Autoimmunerkrankungen

VonJames Fernandez, MD, PhD, Cleveland Clinic Lerner College of Medicine at Case Western Reserve University
Überprüft/überarbeitet Okt. 2022
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Kurzinformationen

Bei einer Autoimmunerkrankung handelt es sich um eine Fehlfunktion des Immunsystems, bei der der Körper eigenes Gewebe angreift.

  • Was genau zu einer Autoimmunerkrankung führt, ist bislang unbekannt.

  • Die Symptome sind je nach genauer Erkrankung und betroffenen Körperteilen unterschiedlich.

  • Häufig werden verschiedene Bluttests zur Überprüfung auf eine Autoimmunerkrankung durchgeführt.

  • Die Behandlung hängt von der Art der Autoimmunerkrankung ab. Oft werden Medikamente verabreicht, die die Aktivität des Immunsystems unterdrücken (Immunsuppressiva).

(Siehe auch Übersicht über allergische Reaktionen.)

Das Immunsystem muss zuerst gefährliche oder Fremdstoffe erkennen, bevor es den Körper dagegen verteidigen kann. Zu solchen Substanzen zählen unter anderem Bakterien, Viren, Parasiten (z. B. Würmer), bestimmte Krebszellen und sogar transplantierte Organe und transplantiertes Gewebe. Diese Substanzen haben Moleküle, die das Immunsystem erkennen kann und die eine Reaktion des Immunsystems hervorrufen können. Diese Moleküle werden auch als Antigene bezeichnet. Antigene können sich in einer Zelle oder auf deren Oberfläche befinden (z. B. Bakterien oder Krebszellen) oder Bestandteil eines Virus sein. Einige Antigene wie Pollen oder Nahrungsmoleküle können für sich selbst bestehen.

Wenn bestimmte weiße Blutkörperchen (B-Zellen und T-Zellen) auf Antigene treffen, lernen sie, wie sie das Antigen angreifen und so den Körper vor dem möglicherweise gefährlichen Antigen schützen können. B-Zellen stellen Antikörper her, die einer der wichtigsten Immunabwehrmechanismen des Körpers gegen Antigene sind. Antikörper binden eng an ein bestimmtes Antigen und markieren es für einen Angriff oder neutralisieren es direkt. Der Körper produziert Tausende unterschiedlicher Antikörper. Jedes vorhandene Antigen hat einen bestimmten Antikörper. Die Zellen des Immunsystems erinnern sich an das spezifische Antigen, damit sie es bei der nächsten Begegnung noch wirksamer angreifen können.

Körpereigene Gewebezellen können Antigene haben. In der Regel reagiert das Immunsystem nur auf Antigene von fremden oder gefährlichen Substanzen, nicht aber auf Antigene körpereigener Gewebe. Manchmal jedoch kann das Immunsystem auch fehlerhaft arbeiten und Antigene körpereigener Gewebe als fremd erkennen und dagegen Antikörper (sog. Autoantikörper) oder Immunzellen herstellen, die gegen bestimmte Zellen oder Gewebe des Körpers gerichtet sind und diese angreifen. Diese Immunantwort wird auch als Autoimmunreaktion bezeichnet. Sie führt zu Entzündungen und Gewebeschäden. Solche Auswirkungen können eine Autoimmunerkrankung begründen. Viele Personen produzieren jedoch nur kleinste Mengen von Autoantikörpern, sodass keine Autoimmunerkrankung zustande kommt. Das Vorhandensein von Autoantikörpern im Blut bedeutet nicht, dass bei dieser Person eine Autoimmunerkrankung vorliegt.

Es gibt viele verschiedene Autoimmunerkrankungen. Zu den häufiger auftretenden Autoimmunerkrankungen gehören unter anderem die Basedow-Krankheit, rheumatoide Arthritis, Hashimoto-Thyroiditis, Typ-I-Diabetes, der systemische Lupus erythematodes („Lupus“) und die Vaskulitis. Weitere Erkrankungen, von denen man annimmt, dass auch sie zu den Autoimmunerkrankungen gehören, sind u. a. die Addison-Krankheit, Polymyositis, das Sjögren-Syndrom, progressive systemische Sklerose, viele Fälle von Glomerulonephritis (Nierenentzündung) und einige Formen von Unfruchtbarkeit.

Tabelle

Ursachen von Autoimmunerkrankungen

Autoimmunreaktionen können auf verschiedenen Wegen ausgelöst werden:

  • Eine normale Körpersubstanz ist verändert, beispielsweise durch ein Virus, ein Medikament, Sonnenlicht oder Bestrahlung. Die veränderte Substanz kann dann vom Immunsystem als fremd wahrgenommen werden. Beispielsweise kann ein Virus eine Körperzelle infizieren und verändern. Die von einem Virus infizierte Zelle stimuliert das Immunsystem, das zum Angriff übergeht.

