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Kommentar – COVID-19-Impfstoffe: COVID-19-Impfstoffe Impfstoffinduzierte immunthrombotische Thrombozytopenie

Kommentar
10.05.21 Matthew E. Levison, MD, Drexel University College of Medicine, Drexel University

Anfang März 2021 begannen Berichte aus Europa zu erscheinen, dass mehrere Personen, die mit dem COVID-19-Impfstoff Oxford-AstraZeneca (AZ) geimpft worden waren, abnormale Blutgerinnsel (Thromben) entwickelten. Viele hatten Blutgerinnsel an ungewöhnlichen und kritischen Stellen entwickelt, insbesondere Blutgerinnsel, die Venen blockieren, welche Blut aus dem Gehirn ableiten (sogenannte zerebrale Sinusvenenthrombose oder ZSVT). Bei einigen Personen war ZSVT mit Blutungen im Gehirn verknüpft. Die Betroffenen entwickelten außerdem Blutgerinnsel in den Venen, die das Blut aus den Unterleibsorganen oder den Beinen ableiten (siehe tiefe Venenthrombose). Zu den Symptomen gehörten starke Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Veränderungen des Sehvermögens, Kurzatmigkeit und/oder Schmerzen in den Beinen.

Seit dem 4. April 2021 wurden 169 Fälle von ZSVT in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich unter 34 Millionen Personen gemeldet, die den AZ-Impfstoff erhalten hatten (rund 5 Fälle von ZVST in einer Million AZ-Impflingen), und mehr als 30 Personen starben (1). Am 21. April, nachdem rund 8 Millionen Dosen des COVID-19-Impfstoffs von Johnson & Johnson/Janssen (J&J) in den Vereinigten Staaten verabreicht worden waren, gab es ähnliche Berichte über ZSVT bei 15 Personen in den Vereinigten Staaten nach der Verabreichung dieses Impfstoffs (fast zwei Fälle von ZSVT in einer Million J&J-Impflingen), und drei starben. Bei allen Fällen in den Vereinigten Staaten handelte es sich um Frauen; 13 waren 18 bis 49 Jahre alt und 2 waren über 50 Jahre alt. Die Blutgerinnsel entwickelten sich 4 bis 20 Tage nach der COVID-19-Impfung und hauptsächlich bei Personen, die zuvor gesund waren.

Als Ärzte diese abnormale Blutgerinnung untersuchten, wurde klar, dass die Betroffenen eine geringe Anzahl von Blutplättchen im Blut aufwiesen (Thrombozytopenie). Dies ist paradox, weil Blutplättchen Zellen sind, die in der Blutbahn zirkulieren und die Blutgerinnung unterstützen. Wenn die Blutplättchenzahl niedrig ist, blutet man gewöhnlich zu leicht. Die Ärzte stellten jedoch fest, dass die Blutplättchenzahlen niedrig waren, weil die Blutplättchen zur Bildung der abnormalen Blutgerinnsel verwendet wurden. Das klinische Bild einer schweren Gerinnung und Thrombozytopenie nach COVID-19-Impfung wird nunmehr als impfstoffinduzierte immunthrombotische Thrombozytopenie oder VITT bezeichnet (2).

Die Frage war, warum diese nach der Impfung auftreten könnte.

Die Ärzte erkannten, dass dieses Bild von abnormalen neuen Blutgerinnseln zusammen mit niedrigen Blutplättchenzahlen auch bei einer Erkrankung namens heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) auftrat, einer seltenen Komplikation, die etwa 5 bis 10 Tage nach Erhalt des gerinnungshemmenden Medikaments Heparin auftreten kann. Die Ärzte wussten, dass dies durch eine komplizierte Reaktion des Immunsystems auf Heparin verursacht wird, bei der Antikörper gebildet werden, welche die Aktivierung der Blutplättchen verursachen (und somit Gerinnsel bilden und an Zahl abnehmen). Die Forscher entdeckten dann einen ähnlichen Antikörper, der bei einigen Personen nach der COVID-19-Impfung auftrat. Tests können durchgeführt werden, um diesen Antikörper zu erkennen und die Diagnose einer VITT zu bestätigen.

Sowohl die Impfstoffe von J&J als auch von AZ werden unter Verwendung eines harmlosen Adenovirus hergestellt, um den aktiven Teil des Impfstoffs zu liefern, und die Impfstoffe von Moderna und Pfizer verwenden kein Virus. Daher spekulieren einige Experten über einen Zusammenhang zwischen dem Adenovirus und VITT. Andererseits gibt es russische und chinesische Impfstoffe, die Adenoviren verwenden, und es gibt keine Berichte über VITT nach der Verabreichung dieser Impfstoffe.

Die mRNA COVID-19-Impfstoffe von Moderna und Pfizer-BioNTech, die in den Vereinigten Staaten als erste Impfstoffe erhältlich waren, wurden ursprünglich nicht als Ursache für Blutgerinnsel angenommen, aber eine kürzlich durchgeführte Studie von mRNA-Impflingen in den Vereinigten Staaten hat das seltene Auftreten von ZSVT innerhalb von 2 Wochen nach der Impfung in dieser Gruppe ebenfalls berichtet, mit einer Rate von rund 4 Fällen von ZSVT in einer Million mRNA-Impflingen (3).

