HealthDay
ERKRANKUNG

Entwicklung von Jugendlichen

VonEvan G. Graber, DO, Nemours/Alfred I. duPont Hospital for Children
Überprüft/überarbeitet März 2023
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

In der Adoleszenz werden aus den Kindern junge Erwachsene. Sie durchlaufen deutliche körperliche, intellektuelle und emotionale Veränderungen. Der Weg zum Erwachsensein läuft allerdings nicht geradlinig ab. Jugendliche werden mit der Zeit nicht einfach immer ein bisschen mehr wie Erwachsene. Es ist eher so, dass Jugendliche zwischen dem Verhalten eines Kindes und eines Erwachsenen hin und her wechseln. Mit der Entwicklung der Jugendlichen verhalten sie sich immer öfter wie Erwachsene und fallen nur noch selten in ein kindliches Verhalten zurück.

Während dieses Entwicklungsabschnitts entwickelt der junge Mensch ein Gefühl dafür, wer er ist, und er lernt, innige Beziehungen mit Menschen aufzubauen, die nicht zu seiner Familie gehören. Für Eltern kann es eine Herausforderung darstellen, Jugendliche durch diese schwierige Entwicklungsphase zu führen. Bei Jugendlichen besteht häufig eine höhere Risikobereitschaft (z. B. Bereitschaft zu Gewalt und Saufgelagen), was schwere gesundheitliche Risiken birgt. Ungesunde Verhaltensweisen, wie Rauchen oder Drogenkonsum, die im späteren Leben ernsthafte Probleme verursachen, beginnen ebenfalls häufig während der Pubertät.

(Siehe auch Störungen bei Jugendlichen.)

Intellektuelle und soziale Entwicklung von Jugendlichen

In der frühen Adoleszenz beginnt das Kind, seine Fähigkeit zum abstrakten, logischen Denken zu entwickeln. Diese Bewusstseinserweiterung führt zu einer verstärkten Selbstaufmerksamkeit und der Fähigkeit, über sein eigenes Selbst nachzudenken. Aufgrund der vielen sichtbaren körperlichen Veränderungen, die in der Adoleszenz eintreten, wird die Selbstaufmerksamkeit zum „Selbstbewusstsein“, das häufig von einem Gefühl der Unbeholfenheit begleitet wird. Sein äußeres Erscheinungsbild und seine Attraktivität nehmen beim Heranwachsenden genauso wie sein Empfinden für das Gleich- und Anderssein gegenüber seinen Altersgenossen einen großen Raum ein.

In der Mitte des Jugendalters wird die Belastung einer Entscheidung über die berufliche Zukunft immer größer. Die meisten Jugendlichen haben noch kein klar definiertes Ziel, obwohl sie langsam ihre Interessen und Begabungen erkennen. Die Eltern müssen auf die Fähigkeiten des Jugendlichen achten und ihm helfen, sich realistische Ziele zu setzen. Sie müssen außerdem Probleme beim Lernen erkennen, z. B. Lernbehinderungen, Aufmerksamkeitsprobleme, Verhaltensprobleme oder unangemessene Lernumgebungen, die korrigiert werden müssen.

Der Heranwachsende wendet seine neu erworbene Reflexionsfähigkeit auch auf moralische Werte an. Vor Erreichen der Adoleszenz versteht der junge Mensch „richtig“ und „falsch“ noch als feststehende, absolute Werte. Der ältere Heranwachsende stellt dagegen Verhaltensstandards infrage und lehnt häufig traditionelle Wertmaßstäbe ab – oft zur Bestürzung der Eltern. Im Idealfall mündet diese Reflexion bei dem Heranwachsenden in die Entwicklung und Verinnerlichung eines eigenen Moralkodex.

Viele Jugendliche legen einen Hang zu riskantem Verhalten an den Tag, dazu gehören Aktivitäten wie schnelles Fahren. Viele fangen mit sexuellen Experimenten an und manche nehmen risikoreiche sexuelle Handlungen vor. Einige Jugendliche können illegale Handlungen begehen, wie z. B. Diebstahl und Konsum von Alkohol und illegalen Drogen. Experten vermuten, dass dieses Verhalten teilweise darauf zurückzuführen ist, weil Jugendliche dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, was eine Vorbereitung auf das Verlassen des häuslichen Umfelds darstellt. Studien zum Nervensystem belegen, dass die Bereiche des Gehirns, die Impulse unterdrücken, bis zum frühen Erwachsenenalter noch nicht völlig ausgereift sind.