  • Eine fremde Substanz, die einer natürlichen Körpersubstanz ähnelt, kann in den Körper eindringen. Das Immunsystem kann versehentlich nicht nur die fremde, sondern auch die ihm ähnliche körpereigene Substanz angreifen. Beispielsweise können die eine Halsentzündung hervorrufenden Bakterien ein Antigen haben, das einem Antigen auf menschlichen Herzzellen ähnelt. In seltenen Fällen greift das Immunsystem einer Person nach einer Halsentzündung deren Herz an (diese Reaktion ist Teil des rheumatischen Fiebers).

  • Die die Antikörperproduktion kontrollierenden Zellen – z. B. die B-Zellen (eine weiße Blutkörperchenart) – können fehlerhaft funktionieren und kaputte Antikörper produzieren, die manche körpereigenen Zellen angreifen.

  • T-Zellen, eine andere Art weißer Blutkörperchen, die an der Immunreaktion beteiligt sind, können ebenfalls fehlerhaft sein und die körpereigenen Zellen schädigen.

  • Eine körpereigene Substanz, die normalerweise nur in einem bestimmten Bereich vorkommt (und dadurch dem Immunsystem nicht zugänglich ist), gelangt in den Blutkreislauf. Beispielsweise kann durch einen Schlag auf das Auge Flüssigkeit des Augapfels in den Blutkreislauf gelangen. Die Flüssigkeit stimuliert das Immunsystem, das Auge als fremd zu erkennen und anzugreifen.

Warum etwas bei einer Person eine Autoimmunreaktion oder -erkrankung auslöst und bei einer anderen nicht, ist meistens nicht bekannt. Manchmal spielen allerdings Erbfaktoren eine Rolle. Einige Personen haben Gene, die sie etwas anfälliger für die Entwicklung einer Autoimmunerkrankung machen. Diese leicht erhöhte Anfälligkeit für eine Autoimmunerkrankung und nicht die Erkrankung selber ist das, was vererbt wird. Bei anfälligen Personen kann die Erkrankung durch einen Auslöser (z. B. eine Virusinfektion oder Gewebeschädigung) zur Ausbildung angeregt werden.

Viele Autoimmunerkrankungen kommen bei Frauen häufiger vor.

Symptome von Autoimmunerkrankungen

Welche Symptome auftreten, hängt von der jeweiligen Erkrankung und dem betroffenen Körperteil ab. Manche Autoimmunerkrankungen befallen bestimmte Gewebetypen im gesamten Körper – beispielsweise Blutgefäße, Knorpel oder die Haut. Andere Autoimmunerkrankungen beeinträchtigen ein bestimmtes Organ. Praktisch jedes Organ, einschließlich Nieren, Lunge, Herz und Gehirn, kann betroffen sein. Die daraus entstehenden Entzündungen und Gewebeschädigungen können Schmerzen, Gelenkverformungen, Schwäche, Gelbsucht, Juckreiz, Atembeschwerden, Flüssigkeitsansammlungen (Ödeme), Delir und sogar den Tod zur Folge haben.

Diagnose von Autoimmunerkrankungen

  • Bluttests

Ärzte vermuten eine Autoimmunerkrankung aufgrund der Symptome des Betroffenen. Verschiedene Laboruntersuchungen können zur Bestätigung der Diagnose helfen.

Bluttests können auf eine vorhandene Entzündung hinweisen und somit eine Autoimmunerkrankung nahelegen. Solche Untersuchungen umfassen Folgendes:

  • Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG): Diese Untersuchung misst, wie schnell sich die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) auf dem Boden eines Reagenzglases voll Blut absetzen. Die BSG ist bei einer Entzündung häufig erhöht, da die in Reaktion auf die Entzündung produzierten Proteine die Fähigkeit der roten Blutkörperchen, im Blut zu schweben, beeinträchtigen.

  • Großes Blutbild (CBC): Diese Untersuchung bestimmt die Anzahl der roten Blutkörperchen im Blut. Diese Anzahl ist oft verringert (Anämie), da aufgrund der Entzündung weniger rote Blutkörperchen produziert werden.

Da eine Entzündung viele Ursachen hat (viele, die nicht autoimmun sind), führen die Ärzte häufig auch Bluttests durch, um verschiedene Antikörper, die bei einer bestimmten Autoimmunerkrankung vorhanden sein können, nachzuweisen. Beispiele dieser Antikörper sind:

Aber selbst diese Antikörper kommen gelegentlich auch bei Personen ohne Autoimmunerkrankung vor. Somit verwenden die Ärzte für die Diagnose einer Autoimmunerkrankung in der Regel eine Reihe von Tests und bewerten darüber hinaus die aufgetretenen Symptome.