ZSVT kann sich auch nach einer natürlichen COVID-19-Infektion entwickeln (rund 40 Fälle von ZSVT in einer Million COVID-19-Patienten), was etwa 10 Mal mehr ist als nach der COVID-19-Impfung. Die Erkrankung ist sehr selten bei ansonsten gesunden Personen (rund 0,4 Fälle von ZSVT in einer Million Personen), die kein Heparin oder ähnliche Medikamente erhalten haben (3).

Eine besondere Gefahr bei VITT besteht darin, dass das Medikament Heparin die häufigste Behandlung für übermäßige Blutgerinnung darstellt. Bei Personen mit VITT verschlimmert Heparin jedoch das Problem. Wenn jemand also eine niedrige Blutplättchenzahl aufweist und Untersuchungen ein Blutgerinnsel nach Erhalt eines COVID-19-Impfstoffs ergeben, sollten Ärzte eine VITT vermuten und Tests auf den Antikörper durchführen und außerdem die Verabreichung von Heparin vermeiden. Wenn jemand ein gerinnungshemmendes Medikament benötigt, verabreichen Ärzte stattdessen eines der neueren Blutgerinnungshemmer Argatroban oder Lepirudin. Sie verabreichen außerdem hochdosiertes intravenöses Immunglobulin (IVIG), das die durch VITT-Antikörper bewirkte Blutplättchen-Aktivierung schnell blockieren hilft (4).

Wenn man über unerwünschte Wirkungen einer Behandlung nachdenkt, ist es wichtig, die Risiken der Behandlung mit den Risiken keiner Behandlung zu vergleichen. Unter nicht geimpften Personen werden für jede Million Personen, die eine symptomatische COVID-19-Erkrankung entwickeln, rund 10.000 bis 20.000 sterben (5). Es wurde gezeigt, dass die COVID-19-Impfstoffe von AZ, J&J, Pfizer und Moderna so gut wie alle diese Todesfälle durch COVID-19 verhindern. Von jeder Million Personen, die mit den Impfstoffen von AZ oder J&J geimpft werden, wird weniger als eine aufgrund von ZSVT sterben.  Somit bleibt das Risiko für ZSVT nach einer COVID-19-Impfung im Vergleich zum Nutzen des Impfstoffs sehr gering.

Am 20. April 2021 kam der Sicherheitsausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) zu dem Schluss, dass bezüglich des J&J-Impfstoffs „COVID-19 mit einem Risiko für Krankenhausaufenthalt und Tod verknüpft ist. Die berichtete Kombination von Blutgerinnseln und niedriger Blutplättchenzahl ist sehr selten, und der Gesamtnutzen des [Impfstoffs von Johnson & Johnson] bei der Vorbeugung von COVID-19 überwiegt die Risiken für Nebenwirkungen.“ Sie kamen außerdem zu dem Schluss, dass ein Warnhinweis über Blutgerinnsel und niedrige Blutplättchenzahl als sehr seltene Nebenwirkungen des Impfstoffs aufgeführt werden sollte (6). Eine ähnliche Schlussfolgerung bezüglich des AZ-Impfstoffs wurde zuvor von der EMA gezogen (1). Die CDC und die FDA kamen zu ähnlichen Schlussfolgerungen über den J&J-Impfstoff (7).

 

Referenzen

1. European Medicines Agency: AstraZeneca’s COVID-19 vaccine: EMA finds possible link to very rare cases of unusual blood clots with low blood platelets. 7. April 2021. Aufgerufen am 26. April 2021. Verfügbar unter https://www.ema.europa.eu/en/news/astrazenecas-covid-19-vaccine-ema-finds-possible-link-very-rare-cases-unusual-blood-clots-low-blood

2. Bussel JB, Connors JM, Cines DB et al.: Thrombosis with thrombocytopenia syndrome (also termed vaccine-induced thrombotic thrombocytopenia. Version 1.2. American Society of Hematology 25. April 2021. https://www.hematology.org/covid-19/vaccine-induced-immune-thrombotic-thrombocytopenia

3. Taquet M, Husain M, Geddes JR et al.: Cerebral venous thrombosis and portal vein thrombosis: a retrospective cohort study of 537,913 COVID-19 cases. OSF https://osf.io/a9jdq/

4. Warkentin TE: High-dose intravenous immunoglobulin for the treatment and prevention of heparin-induced thrombocytopenia: A review. Expert Review of Hematology 12(8):685–698, 2019. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/17474086.2019.1636645

5. Ritchie H, Ortiz-Ospina E, Beltekian D et al.: Mortality risk of COVID-19: How did confirmed deaths and cases change over time? Online veröffentlicht auf OurWorldInData.org Verfügbar unter https://ourworldindata.org/mortality-risk-covid#how-did-confirmed-deaths-and-cases-change-over-time

6. European Medicines Agency: COVID-19 vaccine Janssen: EMA finds possible link to very rare cases of unusual blood clots with low blood platelets. 20. April 2021. https://www.ema.europa.eu/en/news/covid-19-vaccine-janssen-ema-finds-possible-link-very-rare-cases-unusual-blood-clots-low-blood

7. US Food and Drug Administration: Janssen COVID-19 vaccine. Aktualisiert am 23. April 2021. https://www.fda.gov/emergency-preparedness-and-response/coronavirus-disease-2019-covid-19/janssen-covid-19-vaccine

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