Emotionale Entwicklung von Jugendlichen

In der Adoleszenz reifen die Bereiche des Gehirns, die Emotionen steuern. Diese Phase ist gekennzeichnet durch scheinbar spontane Ausbrüche, was für Eltern und Lehrer sehr anstrengend sein kann, da häufig sie es sind, gegen die sich die Ausbrüche richten. Jugendliche lernen mit der Zeit, unangemessene Gedanken und Aktionen zu unterdrücken und sie durch zielgerichtetes Verhalten zu ersetzen.

Ein typischer Konfliktbereich ist das normale Verlangen des Jugendlichen nach mehr Freiheit, was mit den Instinkten der Eltern kollidiert, ihr Kind vor Schaden zu bewahren. Durch die Versuche auf vielen Ebenen zu wachsen, macht sich Frustration breit. Auch die Kommunikation kann sehr herausfordernd sein, da Eltern und Jugendliche ihre Beziehungen neu finden. All diese Herausforderungen können weiter verstärkt werden, wenn Familien anderem Stress ausgesetzt sind oder wenn Eltern selber emotionale Schwierigkeiten haben, weil der Jugendliche weiterhin die Führung durch die Eltern benötigt. Ärzte können helfen, Kommunikationskanäle zu eröffnen, indem sie den Jugendlichen und Eltern vorsichtige, praktische und hilfreiche Ratschläge geben.

Soziale und psychologische Entwicklung von Jugendlichen

Während der Kindheit ist die Familie Dreh- und Angelpunkt im Leben des Kindes. In der Adoleszenz löst die Gruppe Gleichaltriger allmählich die Familie als wichtigsten Sozialpartner ab. Ein Wir-Gefühl, das aus gemeinsamen Charakteristika, wie einer Besonderheit im Kleidungsstil und äußerem Erscheinungsbild, einem besonderen Verhalten, besonderen Hobbys und Interessen, erwächst, mit denen sich die Gruppenmitglieder von Außenstehenden abheben, führt oft zur Bildung einer so genannten Peer-Gruppe. Anfangs setzt sich die Peer-Gruppe aus gleichgeschlechtlichen Mitgliedern zusammen, später tritt dann auch das andere Geschlecht hinzu. Diese Gruppe hat für den Heranwachsenden eine große Bedeutung, da er durch sie bei seinen Entscheidungen Bestätigung und in belastenden Situationen Unterstützung erfährt.

Jugendliche, die keiner Peer-Gruppe angeschlossen sind, entwickeln häufig das intensive Gefühl, anders zu sein und nicht dazuzugehören. Dieses Gefühl kann sich in der sensiblen Entwicklungsphase des Jugendlichen ungünstig auswirken und vorhandenes Potenzial in Richtung funktionsgestörtes oder antisoziales Verhalten verstärken. Im anderen Extrem kann die Peer-Gruppe für manche Jugendliche auch zu bedeutsam werden, was auch zu antisozialem Verhalten führen kann. Die Zugehörigkeit zu Banden und Gangs mit ihrem entsprechenden Verhalten kommt häufiger vor, wenn die häusliche und soziale Umgebung nicht in der Lage ist, die oft unangemessenen Forderungen der Gleichaltrigengruppe aufzufangen.

Ärzte sollten alle Jugendlichen vorsorglich hinsichtlich psychischer Gesundheitsstörungen, z. B. Depressionen, bipolaren Störungen und Angststörungen untersuchen. Psychische Gesundheitsstörungen kommen in diesem Lebensabschnitt häufiger vor und können zu Suizidgedanken und suizidalem Verhalten führen. Psychotische Störungen, wie z. B. Schizophrenie fallen, obwohl sie sehr selten sind, meist im späten Jugendalter auf. Essstörungen wie Anorexia nervosa und Bulimia nervosa sind bei Mädchen relativ häufig, können aber auch bei Jungen auftreten. Essstörungen können schwer zu erkennen sein, da die Jugendlichen fast alles unternehmen, um ihr Verhalten und die Gewichtsveränderungen verborgen zu halten.

Der Konsum von illegalen Drogen beginnt typischerweise im Jugendalter.

Alkoholkonsum ist weit verbreitet, und Alkohol ist das von Jugendlichen am häufigsten verwendete Suchtmittel. Die Umfrage „Monitoring the Future“ zur Anwendung von Drogen und Arzneimitteln ist eine Langzeitstudie zum Konsum von Suchtmitteln, die vom National Institute on Drug Abuse in den USA durchgeführt wird. In dieser Umfrage wurde berichtet, dass im Jahr 2021 in den Vereinigten Staaten 54 Prozent der Zwölftklässler Alkohol probiert und 26 % im vorangegangenen Monat Alkohol konsumiert hatten und zurzeit als Alkoholtrinker betrachtet wurden. Es kommt häufig zu Saufgelagen, die sowohl zu akuten als auch chronischen Gesundheitsrisiken führen. Die Forschung hat gezeigt, dass Jugendliche, die schon in jungen Jahren anfangen Alkohol zu trinken, eher dazu neigen, als Erwachsene eine alkoholbedingte Erkrankung zu entwickeln. Jugendliche, die beispielsweise im Alter von 13 Jahren anfangen Alkohol zu trinken, sind 5-mal anfälliger, Alkoholprobleme zu entwickeln, als Jugendliche, die erst im Alter von 21 Jahren anfangen zu trinken.