Wussten Sie ...

  • Einige Personen haben Gene, die sie etwas anfälliger für die Entwicklung einer Autoimmunerkrankung machen.

  • So gut wie jedes Organ kann von einer Autoimmunerkrankung betroffen sein.

Prognose bei Autoimmunerkrankungen

Einige Autoimmunerkrankungen beginnen und verschwinden wieder auf unerklärliche Weise. Die meisten Autoimmunerkrankungen sind jedoch chronischer Natur. Häufig werden die Medikamente ein Leben lang zur Kontrolle der Symptome benötigt.

Die Prognose hängt von der jeweiligen Erkrankung ab.

Behandlung von Autoimmunerkrankungen

  • Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken, einschließlich Kortikosteroide

  • Bei einigen Autoimmunerkrankungen auch Plasmaaustausch und intravenöses Immunglobulin

Medikamentöse Behandlung

Für gewöhnlich werden zur Unterdrückung des Immunsystems oftmals langfristig orale Immunsuppressiva wie Azathioprin, Chlorambucil, Cyclophosphamid, Ciclosporin, Mycophenolat oder Methotrexat verabreicht. Allerdings unterdrücken diese Medikamente nicht nur die Autoimmunreaktion, sondern auch die Fähigkeit des Körpers, sich gegen fremde Substanzen zu verteidigen, z. B. gegen Infektionen verursachende Mikroorganismen und Krebszellen. Infolgedessen steigt das Risiko für bestimmte Infektionen und Krebsarten.

Häufig werden orale Kortikosteroide, wie Prednison, angewendet. Diese Medikamente wirken entzündungshemmend und unterdrücken zudem das Immunsystem. Eine Langzeitbehandlung mit Kortikosteroiden hat viele Nebenwirkungen. Wenn möglich sollten Kortikosteroide nur kurzfristig verabreicht werden, zumeist wenn die Erkrankung beginnt oder sich die Symptome verschlechtern. In einigen wenigen Fällen jedoch müssen Kortikosteroide unbegrenzt angewandt werden.

Bestimmte Autoimmunerkrankungen (wie multiple Sklerose und Erkrankungen der Schilddrüse) werden auch mit anderen Medikamenten anstelle von Immunsuppressiva und Kortikosteroiden behandelt. Darüber hinaus kann auch eine Behandlung zur Linderung der Symptome erforderlich sein.

Etanercept, Infliximab und Adalimumab hemmen die Aktivität des Tumornekrosefaktors (TNF), einer körpereigenen, entzündungsfördernden Substanz. Diese Medikamente sind bei der Behandlung von rheumatoider Arthritis und manchen Autoimmunerkrankungen äußerst wirksam, können aber bei anderen Autoimmunerkrankungen wie multipler Sklerose Schäden verursachen. Zudem können diese Medikamente das Risiko für Infektionen und bestimmte Hautkrebsarten erhöhen.

Bestimmte Medikamente zielen speziell auf weiße Blutkörperchen ab. Weiße Blutkörperchen verteidigen den Körper gegen Infektionen, können aber auch an Autoimmunreaktionen beteiligt sein. Dazu gehören:

  • Abatacept hemmt die Aktivierung einer bestimmten weißen Blutkörperchenart (T‑Zellen) und wird zur Behandlung von rheumatoider Arthritis eingesetzt.

  • Das zuerst zur Behandlung von bestimmten Krebsarten weißer Blutkörperchen verwendete Rituximab wirkt, indem es dem Körper eine bestimmte weiße Blutkörperchenart (B-Zellen) entzieht. Es ist bei manchen Autoimmunerkrankungen wirksam, z. B. bei rheumatoider Arthritis und bestimmten Erkrankungen wie der Granulomatose mit Polyangiitis (früher Wegener-Granulomatose), die eine Entzündung der Blutgefäße (Vaskulitis) bewirken. Rituximab wird derzeit für andere Autoimmunerkrankungen untersucht.

Zudem werden weitere, gegen weiße Blutkörperchen gerichtete Medikamente entwickelt.

Plasmaaustausch und intravenöses Immunglobulin

Manche Autoimmunerkrankungen werden auch mittels Plasmaaustauschs behandelt. Hierfür wird Blut entnommen und zur Entfernung veränderter Proteine, wie z. B. Antikörper, gefiltert. Das gefilterte Blut wird anschließend in den Blutkreislauf der Person zurückgegeben.

Bei einigen Autoimmunerkrankungen wird zur Behandlung intravenöses Immunglobulin (eine gereinigte Lösung von Antikörpern, die von freiwilligen Spendern gewonnen wurde und in eine Vene verabreicht wird) verwendet. Die Wirkungsweise ist nicht geklärt.