situation für sie erzeugt wird. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Hypotonie und Bradykardie. Die typische Dosierung liegt bei 0,2–0,7mcg/kg/h, aber einige Patienten benötigen Dosen bis zu 1,5mcg/kg/h. Dexmedetomidin wird in der Regel nur für kurze Zeit verwendet (z. B. < 48 Stunden).

Ketamin ist ein dissoziatives Anästhetikum, das Analgesie und Sedierung bewirkt. Ketamin wirkt als nichtkompetitiver NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Antagonist. Zu den Vorteilen von Ketamin gehören die Aufrechterhaltung des Atemantriebs und eine minimale kardiovaskuläre Depression. Ketamin hat auch bronchodilatatorische Effekte, was bei Patienten mit Asthma von Vorteil sein kann. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Laryngospasmus und visuelle Halluzinationen. Die typische Dosierung beträgt 1–2 mg/kg i.v., gefolgt von 0,5–1 mg/kg i.v. nach Bedarf.

Neuromuskuläre Blockade

Die neuromuskuläre Blockade darf bei intubierten Patienten nicht als Ersatz einer Sedierung missverstanden werden, denn dadurch werden nur die sichtbaren Manifestationen des Problems (der Agitation) beseitigt, ohne eine wirkliche Korrektur der Störung zu bewirken. Dennoch muss für bestimmte Untersuchungen (CT, MRT) oder bestimmte Prozeduren (z. B. Anlage eines zentralvenösen Katheters) möglicherweise sichergestellt werden, dass der Patient sich verlässlich nicht bewegt. Hier ist gelegentlich eine neuromuskuläre Blockade vonnöten. Dies gilt auch für Patienten, die trotz hinreichender Analgesie und Sedierung nicht beatmet werden können. Sofern Sedativa (einschließlich Dexmedetomidin) verwendet werden, ist eine neuromuskuläre Blockade nur selten erforderlich.

Eine längerfristige neuromuskuläre Blockade sollte vermieden werden. Ausnahmen davon sind Patienten mit schweren Lungenverletzungen, die keinerlei Atemarbeit sicher verrichten können. Die Anwendung über mehr als 1–2 Tage hinweg kann zu längerfristiger Schwäche führen. Vor allem bei gleichzeitiger Gabe von Kortikosteroiden. Üblicherweise wird Vecuronium (als bedarfsgerechte kontinuierliche Infusion) gegeben.

Literatur zur Therapie

  1. 1. Diaz JH,  Prabhakar A, Urman RD, et al: Propofol infusion syndrome: A retrospective analysis at a level 1 trauma center. Crit Care Res Pract 2014;2014:346968, 2014. doi: 10.1155/2014/346968

Wichtige Punkte

  • Unruhe und/oder Verwirrtheit können auf die ursprüngliche Erkrankung, auf Komplikationen der akuten Erkrankung, auf die Behandlung oder auf die Umgebungssituation der Intensivstation zurückzuführen sein.

  • Anamnese und körperliche Untersuchung lassen häufig schon eine Ursache vermuten und leiten die folgende technische Untersuchung.

  • Behandelt wird die Ursache (inkl. der Applikation von Analgetika zur Schmerzlinderung und zur Optimierung der Umgebung, um Verwirrtheitszustände zu minimieren), die verbleibende Unruhe wird mit einem Sedativum wie Lorazepam, Propofol, Dexmedetomidin, oder Ketamin therapiert.

  • Die neuromuskuläre Blockade maskiert lediglich Schmerzen und Unruhe; gelähmte Patienten können erheblich leiden.