Die Umfrage ergab, dass im Jahr 2021 rund 4,1 Prozent der Zwölftklässler angaben, derzeit Zigaretten zu rauchen (bzw. in den vergangenen 30 Tagen geraucht zu haben) – diese Zahl ist rückläufig und steht im Vergleich zu 28,3 Prozent im Jahr 1991 bzw. 5,7 Prozent im Jahr 2019. Nur etwa 2 Prozent der Zwölftklässler gaben an, täglich zu rauchen.

Der aktive Konsum von nikotinhaltigen E-Zigaretten (Vaping) bei Schülern der Jahrgangsstufe 12 stieg von 11 Prozent im Jahr 2017 auf 25,5 Prozent im Jahr 2019 deutlich an. Laut der Umfrage fiel der Konsum von E-Zigaretten im Jahr 2021 wieder auf 19,6 Prozent, und etwa 40,5 Prozent der Zwölftklässler gaben an, E-Zigaretten (mit Nikotin und anderen Substanzen) schon einmal probiert zu haben, was ebenfalls einen Rückgang von den im Jahr 2019 dokumentierten 45,6 Prozent darstellt.

Die Umfrage ergab, dass 19,5 Prozent der Zwölftklässler im Jahr 2021 aktiv Cannabis (Marihuana) konsumierten, was einen Rückgang von den im Jahr 2019 berichteten 22,3 Prozent darstellt. Ungefähr 38,6 Prozent der Zwölftklässler gaben an, dass sie Cannabis mindestens einmal in ihrem Leben probiert hatten. 

Der Konsum anderer illegaler Drogen kommt viel seltener vor, obwohl der Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente, einschließlich Schmerzmitteln und Stimulanzien, stetig zunimmt.

Die Eltern können einen starken positiven Einfluss auf ihre Kinder nehmen, indem sie mit gutem Beispiel vorangehen (z. B., indem sie nur geringe Alkoholmengen konsumieren und keine illegalen Drogen nehmen), Werte vorleben und hohe Erwartungen an den Jugendlichen stellen, sich von illegalen Drogen fernzuhalten. Eltern sollten ihren Kindern außerdem beibringen, dass verschreibungspflichtige Medikamente nur nach den Anweisungen des Arztes eingenommen werden dürfen. Alle Jugendlichen sollten unter Einhaltung ihrer Privatsphäre auf den Konsum von illegalen Drogen untersucht werden. Im Rahmen der routinemäßigen Gesundheitsversorgung sollten entsprechende Hinweise gegeben werden. Es hat sich gezeigt, dass selbst nur sehr kurze Interventionen durch Ärzte und medizinische Fachkräfte dazu führen, dass der Substanzenkonsum bei Jugendlichen abnimmt.

Entwicklung von Sexualität und Geschlecht bei Jugendlichen

Der Beginn der Geschlechtsreife (Pubertät) wird in der Regel mit dem Interesse an der Veränderung der geschlechtlichen Anatomie begleitet. Diese Veränderungen, oder auch ihr Ausbleiben, sind ein Quell ständiger Verunsicherung und Sorge. Mit zunehmender emotionaler und sexueller Reife beginnt der Jugendliche meist auch, seine ersten sexuellen Erfahrungen zu sammeln. Fast alle Jugendlichen machen Erfahrungen mit Selbstbefriedigung. Die sexuellen Erfahrungen mit anderen beginnen zunächst meist mit Schmusen und „Petting“, werden aber manchmal zum oralen, vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr erweitert. In der späten Adoleszenz hat sich Sexualität aus dem Experimentierstadium zu einem Ausdruck inniger Vertrautheit und Zweisamkeit weiterentwickelt.

Ärzte sollten im Rahmen einer routinemäßigen Gesundheitsversorgung entsprechende Ratschläge zu sicheren sexuellen Praktiken geben und alle sexuell aktiven Jugendlichen auf sexuell übertragbare Infektionen untersuchen.

Wenn Jugendliche ihre Sexualität ergründen, können sie auch ihre sexuelle Identität und Geschlechtsidentität infrage stellen.

