Entscheidungsfindung durch einen vorgegebenen Stellvertreter

VonCharles Sabatino, JD, American Bar Association
Überprüft/überarbeitet Mai 2021
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Falls eine Person nicht in der Lage ist, Entscheidungen über ihre medizinische Versorgung zu treffen, müssen diese Entscheidungen von einer oder mehreren anderen Personen getroffen werden. Eine solche Person wird „stellvertretender Entscheidungsträger“ genannt. Falls keine Vollmacht für medizinische Angelegenheiten und kein gerichtlich bestellter Vormund mit der Befugnis, medizinische Entscheidungen zu treffen, vorhanden sind, sehen die meisten Landesgesetzgebungen einen stellvertretenden Entscheidungsträger vor. (Siehe auch Überblick über rechtliche und ethische Fragen in der medizinischen Versorgung.) Ein für Entscheidungen zuständiger Stellvertreter sollte die Person, der er bei der Entscheidungsfindung behilflich ist, so gut wie möglich darin einbeziehen.

Erwachsene

Der stellvertretende Entscheidungsträger ist in den meisten Staaten in der Regel ein naher Angehöriger, angegeben in einer Prioritätsreihenfolge, in der zumeist der Ehepartner oder Lebenspartner ganz oben steht, worauf erwachsene Kinder, Elternteile, Geschwister und gegebenenfalls weitere Angehörige folgen. Immer mehr Staaten erkennen auch einen nahestehenden Freund als stellvertretenden Entscheidungsträger an. Falls mehrere Personen (z. B. mehrere erwachsene Kinder) dieselbe Befugnis haben, wird Einigkeit bevorzugt, einige Staaten gestatten jedoch medizinischen Fachkräften, sich nach der Mehrheitsentscheidung zu orientieren oder die Gruppe aufzufordern, eine Person zu ernennen, die für sie entscheidet. Ärzte akzeptieren häufiger die Entscheidung einer Person, die den medizinischen Zustand des Patienten versteht und dessen Interessen vertritt. Konflikte zwischen berechtigten Entscheidungsträgern behindern den Prozess ernsthaft.

Personen ohne Familie oder enge Freunde, die im Krankenhaus allein sind, bekommen höchstwahrscheinlich einen von Gericht bestellten Vormund. Falls nicht klar ist, wer Entscheidungen treffen darf, müssen sich die Ärzte eventuell mit der Ethikkommission oder Rechtsabteilung des Krankenhauses beraten. Wenn kein stellvertretender Entscheidungsträger vorgesehen ist, verlässt sich das medizinische Personal weiterhin auf die Entscheidungen der engen Angehörigen. Allerdings kann es vorkommen, dass die Behandlung aufgrund von Unsicherheiten oder Meinungsverschiedenheiten erschwert wird.

Kinder

In medizinischen Situationen brauchen Kinder jemanden, der für sie entscheidet. In Nicht-Notfallsituationen, die Kinder und Minderjährige betreffen, kann die medizinische Behandlung zumeist nicht ohne Zustimmung der Eltern oder des Vormunds erfolgen. Die Entscheidung der Eltern oder des Vormunds kann nur überstimmt werden, wenn ein Gericht Kindesvernachlässigung oder -missbrauch feststellt. In einigen Staaten können Kinder bestimmten medizinischen Behandlungen (z. B. Behandlung von sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten, Verschreibung von Empfängnisverhütungsmitteln und Abtreibung) ohne Einverständnis der Eltern zustimmen.

Gesetzliche Standards bei medizinischen Entscheidungen

Alle stellvertretenden Entscheidungsträger, unabhängig davon, ob sie vom Patienten, einem Gericht oder vom Gesetz ernannt wurden, sind verpflichtet, die ausdrücklichen Wünsche des Erwachsenen zu befolgen und seine Wertvorstellungen zu berücksichtigen, sofern diese bekannt sind. Medizinische Fachkräfte sind ebenfalls verpflichtet, diese Wünsche und Wertvorstellungen zu respektieren. Falls die Wünsche und Wertvorstellungen des Patienten nicht bekannt sind, muss sich der stellvertretende Entscheidungsträger von den besten Interessen des Patienten leiten lassen.

Medizinische Fachkräfte sind nicht verpflichtet, ungeeignete medizinische Behandlungen anzuwenden, etwa solche, die den allgemein anerkannten Versorgungsstandards in der Medizin widersprechen. Falls eine bestimmte Behandlung dem Gewissen einer medizinischen Fachkraft widerspricht, jedoch im Rahmen der anerkannten Standards der Medizin liegt, sollte die Fachkraft versuchen (und ist in den meisten Staaten gesetzlich zu entsprechenden Versuchen verpflichtet), den Patienten an einen Arzt oder eine Einrichtung zu überweisen, die der betreffenden Behandlung zustimmen.

Als Erstes muss der stellvertretende Entscheidungsträger die medizinischen Fachkräfte bitten, ihm alle Fakten über Diagnose, Prognose und alternative Behandlungen zur Verfügung zu stellen. Steht eine schwierige Behandlungsentscheidung an, sollten sich Bevollmächtigte und stellvertretende Entscheidungsträger z. B. folgende Fragen stellen:

  • Wird diese Behandlung oder Untersuchung eine Änderung bringen? Wie?

  • Überwiegen die Belastungen bzw. Risiken dieser Behandlung gegenüber den Vorteilen?

  • Gibt es Hoffnung auf Genesung und, falls ja, wie wird das Leben danach aussehen?

  • Welches Ziel verfolgt diese Behandlung? Ist sie mit den Zielen des Patienten vereinbar?