  • Das Geschlecht beschreibt die Anatomie einer Person: männlich, weiblich oder nicht eindeutig männlich oder weiblich (nicht eindeutige Geschlechtsorgane).

  • Die sexuelle Orientierung bezieht sich auf das Geschlecht (sofern zutreffend), zu dem sich eine Person sexuell hingezogen fühlt. Es gibt viele verschiedene sexuelle Orientierungen: heterosexuell (zum anderen Geschlecht hingezogen), homosexuell (zum gleichen Geschlecht hingezogen), bisexuell (zu beiden Geschlechtern hingezogen) und asexuell (zu keinem Geschlecht hingezogen).

  • Die Geschlechtsidentität beschreibt, wie sich Personen selbst sehen, ob als männlich, weiblich oder etwas anderes (gelegentlich als „genderqueer“, „non-binär“ oder „agender“ bezeichnet). Letzteres kann irgendwo dazwischen liegen, eine Kombination des Männlichen und Weiblichen oder keines von beidem sein oder sich häufig ändern. Transgender ist eine Geschlechtsidentität, bei der Menschen glauben, dass das Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht mit ihrer wahren geschlechtlichen Identität übereinstimmt.

  • Der Geschlechtsausdruck ist die Art und Weise, in der sich in Bezug auf sein Geschlecht öffentlich präsentiert. Sie schließt die Art der Kleidung, Sprache, Frisur und im Grunde genommen alles ein, was Männlichkeit oder Weiblichkeit kennzeichnet.

Die Geschlechtsidentität entwickelt sich frühzeitig, kann sich aber mit der Zeit weiterentwickeln. Bei manchen Kindern und Jugendlichen stimmt das Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeschrieben wurde, nicht mit ihrer Geschlechtsidentität überein. Diese Unstimmigkeit kann erhebliche psychische Belastung verursachen, die als Geschlechtsdysphorie bekannt ist. Die Geschlechtsdysphorie (Geschlechtsidentitätsstörung) kann mit Psychotherapie und manchmal mit Hormonen und operativen Eingriffen behandelt werden.

Manche Jugendliche sind sich bezüglich ihrer sexuellen Orientierung nicht sicher. Es kann sein, dass sie in Bezug auf ihre Gefühle nicht sicher sind, häufig fühlen sich Jugendliche jedoch entweder zu Menschen mit gleichem oder anderem Geschlecht hingezogen oder haben sexuelle Gedanken über sie. Viele Jugendliche, die homosexuelle Beziehungen ausprobieren, interessieren sich am Ende jedoch nicht mehr für gleichgeschlechtliche Beziehungen. Andere wiederum zeigen vielleicht nie ein Interesse an Beziehungen mit dem anderen Geschlecht.

Homosexualität, Bisexualität und Asexualität sind normale Varianten der menschlichen Sexualität. Jugendliche, die Ihre homosexuelle oder bisexuelle Identität deutlich wahrnehmen, können sich engen Freunden oder ihrer Familie gegenüber zu erkennen geben („Coming out“).

Einige Jugendliche können während der Entwicklung ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität vor viele Herausforderungen gestellt sein. Sie fürchten möglicherweise, dass ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von Angehörigen oder Gleichaltrigen nicht akzeptiert wird. Ein solcher Druck (vor allem zu einer Zeit, da soziale Akzeptanz für den jungen Menschen unerhört wichtig ist) kann starken Stress verursachen. Die manchmal durchaus berechtigte Angst, die Eltern könnten sich abwenden, kann zu einer unaufrichtigen oder zumindest unvollständigen Kommunikation zwischen Eltern und Kind führen. Solche Jugendliche können auch von Gleichaltrigen verspottet oder schikaniert werden. Androhungen körperlicher Gewalt sollten durchaus ernst genommen und der Schulleitung und anderen Behörden mitgeteilt werden. Die emotionale Entwicklung dieser Jugendlichen verläuft am besten durch die Unterstützung von Freunden und Familienmitgliedern.

Es gibt kaum andere Erfahrungen, in der der Mensch körperliche, intellektuelle und emotionale Aspekte zusammen mit all den Gefühlen, die noch dazu kommen, so intensiv erlebt wie in der Sexualität. Daher ist es so wichtig, Jugendlichen dabei zu helfen, Sexualität und Geschlechtsidentität in einen gesunden Kontext zu setzen. Eltern sollten ihre Werte und Erwartungen offen mit ihren Jugendlichen besprechen, aber im Verlauf der Entwicklung der Sexualität und Geschlechtsidentität ihres Kindes empfänglich und unterstützend bleiben.